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Die Lanze

Funde

Unter den Waffen der Grabfunde sind die Speerklingen am häufigsten vertreten. Die Lanze war die allgemein gebräuchliche Waffe der frühgermanischen wie der Merowinger- und Karolingerzeit.

 

Aber ebenso zahlreich wie das Vorkommen der Speerklingen ist die Verschiedenheit ihrer Form. In der Merowingerperiode stoßen wir auf die mannigfaltigsten Arten von Klingen; gleiche sind kaum nachzuweisen. Von einem einheitlichen Typus der Merowingerlanze kann daher nicht gesprochen werden.

 

Die so voneinander abweichenden Formen und Arten erklären sich durch den Gebrauch des Speers zu verschiedenen Zwecken: Wurf und Stoß, Kampf in der Ferne und in der Nähe. Die gleiche Waffe wird oft zu verschiedenen Kampfarten benutzt; eine Unterscheidung zwischen Wurf- und Stoßlanzen ist daher nicht möglich. Nur das kann man annehmen, dass die kleineren Klingen ausschließlich Wurfspeeren angehörten; aber auch die größeren Klingen konnten ausnahmsweise zum Wurf aus kleiner Entfernung Verwendung finden.

 

Immerhin lassen sich bestimmte Gruppen, die sich ähnlich sind, erkennen.

 

Die älteste Gruppe bilden jene Lanzen, die schon Tacitus erwähnt und die wir auf König Childerichs Siegelring antreffen.
Hastas vel ipsorum vocabulo frameas gerunt, angusto et brevi ferro, sed ita acri ad usum habili, ut eodem telo prout ratio poscit, vel cominus vel eminus pugnent (Tac. Germ. VI).

 

Diese Klingen haben schlanke Proportionen und sind ziemlich kurz, 10–20 cm. Eine weitere Art entwickelte sich aus dieser eleganten und schlanken Form, bei der die Größenverhältnisse bedeutender geworden sind. Eine fernere Gattung zeigt uns eine blattförmige Klinge mit scharf hervortretender Rippe.

 

Diese Lanzen dürften ihrer Gestaltung nach wohl zu den Wurfspeeren gerechnet werden.

 

Zum Stoß tauglich wie zum Wurf erscheinen jene Lanzen, die sich beinahe am häufigsten in den Grabstätten finden: eine einfache rautenförmige Speerklinge, deren Seiten dabei mehr oder weniger scharf hervortreten; die Schneiden gegen die Spitze zu sind nach innen öfter ausgeschweift.

 

Diese Klingen haben eine durchschnittliche Länge von 30–35 cm.

 

Weit wuchtiger müssen die Klingen gewirkt haben, welche mit einer langen Tülle versehen sind, die gegen das Speerblatt zu in einen langen Hals übergeht; die Klinge ist rautenförmig oder blattartig, ziemlich breit und ohne scharfe Rippe, flach und dünn. Die Länge dieser Art, die ebenfalls häufig vorkommt, wechselt zwischen 40–60 cm, ja sogar 72 cm; in dieser Form ähneln sie dem Ango.

 

In gleichen Größenverhältnissen treffen wir Klingen, deren Tülle vor dem Speerblatt nicht in einen langen Hals übergeht, sondern direkt nach der Tülle das Speerblatt ansetzt: lang und schmal, mit ganz schwacher Mittelrippe, von beinahe schwertartiger Gestalt.

 

Diese Speereisen wurden meist mittels zweier Stifte oder eines durchgehenden Nagels am Schaft befestigt, vor allem die mit geschlossener Tülle; bei offener Tülle fehlen diese Befestigungsnägel bzw. Löcher dafür oft. Hier genügte es, den Lanzenschaft stark hereinzudrücken; die Tülle hielt ihn dann durch ihre Federkraft – oder aber die Befestigung wurde, wie bei dem Ango, durch Ringbänder bewirkt.

 

Der Lanzennagel wurde womöglich am äußersten Ende der Tülle angebracht, wo das Holz dicker ist und eine gute Befestigung zulässt.

 

Zu den Speerschäften, von denen uns allerdings infolge des vergänglichen Stoffes nur wenige und kurze Fundstücke erhalten sind, wurde das Holz der Esche, des Hartriegels und der Fichte verwendet.

 

Dem Umfang der Tülle nach müssen diese Lanzenschäfte – hauptsächlich die der letzterwähnten Klingenformen – von ganz gewichtiger Art gewesen sein. Die Rekonstruktionen des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz geben uns einen Begriff davon.

 

Was den Gebrauch der oben beschriebenen Lanzenarten betrifft, so ist er für die einzelnen Gattungen der Merowingerzeit kaum zu ermitteln, da – wie gesagt – diese Speere sich sowohl zum Wurf wie zum Stoß eignen. Wahrscheinlich aber dürften jene langen Klingen vom Fußvolk zum Stoß gebraucht worden sein, da gerade diese Art sich gegen die mit der Zeit immer mehr verbesserten und verstärkten Schutzwaffen sehr wirksam gezeigt haben muss. Der Reiter hat keine so schwere Waffe mit langer Klinge nötig, da durch den Ansturm des Pferdes die Wucht der Lanze groß genug ist, um den Gegner wirksam zu bekämpfen.

 

In den vorhandenen Fundstücken Wurf- und Stoßlanzen zu unterscheiden, ist unmöglich. Wir werden auch später ersehen, dass in den schriftlichen Quellen die Lanze gleichermaßen zu Wurf und Stoß geführt wird, ja, dass der Wurf in der Merowingerzeit überwiegend angewendet wird.

 

Für die spätere Zeit können wir allerdings mit ziemlicher Sicherheit aufgrund der Miniaturen die Art und Weise der Verwendung des Speeres zum Wurf oder Stoß bestimmen.

 

Die verschiedenen Lanzenarten vereinfachten sich in der Karolingerzeit auf das, was am praktischsten zum Gebrauch erfunden wurde.

 

Die Entwicklung der Lanzenformen zur Merowingerzeit kann jedoch nicht so verfolgt werden wie die der karolingischen Periode, wo es uns mit Hilfe der Darstellungen der Miniaturen gelingt, ziemlich annähernd zu bestimmen, wann die oder jene Lanzenart im Gebrauch war und wie sich ihre Form entwickelt hat.

 

Für den merowingischen Abschnitt müssen wir uns mit den Funden begnügen, da die Miniaturen uns für diese Zeit im Stich lassen. Immerhin können wir aus den Quellen die Führung der Lanze ersehen; allein erst für die Karolinger- und nachkarolingische Epoche stimmen Funde, Miniaturen und Schriftquellen überein, obwohl zu dieser Zeit die alte Bestattungsweise nach heidnischem Brauch mit Beigabe von Waffen usw. aufhörte und durch die christliche Begräbnisweise völlig verdrängt wurde, sodass wir für diese Zeit auf zufällige Bodenfunde angewiesen sind.

 

Eine genaue Grenze zwischen merowingischen und karolingischen Lanzen zu ziehen ist nicht möglich, da jene Zeit des ausgehenden 7. und 8. Jahrhunderts keine feststehenden Formen erzeugt hat und eine Übergangszeit darstellt.

 

Nur eine Waffenart muss man, wie Lindenschmit überzeugend dargestellt hat, als typisch merowingisch betrachten: den Ango. Diese Widerhakenlanze der Franken besteht aus einer langen Eisenstange, auf welcher sich eine kurze, vierkantige Spitze mit zwei Widerhaken befindet. Die Übergangsform zu dem Ango haben wir schon früher betrachtet – die Lanzenspitze mit offener Tülle und langem Hals vor dem Speerblatt; allerdings sind die Größenverhältnisse des Ango noch bedeutender.

 

Die Durchschnittslänge von 33 untersuchten Angonen ergibt 104 cm, die eigentliche Spitze misst 9 cm. Das kürzeste Exemplar 78 cm (Worms), das längste 190 cm (Budenheim), dann 124 cm und 123,5 cm (Selzen), diese in Mainz. Der Umfang der Eisenstange ist bei allen Exemplaren kaum verschieden, oben bei der Spitze 2,5 cm, unten 7,5 cm. Die Tülle ist lang, entweder offen oder durch 4–5 eiserne Längsstreifenbänder gebildet und durch Ringbänder am Holzschaft zusammengehalten und befestigt; es kommen 3–5 Ringbänder vor, welche teilweise schön gearbeitet sind, auch messingene treffen wir.

 

Eine Abart des Ango bilden drei in Mainz befindliche Lanzen folgender Gestaltung: Aus der runden Tülle wächst ein vierkantiger Schaft hervor, der sich nach der Spitze verjüngt und an Stelle des Widerhakens in eine Spitze ausgeht. Alle drei Stücke wurden bei Budenheim gefunden; eine dieser Stangenlanzen besitzt die abnorme Länge von 190 cm (ohne Holzschaft), die zweite 116 cm und die letzte nur 82,5 cm. Weitere ähnliche Waffen sind meines Wissens nicht gefunden worden. Diese große und schwere Lanze dürfte vielleicht mit den „Stangen“ der Riesen in der deutschen Heldensage identisch sein, denn vermöge ihres Gewichts und ihrer Länge konnte sie auch ganz gut zum Dreinschlagen verwendet werden. Der Holzschaft des Ango und der letzteren Waffe war nicht sehr lang.

 

Die Zahl der vorhandenen Angonen in den Museen gibt Lindenschmit mit 35 an; seither haben sich die Funde beträchtlich vermehrt, sodass man heute 62 Angonen nachweisen kann, wovon 46 auf deutsches Sprachgebiet fallen.

 

Trotz der Vermehrung der Fundstücke zählt der Ango doch zu den selteneren Waffen der Merowingerperiode; in der Folgezeit verschwindet er aus den Funden. Der Ango findet sich meist nur in Gräbern mit reichen Beigaben, z. B. Flonheimerfund, Worms, und scheint daher eine Waffe vornehmer Krieger gewesen zu sein – obwohl Agathias II, 5 den Ango als allgemein fränkische Nationalwaffe bezeichnet. Wenn dem so gewesen wäre, müsste er aber viel öfter in den Gräbern vorhanden sein; die Funde von Angonen sind ganz gering gegenüber denen der übrigen Speereisen in jener Epoche, wo dem Krieger seine Waffen mit ins Grab gelegt wurden. Man wird also annehmen müssen, dass der Ango nicht so allgemein geführt wurde, wie Agathias es behauptet. Eine Nationalwaffe würde auch nicht so schnell außer Anwendung kommen, wie es mit dem Ango geschehen ist.

