An Geschützen und Gewehren ist das Zielfernrohr heute eine alltägliche Zugabe geworden. Es wird deshalb interessieren, etwas über das hohe Alter der Instrumente zu erfahren. Vor der Erfindung der
Fernrohre — sie sind wahrscheinlich nicht in Holland im Jahre 1608, sondern in Italien vor dem Jahre 1590 erfunden worden — benutzte man zum Distanzmessen zwei im Winkel zu einander bewegliche
Maßstäbe mit zwischengeschobenem Sinusmaßstab. Man maß die Entfernung also nach den Regeln der Trigonometrie, indem man sich zwischen Geschütz und Ziel ein rechtwinkliges Dreieck konstruierte.
Die Verbindungslinie zwischen Ziel und Geschütz, also die gesuchte Entfernung, war die eine Kathete des Dreiecks, zugleich dessen Höhe. Der rechte Winkel lag beim Geschütz. Die Basis des Dreiecks
war der eine Maßstab. Die Hypotenuse wurde von der Basis aus durch den zweiten Maßstab auf das Ziel hin visiert und nun durch den Sinusmaßstab dieser Basiswinkel gemessen. Da man jetzt die Länge
der Basis und die beiden Winkel an der Basis kannte, mußte die an dem Sinusmaßstab abgelesene Entfernung der Länge der zweiten Kathete, d. h. der Zielentfernung entsprechen.
Im Jahre 1608 erschien von Leonhard Zubler, einem Züricher Büchsenmeister, eine damals hochgeschätzte Schrift, welche die Verwendung eines solchen Distanzmessers erläuterte. Der Titel der Schrift
lautet: „Newe Geometrische Büchsenmeisterey, d. i. Grundlicher Bericht, wie man durch ein new Geometrisch Instrument mit sonderer Behendigkeit jedes Geschütz nit allein richten, sondern zugleich
auch desselben Höhe und Weite messen soll.“ Tatsächlich sind mit dieser Ankündigung die Aufgaben, welche Zubler seinem Instrument stellt, noch keineswegs erschöpft. Es soll nämlich nicht nur zum
Richten und Justieren des Geschützes, sondern auch zum Distanzmessen, zum Höhenmessen und Terrainaufnehmen dienen. Von den Gewohnheiten der Büchsenmeister, all ihr Wissen geheimnisvoll zu
gestalten, konnte sich Zubler auch noch nicht frei machen, deshalb bleibt vieles in seiner Schrift dunkel. Vielleicht kam es aber auch dem Mann darauf an, durch seine Schrift die Fachgenossen
aufzufordern, seine persönliche Unterweisung zu suchen, um das Nähere über die Verwendung des Instrumentes zu erfahren.
Der erste, der von der Anwendung eines Fernrohres zum Distanzmesser spricht, ist der um die Kriegswissenschaften hochverdiente Philosoph Leibniz. Er sagt im Jahre 1670 in einem an Spinoza
gerichteten Brief, er habe eine neue Form der Linse eines Fernrohres erdacht, welche zugleich als Distanzmesser dienen könne. Leider gibt er die Konstruktion nicht an.
Quelle: F. M. Feldhaus, Modernste Kriegswaffen – alte Erfindungen. Leipzig, 1915.