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Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. Teil 2

Mit der Zunahme der Bedeutung des Rittertums kam der Fußstreiter allmählich außer Beachtung, seiner Ausrüstung wurde immer weniger Aufmerksamkeit zugewendet. Daher kommt es, dass wir den zum Knecht heruntergesunkenen Fußstreiter in den Miniaturen des 12. und 13. Jahrhunderts entweder ganz vermissen oder in den mannigfachsten Ausrüstungen und mit der verschiedensten Bewaffnung antreffen. Bogenschützen und die späteren Armbrustschützen erhielten sich zwar jeweilig durch ihre Gewandtheit und Leistungsfähigkeit in einer gewissen Achtung; aber gerade sie kleideten sich nach Willkür und die Verachtung jeder schweren Harnischausrüstung war bei ihnen zur Tradition geworden.

 

Fig. 146. Kriegsmann aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus einem Manuskript der königlichen Bibliothek in London. 2. A. XXII. Derselbe ist bereits im Haubert mit Maschenpanzerwerk und kurzen derlei Beinkleidern. Über ersteren ist der Gambeson au

 Fig. 146. Kriegsmann aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus einem Manuskript der königlichen Bibliothek in London. 2. A. XXII. Derselbe ist bereits im Haubert mit Maschenpanzerwerk und kurzen derlei Beinkleidern. Über ersteren ist der Gambeson aus Leinwand angezogen. Nach Hewitt I, p. 254.

 

Gegen Ende des 12. Jahrhunderts mit der Beendigung des 2. Kreuzzuges kommt der normannische Helm immer mehr in Abnahme1, und nach einem merkbaren Herumtasten wird der deutsche Topfhelm allenthalben angenommen. Diese Veränderung steht in Verbindung mit der Veränderung der Taktik und geht nur Schritt für Schritt vor sich. In den westlichen Ländern Europas, in dem England Richard Löwenherz’, dem Frankreich Philipp Augusts erscheinen zuerst niedere zylindrische Helme, welche über der Brünne auf der Stirn aufsitzen. Statt des Naseneisens tritt zuerst das feste Visier mit Sehspalt oder den Augenlöchern auf. Der Haubert reicht bis ans Knie, unter selbem ist in der Regel das seidene oder leinene Wams (bliaud) sichtbar, das, wie wir an Siegeln ersehen, oft bis an die Füße herabreicht. Charakteristisch für diese wie für die vergangenen Perioden ist die enge an den Hals schließende Brünne. Die Füße stecken in Eisenhosen aus Panzerwerk oder mit Lederstreifen und Ringen verstärkt, die am Vorfuß spitz enden. Diese schwere Ausrüstung mit eiserner Epidermis wurde unter der heißen Sonne des Orients unerträglich. Um das Erhitzen des Metalls nur etwas zu vermindern, trugen die Ritter im 2. Kreuzzug lange weiße Hemden über den Haubert. Diese waren ohne Ärmel und waren vom Unterrand bis in die Gegend des Sitzes an den Seiten aufgeschlitzt. Auch die Helme erhielten Decken aus weißer Leinwand. Über das Hemd, das bei den Franzosen gambeson hieß, wurde das Schwert gegürtet (Fig. 146). In den östlichen Ländern wurden zylindrische Helme selten, dafür aber halbkugelförmige und spitze getragen. Um diese Periode von etwa 1170 an, also gerade in jenem Zeitpunkt, wo die Helme das Antlitz verdecken, beginnt man auf Schilde und Helme, später auch auf die Fahnen, Rossdecken, Sättel etc. gewisse Darstellungen als persönliche Erkennungszeichen zu malen. Damit entwickelt sich die Heraldik im Ritterwesen, die ihre Anfänge allerdings, wie wir gesehen haben, schon fünf Jahrhunderte vorher gefunden hatte.