 

Eine von den vorher geschilderten Lanzenarten abweichende Gestalt zeigt eine Waffe, die ziemlich selten gefunden wird – und zwar nur in den Gräbern am Ende der merowingischen Zeit.

 

Es sind dies Speereisen, die an den Seiten der Tülle vorspringende Aufhalter aufweisen, teilweise nach oben gerichtete Haken, Dornen, bloße Stäbe oder Knöpfe, die sich aus den Schaftnägeln entwickelt haben. Bei einigen Exemplaren läuft die Tülle in Leisten von Eisen aus, die weit am Schaft hinabreichen. Diese Aufhalter ergeben im Querschnitt eine vierkantige oder runde Gestalt; es sind einfache Haken oder Stäbe, nie ist der Durchschnitt langgestreckt und rechteckig, nie bilden sie breite Flächen wie bei den charakteristischen karolingischen Flügellanzen.

 

Das Blatt dieser Speere ist teils rauten-, teils lanzettförmig, die durchschnittliche Länge beträgt ca. 17 cm. Die Fundstellen dieser Lanzen erstrecken sich über das ganze Gebiet des Merowingerreichs, sind jedoch spärlich – die meisten in den Rheinlanden bis Chur hinauf (vgl. Bibel von Cambrai).

 

Sie bilden den Übergang zur Flügellanze (Knebelspieß, geflügelte Lanze) und haben auch den gleichen Zweck: das zu tiefe Eindringen der Lanze in den Gegner zu hindern und rasches Herausziehen zu ermöglichen.

 

Jedenfalls ist es völlig ausgeschlossen, dass diese Lanzenart – wie früher geglaubt wurde – mit dem Ango identisch ist oder dass diese Aufhalter dazu gedient hätten, die feindlichen Schutzwaffen herunterzureißen, da keine der mir bekannten Lanzen mit Aufhalter derart zu verwenden ist wie etwa die Haken an späteren Hellebarden, Partisanen oder Rosschindern. Solche Aufhalter, die wirklich gekrümmt sind, sind nicht genügend hakenförmig für den obigen Zweck.

 

Wir gehen zu der Weiterentwicklung dieser Lanzen über – zur eigentlichen Flügellanze.

 

Diese Lanzenform findet sich nicht in den merowingischen Gräberfunden; sie ist spezifisch karolingisch. Lindenschmit schließt seine Schilderung der merowingischen Lanzen mit dem vorhin geschilderten Speer mit Aufhalter ab und weist nur kurz auf die Lanzen mit Flügelansätzen hin als karolingische Form. Zum Beweis, dass sie speziell karolingisch sind, diene das Folgende.

 

Die Flügellanzen zeigen verschiedene Formen, die jedoch alle miteinander nahe verwandt und nach dem gleichen Prinzip konstruiert sind. Ihre Kennzeichen sind die aus der Schafttülle hervorragenden, flügelartigen Ansätze auf beiden Seiten. Diese Ansätze sind meist etwas über der Öffnung der Tülle am Schaft der Klinge angebracht; in einzelnen Fällen fangen sie aber schon direkt bei der Öffnung der Tülle an. Sie bilden mit dem Speereisen einen rechten Winkel und haben – von vorne gesehen – eine mehr oder weniger breite Fläche, deren Gestalt etwa dreieckig, trapezförmig oder rechteckig aussieht. Diese Flügelfläche nimmt von ihrer Spitze nach der Schafttülle hin gewöhnlich stark zu. Ihre Dicke ist gering, ihre Breite hingegen beträgt oft mehrere Zentimeter.

 

Die Schafttülle entsteht aus dem Blatt der Klinge; sie ist hohl bis zum Anfang des Blattes und hat in ihrem oberen Teil einen rechteckigen, nahezu quadratischen oder sechseckigen Querschnitt. Oft ist die Klinge breit, schwach gerippt, die Schaftröhre kurz, oder die Klinge ergibt eine lanzettförmige, scharf gerippte Gestalt mit schmalem, langgestrecktem Hals, in den die Schafttülle übergeht; selten zeigt sich die Klinge rautenförmig. Der Teil der Schaftröhre, wo die Flügel angesetzt sind, hat meist einen runden Querschnitt. Bei einigen Exemplaren finden sich auch Löcher für die Schaftnägel.

 

An der Schaftröhre sind öfter einfache Linienverzierungen senkrecht längs der Schaftröhre und dem Hals hinten oder an den Seiten eingraviert. Seltener weisen die Flügel selbst diese Linien auf. Daneben stößt man auf damaszierte Lanzenklingen; diese wurmbunten Klingen bilden jedoch eine Ausnahme.

 

Die Längen- und Breitenmaße dieser Flügellanzen zeigen nicht die Unregelmäßigkeit und Mannigfaltigkeit wie die merowingischen Lanzen. Wir treffen auf ganz gleiche Größenverhältnisse bei verschiedenen Exemplaren aus den entferntesten Fundstellen. Es herrscht in diesem Lanzentypus eine große Gleichartigkeit, die entschieden auf fabrikmäßige Herstellung deutet. Das Durchschnittsmaß von 15 Flügellanzen des Schweizerischen Landesmuseums Zürich beträgt:

 

Klingenlänge 46 cm, kürzeste 31 cm, längste 64 cm
Klingenbreite 4,4 cm, kürzeste 3,2 cm, längste 6 cm
Flügelbreite 2,8 cm, kürzeste 2 cm, längste 5 cm

 

Mit diesen Verhältnissen stimmen die Exemplare des Mainzer Museums, ferner die von Hampel (Ungar. Altertümer Bd. I, S. 183) veröffentlichten Flügellanzen aus ungarischen Funden, die er als karolingische Importware bezeichnet, sowie weitere Funde aus Kroatien, Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Skandinavien überein.

 

Über den Zweck der Flügellanze sind schon verschiedene Meinungen vorgebracht worden. So sollten nach Bleuler (Zeitschrift f. hist. Waffenkunde Bd. I, S. 283) die fränkischen Lanzen mit Querknebeln zum Tragen und Aufhängen des Gepäcks gedient haben. Abgesehen davon, dass weder die Miniaturen eine solche Anwendung vorweisen noch die Schriftquellen etwas Derartiges schildern, wird eine Lanzenform kaum für diesen nebensächlichen Zweck konstruiert worden sein; vielmehr diente diese Lanzenform einem ganz anderen Ziel, nämlich zu tiefes Eindringen der Klinge in den Gegner zu verhindern und das Herausziehen der Waffe zu erleichtern. Um die mit der Zeit immer mehr verbesserten Schutzwaffen niederzukämpfen, genügte der leichtere Speer der Merowingerzeit nicht mehr; daher schritt man schon damals zur Verstärkung der Klingen, und es entstand die Vorgängerin der Flügellanze, die Lanze mit Aufhaltern.

 

Die Flügellanze erfüllt die Forderung, gegen schwerere Rüstungen, Leder- oder Schuppenpanzer und Kettenpanzer erfolgreich einzugreifen, aufs Beste; schon ihre Schwere verleiht ihr eine gehörige Wucht. Die Klingenlänge und der Durchmesser der Tülle unten deuten auf einen langen und starken Schaft (Umfang der unteren Tüllenöffnung bei 11 Stücken durchschnittlich 9 cm), der sowohl für Reiterei als auch für Fußvolk zu gebrauchen war. Gegen eine Reiterattacke bildet die Flügellanze eine ideale Waffe, denn durch die Flügelansätze kann eine heranstürmende Masse vorzüglich aufgehalten werden. Eine glatte Lanze dringt viel zu weit ein und verunmöglicht dadurch ein rasches Zurückziehen der Waffe. Die Flügellanze jedoch dringt nur bis zur Hemmung, schützt also ihren Träger vor dem feindlichen Anprall; zugleich konnten die Flügel zum Parieren von Schwerthieben dienen und bewahrten auch den Schaft vor dem Abgehauenwerden.

 

Aus den Miniaturen ersehen wir, dass die Reiterei diese Waffe ebenfalls aufgenommen hat, denn nicht nur im Kampf von Fußtruppen gegen Reiter, sondern auch zum alleinigen Reiterkampf ist die Flügellanze ungemein tauglich.

 

Diener-Schönberg (Zeitschrift f. hist. Waffenkunde Bd. III, S. 343) erklärt die Entstehung der Flügellanze aus einem Jagdspeer. Die Erfahrungen mit Lanzen mit querlaufenden Knebeln für Bären- und Eberjagd seien auch auf den Krieg angewendet worden. Lindenschmit führt die antiken Jagdlanzen mit mora an. Diese Entstehung mag richtig sein, unrichtig hingegen ist die Behauptung Dieners: „Jedenfalls kam er (der Knebel) nie allgemein in Gebrauch, während er nach wie vor an keinem Jagdspeer fehlt.“ Schon die Gleichartigkeit der Funde, die auf Massenfabrikation hinführt, lässt die Flügellanze als ausgesprochene Kriegswaffe erscheinen, und die Miniaturen beweisen das mit völliger Sicherheit, obwohl ihre Darstellungen die Flügellanze auch als Jagdwaffe hie und da zeigen. Natürlich konnte man diese Speerart auch zur Bären- und Eberjagd benützen, hauptsächlich die kleineren Exemplare; die großen sind zu schwer für Jagdzwecke.

 

Reinicke (Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. XXIX, 1899) weist in seinen Studien über Denkmäler des frühen Mittelalters die fabrikmäßige Herstellung von Flügellanzen zum Export in Mainz und überhaupt in den Rheinlanden nach. Die Funde in den entgegengesetzten Teilen des karolingischen Reiches und seiner Grenzländer zeugen für die Ausfuhr dieser Waffe.

 

Die Flügellanzen treten als Einzelfunde auf, ausgegraben oder aus Flüssen ausgebaggert. Grabfunde sind selten. In dem Schrein des hl. Porcarius zu Montverdun in Südfrankreich wurde eine Flügellanze gefunden. Porcarius fiel der Legende nach beim Einfall der Sarazenen 736; wenn die Lanze nicht gleichzeitig ist, ist sie wahrscheinlich höchstens 50–100 Jahre jünger. Die sogenannte Reichslanze, die Lanze des hl. Mauritius, dürfte auch dieser Zeit angehören. In den Miniaturen tritt die Flügellanze ungefähr zur gleichen Zeit auf; sie blieb im Gebrauch vom Anfang des 8. bis in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts und vereinzelt noch viel länger.

