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Rechtliche Natur der mittelalterlichen Fehde

Symbolbild Blogartikel der mittelalterlichen Fehde, Blutrache, Selbstjustiz

An dieser Darlegung, so zutreffend sie im Allgemeinen ist, erscheint nur das Eine auszusetzen, dass sie den Gegenstand nicht vollständig erschöpft, indem sie unerwähnt lässt, dass die Fehde um Totschlag in mehrfacher Beziehung einen exzeptionellen Standpunkt behauptete und sowohl in ihrem Grundgedanken wie in der Art der Ausübung der germanischen Fehde nähersteht als der des Mittelalters. Schon die Formalitäten der letzteren: Absage und Gottesfrieden (treuga dei) passten nicht in den Rahmen der Fehde um Totschlag hinein. Der Bluträcher dachte nicht daran, den Täter um dessen Magen den Frieden förmlich aufzukündigen und die Fehde an vier Tagen in jeder Woche ruhen zu lassen, sodass die Befehdeten an den Ruhetagen sich unbekümmert ihren Geschäften hätten hingeben können. Ohne vorherige Warnung umschlich er seinen Feind, überfiel ihn wo und wann sich eine günstige Gelegenheit bot, die Rache zu vollziehen. Der Rechtsanschauung des Mittelalters erschien ferner die Fehde um Totschlag keineswegs nur als ein Notmittel, von welchem nur dann Gebrauch gemacht werden durfte, wenn die Gerichte gegen den Täter nicht Recht verschaffen wollten oder konnten. Und wenngleich sie im übrigen Deutschland durchaus nicht jene uneingeschränkte Billigung genoss wie bei den Friesen, Niedersachsen und Schweizern, wurden ihr dennoch auch außer dem Fall der Unmöglichkeit, durch den Richter Recht zu erlangen, weitgehende Konzessionen gemacht. So wird z.B. in einer Taidigung [Sühnevergleich] zwischen den Herzögen Ludwig und Heinrich von Bayern vom 7. November 1287 beredet, dass, wenn zwischen den Ministerialen der Herzöge ein Totschlag geschehe und der Herr des Getöteten Entschädigung verlange, diese durch Hingabe eines Ersatzmannes von demselben Wert und Vermögen zu leisten, wogegen ein Ersatz nicht zu gewähren sei, wenn der Täter beweise, dass er in Notwehr gehandelt oder dass der Getötete sein Todfeind gewesen sei. Totschlag aus Blutrache galt also nicht als unerlaubte Handlung, machte nicht schadenspflichtig und die Gerichte nicht verantwortlich.

Denselben Standpunkt vertraten ältere Stadtrechte, falls der beleidigte Teil den auswärtigen Täter hatte warnen lassen, sich in der Stadt zu zeigen. So bestimmte der Luzerner geschworene Brief von 1252: „Habe einer der Bürger Todfeindschaft oder andere Feindschaft mit einem Gast oder Ausmann, den solle er darum nicht beschweren noch kein Leid tun, ob dieser in die Stadt fahre, sondern er solle ihn zuvor warnen und mahnen mit ehrbaren Leuten. Der Gast solle dann sicheres Geleit der Bürger haben um heimzukehren, aber nie wieder in die Stadt kommen, bis er die Freundschaft des Bürgers wiedergewonnen oder sich mit ihm auseinandergesetzt habe.

Wenn er trotz jener Warnung dennoch in die Stadt kommt, „was der Bürger dann dem Gaste tut“, sagt die Rechtssatzung, „davon habe er kein Gericht verschuldet“, d.h. er konnte deshalb nicht vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Ähnlich sagen die Statuten von Dinkelsbühl (aus dem 14. Jahrhundert): „Ouch haben wir gesetzet, swenne ein burger gen einem uzman haz oder vintschaft hat (...) swenne danne der uzman in die stat kumt unde daz der burger vernimt, so sol derselbe burger gan zuo der burgermeister und zuo etwie vil des rates unde sol den künden und sagen, er habe haz zuo dem uzman und sol die biten gen hin zuo dem uzman unde sagen im von des hazzes wegen der zwischen sin und min ist, unde biten in daz er nicht mer in die stat kome e daz er sich vor mit ihm gerithe und versuene. swenne daz dem uzman geseit und verkündet wirt, wil denne der uzman niht miden, er welle in die stat komen ane geleite, swaz danne der burger dem uzman tuot unde sine helfer, da vrevelt er niht an in keinen weg“.