 

Im Verlauf des 13. Jahrhunderts schreitet die Reform in der kriegerischen Ausrüstung weiter, und ihre beste Stütze findet sie in den Fortschritten, welche das Handwerk überhaupt und damit auch jenes des Waffenschmiedes gemacht hatte. Der Helm erweiterte sich so, dass er nun nicht mehr auf der Stirn sitzt, sondern auf den Kopf gestülpt werden muss. Der Haubert wird etwas kürzer, schon um 1200 reichte er nur mehr bis über die Hälfte der Oberschenkel. Sowohl der Topfhelm, wie auch Schwert und Dolch werden mittelst Ketten vorn an der Brust angeheftet, die Schultern wie auch die Kniescheiben werden durch zurzeit noch sehr kleine Eisenscheiben gedeckt. Auf den Helmen erscheinen die heraldischen Zeichen plastischer Darstellung (Zimiere) in immer verschiedenerer Gestaltung. Auch das Waffenhemd erhält die Farbe seines Trägers. Der Schild, um 1200 noch fast in voller Länge des normannischen, wird im Verlauf des 13. Jahrhunderts, nach Maßgabe als der Beinharnisch solider wird, kürzer und kleiner.

 

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wird unter dem schweren Topfhelm die kleine Beckenhaube getragen, welche, nahezu halbkugelförmig gebildet, über die Brünne aufgesetzt wird. Dieselbe erhält an jenen Punkten, wo der Topfhelm aufsitzt, Polsterungen, um den Druck zu mildern. Dadurch bildet sich die Helmbinde, die später, als die Topfhelme abkommen, nur mehr eine dekorative Bedeutung hat. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts werden die Beine, wenn sie nicht durch Maschenpanzer gedeckt sind, an den vorderen Flächen mit starken, gesottenen Rindslederstreifen gesichert, die rückwärts angeschnallt werden.

 

1Der Übergang fand nicht plötzlich statt, das erklärt sich schon aus den Verhältnissen. Die Harnische und Waffen wurden von dem Vater auf den Sohn, den Enkel vererbt, und wurden von diesen teils aus Pietät, teils der nicht geringen Kosten neuer Waffen wegen oft noch ein halbes Jahrhundert und später getragen, als schon längst die Kriegserfahrung andere Formen an die Stelle gesetzt hatte. Nur die Vornehmsten und Wohlhabendsten vermochten mit der Veränderung des Waffenwesens gleichen Schritt zu halten, sie bildeten gewissermaßen das Muster für die Geringeren.

 

Fig. 147. Grabrelief, in Kupfer gegossen, des Sir Johan D’Aubernoun Ritter, in der Kirche von Stoke D’Abernon in der Grafschaft Surrey vom Jahr 1277. Das älteste Beispiel eines Grabsteines mit bildlicher Darstellung des Verstorbenen. Nach Schultz.

 Fig. 147. Grabrelief, in Kupfer gegossen, des Sir Johan D’Aubernoun Ritter, in der Kirche von Stoke D’Abernon in der Grafschaft Surrey vom Jahr 1277. Das älteste Beispiel eines Grabsteines mit bildlicher Darstellung des Verstorbenen. Nach Schultz.

 

Der Schwertgürtel wird meist lose getragen, sodass er nicht mehr in den Weichen sitzt, sondern an den Lenden haftet. (Fig. 147.) Von etwa 1274 bis gegen Mitte des 14. Jahrhunderts tragen die Ritter in Frankreich und England die Achselschilde (ailettes). Im östlichen Deutschland kommen sie selten, in Italien gar nicht vor Augen. (Fig. 148.) In den letzten Dezennien des 13. Jahrhunderts wird eine wichtige Verbesserung des Harnisches bemerkbar, man könnte diese Periode die des Anfanges der Plattenharnische nennen, die freilich erst nach einem Jahrhundert in sich fertig dastehen. Aber schon zu jener Zeit beginnt man Ellenbogen und Kniescheiben mit hohl getriebenen, runden Eisenscheiben, Oberarme und Unterschenkel mit eisernen Schienen zu bedecken, die über Haubert und Eisenhose mittelst Riemen geschnallt werden. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden auch die oberen Flächen der Vorfüße mit Eisenschienen gedeckt, um 1356 sind diese bereits geschoben.

 

Fig. 148. Donator im blasonierten Gambeson, mit Achselschilden. Manuskript der Bibliothek zu Cambray. Flandrisch. 14. Jahrhundert. Nach Louandre, Les arts somptuaires, I.