 

Aber nicht nur im Karolingerreich war die Flügellanze verbreitet; wir finden sie importiert in allen seinen Grenzländern: in Ungarn, Bosnien, Kroatien kommen Flügellanzen vor. Die slawische Kultur war von der karolingischen in großem Maß abhängig (vgl. Preradowic, „Die im Museum altkroatischer Altertümer zu Knin befindlichen Waffen“, Zeitschrift f. hist. Waffenkunde Bd. IV, Heft 4). Ferner in den Wikingergräbern Skandinaviens; im Norden dauerte nämlich die heidnische Bestattungsweise mit Grabbeigaben weit länger an als im fränkischen Reich. Wir finden die gleichen Lanzenspitzen mit Schwertern zusammen, deren Fabrikation im Reiche Karls des Großen heute wohl niemand mehr bezweifeln wird. „Die völlige Gleichheit der geflügelten Lanzenspitzen an sehr weit voneinander entfernten Orten liefert den besten Beweis, dass es sich hier um eine Fabrikation im großen Maßstab handelt. Dass sich diese Produktion nicht allein auf Schwerter beschränkte, sondern auch Speere, Äxte etc. umfasste, ist klar; die geflügelten Lanzen werden unter diesen Fabrikaten eine wesentliche Rolle gespielt haben. Dass daneben auch außerhalb des Frankenreichs geschickte Waffenschmiede nach eingeführten Vorbildern Waffen erzeugten, ist vielleicht nicht ausgeschlossen“ (Reinicke).

 

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts treten neben der Flügellanze wieder andere Speerformen auf, mit rauten- oder lanzettförmiger Klinge, letztere teils sehr lang, teils gedrungen und kurz. Der große Umfang der Tüllenöffnung lässt dabei auf einen sehr starken Schaft schließen.

 

Im 10. Jahrhundert ändert sich die Lanzengestalt wenig. Für diese Zeit des ausgehenden 9. und des 10. Jahrhunderts sind wir nur auf wenige Funde angewiesen; rautenförmige Speerklingen sind selten, hingegen die gewöhnliche, lanzettförmige Art ist in größerer Anzahl vorhanden. Diese Lanzen zeichnen sich im Gegensatz zu den Flügellanzen durch ihr kurzes, starkes, ziemlich breites Eisen aus, das meist starke Mittelrippe aufweist. Die Durchschnittslänge beträgt ca. 25 cm. Einzelne Stücke sind wurmbunt, hauptsächlich im Norden. Das Überhandnehmen dieser Lanzenform, die meist schwerer als die Flügellanze war, lässt sich durch die fortgesetzte Verstärkung der Schutzbewaffnung, der verbesserten Rüstung, erklären. Dieses kurze Speereisen erhielt sich das ganze 12. Jahrhundert und noch später, wie Funde und Miniaturen verkünden. Exemplare einer bärtigen Lanze sind mir aus Funden unserer Periode nicht bekannt geworden. In den Miniaturen vom Ende des 9. bis ins 11. Jahrhundert bilden sie die überwiegende Art.

 

Während dieses ganzen Zeitabschnitts treffen wir auf verhältnismäßig wenig Funde. Die Verbreitung dieser Lanzen ist die gleiche wie bei den Flügellanzen. Gleiche oder ganz ähnliche Exemplare, die an weit auseinanderliegenden Punkten gefunden werden, weisen auch hier, wie bei den Flügellanzen, auf fabrikmäßige Herstellung, teils zum Eigenbedarf im Karolingerreich wie im Reich der sächsischen und fränkischen Kaiser, teils zum Export in die umliegenden Grenzländer.

 

Miniaturen

In den Miniaturen der vorkarolingischen Zeit werden sehr selten Bewaffnete dargestellt; erst mit der Periode nach Karl dem Großen erhalten wir dann reichliches Material zur Bewaffnungsweise.

 

Die Speerarten, wie sie uns aus den Fundstücken des merowingischen Abschnitts bekannt sind, treffen wir in der Buchmalerei etc. ganz ausnahmsweise an. Hingegen überwiegt die Gestalt der Flügellanze in der karolingischen Zeit alle anderen Lanzenarten bis ans Ende des 9. Jahrhunderts, wo die rauten- und lanzettförmige Klinge auftaucht.

 

Die Übergangslanze zur eigentlichen Flügellanze, der Speer mit hakenförmigem Aufhalter, habe ich nur einmal dargestellt gefunden (Durieux, Les miniatures de la Bible de Cambrai Pl. III Nr. 364); sie entspricht genau unseren Funden; ebenso ist auf den Bronzeschmuckplatten des Helmes von Wendel (Montelius, Kulturgeschichte Schwedens S. 232) die Vorgängerin der obigen Lanze zu sehen. Anstelle der Haken sind verzierte Knöpfe als Aufhalter angebracht.

 

In den mir zugänglichen Miniaturen habe ich von ca. 520 Lanzen die Hälfte Flügellanzen gefunden; die zweite Hälfte besteht aus der rautenförmigen Gattung ohne Flügel und der nachkarolingischen Lanze.

 

Wir treffen die Flügellanze in der uns schon aus den Funden bekannten Form am meisten. Wie diese dort, so variiert in der Darstellung der Miniaturen das Aussehen der Lanze. Die Klinge ist breit und lang, lanzettförmig, breit und kurz und ziemlich oft rautenförmig.

 

Die Flügelansätze sind vielfach roh gezeichnet; sie bestehen aus einem mehr oder weniger breiten Querstrich unter der Klinge. Immerhin sind sie als Flügellanzen deutlich erkennbar, und es besteht kein Zweifel, dass wir die gleiche Lanzenart wie in den Fundstücken jener Zeit auch in den Miniaturen vor uns haben.

 

Daneben stößt man noch auf andere Formen, die uns aus den Funden völlig unbekannt sind. Man möchte sie Flügellanzen mit doppeltem Flügel oder Aufhalter nennen. In kurzem Abstand von der ersten Querstange bzw. dem Flügel folgt eine zweite. Diese Art Flügellanze jedoch treffen wir nur in angelsächsisch-irischen Buchmalereien und in von diesen abhängigen Handschriften an. Die Klinge ist teils widerhaken-, teils rautenförmig. Eine ganz sonderbare Gestalt dieser Gattung – zwei Querknebel mit Knöpfen an den Enden, gerade unter der Widerhakenklinge – bringt eine Brüsseler Miniatur (Hefner-Alteneck, Trachten Taf. 32, Dialog des hl. Gregor). Eine solche, für den Gebrauch ganz unmögliche Lanzenform dürfte wohl der Fantasie des Miniators entsprungen sein; wie uns überhaupt diese Doppelflügellanzen verdächtig vorkommen müssen, da die zu Tage geförderten Stücke diese Form nirgends aufweisen. Neben diesen Speeren zeigen sich auch gewöhnliche Flügellanzen, aber mit Widerhakenklinge; auch solche sind durch die Funde nicht belegt.

 

Anfangs der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts finden sich in den Miniaturen neben der Flügellanze neue Formen, die sich teils aus der Flügellanze entwickeln, teils auf ältere Typen zurückgehen, für die wir in der Buchmalerei keine früheren Beweise besitzen, wohl aber in den Funden der Merowingerzeit.

 

Neben der Flügellanze mit Widerhakenklinge erscheinen Widerhakenklingen ohne Flügel und Aufhalter. Bei ganz sorgfältig ausgeführten Zeichnungen (Bastard, Bible de Charles le Chauve) sieht man sogar, dass die Tülle mit Ringen am Schaft befestigt ist; doch ist diese Art ziemlich selten.

 

Fundstücke dieser Widerhakenlanzen aus karolingischer Zeit, mit oder ohne Flügelansätze, sind mir nicht bekannt geworden. Doch wäre es trotzdem möglich, dass diese angonartige Form existiert hat, da diese Waffe in den Miniaturen öfter vorkommt.

 

Auf ältere Typen greift dann die neben der Flügellanze am weitesten verbreitete rautenförmige Lanze zurück. Die Rautengestalt kam schon an der Flügellanze vor. Sichere Fundstücke fehlen auch hier. Um die gleiche Zeit des ausgehenden 10. und anfangs des 11. Jahrhunderts bemerken wir eine Form, die von der Flügellanze zu diesen neuen Arten hinüberleitet: Anstelle des Flügels ist am Ende der Tülle ein runder Knopf getreten.

 

Um die Mitte des 9. Jahrhunderts werden teils flügel-, teils rautenförmige Lanzen, oft mit Knopf, abgebildet, an denen bunte Wimpel angebracht sind. Die Träger sind meist hochgestellte Leute. Diese Fahnenlanzen, die wir bei den Ottonen und in der Folgezeit im Teppich von Bayeux treffen, sind nicht gerade häufig. Die Farbe dieser Wimpel, die zweiteilig und erst später mehrteilig sind, ist rot oder blau, später mehrfarbig. Neben dem Zweck der Verzierung wird dieser bunte Wimpel auch dazu gedient haben, durch sein Flattern im Kampf die Pferde der Gegner zum Scheuwerden zu bringen – eher als, wie Boeheim und Leitschuh glauben, „um den Träger des Speers im Kampfgewühl die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen“; im Gegenteil erschwert das flatternde Fahnentuch das Zielen und den Stoß auf den Feind. Im 10. Jahrhundert erscheinen diese Lanzenarten wieder, doch in größeren und stärkeren Proportionen; das Speereisen wird breiter und länger. Die Flügellanze kommt spärlich vor, ebenso die Widerhakenlanze.

 

Im 11. Jahrhundert bleiben alle diese Formen bestehen, hingegen setzt sich der Typus einer kurzen und breiten, lanzettförmigen Klinge durch, der ohne große Veränderungen bis ins 12. und 13. Jahrhundert hineinreicht. Wie schon früher erwähnt, haben sich eine ganze Anzahl dieser Lanzen des 10. und 11. Jahrhunderts erhalten. Ihr Aussehen stimmt mit den Miniaturen überein.

 

Die Schäftung der Lanzen ist auf den Miniaturen selten gut zu erkennen, da sich die Zeichner nicht die Mühe genommen haben, den Schaft näher auszuführen. Nur an wenigen Stellen erkennen wir Genaueres. Der Schaftschuh erscheint einmal (St. Galler Cod. 1395) als dreizackiger Stachel, wie das untere Ende des Baselstabs (Westwood angl. sax. mms. Pl. 28). Mehrere Male (Bibel Karls d. Kahlen) enden die Lanzenschäfte in einem runden Knopf oder einer runden Platte, oder der Schuh läuft in eine Spitze aus, die sogar einmal einen Aufhalter aufweist (Westwood, pal. sacr. pict. t. 30, Apocalypsehandschrift).

