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Eine militär-technische Studie über den Säbel Karls des Großen in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien - Von Wendelin Boeheim

Säbel Karls des Großen
Säbel Karls des Großen

Von Wendelin Boeheim.

 

Wie in so vielen Dingen eine unrichtige Auffassung der Werke der Vergangenheit sich entwickelt hat, so hat sich auch in der Beurteilung der Waffen vergangener Perioden, und nicht zum wenigsten des Mittelalters, die Ansicht festgewurzelt, als sei die Formengebung, die Mechanik, die Verwendung der alten Waffen ein ganz rohes Ergebnis der Empirie und am allerwenigsten ein solches einer feineren Auffassung, eines tieferen Studiums, einer scharfen wissenschaftlichen Berechnung gewesen. Von diesem Vorurteil stammt auch die mindere fachliche Schätzung, welche alten Waffen in militärischen Kreisen in der Regel noch entgegengebracht wird. Ganz abgesehen von dem jeweiligen Stand der Industrie, von der nationalen Eigenschaft der Völker, Faktoren, welche ja bekanntlich bei der Formengebung der Waffen nicht unbedeutend mitspielen, ist jede der tausend verschiedenen Formen, die uns vor Augen kommen, und die nicht selten uns selbst unverständlich erscheinen, einer vorsichtigen, verständigen und oft bewundernswerten Berechnung seines Meisters entsprungen, und schon diese Beobachtung allein muss die alte Waffe dem Militär interessant machen.

 

Können wir uns schon an Waffen westeuropäischer Herkunft bei nur einiger Aufmerksamkeit hiervon die volle Überzeugung verschaffen, wie erst bei jenen des Orients, von wo uns alle Gesittung herübergelangt, der unser erster und einziger Lehrmeister in allen Künsten und Wissenschaften gewesen ist. Ein tieferes Eindringen in die Wege orientalischer Kultur, nur vom frühesten Mittelalter an, belehrt uns sattsam darüber, mit welchem Scharfsinn, welch tiefem Studium der Mechanik des menschlichen Körpers und seiner virilen Kräfte, mit welcher Kenntnis der verwendeten Stoffe und ihrer bis ins Feinste ausgenützten technischen Verwendbarkeit, welch’ praktischem Verständnis der Kriegskunst und ihrer Forderungen die orientalischen Meister in der Formenbildung, sei es der Schutz-, sei es der Angriffswaffen, vorgegangen sind. Entschlagen wir uns aller Voreingenommenheit für die Unübertrefflichkeit unserer modernen Waffen, die ja bei der steten Weiterentwicklung schon morgen wertlos sein können, und studieren wir alte — sehr alte — orientalische Waffen, welcher Gattung immer, vorurteilsfrei, so müssen wir gestehen, dass sämtliche mit Rücksicht auf den Stand der allgemeinen Kultur, der Industrie insbesondere und auf die noch viel zu wenig beachtete orientalische Kampfweise uns zum Muster dienen können.

 

Wir wollen heute eine einfache Klinge zum Gegenstand unserer Beobachtung machen, die Klinge eines Säbels, welcher der Überlieferung nach von dem Kalifen Härün al-Raschid (766 — 809) Karl dem Großen (742—814) als Geschenk verehrt wurde und gegenwärtig in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien bewahrt wird. Wir wollen nun gleich am Beginn anführen, dass diese Zuschreibungen durch keinen Beweis sich bekräftigen lassen. Quirin von Leitner, der in seinen Urteilen sehr vorsichtig ist, setzt in seinem Werk über die kaiserliche Schatzkammer obiger Annahme Zweifel entgegen und bemerkt: «Am wahrscheinlichsten bleibt, dass dieser höchst interessante Säbel den gleichen Ursprung hat, wie die Krönungsgewänder des Heiligen Römischen Reiches, nämlich, dass derselbe zur Zeit der Normannenherrschaft in Sizilien, das wäre also 1133 unter König Roger II. oder 1181 unter Wilhelm II., angefertigt wurde.» Der Säbel gehört nun allerdings zu den Kroninsignien des alten deutschen Reiches, und mit selbem wurde der neugekrönte Kaiser vom kursächsischen und böhmischen Botschafter umgürtet; das ist aber der einzige Anhaltspunkt für v. Leitners Wahrscheinlichkeits-annahme, denn weder Klinge noch Montierung deuten auf siculo-arabische Herkunft; erstere ist arabisch mit vermutlich persischer Dekoration, letztere durchaus arabisch. Einer der hervorragendsten Kunstgelehrten wird in einer der nächsten Nummern unserer Zeitschrift diesen Säbel vom kunsthistorischen Gesichtspunkt aus einer Betrachtung unterziehen, welcher wir hier nicht vorgreifen dürfen, aber wir können nicht verschweigen, dass unseres Erachtens nach die Tradition noch immer mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat als die Meinung v. Leitners, so schwierig auch Datierungen von orientalischen Gegenständen sind. Die Differenz beider Datierungen betrüge also reichlich drei Jahrhunderte. Nehmen wir selbst die jüngere zur Grundlage, um 1150, so haben wir noch immer Anlass genug, die meisterhafte Berechnung der Klinge dieses Säbels zu bewundern.