 Fig. 148. Donator im blasonierten Gambeson, mit Achselschilden. Manuskript der Bibliothek zu Cambray. Flandrisch. 14. Jahrhundert. Nach Louandre, Les arts somptuaires, I.

 

In den für die Geschichte des Waffenwesens ungemein wichtigen Abbildungen des Codex Balduini Trevirensis aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in denen die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. dargestellt ist1, erblicken wir die Ritter in kurzen Hauberts mit darüber gezogenen langen Waffenhemden. Diese letzteren besitzen kurze, aber weite Ärmel und tragen den Blason des Eigners oder nur die Farben desselben. Nur die Vornehmsten tragen Fußzeug aus Platten. Der Helm aber nähert sich dadurch, dass er im Nacken eingezogen erscheint, bereits der späteren Form der geschlossenen Helme. Auch der Eisenhut mit breiter Krempe, über die Brünne gesetzt, kommt vereinzelt vor2. (Fig. 149.) Der Topfhelm war im Feldkriege wenigstens um die Mitte des 14. Jahrhunderts für immer abgelegt worden, nachdem noch in den letzten Jahrzehnten seiner Verwendung verschiedene Versuche gemacht worden waren, ihn zu erleichtern und erträglicher zu gestalten. Er wurde nämlich in den Helmwänden verlängert, sodass er nun auf den Schultern aufruhte; die vordere Wand wurde ausgeschnitten und mit einem Visier versehen. Umsonst! Der Krieger war des schweren Rüstzeugs satt geworden. Es wurde durch die Beckenhaube ersetzt, die nur weiter gehalten wurde, sodass sie im Nacken aufsaß. Jetzt verschwindet die unbequeme, kapuzenförmige Brünne, die den ganzen Scheitel deckte. Sie wird nun an dem Unterrand der Beckenhaube angeheftet, in einer Form, dass sie nur das Antlitz frei lässt. Die Verbindungen zeigen außerordentliche Solidität.

 

1K. Provinzialarchiv zu Coblenz.

2Irmer, Georg, Die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. Ein Bildercyclus des Codex Balduini Trevirensis. Berlin 1881.

Fig. 149. Reitergefecht aus dem Codex Balduini, die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. darstellend aus dem königlichen Provinzialarchiv zu Koblenz. Erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach Irmer Dr. G. die Romfahrt etc.

 Fig. 149. Reitergefecht aus dem Codex Balduini, die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII. darstellend aus dem königlichen Provinzialarchiv zu Koblenz. Erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Nach Irmer Dr. G. die Romfahrt etc.

 

 

Dadurch blieb der Hals vom Helm unbedeckt, aber die Brünne wird so weit geschnitten, dass sie nicht mehr an den Hals schließt, sondern frei herabfällt.

 

Fig. 150. Eduard der schwarze Prinz, Sohn Eduards III. (1330—1376). Von dessen Grabmal in der Kathedrale zu Canterbury. Nach Stotthart, I, 15.

 Fig. 150. Eduard der schwarze Prinz, Sohn Eduards III. (1330—1376). Von dessen Grabmal in der Kathedrale zu Canterbury. Nach Stotthart, I, 15.

 Fig. 151. Krieger, Holzskulptur in der Kathedrale zu Bamberg von 1370. Nach Hewitt I, 138.

 

 

Auch der Haubert erleidet wesentliche Veränderungen in seinem Schnitt. Er wird allgemach enger oder doch mehr in die Weichen geschnitten. Um 1320 beginnt eine bemerkenswerte Mode, den Schwertgürtel sehr tief an den Lenden zu tragen. Aus dem Schwertgürtel bildete sich jener steife, ringförmige Gürtel, der als ein Zeichen ritterlicher Würde tief an den Lenden getragen wurde. Gegen die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er immer reicher verziert. Einzelne derselben gehören zu den schönsten Werken der Goldschmiedekunst. Der ritterliche Gürtel (cingulum militare, im Deutschen „Dupsing“ genannt), der auch am bürgerlichen Kleid, vorzugsweise aber auf dem Harnisch getragen wurde, war vorzüglich in Frankreich und England, aber auch in Deutschland, weniger in Italien üblich. Er erhält sich bis zur Umänderung des Plattenharnisches in der Renaissance. (Fig. 150.)