 

Verzierte Lanzenschäfte gehören zum Ungewöhnlichen, obwohl sie in den schriftlichen Quellen erwähnt werden. So trägt in der Bibel Karls des Kahlen (Bastard t. XI) ein Speerträger einen mit zwölf metallenen Ringen verzierten Lanzenschaft; diese sind in gleichen Abständen voneinander angebracht. Manchmal ist die Lanze vom Maler ganz in Metallfarbe dargestellt, so die ganze Lanze gelb oder golden, oder der Schaft und das Speereisen silbern (Lotharevangeliar, Janitschek Malerei p. 34; Bibel von S. Callisto Hefn.-Alt. Trachten t. 17; Westwood angl. sax. mms. Boulognepsalter, t. 38; Missale Heinrichs II. München, Hefn.-Alt. Trachten t. 48) – hier die Flügel silbern. Selten erscheint der Schaft mit Bändern umwunden (Beissel t. XXXI Ottoevangeliar). Eine der sonderbarsten Darstellungen finden wir im Missale Kaiser Heinrichs (München, früher Bamberg, Hefn.-Alt. Trachten t. 47). Dort ist die hl. Reichslanze dargestellt, auf die wir später bei den Schriftquellen noch zurückgreifen. Der Schaft zeigt sich als dicker Stamm mit allen noch vorhandenen Astknorpeln. Die Klinge steckt in einem goldenen Futteral, das mit grünen und blauen Steinen reich geschmückt ist und nach oben in einen runden goldenen Knauf endet, auf den ein goldenes Kruzifix mit dem Erlöser aufgesetzt ist. Die Form des Futterals scheint auf eine darin befindliche Flügellanze hinzuweisen.

 

Wir haben bis dahin die Lanzenarten und ihr Aussehen von der Karolingerzeit bis ins 12. Jahrhundert im Allgemeinen verfolgt und wollen im Weiteren die größeren Werke der Miniaturmalerei, wo zusammenhängende Darstellungen, Kriegsszenen und Ähnliches geschildert sind, betrachten, um noch genauer die Lanzengattungen im Zusammenhang mit ihren Trägern kennenzulernen.

 

Die Wessobrunner Handschrift (München) um 814 lässt die Bewaffneten mit Flügellanzen auftreten, ebenso die angelsächsisch-irischen Handschriften jener Zeit, nebst einigen anderen Einzelbildern (Hefn.-Alt. Trachten t. 11). In der Bibel Karls des Kahlen um 850 sehen wir folgende Lanzenarten: Die vornehmen Krieger, kenntlich an ihrer besseren Bewaffnung und Kleidung, tragen eine rautenförmige Lanze, geschmückt mit bunten Wimpeln, teils mit Flügelansätzen, teils mit Knopf unten an der Tülle. Die gewöhnlichen Krieger führen eine angonartige Widerhakenlanze, deren Klinge mit Metallreifen am Holzschaft befestigt ist. In den Vignetten kommen gewöhnliche Krieger mit der Flügellanze vor (v. Bastard).

 

Am meisten Material bietet uns die Bibel von St. Paul (Westwood) oder San Callisto, zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts. Die Fahnenlanze ist dort nicht zu finden. Die Rautenlanze wird von vornehmen wie gewöhnlichen Kriegern geführt, ungefähr hundertmal deutlich erkennbar. Sie tritt auch mit Flügel oder mit Knopf am Ende der Tülle auf, ca. 35-mal. Die gewöhnliche Flügellanze ist an mehreren Stellen zu treffen und daneben die Widerhakenlanze ca. 20-mal, vereinzelt mit Flügel. Schon in dieser Zeit zeigt sich die kurze, lanzettförmige Speerklinge. Die gewöhnliche Fechtart ist der Stoß, und zwar öfter mit eingelegter Lanze. Die Speerarten sind also hier am Ende des 9. Jahrhunderts vom Miniator in den verschiedensten Gattungen vorgeführt.

 

Die Formen sind vollständig vermischt, immerhin überwiegen die rautenförmigen Klingen. Im Gegensatz hierzu steht die Bewaffnung im Psalterium aureum von St. Gallen (Rahn), entstanden ca. 885. Mit zwei Ausnahmen sind dort nur Flügellanzen vorhanden, und zwar in den mannigfaltigsten Formen – lang und schmal, lanzettförmig, rautenförmig, kurz und breit –, vollständig den Fundstücken jener Zeit entsprechend. Die Flügel sind sogar manchmal ganz genau gezeichnet. Sie haben teils lange, teils kurze Schäfte, je nachdem sie zum Wurf oder zum Stoß dienen; bei den letzteren erreicht die Lanze über ein Drittel Mannshöhe.

 

In den Federzeichnungen des aus ungefähr gleicher Zeit stammenden Utrechter Psalters (Springer), der äußerst bewegte kriegerische Szenen aufweist, finden wir viele Lanzen, gewöhnliche Flügellanzen, teils lanzett-, teils rautenförmig, letztere in der Minderheit; ferner Flügellanzen mit Widerhaken – diese in 28 Exemplaren vertreten –, die gewöhnliche Flügellanze in 42, daneben in ganz geringer Zahl Widerhakenlanzen (vier Stück) und gewöhnliche Lanzen. Diese dürften aber auf einem Versehen des Künstlers bei der rasch hingeworfenen Zeichnung beruhen.

 

In verschiedenen weiteren Psaltern des 9. und 10. Jahrhunderts (Eadwinepsalter, Cottonianpsalter, Boulognepsalter; Westwood pal. sacr. pic. t. 43; Cahier Mél. d’arch. t. 45; Westw. angl. sax. mms. t. 29) erblicken wir die gleichen Lanzentypen wie im Utrechter Psalter.

 

Im Stuttgarter Psalter (Hefn.-Alt. Tracht. 50, 51, 53, 74), der dem Ende des 10. Jahrhunderts angehört, verschwinden die Flügellanzen fast ganz; große, breitklingige, meist rautenförmige Speereisen nehmen ihren Platz ein. Der um 980 entstandene Codex Ecberti (Kraus) bringt Lanzen mit Knopf an der Tülle, daneben die aus den Fundstücken des 10. Jahrhunderts bekannte kurze Lanzettform.

 

Ferner treffen wir neben diesen Lanzengattungen, die auch im Codex des Lukan, St. Gallen (Rahn) vertreten ist, ebenfalls noch Flügellanzen. Denn obwohl Ende des 10. und im 11. Jahrhundert die Flügellanze nicht mehr beinahe ausschließlich im Gebrauch ist wie in der Karolingerzeit, kommt sie doch bis weit ins Mittelalter hinauf in Buch- und Wandmalereien vor; hauptsächlich hat sich diese alte Form gehalten bei der Darstellung des Longinus, der Christus die Seite öffnet mit einer Flügellanze (vgl. Anz. f. Schweiz. Altertumskunde B. V t. 21 Wandmalerei von Küssnacht, Zürich, vom Jahre 1482). Das Evangeliar Heinrichs II. (Hefn.-Alt. Tracht. t. 48) gibt eine ganz goldene Flügellanze wieder mit silbernen Flügeln als Prunkstück.

 

Von den Lehensfürsten auf dem Titelbild des Ottoevangeliars für Aachen hat der Maler noch einen mit der Flügellanze abgebildet, während die übrigen eine rautenförmige Lanze mit Knopf an der Tülle führen; zwei dieser Speere sind rote Fahnenlanzen.

 

Von der Zeit der Ottonen an überwiegen, wie gesagt, die kurzen, lanzettförmigen Klingen, die sich dann mit der steigenden Verbesserung der Schutzwaffen im 11.–12. Jahrhundert zum ritterlichen Speer ausbilden.

 

Eigentliche Kampfszenen kommen in den vorhin angeführten Miniaturen nicht sehr häufig vor – die größten in der Bibel von St. Paul, im Psalterium aureum, im Utrechter- und im Stuttgarter Psalter.

 

Aus diesen Schilderungen können wir zur Genüge ersehen, wie die Lanze im 9. und 10.–11. Jahrhundert gehandhabt wurde. Auf die Darstellungen der Lanzen im Teppich von Bayeux nach 1066 werden wir nachher noch zu reden kommen.

 

Der Stoß mit der geschwungenen Lanze ist für jene Zeit charakteristisch, sowohl zu Pferd wie zu Fuß. Der Stoß mit eingelegter Lanze, wie er in der Ritterzeit üblich wurde, wird zu Pferd nicht sehr häufig (Bibel von St. Paul) ausgeführt, und zu Fuß wird die eingelegte Lanze ganz selten benützt.

 

Geworfen wurden meist Flügellanzen leichterer Art. Der Wurf zu Pferd wird mehr geübt als der zu Fuß. Nie wird jedoch beim Angriff die Lanze vom ganzen Reitertrupp gleicherweise getragen, und von einer Attacke, wie die ritterliche kere, oder gar im modernen Sinn, können wir nach der Betrachtung der Miniaturen nicht reden.

 

Die Taktik jener Zeit war noch nicht so entwickelt wie am Ende des 11. Jahrhunderts, wo die Normannen eine neue Kampfesweise für das christliche Abendland schufen, die dann im 12. Jahrhundert allgemein wurde.

 

Vor allem aber haben die Kreuzzüge die Kampfesart der früheren Zeit umgestoßen, sodass mit dem ausgehenden 11. Jahrhundert ein neuer Abschnitt der Bewaffnungsweise und Kriegstechnik beginnt, der auch für die Entwicklung der Lanze grundlegend wurde und die vielen Formen der Frühzeit verschwinden machte.

 

Aber nicht nur in der Buchmalerei, sondern in den übrigen Werken der Elfenbeinplastik, der Reliefs, Zierplatten, Münzen, Siegel, Stickerei etc. finden wir Lanzen dargestellt, die für unseren Zweck in Betracht kommen.

 

Sie sind nicht gerade in großer Zahl vorhanden, und wo wir sie erblicken, wird ihre zeitliche Bestimmung weit schwieriger als bei der Buchmalerei. Wir wollen daher nur kurz auf das, was die Lanzen betrifft, hier eingehen.

 

Die ältesten genauen Darstellungen finden sich auf zwei Bronzescheiben in den Museen von Zürich und Karlsruhe. Die ganz roh dargestellten Reiter darauf tragen eine den Lanzen der Merowingerzeit entsprechende Waffe; ebenso Childerich auf seinem Siegelring, entsprechend wie in seinem Grab gefunden.