 

Wir haben bereits in unserem «Handbuch der Waffenkunde» auf den bedeutenden kriegstechnischen Fortschritt hingewiesen, welcher in der gekrümmten Form der Schneide der Klinge sich darstellt. Die Wirkung des Hiebes einer gerade laufenden Klinge auf einen Körper ist eine hackende, die Teile trennende; auf feste Stoffe, wie Knochen, ist sie zerschmetternd, auf weiche ist sie in Folge der Elastizität derselben auffallend gering. Die Kraft wirkt hier eben nur senkrecht in der Hiebrichtung, und es ist eine verhältnismäßig bedeutende Kraft erforderlich, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Dieser Kraftaufwand ist so groß, dass er die Dauer der Wehrfähigkeit bedenklich abkürzen muss. Aus diesem Grund ist der erste Gedanke an sich, der Klinge eine gekrümmte Richtung konkav zur Hiebrichtung zu geben, eine der genialsten Eingebungen gewesen, welche die Waffengeschichte zu verzeichnen hat.

 

Er reicht viele Jahrhunderte über unser Zeitalter hinauf und fand seine Entstehung zweifellos in Indien. Wir stehen also in dem mutmaßlichen Zeitpunkt der Fertigung unserer Klinge wenigstens ein Jahrtausend nach der Entstehung des Krummschwertes. Verzeichnen wir uns mehrere Stellungen einer Fliehbewegung mit einer gekrümmten Klinge, so finden wir, dass die Resultierenden der Kräfteparallelogramme mit jedem Moment der Vorbewegung weiter nach abwärts gerichtet sind; die Schneide wirkt also nicht stetig senkrecht auf den Treffpunkt, sondern ziehend, sohin schneidend und nicht hackend; ein verhältnismäßig langer Teil der Schneide von rückwärts gegen die Spitze zu kommt zur unmittelbaren Wirkung, und der Effekt steigert sich bei weit geringerem Aufwand an Kraft.

 

Dieser Effekt hat aber, wie ein Minimum, auch sein Maximum, und hier stehen wir vor einer Berechnung, die bei der komplizierten menschlichen Maschine zu den allerverwickeltsten zu zählen und durch rohe Empirie nicht zu lösen ist. Eine Untersuchung ältester Säbelklingen lässt uns erkennen, dass deren Meister diese Aufgabe, die richtige Krümmung zu finden, wenn nicht vollends gelöst haben, doch der Lösung so nahegekommen sind, dass wir darüber erstaunen. Der alte orientalische Meister arbeitete überhaupt nicht willkürlich, er hielt sich streng an die Überlieferung. Vieles davon wurde als tiefstes Geheimnis bewahrt, mit mystischem Nimbus und religiösen Gebräuchen umgeben. Sicher hatten noch die späten Chaldäer im 3. Jahrhundert n. Chr. die Berechnung der krummen Klinge gekannt und einen instruktiven Einfluss auf das Waffenwesen überhaupt geübt, denn als Darius Codomanus das gerade Schwert der Griechen in Persien einführte, weissagten sie daraus den Sturz des Perserreiches.

 

Stellen wir uns einen nackten Menschen vom Rücken betrachtet vor und sehen wir, ohne seine virilen Kräfte in Anschlag zu bringen, nur die Unsumme von mechanischen Faktoren vor, die, von dessen Schwerpunkt ausgehend, bei einem Schwerthieb einwirken müssen, bis der Arm vom freien Achselgelenk an in Tätigkeit kommen kann. Das letztere bildet in der Tat keinen festen Mittelpunkt, sondern beschreibt eine je nach der Hiebrichtung wechselnde Kurve. Erst von hier ließe sich bis zur Faust die Kurve des Hiebes mit einiger Sicherheit bestimmen.

 

Ist der Mann zu Pferd, so ist die Berechnung noch unsicherer, denn hier läuft die mechanische Kette vom Schwerpunkt des Pferdes erst zum Manne. Die Kenntnis der Kurve des Hiebes aber ist die mathematische Grundlage für die Bestimmung der Krümmung der Klinge. Und nun kommt weiter die Minimalkraft des Mannes ins Spiel, die ihren Einfluss auf die Länge der Klinge und das Gewicht der Waffe nimmt, und das Resultat ist eine Säbeldimension von überraschend geringem Gewicht und mäßiger Klingenlänge bei denkbar bedeutendster Leistungsfähigkeit gegenüber dem gerad-klingigen Schwert.

