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Bestimmen von römischen Fibeln Versuch 1

Heute bestimmen wir römische Fibeln anhand des Bestimmungsbuches "Die Fibeln Europas Band 2".

 

Die nachfolgenden Fibeln stammen von einem Berliner Sammler, der als Ortsangabe das Baltikum nennt. Anhand des Buches werden wir überprüfen, ob erstens diese Angabe stimmt und zweitens, aus welcher Zeit diese Fibelgruppe entstammt.

Fibeln sind für die zeitliche Bestimmung von Bodenfunden elementar wichtig, da sie als Beifunde die Einteilung in engen Zeitspannen ermöglichen. Die Fibel als solche blieb selten wenige Jahrzehnte ohne Änderungen. Aus den Formtypen der Bronzezeit erwuchsen auch in der Eisenzeit viele markante Formtypen heraus, die anhand untersuchter Grabfelder in ganz Europa fast lückenlos einer Zeit zugeordnet werden können.

 

Ende des 19. Jahrhunderts erkannten Prähistoriker wie Otto Tischler, Oscar Montelius und Oscar Almgren einen Zusammenhang von Formenabläufen bestimmter Fibelgruppen, sodass sie mit zusammen gefundenen Münzen aus römischer Zeit eine Chronologie der Fibeln herausarbeiten konnten. Sie konnten anhand kleinster Abweichungen am Bogen, am Fibelfuß oder gar an der Herstellungsweise von Fibeln klar darlegen, aus welcher Region sie herstammen müssen. Die Formveränderungen, verursacht durch Gussfehler, Nachahmungen von Fibeln aus kulturfremden Regionen oder durch die einfache Lust auf neue Formen oder Übertreibungen als Schmuckstücke, führten im Laufe der Zeit zu neuen Merkmalen, die im besten Falle zu einer neuen Formentwicklung führte.

 

Allein die im Bild 1 gezeigten Fibeln zeigen in ihren Formen eine gewisse Gleichartigkeit, die sie zumindest räumlich, wenn nicht auch zeitlich zusammenhängen lassen. Als größtes Merkmal dieser Fibeln sticht der lange Nadelhalter ins Auge, der ungewöhnlich langgezogen wirkt. Der Schussknopf sowie die Verzierung des Bogens durch einen oder mehreren Ringen ist nicht ungewöhnlich.

 

Fibeln wurden in römischer Zeit in großen Werkstätten in komplexen Arbeitsabläufen durch Arbeitsteilung in Masse hergestellt und exportiert. Solche Schmuckindustrien sind in Belgien, Deutschland und England nachgewiesen. Kleine Handwerker jedoch konnten sich ebenfalls am Markt behaupten und prägten sogar ihre Namen als Herstellerstempel auf die Fibeln (siehe Aucissafibel).

 

 

Römische Fibeln aus dem Baltikum
Bild 1: Sammlung von beschädigten Fibeln

 

 

 

 

 

 

 

 

Im ersten Schritt schauen wir uns das Register der Fibelbezeichnungen an. Dort finden wir:

 

Fibel mit hohem Nadelhalter ohne Fuß, Fig. 1651, 1652, 1654, 1657.

 

Fibel mit hohem Nadelhalter und dickem abgeschnittenem Fußende, Fig. 1629, 1630, 1632, 1650, 1658.

 

Die Nummern geben die Nummerierung der einzelnen Abbildungen an, die im Buch nachgeschlagen werden können.

 

Schauen wir als erstes nach der Fibel mit hohem Nadelhalter ohne Fuß.

Fibeln mit langem Nadelhalter aber ohne Fuß (Seite 307)
Fibeln mit langem Nadelhalter aber ohne Fuß (Seite 307)

 

 

Mit Fig. 1651 oder 1657 haben wir eine Auswahl an Fibeln mit hohem Nadelhalter, aber ohne Fuß. Was heißt "ohne Fuß"?

 

Der Fuß einer Fibel ist der Bereich, an dem der Nadelhalter ansetzt, wenn er vorhanden ist. Im Eingangskapitel des Buches heißt es dazu: "Um das Herausgleiten der Nadel aus dem Gewand zu verhindern, ist die Nadel mit einem „Bügel“ verbunden, der in seinem untersten Teil, „dem Fuß“, einen Falz, den „Nadelhalter“ trägt, in dem die Nadel festgehalten wird." Der Fuß ist also der dekorative Bereich einer Fibel am Bügelende. Er ist aber nicht zwingend notwendig und schwankt in seinem Erscheinen nach kultureller Lust und Laune. Ich habe zum besseren Verständnis die Bezeichnung Fibelfuß und Fibelbogen im Bild 1 eingefügt.