 

Auf den Siegeln der Karolinger finden sich ebenfalls Lanzen, doch ist die Art kaum erkennbar.

 

Bei weitem deutlicher zeigen sich uns die Elfenbeinskulpturen auf Buchdeckeln und Reliquienkästchen. Im Louvre sind einige dieser Schnitzereien aufbewahrt. Die Figuren tragen teils ausgesprochene Flügellanzen, teils solche mit breiter, langer Klinge oder mit rautenförmiger Spitze mit Knopf an der Tülle (Cahier Mél. d’arch. II, T. 4; N. Mél. d’arch. I 8, II 4, 7, 8, 5 etc.; Labarte Alb. II, X; Stephani Wohnb. Fig. 132, 187; Lindenschm. Alt. S. 255, 288; Otte I S. 539, Fig. 288).

 

Eine sehr fein gearbeitete Flügellanze zeigt das Evangeliar von Echternach unter Otto II, das den Longinus darstellt (Otto I, S. 174/5); auch an der Hildesheimer Bronzetür trägt Longinus eine Flügellanze.

 

Bei Schnitzereien auf Elfenbein in Bamberg, auf dem Deckel der Bibel Karls des Kahlen – kurz, zur gleichen Zeit wie in den Miniaturen – hat gleichfalls hier die Flügellanze die Mehrheit und verschwindet erst allmählich in der Ottonenzeit.

 

Zum Schluss möchte ich noch die auf einem goldgetriebenen Krug befindliche Reiterfigur aus dem Goldfund von Nagy Szent Miklós erwähnen, die Reinicke nach Kondakoff ins 9. Jahrhundert weist, nachdem sie früher um Jahrhunderte älter geschätzt wurde.

 

Dieser Reiter (Hampel Ung. Alt. Bd. III T. 290 u. Bd. II S. 402 ff.) führt eine Fahnenlanze, deren Klinge auf das 10. Jahrhundert hindeutet – kurz, breit, beinahe rautenförmig –, das Fahnentuch jedoch bildet eine Gestalt, die weit eher auf das 11. Jahrhundert passt, ebenso die Rüstung (wenn die Abbildung bei Hampel ganz genau ist).

 

In allen diesen Werken treffen wir also, wie in der Miniaturmalerei, Flügellanzen, solche mit rundem Knopf an der Tülle, ferner breite, kurze, lanzettförmige und rautenförmige Speereisen.

 

Die Führung im Kampf in den Szenen auf diesen Kleinkunstwerken ist selten; die Lanze wird meist in der Hand getragen. Immerhin bestätigen auch diese wenigen Darstellungen die Richtigkeit der Schilderungen der Buchmalerei in Bezug auf die Lanze.

 

Es bleibt uns noch übrig, über die Darstellungen des Teppichs von Bayeux in Bezug auf die Lanze zu berichten – über ihre Art, ihr Aussehen und ihre Verwendung zum Kampf.

 

Es treten uns verschiedene Formen der Lanze vor Augen: die gewöhnlichen Lanzen, teils rauten-, teils lanzettförmig mit kurzer Klinge, überwiegen; ferner noch solche mit Widerhaken. Diese Arten dienten sowohl zum Wurf wie zum Stoß.

 

Zu diesen tritt ein Speer ohne deutlich erkennbare Spitze – wohl nur eine Nachlässigkeit der Stickerei. Die Flügellanzen bilden im Gebrauch eine Ausnahme, doch werden sie auf den Rüstwagen nachgeführt; es sind dies Flügellanzen mit Widerhaken, wie wir sie schon im Utrechter Psalter und in verschiedenen angelsächsischen Handschriften getroffen haben.

 

Die Länge der Lanzen ist übermannshoch; auch Fahnen und Fahnenlanzen werden getragen. Wir werden diese dann bei der Behandlung der Feldzeichen schildern.

 

Der Gebrauch der Lanze beim einzelnen Krieger im Kampf ist beinahe noch der gleiche wie 200 Jahre früher. Der Stoß mit geschwungener Lanze überwiegt, und zwar bei den Normannen vom Pferd aus, bei den Angelsachsen auch zu Fuß.

 

Die Reiterei wird hier in weit größerem Maßstab verwendet als auf den früheren Darstellungen der Miniaturen. Das Reitergefecht und der Reiterangriff lösen sich nicht mehr in Einzelkämpfe auf wie früher.

 

Der Angriff wird in mehr oder weniger geschlossener Formation durchgeführt. Zu Pferd erfocht der Normanne seine Siege gegen die meist zu Fuß kämpfenden Sachsen.

 

Die Fußkämpfer benützten die Lanze zum Wurf wie zum Stoß, aber Letzteres nie mit beiden Händen. Der Stoß mit eingelegter Waffe ist selten zu finden. Nur die Fahnenlanzen werden eingelegt oder in der Haltung getragen, dass sie nur eingelegt verwendet werden können.

 

Auf dem Marsch wird die Lanze von der Reiterei meist geschultert getragen, öfter auch in den Steigbügel eingesteckt oder mit der Spitze nach oben seitwärts in der rechten Hand gehalten.

 

Die Lanze wird in ihrem letzten Drittel angefasst, sei es zu Wurf oder Stoß; dieser erfolgt mit nach rückwärts ausgestrecktem Arm in Brusthöhe, teils wird die Lanze über dem Kopf oder in Kopfhöhe geschwungen, letzteres immer beim Fußvolk.

 

Der Teppich von Bayeux beweist uns bei näherem Zusehen, dass hier eine ganz andere Kampfesart dargestellt ist als zur Zeit, wo die karolingischen und ottonischen Künstler ihre Miniaturen nach der ihnen vor Augen schwebenden gleichzeitigen Taktik malten.

 

Die Reiterei war am Ende des 11. Jahrhunderts nicht mehr gleichwertig mit dem Fußvolk – Ansätze dazu sind schon in karolingischer Zeit vorhanden. Sie war Hauptwaffe geworden bei den Normannen. Helm, Brünne, Schild, Schwert und Speer sind ihre Bewaffnung, während die Angelsachsen daneben noch die altertümliche, für beide Hände berechnete Fußstreitaxt führten.

 

Bei den Letzteren fehlt manchmal die vollständige Rüstung. Unrichtig ist die Behauptung Boeheims (Waffenkunde, S. 127), im Teppich von Bayeux seien nur die Spießträger vom ganzen Fußvolk geharnischt gewesen; gepanzerte Fußkämpfer streiten sowohl mit Beil wie mit Schwert. Immerhin ist die Gestalt des schwergepanzerten Lanzenreiters hier der Haupttypus des Bewaffneten.

 

Neben dem Stoß sehen wir häufig auch den Wurf mit der Lanze, hauptsächlich bei der Verteidigung und Berennung fester Plätze und Stellungen. Beim letzten Ansturm der Normannen tragen einzelne sächsische Krieger ganze Bündel meist widerhakiger Wurfspeere, und die Gefallenen haben oft eine Wurflanze in der Todeswunde stecken.

 

Bei den Normannen ist die Lanze als Wurfwaffe nicht mehr häufig zu finden. Die Angelsachsen fechten noch nach der alten Taktik, während bei den Normannen schon die Anfänge einer neuen Angriffsweise zu finden sind.

 

Funde und Miniaturen

Die Funde sowie die Darstellungen der Miniaturen usw. haben wir im Vorhergehenden ausführlich betrachtet; es liegt uns nun noch ob, dieselben miteinander zu vergleichen.

 

Die wenigen in den Miniaturen vorkommenden Lanzen aus merowingischer Zeit entsprachen, wie schon erwähnt wurde, den gleichzeitigen Funden.

 

Nachzuholen ist an dieser Stelle nur noch einiges über eine Abbildung des Ango, die sich auf den Bronzeschmuckplatten eines Helms von Wendel, Upland (Montelius, Kulturgeschichte Schwedens, S. 232, Fig. 369) befindet.

 

Dieser aus der Völkerwanderungszeit stammende Helm zeigt zwei Krieger in Helm und Brünne, die mit Schild und Schwert einander angreifen, nachdem sie ihre Wurfspeere, die unzweifelhaft Angonen sind, gegeneinander geworfen haben. Der eine steckt in einem Schilde, die Spitze ist durchgedrungen, und die Schwere der Lanze drückt den Schild gegen den Boden; der andere Ango hat den unteren Teil der Brünne des Kriegers durchbohrt.

 

Beide Angonen besitzen eine deutlich erkennbare Widerhakenspitze und sind infolge der Gewalt des Wurfes völlig verbogen. Deutlich ist der Holzschaft durch Befestigungsringe von der eisernen Klinge getrennt. Wäre nur die Spitze aus Eisen und der ganze Schaft aus Holz, hätte der Künstler die Waffe nicht S-förmig verbogen, sondern zerbrochen darstellen müssen.

 

Die Klinge nimmt mehr als die Hälfte der Gesamtlänge der Waffe für sich in Anspruch, analog den Funden und der Beschreibung des Agathias.

 

Diese Schilderung des Ango ist die einzige mir genau bekannte. Lindenschmit (Altertumskunde, S. 183, Fig. 80) gibt eine bildliche Darstellung eines Ango aus dem 13. Jahrhundert nach einem Gemälde der Chronik des Matthaeus Paris (wie mir scheint, nach einer etwas zweifelhaften Kopie von Struth, Angleterre ancienne, S. 25).

 

Diese von Lindenschmit als Ango bezeichnete Waffe ist aber völlig identisch mit den Widerhakenlanzen, die wir überall in den Miniaturen angetroffen haben und die mit dem Ango nichts zu tun haben. Lindenschmit scheint diese wahrscheinlich nicht näher gekannt zu haben.

 

Übrigens ist mir weder aus Miniaturen, aus Schriftquellen und sonstigen Zeugnissen, noch aus Funden etwas von der Existenz des Ango im 13. Jahrhundert bekannt geworden.

 

Da leider so wenige bildliche Beweise für die merowingischen Lanzengattungen auf uns gekommen sind, soll das Obige genügen.

 

Auch für die Übergangszeit sind wir schlecht unterrichtet; allein ebenso hier stimmen die Miniaturen etc. – Lanze mit Aufhalter usw. – mit den Funden überein.

 

Erst seit zur karolingischen Periode die Buchmalerei als Quelle zu benutzen ist, erhalten wir gute Resultate.

