Funde
In großer Zahl sind uns in den Grabfunden vom 5. bis zum 8. Jahrhundert einschneidige Kurzschwerter erhalten; sie bildeten neben dem Speer die Hauptwaffe des gewöhnlichen Kriegers der Merowingerzeit.
Dann werden anfangs der Karolingerzeit die Funde selten und verschwinden später völlig; das Schwert tritt an ihre Stelle. Das Messer findet nur noch Verwendung als Hausgerät, daneben auch als Mordwaffe. Das zu Wurf und Stich benutzbare Messer der Frühzeit in seinen verschiedenen Größen entwickelte sich gegen das Ende der Völkerwanderungszeit zu einer furchtbaren, gewichtigen Waffe, dem Kurzschwert, Scramasax, Semispatha. Dieses Schwert ist immer einschneidig.
Die Klinge der Merowingerzeit ist ganz gerade, ihre Spitze befindet sich entweder in ihrer Mittellinie oder am Ende der Schneide, sodass der Rücken oft von großer Breite nach vorne ausbiegend in die Schneide verläuft.
Diese Waffe ist uns in verschiedenen Größenverhältnissen erhalten. Lindenschmit (Altertumsk. p. 205 ff.) unterscheidet drei Arten von Kurzschwertern:
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die kleine Art des Sax, 22–33 cm lang, 3–3½ cm breit, in der Eigenschaft als Wurfwaffe (in den Schriftquellen nicht sicher bezeugt);
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den Langsax, 40–60 cm lang, ... cm breit, mehr für Stoß und Schnitt;
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den Scramasax, 44–76 cm lang, 4–6½ cm breit, mit starker Breite des Klingenrückens, 6–10 mm, sogar 12 mm, als wuchtige Hiebwaffe gebraucht.
Scramasax und Langsax sind aber in ihren Größenverhältnissen so ähnlich, dass sich ein prinzipieller Unterschied wohl nicht länger halten lässt. Langsax und Scramasax können übrigens auch nach der Lindenschmit’schen Definition gleicherweise zu Hieb und Stich verwendet werden.
Es mögen hier einige durchschnittliche Maßangaben über von mir gemessene Kurzschwerter folgen. Von 19 Scramasaxen im Schweizerischen Landesmuseum Zürich beträgt die durchschnittliche Länge 53 cm; die kürzesten Stücke 31–34 cm, die längsten 72–75 cm. Die Rückenbreite betrug zwischen 4–9 mm, die Klingenbreite 4–6 cm, selten weniger als 4 cm. Die Funde der Schweiz sind meist nicht so lang wie die der Rheinlande.
Von 38 Scramasaxen im Paulusmuseum Worms betrug die Durchschnittslänge 55 cm; die kürzesten Stücke 37, 41, 44 cm, die längsten 64, 66, 72 cm. Die Rückenbreite variiert je nach der Klingenlänge: 6,5–9 mm breit; die Klingenbreite ist 4–6 cm. Das Gewicht der Scramasaxe richtet sich nach ihrer Größe, bis zu 900 g; bei vollständiger Montierung mag eine solche Waffe gut ein Kilo und darüber schwer gewesen sein.
Die gleichen Maße zeigen die Scramasaxe im Museum Mainz.
Das Prinzip der Konstruktion und die Form beider von Lindenschmit getrennten Scramasaxarten sind die gleichen, nur die Größenverhältnisse variieren; auch die Quellen kennen in ihrer Benennung keinen Unterschied zwischen Lang- und Scramasax.
Wir dürfen daher die aus dem gewöhnlichen Sax entstandene einschneidige, bald kürzere, bald längere Waffe mit dem Gesamtnamen Scramasax bezeichnen.
Während das Messer einfach als Hausgerät diente, ist der Scramasax eine für Hieb und Stich gleich geeignete gefährliche Kriegswaffe.
Die meisten Scramasaxklingen weisen die sogenannten Blutrinnen auf; nahe bei dem Rücken befinden sich eine oder mehrere dem Rücken parallel laufende vertiefte Rinnen, die ein leichteres Reinigen der blutbefleckten Klinge ermöglichen und zugleich zur Verzierung der Klinge dienten. Ganz selten weist die Klinge weitere Verzierungen auf (Scramasax aus Regensdorf, Schweiz. Landesmuseum Zürich: zwischen den Blutrinnen Bandornamentik; auch Einlagen von vergoldeten Bronzestreifen; Westdeutsche Zeitschrift X 4, 5; Lindenschmit Altert. 214 fig. 112).