 

Um 1330 verschwinden die faltigen Waffenhemden (cottes d’armes, gambisons) aus den ritterlichen Kriegskörpern und machen enganliegenden Platz, die nun auch mit farbiger Seide, Stickerei und Tapisserie geziert werden. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts bildet sich aus dem Haubert allgemach der Lentner. Anfänglich erscheint er als enganliegendes Überkleid aus dickem Leder, das über dem eng anschließenden Haubert rückwärts geschnürt getragen wird (juste au corps). Später wird der Haubert zum einfachen Kettenhemd, über welches der scharf in die Weichen geschnittene Lentner angezogen und an der Brust zugeschnürt wird, wie wir in Fig. 150 ersehen. Die Helmbrünne, nun vom Kettenhemd getrennt, fällt als Kragen über Brust und Schultern herab. In dieser Periode ist das aus Platten gebildete Arm- und Beinzeug bereits allenthalben üblich, wenn auch Arm- und Beinbekleidungen aus Panzerzeug und selbst aus Schuppenwerk immer und lange noch nebenher im Gebrauch bleiben. In Frankreich wird noch der bliaud, zuweilen auch gezaddelt, getragen. Zwei Modeerscheinungen treten um 1350 auf, die übertrieben spitzen Eisenschuhe und die Schellengürtel. Sie sind für den Beginn eines übertriebenen Luxus im gesamten ritterlichen Leben der Zeit charakteristisch. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verschwindet das Nasenband, jener Lappen aus Panzerzeug, der an der Brünne vom Kinn über das Gesicht hinaufgeschlagen und an der Beckenhaube befestigt wurde, gänzlich, dafür wird immer häufiger das Visier, das in vielen Gestalten auftritt. Nicht selten ist es schnabelförmig spitz gebildet in einer Form, die an die Hundeschnauze erinnert und davon im östlichen Deutschland, wo die gemeine Beckenhaube im Volksmund „Gugel“ hieß, Hundsgugel genannt wurde. Sie verschwindet erst um 1430. Seit dem 14. Jahrhundert tragen auch Ritter den Eisenhut mit oft breiter Krempe in Verbindung mit der Halsbrünne.

 

Der Roland von Ragusa. Steinskulptur von 1423. Die geschiftete Plattenbrust hat noch die Form des Lentners. Italienisch. Nach einer Zeichnung des Verfassers.

Fig. 152. Der Roland von Ragusa. Steinskulptur von 1423. Die geschiftete Plattenbrust hat noch die Form des Lentners. Italienisch. Nach einer Zeichnung des Verfassers.

 Fig. 153. Kriegsknecht im Harnischröckchen aus einem Altarbilde der Auferstehung Christi in der Kunstsammlung des Chorherrnstiftes Klosterneuburg von 1476.

 

Von etwa 1360 an tritt das Bestreben auf, den immerhin wenig hiebfesten Lentner durch Eisenplatten zu verstärken. Das geschieht in verschiedener Art, durch musivisches Aneinanderreihen von Eisenplatten, die nun allgemach größer gebildet werden, oder auch durch Aufnieten einer größeren Platte auf die Brustseite, an welche auch die Schwert- und Dolchkette befestigt wird. Bei allen diesen Verstärkungen bildet noch der Lentner den Träger. (Fig. 151.) Erst um 1380 erscheint die selbstständige Brustplatte, halbkugelförmig, mit stark geschweiftem Oberrand, welche über die Schultern und in der Leibesmitte angeschnallt ist. Zunächst reiht sich an dieselbe ein Rückenstück. Das alles verändert den allgemeinen Charakter des Harnisches nur wenig, denn noch besitzt der Helm die weite Brünne, die über die Brust und die Schultern herabfällt und noch ist der Unterleib unbedeckt und der Lentner daselbst noch sichtbar. Aber der voll ausgebildete Plattenhandschuh mit kurzen Stulpen kommt in Aufnahme. Das ist eine bemerkenswerte Neuerung.