 

Flügellanzen in Funden und Miniaturen sind analog: Klingen teils breit mit kurzem Hals, teils lanzettförmig mit langem Hals. Während die Flügellanze mit rautenförmiger Klinge selten gefunden wird, treffen wir diese Art in den Miniaturen oft.

 

Alle diese Flügellanzen der Buchmalerei und der übrigen Kleinkunst entsprechen den Funden; allerdings darf man nicht immer absolute Formengleichheit bei jeder Darstellung verlangen, da die Zeichnungen manchmal sehr flüchtig sind.

 

Die in angelsächsisch-irischen oder in von diesen abhängigen Miniaturen abgebildete Flügellanze mit zwei Querknebeln untereinander finden wir in der Wirklichkeit nirgends.

 

Wie bereits bemerkt, dürfte für den Kampf dieser zweite Aufhalter nicht nur unnötig und zwecklos, sondern direkt hinderlich sein; ebenso ist jene Flügellanze mit Widerhakenklinge beschaffen. Beide Formen fehlen in den Funden und auch in den außerhalb der Buchmalerei liegenden Darstellungen auf Elfenbein etc.

 

Die Existenz dieser durch die Funde gar nirgends belegten Waffen erscheint mir zweifelhaft, und solange analoge Funde nicht beigebracht werden können, müssen wir diese Lanzen als ein Phantasieprodukt des Malers oder Zeichners ansehen.

 

Ausschließlich kommt übrigens diese Speerform in keiner Miniatur vor und meist nur in kleiner Anzahl.

 

Ähnlich verhält es sich mit dem gewöhnlichen Widerhakenspeer, wie wir ihn in der Bibel Karls des Kahlen, in der von St. Paul, im Utrechter Psalter und in verschiedenen Einzeldarstellungen bis zum Teppich von Bayeux antreffen.

 

Die Daseinsmöglichkeit dieser Lanzenform, die sehr deutlich z. B. in der Bibel Karls des Kahlen gezeichnet ist – die Klinge ist nicht sehr lang und mit Ringen am Holzschaft befestigt –, sollte man jedoch nicht völlig bestreiten.

 

Obwohl wir keine gleichen Lanzenfunde haben, zeigen viele Pfeilspitzen Übereinstimmung mit den Widerhaken der Lanzen in den Miniaturen, nur in verkleinertem Maßstab.

 

Überhaupt sind die Funde aus dem 10. und 11. Jahrhundert sehr spärlich und nicht so zahlreich wie in der eigentlichen Karolingerzeit.

 

Die übrigen Formen der Funde sind denen der Miniaturen meist analog – so die lanzettförmigen Speereisen, ferner die mit kurzem, starkem, ziemlich breitem und die mit kurzem, blattartigem Eisen im 9.–11. Jahrhundert.

 

Rautenförmige Klingen ohne Flügel sind in den Funden spärlich vertreten, hingegen vom ausgehenden 9. Jahrhundert an in den Miniaturen (Bibel von St. Paul) zahlreich. In den Funden fehlt auch jene Übergangsform von der Flügellanze zu der ohne Flügel – jene mit lanzettförmiger Klinge mit knopfartigem Abschluss der Tülle gegen den Schaft zu.

 

Die lanzettförmige oder blattartige, kurze Lanze bleibt vom 11. Jahrhundert an herrschend, sowohl in der Miniaturmalerei usw. wie im wirklichen Gebrauch.

 

Die örtliche Verbreitung der Funde stimmt für das Karolingerreich und später mit den Miniaturen überein; in den Entstehungsgegenden der Letzteren trifft man auch die nämlichen Funde.

 

Wir haben also gesehen, dass mit wenigen Ausnahmen die Künstler der Miniaturen und ähnlicher Darstellungen bis zum Teppich von Bayeux ihre Vorbilder für die Lanze aus der Wirklichkeit genommen haben.

 

Die meisten Lanzenformen in der Kunst haben um die gleiche Zeit existiert, sind allgemein verbreitet und im Gebrauch gewesen. Dasselbe war bei den früher behandelten Waffen der Fall, insofern sie sich erhalten haben – so bei den Pfeilen und Bogen, dem Beil, und wie wir des Weiteren erkennen werden, auch bei den Schwertern.

 

Schriftquellen

Bei der Schilderung der Funde und der Miniaturen können wir die einzelnen Lanzenarten und -formen, ihre Entwicklung, ihren Zweck und ihre Anwendung unterscheiden und erkennen.

 

Die Schriftquellen hingegen geben uns nur Aufschluss über die Namen der Waffe; wie diese aber aussah, erfahren wir nur an ganz wenigen Stellen. So stehen eine ganze große Anzahl von Lanzenbezeichnungen in den schriftlichen Quellen – an über 500 Stellen, sowohl lateinisch wie althochdeutsch.

 

Diese Benennungen jedoch mit den Funden und Miniaturen zu identifizieren, ist schwer. Dafür sind wir durch die Schriftquellen über die Anwendung der Lanze, ihre Führung im Kampf und im Frieden und ihre weitere Bedeutung gut unterrichtet, sodass auch hier die schriftlichen eine bedeutsame Ergänzung der übrigen Quellen darstellen.

 

Eine Unterscheidung der merowingischen von den karolingischen Lanzennamen fand durch die zeitgenössischen Schriftsteller nicht statt, und so können wir aus den bloßen Namen weder die Zugehörigkeit einer Lanze zu einer bestimmten Epoche noch ihre Entwicklung erkennen.

 

Die in den Schriftquellen vorkommenden Lanzen sind mit den folgenden Worten bezeichnet:

 

Die Hauptform ist lancea (ungefähr ein Drittel der vorkommenden Namen), ahd. sper; in den Glossen zweimal dart – diese Bezeichnung werden wir später erklären. Dann folgt die zweithäufigste Benennung hasta, ahd. schaft, speraschaft, stanga. Weniger oft treffen wir auf iaculum, ahd. wurfskuzzi; spiculum, ahd. gisceoz; selten tart; cuspis, ahd. speoz, stachila; missile, ahd. ker, gisoz, scoz, spiril; contus, ahd. stanga; hastile, ahd. schaft.

 

Ferner stoßen wir auf die vereinzelten Benennungen pilum, ahd. speoz, pfil; lanceola, ahd. stral, spirili; venabulum, ahd. spiez – nur als Jagdwaffe; veru, ahd. spiz, eigentlich Bratspieß, jedenfalls eine dünne und spitze Waffe; falarica, ahd. swinspeoz; sparus, sparo, ahd. sper; sudes, ahd. steccan – meist als Lanzen, zugespitzte und im Feuer gehärtete Holzschäfte ohne Klingen.

 

Im Notfall, bei Belagerungen, finden wir zur Karolingerzeit solche sudes als Waffen; tridens, ahd. sper, sogar misgapal – im Waltharilied bedeutet tridens den Ango. Weiter noch: contulus, sarissa, spleuthrum, framea, romphaea, dardum; letzteres ahd. clart, tart.

 

Zu dieser Waffe bemerkt Boeheim (Waffenkunde) und auch Jähns (Trutzwaffen):

 

Nicht früher als im 8. Jahrhundert begegnen wir einer Wurfspießgattung Dard. Es war dies eine Spießsorte mit flacher, scharfer Spießklinge und mit rückwärts, nach der Art eines Pfeiles, befiedertem Schaft.“

 

Und Jähns ergänzt:

 

Es wurden nun nach dem 9. Jahrhundert noch leichte Wurfspieße geführt, die nach orientalischem Vorbild rückwärts, meist pfeilartig, gefiedert waren.“

 

Diese Form hatte man offenbar in den Kämpfen mit den Mauren in Spanien schon unter Karl dem Großen kennengelernt und nannte sie Dards, Algiers oder Gavelots.

 

Dard (auch darcle, clart) stammt angeblich vom arabischen djerid = Wurfspieß. Im Schrifttum erscheint der „Darz“ zuerst um 1180 im Ruolandesliet; der Name ging später auf gemeine Spieße über.

 

In den Quellen aber habe ich lange vor 1180 den Namen Dardum gefunden. Liber Papiensis Ludowici Pii 13 in einer Glosse: spatam i. e. lanceam aut dardum Abbonis de bello Parisiaco I II v. 27: Clipeum gestansque cateiam i. e. dardam; ebenda II 213: dardique volant; ahd. Glossen II B. 463,72: lancea = tart, sagitta; 539,65: spicula = tarta; 546,60: lancea = tart; 673,59: spicula = darta.

 

Aus den Fundstücken des 9.–10. Jahrhunderts ist aber keine derartige Waffe erhalten, auch die Miniaturen zeigen nirgends den Dard Boeheims und Jähns’. Die gleichzeitigen Schriftquellen wissen ebenfalls nicht recht, was sie mit dieser Bezeichnung anfangen sollen; erst die späteren Glossen bezeichnen ihn als Wurfspeer.

 

Diese spärlichen Erwähnungen in allen Quellen lassen als wahrscheinlich erkennen, dass der Dart zu unserer Zeit gar nicht allgemein im Gebrauch war. Er wird daher erst – wie der Gabilot, Atziger und Ähnliches – Ende des 11.–12. Jahrhunderts als bekannte Waffe aufgetreten sein.

 

Wie der sparus und das spleuthrum, so wird auch die romphaea und framea in unserer Zeit selten erwähnt (Widukind, res gest. Sax. IV 25); sonst bedeutet romphaea meist das Schwert.

 

Über den Ango ist noch später zu reden. Die hasta signifera wird im Zusammenhang mit der Behandlung der Fahnen besprochen werden.

 

Die häufigsten Lanzenbezeichnungen in den Schriftquellen sind also lancea, hasta, iaculum, spicula, cuspis, missile, contus und das unbestimmte telum, das sowohl Pfeil wie Wurf- oder Stoßlanze bedeuten kann.

 

Wir wollen im Folgenden bei den betreffenden Quellenstellen versuchen, den Gebrauch und die Verwendung der Lanze im Krieg und Frieden zu ermitteln, daneben auch ihr Aussehen.

 

Bei vielen Angaben ist der Ausdruck für „Lanze“ unbestimmt, und sehr oft ist keine genaue Unterscheidung bei der Anwendung der Waffe zu Wurf oder Stoß möglich. Immerhin kann man ein Resultat erhalten, das genügt, um die Kampfesweise mit der Lanze zu bestimmen.