Der Griff oder die Angel des Scramasax ist oft, meist bei breitklingigen Exemplaren, für den Gebrauch beider Hände eingerichtet. Die größte Angellänge beträgt 27–29 cm, meist ca. ⅛ der Gesamtlänge. Die Angel verjüngt sich nach oben; sie endet oft in einem kleinen Knauf aus Eisen oder Bronze, der häufig nicht mehr erhalten ist. Oder die Angel wird, nachdem die Hülse darüber geschoben worden ist, oben umgeschlagen; auch mit Beschlägen wurde der Griff festgehalten.
Der Griff bestand aus Holz, mit Leder überzogen, oder aus Beinstücken, die durch dazwischenliegende Metallscheiben befestigt waren (Hampel Ung. Alt. I 96 fig. 136, 137; Lindenschmit Alt. 209 fig. 109/10). Daneben findet man Holzgriffe, die durch Bronze- oder Eisenbänder – oben beim oder an Stelle des Knaufs, in der Mitte und am Ende des Griffs gegen die Klinge zu – angebracht sind (Funde aus Dirnstein, Paulusmuseum Worms). Ein bloßer Holzgriff kommt auch vor (Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde I 4).
In Merching (Bayern) wurde ein Messer von 24,5 cm Länge gefunden, mit breitem Rücken und langer Angel, auf die ein reich mit Flechtornamenten verzierter Griff aus Knochen geschoben ist. Der Griff schließt an beiden Enden mit einer Hülse aus gerieftem Silberblech ab. Eine Parierstange oder Platte fehlt.
Die Scheide der Scramasaxe war aus Holz; Spuren von Lederüberzug sind auch erkennbar. Sie ist verziert mit Lederpressung, Bronzeknöpfen, Halbmonden, Scheiben etc.
Das Scheidenmundstück bestand aus Eisen oder Bronze, bei vornehmen Grabfunden sogar aus Gold mit eingelegten Almandinen (Grabfund von Tournai). Wir müssen bei der Schilderung der Schwertscheide noch auf diese Verzierungen zurückkommen. Die Form des Scheidenmundstücks entsprach der Rückenbreite des Scramasax, am Rücken weiter als an der Schneide, entweder gewölbt oder gerade.
Das Ortband, oft aus Silber oder Bronze, mit Knöpfen oder Gravierung verziert, ist entweder an den Ecken abgerundet oder zugespitzt, selten rechtwinklig abgeschlossen (Tournai). Die Grabfunde zeigen in Übereinstimmung mit den Schriftquellen, dass der Scramasax auf der rechten Seite getragen wurde, die Spatha immer auf der linken.
In der Frühzeit bis tief in die Merowingerzeit war der Scramasax die Hauptwaffe neben Lanze und Wurfbeil; das Schwert war seltener. In den Grabfunden der Alamannen, Burgunden, Franken treffen wir diese Waffe am häufigsten in den Rheinlanden, und zwar in allen Größenverhältnissen. In sächsischem Gebiet und bei den Friesen, wo die Schriftquellen den Scramasax als Urwaffe erwähnen – ja, wo der Volksname von dieser Waffe stammt – auch bei den Angelsachsen, sind die Funde spärlich.
Vermöge der leichteren Herstellung und der dadurch bedingten verhältnismäßigen Billigkeit war der Scramasax weiter verbreitet als das schwierig herzustellende Stahlschwert; die Formen bleiben sich aber überall gleich.
Scramasaxe in der Karolingerzeit
Für die Karolingerzeit waren früher keine Scramasaxe aus den Funden bekannt. Erst neue Ausgrabungen aus Einzelgräbern haben ihre Existenz bewiesen. Diese Funde sind durch die übrigen Beigaben als karolingisch erkannt worden.
Solche riesige Langsaxe, die sich durch ihre Länge von den merowingischen unterscheiden, wurden gefunden bei Ehring (Museum Mainz). Dieser hat die Länge einer Spatha, 92 cm, und eine Breite von 5 cm, ist einschneidig; erhalten hat sich auch das Ortband, Silber mit silbernen Knöpfen verziert (Röm.-germ. Centr.-Mus. B. 5 t. 36), ferner bei Polling (Museum Mainz) 86 cm lang, Griff 17 cm, Klinge 69 cm und 4,8 cm breite Klinge.