 

Betrachten wir uns die in nebenstehender Figur dargestellte Klinge des Säbels angeblich Karls des Großen. Ihre Länge von 75,8 cm ist gering; bei ihrer Berechnung war es nicht auf einen bedeutenden Aufwand einer Kraftwirkung im Hieb abgesehen, auch die Breite der Klinge von 2‘8 cm an der Angel ist unbeträchtlich, und dennoch erscheint es bei oberflächlichster Betrachtung einleuchtend, dass bei gleichen Dimensionen diese leicht gekrümmte Klinge eine geradelaufende in der Hiebwirkung weit überragen muss. Bei einer ziehenden Bewegung im Hieb war weder eine bedeutendere Längendimension, noch ein beträchtlicheres Gewicht der Klinge erwünscht, und wir sehen darum auch alle Sorge des Schwertfegers auf die Erzielung der denkbarsten Leichtigkeit gerichtet.

 

Aber auch die Krümmung ist eine überaus mäßige; ihre Pfeilhöhe beträgt nur 1,9 cm, und die Höhe des Krümmungsbogens beginnt schon auf einer Länge von 34,4 cm, zum Beweis, dass er bei Bestimmung des Angriffspunktes der Kraftwirkung auf eine Hiebwucht weniger Wert gelegt hatte. Weit länger, und zwar 41,4 Cm, ist die vordere absteigende Bogenlinie, in welcher allein die ziehende Bewegung erfolgen soll. Von der Angel an läuft die Klinge bis c nahezu gerade; hier ist sie einschneidig, und hier allein ist durch eine mäßig Rückenstärke, von 6 auf 4,5 mm fallend, für eine Widerstandsfähigkeit gesorgt. Von c an setzt sie am Rücken ab und wird plötzlich zweischneidig und ungemein dünn und flach. Diese Konstruktion entspricht einer meisterhaften Berechnung.

 

Der Hieb, bei welchem die Widerstandskraft der Klinge in Anspruch genommen wurde, erfolgte nahe bei c; hier ist die Klinge stark genug, um die Wirkung auszuhalten. Von c bis a zur Spitze ist die Bewegung nicht mehr eine hackende, sondern ziehende, und da ist das Augenmerk nur auf eine scharfe Schneide gerichtet. Weiter ist die Beschränkung in Dimension und Gewicht bei vollster Leistungsfähigkeit einer Klinge nicht mehr zu treiben.

 

Betrachten wir endlich die Form des Griffes, bei welchem alle Kanten streng vermieden worden sind, so erkennen wir deutlich, dass der Waffenschmied es darauf abgesehen hat, der Hand in dem Knauf, wie im abgebogenen Handgriff bei der ziehenden Bewegung gegen rückwärts eine Anlehnung zu geben. Die kurzen, nach abwärts laufenden Parierstangen schützten die Faust nur mäßig. Der Orientale war kein Fechter in unserem heutigen Sinn; er stellte sich nicht seinem Gegner, er hieb in der Bewegung und suchte sich keinen Gegner, sondern nur ein Opfer; einem Gegenangriff wich er behände aus.

 

Aber nicht die Beobachtung der Form der Waffe an sich ist es, die uns hier eine Belehrung bietet, sondern der wunderbare Einklang der Form mit der eigentümlichen Gefechtsweise des Orientalen, und es könnte diese Erfahrung unsere heutigen Konstrukteure zu ernstem Nachdenken wohl anregen. Es muss hier allerdings betont werden, dass diese so bis ins feinste Detail berechnete Klinge entsprechend zu führen eine tüchtige Übung des Mannes erforderte, was uns weiter darauf führt, dass die Detailausbildung desselben keine geringe gewesen sein muss. Alles in allem genommen, war ihre Wirkung eine schreckliche, und der Mann blieb weit länger in der vollen Kraft, als heute ein Reiter, der, mit einer Klinge gleich einer Eisenstange in der Faust, nach wenigen Hieben vor Ermattung wehrlos wird und seine Rettung in der Flucht suchen muss.

 

Es ist nicht zu verschweigen, und Tausende von Beispielen geben davon Zeugnis, dass das orientalische Krummschwert vom Mittelalter herwärts immer plumper wird und immer mehr der Theorie seiner Verwendung widerspricht. Die mathematischen Formeln für seine Formen sind allgemach in Vergessenheit gekommen, und man begnügte sich, die Klinge einfach aufs Auge hin zu biegen und diese Biegung auch arg zu übertreiben. Vorzüglich ist das abhandengekommene Verständnis bei jenen Völkerschaften bemerkbar, welche nur unter dem kulturellen Einfluss des Orients gestanden sind, wie bei den Ungarn, deren übermäßig breite, willkürlich gebogene, dabei unverhältnismäßig schwere, ja selbst vorgewichtig gestaltete Säbelklingen im 16. und 17. Jahrhundert nur mehr wenig an die wunderbar berechneten feinen Klingen der Araber erinnern und nicht viel mehr als rohe Hackmesser leisteten.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 1. Dresden, 1897-1899.