 

 

 

Fig. 154. Kriegsknecht im Lederharnisch mit eisernen Buckeln an den Mäuseln und Knien und dem Harnischröckchen darüber. Aus einem Altarbild der Auferstehung Christi in der Kunstsammlung des Chorherrnstiftes Klosterneuburg von 1476.

Fig. 154. Kriegsknecht im Lederharnisch mit eisernen Buckeln an den Mäuseln und Knien und dem Harnischröckchen darüber. Aus einem Altarbild der Auferstehung Christi in der Kunstsammlung des Chorherrnstiftes Klosterneuburg von 1476.

 

 

Knapp um die Wende des 14. Jahrhunderts begegnen wir einer eingreifenden Veränderung dadurch, dass die Helmbrünne allmählich in Abnahme kommt. Das Panzerhemd wird jetzt hoch in den Hals geschnitten und an den Helm wird vorn ein breiter Halsreifen, rückwärts ein tief reichender Nackenschirm angesetzt, welche dicht an Brust und Rücken anschließen. Die Helmbinde bleibt als dekorative Beigabe, aber um 1410 erscheinen die kleinen Achselstücke geschoben und bereits in Verbindung mit dem Brust- und Rückenstück und von beiden letzteren herab verbreiten sich einem Schurz gleich die Bauch- und Gesäßreifen in 3 bis 5 Geschüben. (Fig. 152.) Ebenso beginnt man die ungedeckten Stellen an den Achselhöhlen durch Schwebescheiben zu sichern. An den Mäuseln und Kniebuckeln erscheinen Muscheln von anfänglich sehr geringen Dimensionen. Wir nähern uns der Periode der Zaddeltracht, die auch bei dem geharnischten Mann zumal bei festlichen Gelegenheiten zur Geltung gelangt. In Italien werden bis ans Ende des 15. Jahrhunderts über den Rücken gezogene Mäntel getragen, von den Achseln fallen lange gezaddelte, weite Ärmel, bei manchem bis auf den Boden herab. Überhaupt kommen in Italien um diese Periode kurze, bis an die Knie reichende Harnischhemden in Aufnahme, die meist ärmellos in der Mitte des Leibes durch einen Gürtel gehalten werden. (Fig. 153 und 154.)

Das Bestreben, den Unterleib ausgiebiger zu schützen, veranlasst um 1430 den anfänglich schüchtern auftretenden Versuch, an den Unterrand der Bauchreifen eine weitere Folge derart anzufügen, dass diese, um zu Pferde nicht hinderlich zu sein, frei beweglich bleiben. Damit sehen wir die ersten Beintaschen entstehen. Um 1420 begegnen wir bereits Achselstücken mit Flügen; die rechtsseitigen sind meist tiefer eingeschnitten, um den Spieß in die Achselhöhle setzen zu können. Der linke Mäusel erhält eine Verstärkung, die anfänglich angebunden wird. Dieser Stechmäusel erhält zuweilen große Dimensionen. An der linken Achsel (Hiebseite) treten die ersten Stauchen oder Brechränder auf, um den wenig gesicherten Hals ausreichender zu schützen. Vom ersten Auftreten des Plattenharnisches an wird unter selbem das Panzerhemd aus ineinandergeflochtenen Ringen getragen, anfänglich auch derlei Beinkleider mit den Schuhen in Verbindung. Bei den ältesten sind noch alle Ringe verschweißt, bei jenen des 15. Jahrhunderts findet sich nur jeder zweite verschweißt, der andere vernietet, was aus dem Nietköpfchen zu erkennen ist, das sich an jedem derlei Ringe findet. Im 16. Jahrhundert werden die Panzerhemden, besonders die italienischen und spanischen, ungemein fein gearbeitet, sie besitzen durchweg genietete Ringelchen. (Fig. 155, 156.)

 

 

Detail von einem Panzerhemd mit teils genieteten, teils geschweißten Ringen. 15. Jahrhundert.

Fig. 155. Detail von einem Panzerhemd mit teils genieteten, teils geschweißten Ringen. 15. Jahrhundert.

Fig. 156. Detail von einem Panzerhemd mit genieteten Ringen. 16. Jahrhundert.

