
Der Teppich von Bayeux ist eines der berühmtesten erhaltenen Textilkunstwerke des Mittelalters. Trotz seines Namens handelt es sich dabei weniger um einen Teppich im modernen Sinne, sondern vielmehr um eine reich bestickte Leinenbahn. Er erzählt in eindrucksvoller Bildsprache die Ereignisse rund um die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer im Jahr 1066. Der Teppich ist nicht nur ein bedeutendes Kunstwerk, sondern auch eine einzigartige historische Quelle, die detaillierte Einblicke in die Kleidung, Waffen, Schiffe und das Leben im 11. Jahrhundert gibt.
Herkunft und Entstehung
Der Teppich wurde vermutlich in den Jahren 1070–1080 gefertigt, also nur wenige Jahre nach der Schlacht von Hastings (14. Oktober 1066). Die genauen Ursprünge sind nicht zweifelsfrei geklärt, jedoch geht die Forschung davon aus, dass er im südenglischen Canterbury hergestellt wurde – möglicherweise in einem Kloster unter normannischer Aufsicht. Auftraggeber war sehr wahrscheinlich Bischof Odo von Bayeux, der Halbbruder Wilhelms des Eroberers. Odo spielte eine zentrale Rolle in der Invasion und ließ den Teppich wohl zur Ausstattung der Kathedrale von Bayeux anfertigen.
Beschreibung des Teppichs
Maße und Materialien
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Länge: ca. 68,38 Meter
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Höhe: ca. 50 Zentimeter
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Material: Leinen als Trägermaterial, bestickt mit farbiger Wolle (vor allem in den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau und Schwarz)
Der Teppich besteht aus neun zusammengenähten Leinenbahnen und ist mit über 70 Szenen bestickt, die durch kurze lateinische Inschriften (Tituli) ergänzt werden.
Aufbau und Erzählweise
Die Darstellung ist kontinuierlich – ähnlich einem Comic oder einer Bildergeschichte. In einem linearen Ablauf wird die Geschichte der normannischen Eroberung erzählt, wobei die Szenen von kunstvoll gestalteten Bordüren begleitet werden, die Tiermotive, Fabelwesen, Jagdszenen und symbolische Darstellungen enthalten.
Inhalt – Die Geschichte der Eroberung
Die zentrale Handlung lässt sich in drei Hauptteile gliedern:
1. Harold Godwinsons Reise nach Frankreich
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König Edward der Bekenner schickt Harold, um Wilhelm von der Thronfolge zu unterrichten.
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Harold wird an der Küste der Normandie gefangen genommen und später von Herzog Wilhelm empfangen.
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Harold leistet einen Eid auf heilige Reliquien, Wilhelm zu unterstützen.
2. Edwards Tod und Harolds Krönung
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Nach Edwards Tod besteigt Harold selbst den englischen Thron.
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Wilhelm sieht dies als Eidbruch und bereitet eine Invasion vor.
3. Die Invasion und die Schlacht von Hastings
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Wilhelm sammelt eine Flotte, setzt über den Ärmelkanal und trifft auf Harolds Armee.
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Die Schlacht von Hastings wird detailliert geschildert: Reitergefechte, Fußsoldaten, der Tod Harolds durch einen Pfeil ins Auge.
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Wilhelm geht als Sieger und neuer König von England hervor.
Das Werk endet abrupt – wahrscheinlich ist ein Teil des Teppichs verloren gegangen, der womöglich Wilhelms Krönung zeigte.
Historischer und kultureller Wert
Einzigartiges Zeugnis des 11. Jahrhunderts
Der Teppich von Bayeux bietet wertvolle Einblicke in das Leben und die Kriegsführung des Mittelalters:
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Rüstung und Waffen: Kettenhemden, Rundschilde, Lanzen, Schwerter
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Schiffe: Wikingerartige Langschiffe mit Drachenköpfen
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Alltag: Kleidung, Tiere, Gebäude und Werkzeuge
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Symbolik: Deutungen zu Macht, Loyalität und göttlicher Vorsehung
Propaganda-Elemente
Der Teppich ist nicht nur Dokumentation, sondern auch politische Propaganda zugunsten Wilhelms. Er stellt Harold als Verräter und Wilhelm als legitimen Thronfolger dar, was seine Herrschaft in England rechtfertigen sollte.
Der Teppich heute
Der originale Teppich ist heute im Musée de la Tapisserie de Bayeux in der Normandie (Frankreich) ausgestellt. Er wird in einem abgedunkelten, klimatisierten Raum aufbewahrt, um ihn vor Schäden zu schützen. Darüber hinaus existieren zahlreiche Reproduktionen – unter anderem im Museum von Reading (UK) und online als digitale Version.
In den letzten Jahren wurde der Teppich auch durch moderne Medien populär: von Fernsehdokumentationen über Computerspiele bis hin zu humorvollen Internet-Memen.
Bildquelle: The Bayeux tapestry elucidated by Bruce, J. Collingwood (John Collingwood), 1805-1892