 

Diese Fibeln sind ähnlich unserer gesuchten Fibelbruchstücke, aber gehören einer anderen Serie an, sodass wir unter "Fibel mit hohem Nadelhalter und dickem abgeschnittenem Fußende" unser Glück versuchen.

verschiedene Fibeln mit langem Nadelhalter auf Seite 306
verschiedene Fibeln mit langem Nadelhalter auf Seite 306

Auf Seite 306 sind etliche Fibeln mit langem Nadelhalter abgebildet. Fig. 1628 ähnelt unseren Fibeln schon am nächsten. Sie ist eine Armbrustfibel mit hohem Nadelhalter und Fußknopf und gehört dem 3. Jhd. n. Chr. an.

 

Über Fig. 1628 lesen wir, dass die S-förmig gebogene Form im Elbgebiet am häufigsten vertreten ist und daselbst heimisch sein dürfte; besonders war sie im Urnenfriedhof bei Dahlhausen in Brandenburg charakteristisch. Weiter steht an anderer Stelle, dass sie von einfacherer Form ist und auch in den römischen Limes-Kastellen Saalburg in Hessen und Osterburken in Baden gefunden wurde. Da die Kastelle Saalburg und Osterburken etwa im dritten Viertel des 3. Jahrhunderts zerstört wurden, hat die Archäologie einen Anhaltspunkt in der chronologischen Zuordnung dieser Fibelgattung (jedenfalls beweist das genannte Vorkommen, dass solche Fibeln nicht erst in das 4. Jahrhundert gesetzt werden können).

 

Der Text stammt aus Oscar Almgrens Fibelgruppe VII: Zweigliedrige Armbrustfibeln mit hohem Nadelhalter, Serie 1: mit Fußknopf.

 

Leider sind die oberen Fibelbruchstücke ohne eine Spirale oder Nadel, sodass auch die obere Sehne (der Bogen oberhalb der Spirale wie in Fig. 1628, 1630, 1632 etc. deutlich zu sehen), die möglicherweise vorhanden war, jetzt fehlt und ein markantes Erkennungsmerkmal darstellen würde.

 

(Deutlich sieht man bei Fig. 1630 und 1632 ebenfalls einen langen Nadelhalter, aber der Abschlussknopf oder eine spitze Erhebung fehlt hier deutlich sichtbar. Diese Fibeln stammen von einer anderen Serie, gehören aber dem gleichen Zeitraum an: Serie 2: mit dickem, scharf abgeschnittenem Fußende).

 

Da wir die Ortsangabe "Baltikum" mit überliefert bekommen haben, werden wir uns das Kapitel Osteuropa näher anschauen. Des Weiteren haben wir die Angabe erhalten, dass die Fibeln sogenannte Armbrustfibeln sind. Was sind Armbrustfibeln? Darunter versteht man die Konstruktion der Spirale, die mehrere Windungen (bis zu 20 pro Seite) aufweisen können und somit langgezogen die Fibel zieren. Ihr Aussehen gleicht dann einer mittelalterlichen Armbrust. Otto Tischler nannte sie auch T-förmige Fibeln, doch der Begriff Armbrustfibel setzte sich in der Fachliteratur im 20. Jahrhundert durch.

Der nächste Schritt ist also im Buch das Register nach Armbrustfibeln mit langem Nadelhalter zu durchsuchen. Und wir werden auch fündig: "Armbrustfibel mit breitem Nadelhalter, Fig.
1893, 1894, 1907".

 

Auf Seite 367 von Otto Tischler finden wir Fig. 1893 und 1894, wobei Fig. 1893 unseren Exemplaren sehr nahe kommt und ähnelt (1894 ist wieder ohne Schlussknopf). Wir haben also ein Treffer!

 

Fig. 1907 hat einen Zierknopf an der Spirale, der Bogen ist stark S-förmig und die Verzierung des Bogens mit fünf Wülsten ist stark abweichend von unseren Exemplaren, sodass sie hier nicht abgebildet wird.

 

Tischlers hier dargestellte Fibeln entstammen ostpreußischer Gräberfelder und gehören der Periode C (200-400 n. Chr.) an. Unsere oben in Bild 1 dargestellten Fibeln entstammen der gleichen Zeit und Region.