Von Julius Campe in Hamburg.
Das Waffenhandwerk bringt es so mit sich, dass auf die Zeiten höchster Anspannung aller geistigen und physischen Kräfte Zeiten der Untätigkeit folgen, vielleicht heute weniger als in früheren Perioden, wo der Friede noch den Krieger auf der Bärenhaut ausruhen ließ und nicht wie heute ein unablässiges «para bellum» ihn in Bewegung erhält. Dennoch ist der Charakter des Soldaten wohl so ziemlich gleichgeblieben und zur Ausfüllung der Unbeschäftigung, damals wie heute, ein Hazardieren mit dem Besitz beliebt, wie es im Waffentanz mit dem Einsatz des Lebens zur Gewohnheit wird. Heute spielt die Karte oder die rollende Kugel die entscheidende Rolle. Vor diesen, von Alters her, wo schon die Kriegsknechte um Jesu Rock spielten, waren es die Würfel, und zu einem echten Landsknechtbild gehören die auf der Trommel würfelnden Söldner, als ein obligates Erfordernis.
Natürlich verschmähten auch die Führer nicht im Großen zu tun, was die Untergebenen trieben, die einen um Pfennige, die anderen um Gold, Pferde, Waffen, Habe, ja selbst um solche Besitztümer, die eigentlich nicht feil sein sollten. Das erzählt uns die Historie, geschrieben und im Bilde, und unsere Phantasie vervollständigt die Szenerie, wie die Großen ihre Köpfe an Trunk und Spiel erhitzten.
Dazu hilft in ganz eigener Weise ein Gegenstand, mit dem wissentlich eine bestimmte bekannte Persönlichkeit gekämpft, gearbeitet und gesündigt hat. Das ist ja eben der Reiz eines historischen Gegenstandes, einer Rüstung, eines Schwertes, oder wie hier eines Würfelbechers, dass nicht wie in der Arithmetik, aus einer Mehrheit bekannter Größen das Unbekannte gefunden wird, sondern aus der einen bekannten Größe vor unserem inneren Auge das Bild der Vergangenheit sich lebhaft ergänzt.
Ich gebe hier in Abbildung einen Gegenstand, der, wenn auch nicht zu den Repräsentationsstücken meiner Sammlung, doch zu den für mich interessantesten gehört, sodass ich annehme, dass derselbe auch unsere Freunde interessieren wird, umso mehr, als ich bisher in keiner öffentlichen oder privaten Sammlung einem vergleichbaren Stück begegnet bin.
Ein Würfelbecher mag gemeiniglich wohl etwas gewesen sein, was, nach seinem Abgebrauch, der Konservierung nicht wert gewesen sein mag und daher nicht auf die Nachwelt gekommen ist. Franciscus Gonzaga, Markgrafen von Mantova, dem das hier vorliegende Stück nach der Inschrift gehört hatte, war aber wohl in der Lage, auch dieses Requisit künstlerisch gestalten zu lassen, was es den Epigonen der Aufbewahrung wert erscheinen ließ. Die Form ist eine vom Gewöhnlichen sehr abweichende, flachrund mit rohransatzartiger Öffnung, einer Zündflasche so ähnlich, dass die Hand, aus der ich es erhielt, mir das Stück als «unkomplete Pulverflasche» anbot.
Die Form erklärt sich von selbst. Sie bezweckt, dem Besitzer den leichten Transport in der Tasche zu ermöglichen, ohne Ecken, rund, handlich, sodass stetes Mitführen im Felde oder auf der Jagd keine Unbequemlichkeiten bereitete. Die Form ist außerdem zweckdienlich, insofern dem Spielenden die Würfel während des Schütteins gänzlich verdeckt sind, sodass gewisse Kunstgriffe, die es auch wohl dabei gegeben haben wird, nach Möglichkeit behindert sind. Dass das Stück dem besagten Zweck diente, kann durch die auf dessen Rückseite abgebildeten drei Würfel wohl nicht zweifelhaft sein. Die Arbeit ist starke, in unterschnittenes Eisen eingeschlagene Silberinkrustierung mit nachfolgender Ziselierung des letzteren.
Dass das Sujet der Verzierung mehr der friedlicheren Jagd als dem Kampf entnommen ist, wird wohl dadurch zu erklären sein, dass einesteils das Spiel in Friedenszeiten, namentlich nach dem gesellschaftlichen Vergnügen der Jagd, Regel war, während es im Feldlager in den seltenen Augenblicken der Untätigkeit mehr ausnahmsweise geübt wurde, andernteils die Idee zur Ausführung eines so besonderen Stückes wohl nur in Friedenszeiten gefasst werden konnte und dem Besteller wie Künstler die Vorstellung der Benützung auf der Jagd das Nächstliegende war. Wie oft mag jener alte Haudegen die Langeweile oder üble Laune seiner letzten Jahre, die ihm zu gezwungener Untätigkeit verdammten, mit diesem Requisit vertrieben haben!
Da die Gonzagas 1530 «Duca» wurden und um diese Zeit Federigo II. regierte, so könnte das Stück dem vorhergehenden Giov. Francesco II. (gest. 1519) zugeschrieben werden. Bekanntlich wurde Giov. Francesco II. 1509 auf der Insel Scala mit dem Heer der Ligue von den Venezianern besiegt, ein Jahr lang gefangen gehalten und beschränkte sich für den Rest seines Lebens auf friedliche Aufgaben. Im Stil aber reiht sich der Dekor in eine etwas spätere Zeit, gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts und da wären wir eher geneigt, das Stück dem Francesco III. zuzuschreiben, der die Herzogswürde erst mit dem Antritt seiner Regierung (1540 bis 1550) erhielt, den Becher aber schon vor dieser Zeit erworben haben dürfte.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4. Dresden, 1897-1899.