Die in den merowingischen Gräbern gefundenen Scramasaxe gehen nicht über 76 cm Länge hinaus. Rygh N. O. f. 498 bildet zwei nordische Waffen dieser Art ab, die eine 87 cm, die andere 80 cm lang; ebenso treffen wir bei Lorange (Yngre Jern. f. 491) einschneidige Schwerter von gleicher Größe mit spezifisch karolingischer Parierstange nebst Knauf.
Aus den Schriftquellen werden wir ersehen, dass diese langen einschneidigen Saxe oder Schwerter bis ins 13. Jahrhundert, sogar als Zweihänder, bezeugt sind.
Wir dürfen aus dem Fehlen der Scramasaxe seit dem Ende des 8. Jahrhunderts annehmen, dass diese Waffe in jener Periode verdrängt wurde. Nur als Weidmesser und Hirschfänger hat er sich in seinen letzten Formen erhalten. Der aus dem Scramasax entstandene einschneidige Sax von Schwertlänge allein wurde in die Karolingerzeit hinübergenommen und hat sich hauptsächlich im Norden noch behauptet.
Miniaturen
So reichlich die Funde von Scramasaxen sind, so selten ist ihre Darstellung in der Malerei und Bildnerei.
Westwood (Angl. sax. a. ir. mms. t. 26 Gospels of St. Thomas VIII cent.) bildet ein Messer ab, wahrscheinlich mit Scheide; genaue Details sind nicht zu erkennen: Ansatz einer Parierplatte oder -stange, Knauf mit Knopf.
Der Codex Ecberti (Kraus t. XLV) stellt Petrus dar, wie er sein Schwert zückt. Der Griff dieser kurzen, scramasaxähnlichen Waffe erscheint mehr wie halb so lang wie die Klinge, deren Spitze in die Schneide ausläuft, in leichtem Bogen vom Rücken her; auch eine Blutrinne ist erkennbar. Der Künstler dürfte hier eine scramasaxähnliche Waffe dargestellt haben. Sie wird trotz der Länge des Griffs nur mit einer Hand geführt.
Ob der auf der silbernen Schwertscheide von Gutenstein (Museum Stuttgart) (R. G. C. M. B. IV t. 29) dargestellte Krieger einen Köcher oder einen Scramasax trägt, ist nicht deutlich erkennbar. Im 9. und 10. Jahrhundert zeigen ein Diptychon des Halberstädter Domschatzes und ein Porphyrrelief an der Markuskirche in Venedig drei mit dem Scramasax bewaffnete Krieger.
Ersterer führt einen Scramasax von gewöhnlicher Länge in der Scheide, am Ort horizontal abgeschnitten; der Griff entspricht den aus den Funden bekannten Beingriffen und ist zweihändig. Beim Relief sind zwei Fürsten mit dem Scramasax bewaffnet; die Formen sind die gleichen wie beim Diptychon, nur die Scheiden sind reich verziert, die Griffe enden in Vogelköpfe (wahrscheinlich byzantinische Arbeit).
Aus diesen einzig mir bekannten und dazu noch ganz unzuverlässigen Darstellungen des Scramasax in den Miniaturen und auch sonst dürfen wir, entsprechend den Funden, schließen, dass der Scramasax Anfang des 8. Jahrhunderts außer Gebrauch gekommen war.
Schriftquellen
Das Kurzschwert finden wir in den Quellen der Merowingerzeit oft genannt, in der Karolingerzeit dagegen selten; es verhält sich ähnlich wie mit den Funden, die sich mit wenigen Ausnahmen auch nur bis ins 8. Jahrhundert erstrecken.
Der am meisten vorkommende Name ist culter; culter validus, ferreus; cultellus; daneben noch semispatha, scramasaxus, pugio, sahs (ahd. Gloss. II 22,10), semispathium (gesta abb. Fontanellens. c. 11); scrama (Lex Visigoth. IX. tit. 2,9; lex Burgund. tit. XXXVII, legis Gundobadi) scramasaxus.