Manche Stadtrechte verlangten nicht einmal eine vorherige Warnung. So sagt der Rechtsbrief von Nabburg (bayerische Oberpfalz) von 1296: Wer in der Stadt Todfeindschaft habe, der solle vor der Stadt bleiben und es solle niemand ihn hineingeleiten außer mit Verwilligung derjenigen, denen der Schaden widerfahren war. Des Weiteren wird in § 12 des Rechtsbriefs allen, welche den Nabburger Jahrmarkt beziehen wollen, sicheres Geleit vom und zum Jahrmarkt zugesichert, außer bei Todfeindschaft. Wer sich also Blutrache eines Nabburgers zugezogen hatte, erhielt kein Geleit und handelte, wenn er sich trotzdem in die Stadt wagte, lediglich auf eigene Gefahr. In allen Rechten wird der geächtete Totschläger der Rache der beleidigten Familie preisgegeben. In Straßburg erteilt 1374 der Rat auf die Klage derer von Rebenstock wegen des an ihren Geschlechtsvettern verübten Aktes der Blutrache die Sentenz: „Dadurch, dass die von Rosheim Rache an ihrem Feinde genommen, hätten sie keinen Mord verübt“.

Die vorstehenden Beispiele werden genügen, die Stellung des Mittelalters zur Blutrache zu kennzeichnen. Man sah in dem Bluträcher so wenig einen Mörder und Friedensbrecher wie in dem Ehemann, der den Treubruch seiner Frau an ihr und ihrem Verführer rächte und selbst bei den öffentlichen Behörden genoss die Fehde um Totschlag auch ohne vorherige gerichtliche Belangung des Täters in gewissen Grenzen rechtliche Anerkennung. Das 13. und 14. Jahrhundert sind noch die Zeit des lebendigsten Familienbewusstseins. Noch tritt offen und unverhüllt die Anschauung zutage, dass es Pflicht der Familie sei, die Tötung ihres Verwandten nicht ungerächt zu lassen. Selbst der Anklageprozess war seinem Grundgedanken nach nichts anderes als die rechtlich geordnete Blutrache, indem der nächste Schwertmagen des Toten die Mordklage zu erheben und die Hinrichtung des Täters zu vollziehen hatte. Die Rechtssprache des Mittelalters bedient sich daher allgemein für die Erhebung der Mordklage des Ausdrucks „rächen“.

„Rächen“ und „Erben“ sind in ihr synonyme Begriffe. Hiernach ist es eine Unrichtigkeit, wenn Wachter, die Fehde des Mittelalters generalisierend, indirekt behauptet, dass auch die Fehde um Totschlag begrifflich von der germanischen Fehde unterschieden und nur als Notmittel bei verweigerter Rechtshilfe zulässig gewesen sei. Im Gegenteil knüpft sie unmittelbar an die germanische Fehde an und die Landesgewalten, ihre Berechtigung im Prinzip anerkennend, waren sehr geneigt, ihr erhebliche Zugeständnisse zu machen. Erst im 15. Jahrhundert beginnt die Gesetzgebung, die Spitze des Gesetzes gegen die Bluträcher zu kehren. Bis dahin und solange die mangelhaften Polizeieinrichtungen es bei der Lebendigkeit des Familiengefühls und der Stärke des Familienzusammenhangs nicht ratsam erscheinen ließen, den Täter offen gegen seine rachedürstenden Feinde in Schutz zu nehmen und gegen diese angriffsweise vorzugehen, war und konnte das Hauptaugenmerk der Staatspolitik nur darauf gerichtet sein, vorbeugend diejenigen Institute organisch auszubilden, welche geeignet waren, den öffentlichen Frieden zu verfestigen und der Blutrache auf indirektem Weg Einhalt zu bieten. Das hervorragendste dieser Institute ist das Friedensgebot.

Symbolbild Blogartikel über Blutrache im Mittelalter, Gerichtshändel, Gerichtsfälle

Textquelle: Blutrache und Totschlagsühne im deutschen Mittelalter von Paul Frauenstädt - Einblick ins Buch

Bildquelle: Europäische Stadtansichten des 19. Jahrhunderts - Einblick ins Buch


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