 

In den Prosaquellen treffen wir die Lanze im gleichen Verhältnis als Wurf- und Stoßwaffe; in der früheren Zeit (Gregor von Tours u. a.) überwiegt der Wurf. Die zahlreichsten Benennungen für den Wurfspeer sind hasta, spiculum, iaculum, missile, cuspis, ger; für den Stoßspeer lancea und contus. In den poetischen Quellen ändert sich das Verhältnis – da werden die Lanzen beinahe ausschließlich als Wurfwaffen gebraucht.

 

Die einzelnen Bezeichnungen lassen leider keinen Schluss auf das Aussehen der Lanze zu. Die Autoren verfahren sehr willkürlich: so kommt für Wurf und Stoß die gleiche Benennung vor; lancea wird im gleichen Verhältnis für beide Fechtarten verwendet, ebenso hasta, vereinzelt auch cuspis. Contum bezeichnet jedoch immer den Stoßspeer, wie iaculum, spiculum, missile die Wurflanze.

 

Wurf- sowie Stoßlanzen werden zu Fuß wie zu Pferd geführt. Eine genaue Unterscheidung von Wurf und Stoß hat in den Schriftquellen nicht stattgefunden; ebenso sind genaue Beschreibungen der Lanzenform selten. Trotzdem ist es der Mühe wert, sie näher zu betrachten.

 

Als speziell merowingische Waffe müssen wir den Ango ansehen; da er in der Karolingerzeit außer Anwendung kam, können wir auf seine nähere Beschreibung in den früheren Schriftquellen verzichten und auf die Darstellung Lindenschmits (Altertumskunde p. 178 ff.) verweisen, ferner auf San Marte (Waffenkunde p. 160 ff.). Den Gebrauch schildert Agathias II 5 und Walthari 983 ff.

 

In den ahd. Glossen wird ango mit aculeus oder spiculum, aculeus ab acu = ango übersetzt. Die Eigilsaga (Bartholini, Antiquitates Danicae XI 8) berichtet:

 

Thorulf hielt einen Speer in der Hand, dessen Eisen zwei Ellen lang in eine gegen oben vierschneidige, gegen unten breitere Spitze endigte und zwischen Spitze und Schaft lang und stark war. Der Schaft war nicht länger, als dass er ihn mit der Hand erreichen konnte. Eisern war die Speerstange, und der Schaft war überall in Eisen gefasst. Diese Speere wurden Panzerbrecher genannt.“

 

Dieser Ango wird wahrscheinlich auch in Beowulf 1438 gemeint sein: Schnell wurde er (das Seeungeheuer) aus der Flut mit Jagdspeeren, die mit scharfen Widerhaken versehen waren, stark in die Enge getrieben.

 

Dieser Speer Thorulfs entspricht vielleicht jenen bei den Funden geschilderten angonartigen Eisenlanzen ohne Widerhaken, deren vierkantiger Schaft in eine Spitze ausläuft. Widerhakenlanzen könnten zum Panzerbrechen nicht gebraucht werden, da man sie nicht mehr herausziehen könnte. Die späteren Schwerter, die Panzerstecher genannt wurden, sind nach dem gleichen Prinzip konstruiert, ebenso die Ahlspieße.

 

Walthari 480 scheint ebenfalls eine solche Lanze zu führen, denn er schlägt seinen Gegner mit der Lanze zu Boden: hastam manibus levat ocius ambis et ferit. Ille cadit … Dann benutzt Walther erst seine hasta telluri infixerat illum. Zum Wurf war dieser Speer viel zu schwer. Er erscheint nur ausnahmsweise als Waffe von Helden und ist uns in ganz wenigen Exemplaren (Mainz) erhalten geblieben. In der deutschen Heldensage dürfte diese Waffe mit der Stange der Riesen identisch sein.

 

Im Isländerbuch I p. 56 kommt ein Hakenspeer mit goldbeschlagenem Schaftring vor und p. 190 ohne die Bezeichnung Hakenspeer; p. 233 wird ein Spieß erwähnt, dessen Blatt eine Elle lang und dessen Schaft mit Eisen beschlagen war; ferner Sedulii Scotti de rectoribus christianis carm. XVI 10: Lancea vulnipotens sicut harundo valet. Alle diese Stellen weisen auf den Ango hin.

 

Wie die übrigen Lanzen der Merowinger- und der Karolingerzeit im Allgemeinen ausgesehen haben, erfahren wir aus den schriftlichen Zeugnissen nicht – nur curiosa werden angeführt.

 

Das Fehlen der Lanzenbeschreibungen rührt daher, dass eine so gewöhnliche, von allen Kriegern geführte Waffe vom Geschichtsschreiber oder Chronisten ebenso wenig wie vom Dichter der näheren Schilderung wert erachtet wurde, da diese die Kenntnis des Aussehens als selbstverständlich voraussetzen mussten. Ähnlich verhält es sich mit dem gewöhnlichen Schwert.

 

So gut uns die Funde und Miniaturen über das Aussehen der Lanze aufklären, so wenig ist das in den Schriftquellen der Fall.

 

Jedoch können wir die Anwendung und Wirkung der Lanze im Kampf erkunden. Eine sichere Unterscheidung ihres zweifachen Gebrauchs ist nicht möglich. Nur einige wenige Stellen geben Aufschluss.

 

Im Waltharilied gebraucht der Held den contus ferratus sowohl zum Wurf wie zum Stoß, ebenso die anderen Kämpen ihre Lanze. Mehrmals kommen Lanzenstöße vor, die den Gegner völlig durchbohren, an den Boden oder an eine Wand spießen. Die Lanze durchdringt Schild und Brünne.

 

Die Ausdrücke transverberare, trans-con-perfodere, perforare, figere, de-in-per-transfigere, percutere weisen alle auf eine große Wucht des Stoßes hin. Wir müssen daher neben den leichteren auch schwerere und ganz schwere Klingen und dementsprechend kräftige Lanzenschäfte annehmen. Die Funde bestätigen dies für die Klinge, aus deren Tüllenweite wir eine Anschauung von der Schaftstärke gewinnen.

 

Auch im Beowulf treffen wir diese schweren gere:
235: mit Wucht schwenkte er den
ger, das Kraftholz –
1247: das Kraftholz, das gewaltige –
Chronicon Salernitanum c. 91: lancea mirae magnitudinis
Im
Mon. Sang. II c. 12 spießt ein Krieger in avicularum modum seine Gegner auf die Lanze!

 

Über die zu diesen Lanzen gehörigen Schäfte, welche in den Funden ganz erhalten fehlen, erfahren wir, dass sie aus Eschenholz, Hartriegel und Eibe gefertigt wurden, also aus sehr zähen Holzarten.

 

Beowulf 328: die Speere, die grauen Eschenhölzer –
401: die hölzernen todbringenden Schäfte –
2043: ein alter Eschenkämpfer –
1773: mit Eschen und Schwertern –
Hildebrandslied 63: dô lettun se aerist askim scrîzan, dat in den sciltun stônt („Da ließen sie zuerst Eschen (Lanzen) ausschreiten [fliegen]“).

 

Im Walthari kommt als Bezeichnung der Schäfte vor:
186:
fraxinus et cornus
771:
ferratam cornum graviter iecit
888:
nodosam destinat hastam
1295:
fraxineum hastile iecit.

 

Die Lanzenklinge wird außer den folgenden Stellen nicht geschildert.

 

In Liudbrands Liber Antapodosis IV, c. 24 und 25 wird die heilige Reichslanze angeführt, getragen vom Kaiser Heinrich I.:

 

ante victoriferos clavos manibus domini et salvatoris nostri Jesu Christi suaeque lanceae impositos in orationem dedit.

 

Dann folgt die Beschreibung:

 

Erat enim excepta ceterarum specie lancearum novo modo novaque elaborata figura, habens iuxta lumbum medium utrobique fenestras. Hec pro pollicibus perpulcrae duae acies usque ad declivum medium lanceae extenduntur. Hanc ... Helenae fuisse adfirmant, quae media in apina, quam lumbum superius nominavi, ex clavis manibus pedibusque domini et redemptoris nostri Jesu Christi adfixis cruces habet.

 

Diese Lanze sah nicht aus wie eine gewöhnliche Lanze, sondern war auf eine ganz besondere Art gearbeitet und von ganz neuer Gestalt, denn sie hat neben dem mittleren Schenkel auf beiden Seiten Löcher. Diese zum Einlegen der Finger sehr schönen Reihen ziehen sich bis zur Mitte der Lanze herab, und auf dem mittleren Grat, den ich oben Schenkel nannte, befinden sich Kreuze aus den Hand- und Fußnägeln Christi.

 

Diese sonderbare, ziemlich unklare Beschreibung Liudbrands passt aber auf eine Flügellanze, welche sich in der kaiserlichen Schatzkammer in Wien befindet und als Lanze des hl. Mauritius gilt, jedoch aus dem 9. Jahrhundert stammt. Dort sind über dem mittleren Grat der Klinge, nicht weit von den Flügelansätzen entfernt, kreuzweise je zwei Nägel angebracht. Das Missale Kaiser Heinrichs II. in Bamberg zeigt uns den Kaiser ebenfalls mit der heiligen Lanze (Hefn.-Alt. Tracht, T. 49); allein die Klinge befindet sich in einem goldenen, mit Edelsteinen reich verzierten Futteral.

 

Wir müssen also annehmen, dass eine solche merkwürdige Lanze, wie sie Liudbrand als wunderkräftige Reichslanze (sancta romphaea) beschreibt, wirklich existiert hat. Widukind (Res gest. Saxon. I, c. 25) erwähnt unter den Reichsinsignien, die Heinrich I. überbracht wurden, ebenfalls die lancea sacra a. 918. — Ferner wird in Thietmar von Merseburgs Chron. IV, c. 31 die lancea sacra genannt, — des Weiteren Thangmari Vita Bernwardi c. 24: dominica hasta, sancta hasta sancta hasta in principio (proelio) terribiliter fulminante — c. 38 dominica hasta, die Lanze des Herrn, d. h. Jesu Christi, so benannt wegen der Nägel vom Kreuz.

 

Daneben erfahren wir noch von einer Lanze des hl. Mauritius in den Casus S. Galli c. 65:

 

Ipse sancto Mauritio in cuius ense et lancea pugnabat, laudibus triumphat.

 

Die vorhin herbeigezogene Miniatur mit der heiligen Lanze, deren Schaft noch die Astknoten zeigt, erklärt uns den Ausdruck nodosus, der im Walthari 888 für eine Lanze gebraucht wurde. Diese Astknoten sollten teils als Zier gelten, teils das Ausgleiten der Waffe aus der Hand verhindern. — Auf die Flügellanze kann auch Walthari 1294 hindeuten: usque ad clavos infixa solo.