Bei Gregor von Tours treffen wir den Scramasax am häufigsten und können auch seinen Gebrauch erkennen (Greg. Tur. III 18, IV 46, V 18, 39, VI 46, VII 29, VIII 31, X 10, 15; gesta Francorum 24, 34). Er dient meist als Stoßwaffe. Um seine Wirkung zu erhöhen, erwähnen die Schriftquellen vergiftete Scramasaxe:
Greg. Tur. VIII 29: cultri maleficati und Greg. Tur.
IV 51: cum cultris
validis, quos vulgo scramasaxos vocant, infectis veneno ... utraque ei (Sigibert) latera feriunt. —
Greg. Tur. VIII 29: duos cultros ferreos fieri praecipit, quos etiam
caraxari profundius in veneno infici iussit; ibid.: venenum, quod ferrum erat infectum.
Jedenfalls bildeten vergiftete Scramasaxe eine Ausnahme und werden nur an diesen Stellen angeführt. Vergiftete Pfeile hingegen sind belegt: Lex Salica XX de vulneribus; Lex Baiuvar. tit. III de sagitta toxicata; Greg. Tur. II 9: sagittas inlitas herbarum venenis; Waltbari 794: Atque venenatas ludis sine more sagittas.
Wir sahen vorhin, dass zur Merowingerzeit der Scramasax meist als Stoßwaffe diente und ganz selten zum Hieb, obwohl er den Funden nach eher zum Hieb tauglich war. Erklärlich ist vielleicht der Gebrauch des Scramasax nur zum Stoß bei Gregor von Tours, weil er meist als Mordwaffe in den Kleidern versteckt verwendet wird.
Unsere Fundstücke sind zu Hieb und Stich tauglich, die zweihändigen kaum anders als zum Hieb. Ihre Breite erlaubte es sogar, sie zum Graben benutzen zu können. Fredegar chron. III 88: cum cultris pueri (hier Krieger) fossam facerint.
Die Wucht des Hiebes zeigen uns einige Stellen.
Beowulf 1547: (Grendels
Mutter) zog ihren Sax, den breiten, glänzenden (vielleicht bedeutet brünecg broncen, was in graue Vorzeit
zurückweisen würde).
2704: Das todbringende Messer schwang er, das bittere, schlachtscharfe, das ihm an der Brünne hing; es zerschnitt der Geathen Schutz, den Wurm in der
Mitte.
2904: Ihm zur Seite liegt der Seelberaubte, durch das Hüftmesser hinfällig; mit dem Schwert vermochte er nicht, auf das Ungeheuer in irgendeiner Weise Wunden zu
wirken.
Hier haben wir es mit dem schweren zweihändigen Scramasax zu tun. Die
Schriftquellen stimmen mit den Funden überein in der Anwendung dieser Waffe. Die Helden führen oft Schwert und Hiebmesser; in Fürstengräbern treffen wir auch beide Waffen. Erwähnen wir an dieser
Stelle das allerdings spätere Waltharilied als Beweis: Walther bereitet sich zur Entführung Hildgundes vor,
337: Et laevum femur ancipiti praecinxerat ense atque alio
dextram pro ritu Pannoniarum. Is tamen ex una tantum dat vulnera parte.
Im Kampfe mit Hagen verteidigt sich Walther
1390: Incolumi manu mox
eripuit semispatham, qua dextrum cinxisse latus memoravimus illum.
Der Scramasax wurde auf der rechten Seite getragen, das Schwert auf der linken. Als
Walther seine rechte Hand abgehauen worden, ruft ihm Hagen zu
1430: Vah! sed quis dicis, quod ritum infringere gentis ac dextro femori gladium agglomerare videris!
Der Scramasax wird in einer Scheide an dem Wehrgehäng, balteus, cingulum, mitgeführt (Greg. tur. IX 3, X 10).
Aus dem Waltharilied ergibt sich (V. 838), dass im 10. Jahrhundert der Scramasax schon als fremde Waffe galt (ritus Pannoniarum), die alte Volkswaffe also ganz aus dem Gedächtnis jener Zeit verschwunden ist. Ihre Art muss genau beschrieben werden, damit die Leser wissen, um was es sich handelt: Is tamen ex una tantum dat vulnera parte. Vielleicht blieb im Osten der Sax länger in Anwendung, wie das Wurfbeil auch.
Gehen wir nun zur Betrachtung des Scramasax in der Karolinger- und Folgezeit über.