 

 

Die Bestimmung des Alters und des Erzeugungsortes eines Panzerhemdes ist eine schwierige Aufgabe, zumal diesem Gegenstand noch wenig Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Deutsche des 15. Jahrhunderts bestehen im Allgemeinen aus größeren Ringen, während in jener Zeit die italienischen, besonders die mailändischen bedeutend feiner sind. Auch in der Art der Verflechtung der Ringe finden sich Unterschiede. Von etwa 1420 an trägt man in Italien auch zwei Panzerhemden übereinander; ein gröberes über ein feineres, ebenso Panzerhosen, die bis über das Knie reichen und am Unterrand der Kniebuckel hervorstehen. Auch feine Panzerstrümpfe oder -schuhe sind nicht selten im Gebrauch. Endlich ist der Verwendung des Ringpanzers als Bedeckung des Pferdes zu gedenken. In Italien erscheint das Panzergeflecht zuerst in zweierlei Ringformen. Bei der einen ist der Ringdraht zylindrisch geformt, zugehämmert und nicht, wie vielfach angenommen wird, aus gezogenem Draht gebildet1. Bei der anderen ist er platt geschlagen, sodass die übereinanderliegenden Ringe fast eine Schuppendecke bilden. Panzerhemden, in letzterer Form gebildet, nannten die Italiener speziell maglia ghiazzerina und sie sind als die eigentlichen Jazerins1 anzusehen, über welche unter den Archäologen so verschiedene Ansichten herrschen. (Fig. 157).

Bei Betrachtung der ältesten aus dem Orient stammenden Panzerhemden kommt man zu der Vermutung, dass die Orientalen schon weit früher als die Europäer die Kunst des Drahtziehens gekannt haben. Die Ringelchen von sehr geringem Durchmesser sind, nicht immer, doch häufig, aus gezogenem Draht und durchaus so tadellos verschweißt, dass wir über die Geschicklichkeit der Meister uns erstaunen.

 

Wir haben bereits zu erwähnen Gelegenheit gehabt, dass der Ringpanzer schon in antiker Zeit und vorwiegend von den Truppen des oströmischen Reiches getragen wurde. Nach dem Norden Europas gelangte er schon im 6. Jahrhundert als Handelsartikel.

 

Die Araber scheinen das Drahthemd aus Indien erhalten zu haben, im 2. Jahrhundert ist es aber bereits ein heimischer Artikel. Die älteste Nachricht über selbes lesen wir im Koran, (Sure 34, — Saba v. 34), es heißt darin, dass Gott unter den Händen Davids (Daûd) das Eisen erweichte und zu diesem sprach: „Mache vollkommene Panzer daraus und füge sie gehörig im Ringe.“1 Im Arabischen heißt auch eine Sorte von Harnischen Daûdi.

 

 

1Auch mit Beziehung auf Sure 21. (Die Propheten.)

1Im Inventar der Waffen Louis’ X. von Frankreich von 1316 heißt es: ‚Item, une couverture de jazeran de fer. Item, une couverture de mailles rondes demy cloées. Item, une couverture gamboisées des armes le roy et unes Indes jazeguenées.“ — Jeanne d’Arc war bei der Einnahme von Orleans, als sie durch den Bolzen einer Armbrust verwundet wurde, mit einem Jazerin bekleidet. Ebenso finden wir den Jazerin im Roman des Gaydon: „Sor l’anqueton vesti l’hauberk-jazeran“.

1Auch nach Erfindung des Drahtziehens wurde das Panzerhemd noch lange nicht aus Ringen von gezogenem Draht gebildet, wie allgemein angenommen wird. Das wäre wider allen Handwerksgebrauch des „Sarwürchers“ gewesen. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts finden sich leichte Panzerhemden aus gezogenem Draht, da sind aber die Ringe nicht genietet, sondern nur eingebogen und gehärtet.

 

Fig. 157. Detail von einem Panzergeflecht des Jazerins. 15. Jahrhundert. Italienisch.

Fig. 157. Detail von einem Panzergeflecht des Jazerins. 15. Jahrhundert. Italienisch.

 


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