 

Als Sonderbarkeit mag noch (Isländerbuch I 97) erwähnt werden, dass aus zerbrochenen Schwertstücken ein Spieß geschmiedet wurde: „Es waren Worte darein geritzt und der Griff eine Spanne lang im Eisen.“ Diese Klinge mit eingeritzten Runen entspricht den Funden (Lindenschm. Alt. p. 167). Weitere Stellen, die die Lanzenklinge genauer schildern, sind mir nicht bekannt geworden. Doch sind ja durch Funde und Miniaturen die Lanzenformen für unsere Zeit genügend belegt.

 

Besser unterrichten uns die schriftlichen Zeugnisse über den Gebrauch der Lanze im Kampf und ihre Wirksamkeit.

 

Zuerst griff man beim Kampf zum Speer, sowohl zum Stoß wie zum Wurf; dann trat das Schwert in Tätigkeit (die näheren Belege hierüber sind bei der Darstellung des Schwertes zu finden). Der Germord (Beowulf 2044) leitete den Kampf ein, es kommt ad punctum lancearum (Notae hist. Sangallenses a. 841). Meist werden, wenn kein geschlossener Stoßangriff erfolgt, densatique lanceis obversis illos feruntur (Richer hist. lib. I 8), die Speere in großer Masse geworfen: Ermoldi Nig. In hon. Hludowici pii imp. I 311 und 352 spicula clensa cadunt — Liudbrandi Antapod. I II 31 iaculorum fulmina — Agnelli Lib. pontif. eccl. Ravenn. c. 140: ut segetes spicula iacite — Adalboldi Vita Heinrici II. c. 40: iaculorum densitatem.

 

Die Masse der Speere bildet einen Lanzenwald — Richer hist. lib. III 69: ut erecta hastilia lucum potius quam arma portenderent. — Das Isländerbuch erwähnt I p. 123: Sturm der Speere droht — 150: Sturm der Feindesspeere.

 

Auch im Einzelkampf, dessen Schilderung in den Schriftquellen am meisten Raum beansprucht, wird zuerst zur Lanze gegriffen, und nur wenn diese zufällig fehlt, nimmt man eine andere Waffe (Paulus Diaconus VI 52). Erst nach dem Speer tritt das Schwert ein. Die Lanze sollte nur zum ersten Einbruch in die Feinde dienen, sei’s durch ihre Wurf- oder ihre Stoßwirkung. Mehr als zwei Wurfspeere, die von einem Krieger geführt werden, erwähnen die Schriftquellen nicht (Walthari 766). Es musste also darauf ankommen, durch Größe und Stärke die Waffe wirkungsvoller zu gestalten; und diese Entwicklung zeigen auch die Funde.

 

Die spärlichen Einzelheiten unserer Zeugnisse über die Wirkung der Lanze sind in den folgenden Stellen zusammengefasst:

 

Greg. tur. IX 35: emissa lancea ... cuius medium alvum ictu penetrans a tergo egressa falarica — Richer I 46: Ille ... laetaliter ictu accepto ab eo in dextrum obliquatur. Etsi per loricam manicae lancea eum in latere gravissimo ictu sauciat necnon et per epar atque pulmonem et sinistri lateris hypocundriam ferrum usque in clipeum transigit. ibid. II 35 a. 943: per loricae manicam pene usque ad sinistri lateris ypocundriam lancea sauciat Contin. Reginonis Trevirens. a. 922: ita lancea infixit, ut diffisa linqua cervicis posteriora penetraret — Liudbrandi Antapod. e. 114: Spicula scinduntur validae quis terga loricae Chron. Salernit. c. 83: eum lancea quae in manu gerebat in pectore forti ictu percussit, perforavit eius lorica et exiguum eum in pectore sauciavit Panegyricus Berengarii I 234: valde gravis curvus perfringit lancea costas Fragment der Schlacht von Finnesburg 5: „Die Vögel (Pfeile) singen, es gellt das Graukleid (Brünne), das Kampfholz (Lanze) tönt, Schild klagt dem Schafte“ — Walthari 673: hastam transmisit. At illa per laevum latus umbonis transivit ib. 776: Lancea taurino contextum tergore lignum diffidet ac tunicam scindens pulmone resedit.

 

Nicht immer aber hatte die Lanze diese Wirkung; oft widerstand die Rüstung. Solche Fälle sind wahrscheinlich deswegen so selten erwähnt, weil die Autoren meist nur die üblen Folgen des Speerwurfs, also seinen Erfolg, berichten.

 

Vita Remigii episcopi Remensis auct. Hincmaro c. 19:
Cum contis eum in latera feriunt, sed propter loricam, qua indutus erat, laedere nequiverunt.

 

Walthari 963:
Ac mox ferrato petiit sub pectore conto, et nisi duratis Welandia fabrica giris obstaret, spisso penetraverat ilia ligno.

 

Greg. Tur. VII 38:
Inmissa lancea voluit eum transfigere, sed repulsa a circulis loricae nihil nocuit.

 

Alle diese Wirkungen des Lanzenwurfs oder Stoßes auf die Rüstung zeugen von einer starken Waffe.

 

Je vollkommener die Schutzwaffen wurden, umso wuchtiger mussten sich die Lanzen gestalten. Von den verhältnismäßig leichten Klingen der Merowingerzeit weg entwickelte sich ein steter Wettbewerb zwischen Schutz- und Trutzwaffen, wie zur Jetztzeit zwischen Panzerplatten und Kanonen. Diese Entwicklungsreihe führt durch unsere ganze Zeit ins 11. und 12. Jahrhundert und fand ihren Abschluss erst im späten Mittelalter. Funde und Miniaturen lassen das Gleiche erkennen. Der Wurfspeer wird allmählich weggelegt, und ausschließlich zum Stoßspeer gegriffen. Wie mit Lanze und Panzer verhält es sich auch mit Schwert und Helm.

 

Von der Frühzeit bis ins Mittelalter hinein hatte der Speer noch eine symbolische Bedeutung. Er galt als Zeichen des Freien schlechthin; ja sogar der Freie wurde als Lanze bezeichnet, wie wir heute noch in der Militärsprache von so und so viel „Säbeln und Gewehren“ reden.

 

Lex Thuringorum 34:
Et tunc demum hereditas ad fusum a lancea transeat (lancea sign. virorum ingenuorum, quae sunt insignia lancea gladiusque saepissime in lingua Germanica eos ipsos significant).

 

Dahin gehören auch die Ausdrücke spermage, germage. Der juristische Ausdruck Subhastation – eigentlich „unter das Speerrecht stellen“ – ist noch heute üblich. Die Übergabe eines Speers ist das Symbol zur Investitur in eine Herrschaft.

 

Greg. Tur. VII 33:
Post haec rex Gunthrammnus data in manu Childeberti hasta ait: Hoc est indicium, quod tibi omne regnum meum tradidi.

 

Paul. Diac. VI 55:
Contum sicut moris est gegeben.

 

Diese Sitte erhielt sich bis in die Feudalzeit.

 

Thietmari chron. VI 3:
Henricus cum hasta signifera ducatum dedit.

 

Neben dem Speer beanspruchte auch das Schwert diese Bedeutung. Den Hörigen untersagte noch Karl der Große das Tragen des Speers:
Ut servi lanceas non portent, qui inventus fuerit, post bannum hasta frangatur in dorso eius.

 

In keinen Wehrpflichtkapitularien, welche die Waffenausrüstung bestimmen, fehlt zur Karolingerzeit die Lanze; sie ist die allgemeine Waffe und war auch nicht so kostspielig wie die Spatha. Die Lex Ripuaria XXXVI 11 setzt den Wert von Speer und Schild auf zwei Solidi, also gleich einem Ochsen oder zwei Kühen, wobei zu bedenken ist, dass ein Schild infolge seiner Ausstattung bedeutend teurer kam als eine Lanze.

 

Im Frieden durfte die Lanze nicht getragen werden, nur das Schwert war erlaubt: Capitulare missor. in Theodonis villa 805 — Liber Papiensis Caroli Magni 20 — Lib. Pap. Pippini 40. In der Kirche war das Waffentragen überhaupt verboten, ebenso für Kleriker, was aber sehr oft übertreten wurde.

 

Die Niederlegung der Lanze (Schaftlegi) bedeutete Waffenstillstand und Frieden: Capit. missor. Wormatiense c. 13. Aug. 829 — Edictum Pistense c. 33 Nov. 862.

 

Bei der Aufzählung des geistlichen Rüstzeugs wird genannt: die Lanze der Lesung (lectionis), des Wortes Gottes (verbi Dei), des Teufels (diaboli), des Schmerzes (doloris), der Traurigkeit (tristitiae).

 

Funde, Miniaturen und Schriftquellen

Wir haben aus der früheren Behandlung gesehen, dass die Lanzenformen und -arten sowie ihr Gebrauch in den Funden und den Darstellungen der Miniaturen und Verwandtem übereinstimmen. Die schriftlichen Quellen führen uns zum gleichen Resultat. Die allerdings spärlich erwähnten Beschreibungen der Lanzenform stimmen mit Funden und Miniaturen überein. Ganz besonders analog sind die Schriftquellen den Miniaturen beim Gebrauch und der Verwendung der Lanze, und gerade über die sonstige Bedeutung des Speeres geben uns nur die Schriftquellen Aufschluss.

 

Die Führung des Speers, sei es zu Wurf oder Stoß, erkennen wir entsprechend in den Schilderungen der Schriftquellen wie auch in den Miniaturen. Ebenso Größenmaße, Wurf- und Stoßwirkung finden sich in allen Quellen unseres Gebietes gleichermaßen.

 

Nirgends stehen die Schriftquellen der Karolinger und der späteren Epoche im Widerspruch mit den Funden und Miniaturen jener Zeit, weder in Form noch im Gebrauch im Kriege. Wenn auch einzelne in den Miniaturen vorkommende Lanzenarten keine Analoga in den Funden aufweisen, so dürfen wir doch im Großen und Ganzen als bewiesen ansehen, dass Übereinstimmung herrscht zwischen den Lanzen in den Funden, den Darstellungen der Miniaturen und den schriftlichen Überlieferungen für die ganze Karolinger- und die ihr nachfolgende Zeit – wenn nicht immer sicher in der Form, so ganz gewiss im Gebrauch. 


Quelle: Die Trutzwaffen der Karolingerzeit vom 8. bis zum 11. Jahrhundert