Die Schriftquellen nach Gregor von Tours erwähnen den Scramasax immer seltener; zur Karolingerzeit im Capitulare missorum 792 vel 786 (Bor. 28) c. 4 senesspasio, was semispatha bedeuten dürfte. Im Aufgebotsbrief Fulrads 804/11 (Bor. 75): ut uniusquisque caballarius habeat scutum et lanceam et spatam et semispatum. — Im friesischen Asegabuch (Richthofen, fries. Rechtsquellen, Rüstringerküren), das zur Zeit Karls des Großen entstanden ist, wird das Tragen des Langsax in Friedenszeiten verboten.
Da die übrigen Schriftsteller der Karolingerperiode den Scramasax als Kriegswaffe nicht mehr erwähnen, ist es sehr zweifelhaft, ob die Semispatha im Heere Karls des Großen geführt wurde. Miniaturen und Funde ergeben keinen Beweis dafür. Für einen Reiter, mit Lanze und Schild bewaffnet, wäre zum Schwert ein Scramasax auf der rechten Seite sogar hinderlich. Wenn anstelle des Schwertes – wie zur Merowingerzeit – der Scramasax oder der karolingische lange Scramasax getreten wäre, könnte man die Vorschrift des Aufgebotsbriefes eher begreifen.
Wahrscheinlich hat der Schreiber in der Kanzlei einfach alle ihm bekannten Waffenarten aufgezählt, um seine Sachkenntnis zu zeigen. Auch Bogen, Köcher und Pfeile sollten zu der vorhin angeführten Ausrüstung gehören. Der so bepackte Reiter wäre durch diese Massenbewaffnung direkt wehrlos gewesen.
Wir dürfen daher aus dieser Stelle und dem Schweigen der übrigen schriftlichen
Zeugnisse sowie dem Fehlen der Funde und darauf bezüglichen Miniaturen annehmen, dass schon zur Zeit Karls des Großen der Scramasax als Kriegswaffe aufgegeben worden war. Die Schriftquellen
erwähnen ihn in der Folge nie mehr in diesem Sinn; hingegen dient er immer noch als Mordwerkzeug. Manchmal wird auch das gewöhnliche Messer gemeint sein:
Vita S. Chlodowaldi c. 7 — v. S. Radegundis I 19 — v. S. Geremari abb. Flaviacens.
c. 10 und c. 32: Sub culcitra quadam posuerunt cultrum, manubrio eius in terra fixo, in quo intrando lectulum se interfecisset, typische Mordwaffe!
— Odberti passio Friderici episcopi Traiectensis c. 18: sumptis secum cultellis in manicis — extractis duobus
longis de manicis cultellis — Einhardi translatio S. S. Marcellini et Petri c. 20.
Hier handelt es sich überall um den Scramasax, der für Meuchelmord ja schon von Gregor von Tours’ Zeit bis ins 10. Jahrhundert seine große Rolle gespielt hat.
Als Widukind 967 seine Res gestae Saxonicae schrieb, war der Scramasax längst aus
der militärischen Ausrüstung verschwunden:
I. c. 6: Erat autem illis diebus (a. 419) Saxonibus magnorum cultellorum usus, quibus usque hodie Angli utuntur, morem gentis antiquae sectantes.
Mit diesen Waffen überfielen die Sachsen die Thüringer:
Fuerunt autem et qui hoc facinore nomen illis inditum tradant: cultelli enim in nostra lingua sahs dicuntur, ideoque Saxones nuncupatos, quia cultellis
tantam multitudinem fundissent.
— c. 9: haben die Sachsen ad renes cultellos magnos
(über den Namen Sachsen vgl. Grimm, Gesch. der deutschen Sprache p. 610; sahs: Müllenhoff
D. A. K. B. 4 p.
164 u. 622).
Im Westen war also um die Mitte des 10. Jahrhunderts der Scramasax als Kriegswaffe unbekannt, wohl aber scheint er noch im Norden im Gebrauch gestanden zu haben – und auch bei den Angeln, worauf wir noch zurückkommen werden.
Der Kurzsax oder das Messer scheint sich länger gehalten zu haben, denn Messer, nicht als Waffen dienend, sind sicher jene cultelli, die wir in Kirchenschatzinventaren, zum Schmuck der Bischöfe gehörend, geschildert finden. Aus dem Fund von Merching ist uns ein solches Messer mit geschnitztem Beingriff, mit Silber verziert, 24 cm lang, erhalten; auch das Messer des hl. Fridolin in Säckingen dürfte hierher gehören.
Diese cultelli werden mit den Funden identisch
sein:
Angilberti de eccles. Centulensi libell. c. 3 a. 814: cultellus auro et margaritis paratus — gesta abbat. Trudonens. cont. III p. I c. 3 a. 876:
cultellum unum ex auro paratum — Cod. St. Denis Bibl. nation. Paris c. 7230:
Hoc accepit rex Odo de thesauro S. Dionysii ... cultellum auro et gemmis paratam, habentem vaginam auream et
gemmatam.
Solche Scheiden kommen, wie wir bei den Schwertscheiden sehen werden, häufig vor.
Wer diese mit Gold, Edelsteinen und Perlen besetzten Gürtel, Scheiden und Messer trug, ersehen wir aus Astronomi vita Hludowici pii c. 28: Die Bischöfe und Geistlichen fingen an, cingula balteis aureis et gemmeis cultris onerata abzulegen.
Dass auf dem Griff auch Verse eingraviert wurden, erwähnt Walahfried Strabo Carmen 47.
Diese verzierten Messergriffe werden das gleiche Aussehen gehabt haben wie die uns erhaltenen reichgeschmückten Schwertgriffe dieser Zeit. Wir haben oben kurz erwähnt, dass nach Widukinds Zeugnis (hodie, Mitte des 10. Jahrhunderts) die Angeln noch Scramasaxe trugen. Nach den nordischen und den früher beschriebenen karolingischen Funden wird es sich hier nicht um die alte Form des Scramasax gehandelt haben, sondern um das scramasaxähnliche, lange einschneidige, ein- oder zweihändige Hiebschwert, wie dieses zur Wikingerzeit im Gebrauch war.
Leges Piratici Halfi Regis Thormod. Torfaeus hist. Norweg. I 186: Gladii unica tantum acie superius crassi, tubo lato ictibus aggravandis idonei. (Vgl. Funde: Ehring R. G. C. M., B. V 26; 531; Yngre Jern. fig. 491.)
Diese praktische Waffe hat sich noch bis ins 13. Jahrhundert erhalten. Bei Bouvines
1241 verbreitet Kaiser Otto damit Tod und Verderben (Matthaeus Paris, hist. Angl., proelium apud
Bovinas):
Ipse (Otto) cum gladio, quem tenebat admodum sicae ex una parte acutum hostibus ictus importabiles hinc inde iunctis manibus imprimens, quoscunque
attingebat, vel attonitos reddebat, vel sessores cum ipsis equis solotenus prosternabat.
Auch dieses Schwert muss sehr groß, einschneidig nach Messerart und zweihändig gewesen sein.
Allgemein bekannt war aber diese Waffe in jener Zeit nicht mehr, sonst wäre eine so genaue Beschreibung für den Leser überflüssig gewesen. Dieses einschneidige Schwert musste man seiner Länge wegen an der linken Seite tragen, nicht wie den Scramasax an der rechten; es ersetzte das gewöhnliche Schwert. Auf dem Festland wird diese Waffe außer in Skandinavien zur Karolinger- und Nachfolgezeit nie allgemein geführt worden sein. Auch die Angelsachsen, von denen Widukind berichtet, dass sie zu seiner Zeit den Scramasax anwendeten, haben hundert Jahre später auf dem Teppich von Bayeux keine Kurzschwerter mehr. Die Stickerei kennt nur noch das zweischneidige Schwert.
Mit Beginn der Karolingerzeit kam nach dem übereinstimmenden Fehlen in Funden, Miniaturen und Schriftquellen der Scramasax als Kriegswaffe außer Geltung, und auch das zwei- oder einhändige einschneidige Schwert konnte sich gegen das doppelschneidige nicht halten, das bis in die Ritterzeit neben der Lanze die einzige Waffe war. Der aus dem Kurzsax entstandene Dolch, die misericordia, taucht erst im 12. Jahrhundert auf. Scramasaxähnliche Waffen als Bauernwaffen blieben hingegen noch lange im Gebrauch.
Quelle: Die Trutzwaffen der Karolingerzeit vom 8. bis zum 11. Jahrhundert
