Einleitung.
Die Erkenntnis, dass durch die treibende Kraft des Pulvers die Spannkraft der Armbrustsehne ersetzt werden könne, führte zur Konstruktion der Feuerwaffen.
War einmal dieses Prinzip praktisch erfasst, so musste die bequeme Möglichkeit, durch Vermehrung der Pulverladung die Schussleistung zu vergrößern und die Wirkung auf ein gleich großes Geschoss zu verstärken, bald von selbst zu weiteren Versuchen anregen.
Man hat bisher daran festgehalten, dass die ersten Versuche zur Konstruktion der Feuerwaffen unabhängig von der Größe derselben durchgeführt wurden. Es entspricht dem natürlichen Gang, wenn man annimmt, dass auch in diesem Fall die Versuche mit kleinen Aufgaben beginnen, und dass erst später größere Experimente an die Reihe kamen. Die Erzeugung kleinerer Büchsen lieferte die Erfahrung und weitere Anregung zur Ausführung größerer Stücke.
War endlich die Konstruktion größerer Büchsen gelungen, so wurde die Wirkung eine augenscheinliche und für den Kriegsmann überzeugende; — die Schussleistung erhielt durch die Feuer- und Raucherscheinung sowie durch den donnerähnlichen Knall eine ungewohnte moralische Verstärkung, welche die Qualifikation der neuen Feuerwaffe als Kriegswaffe noch erhöhte.
Die Einführung und Anwendung solcher Kriegsmittel mussten auch dem Chronisten auffallen, während die ersten kleinen Feuerwaffen ob ihrer geringen Leistung kaum Beachtung fanden. Das große Geschütz entwickelte sich selbstständig weiter.
Aus der vielseitigen Anwendung lernte man bald die Vor- und Nachteile der neuen Waffe erkennen. Die praktische Erfahrung verbessert die Bereitung des Pulvers, lehrt den Bau von Rohr und Geschoss, entwickelt die Grundsätze für die Ladung, ist bemüht, den Rückstoß zu mindern, und untersucht den Einfluss der Elevation auf Schussweite und Wirkung. Es entsteht die Wissenschaft der «Artellerie» oder der «Arkeley», welche in zahlreichen Manuskripten, Bilderhandschriften, Feuerwerksbüchern, Geschützbeschreibungen und in besonderen Lehrschriften über «Büchsenmacherei» oder «die Kunst aus Büchsen zu schießen», — aus dem 14. bis 17. Jahrhundert — niedergelegt ist.
Einzelne Kriegsherren oder größere Städte bewahrten ihren Waffenvorrat systematisch geordnet in Zeughäusern und ließen in den «Zeugsbüchern» oder «Inventarien» die Stücke fachmännisch beschreiben, oft auch künstlerisch illustrieren. Viele große Büchsen überlebten ihre Zeit und geben mit den angeführten reichlichen Quellen umständlichen Aufschluss über Bau und Bedienung der einzelnen Geschütze und ein nahezu vollständiges Gesamtbild der Entstehung und Entwicklung der Artillerie.
Anders verhält es sich mit den Handfeuerwaffen. Diesen fehlte anfangs jeder augenscheinliche Erfolg; sie standen den ganz respektablen Leistungen von Bogen und Armbrust gegenüber und konnten diese bewährten Schießwaffen an Treffsicherheit und Schusszahl lange nicht erreichen.
Die Erzeugung der Waffe hatte diesen Übelständen wenig entgegenzusetzen, und da man einen Erfolg nur in der Konstruktion größerer Feuerbüchsen suchte, so kam es, dass man sich mit den Handfeuerwaffen nur nebenbei und gleichsam versuchsweise befasste.
Die Schützen sahen in der geringen Wirkung der neuen Waffe keinen vollwertigen Ersatz für den gewohnten Bogen oder die sichere Armbrust, — die primitive Einrichtung der Handbüchsen ließ auch die persönliche Schiessfertigkeit nicht zur Geltung kommen.
Es vergingen über hundert Jahre, ehe eine größere gemeinsame Anwendung der Handfeuerwaffen stattfand, und nur durch diesen Umstand gelangte der Kriegswert derselben zur allseitigen Anerkennung.
Einzeln verwendet zeigten die Handbüchsen nur geringen augenscheinlichen Erfolg; im Verein mit den Armbrüsten war die Tätigkeit der Büchsenschützen nicht vollends wahrzunehmen; erst die selbstständige und zahlreiche Verwendung zeigte die neue Waffe in ihrer vollen Wirkung.
«Es war leichter, einige Batterien ins Feld zu stellen, als das ganze Fußvolk mit Feuerwaffen zu bewaffnen.»1 Über die erste Entwicklung der Handfeuerwaffen fließen die geschichtlichen Quellen recht spärlich. In den Bilderhandschriften und Manuskripten jener Zeit sind dieselben selten erwähnt, weil die großen Büchsen fast den ganzen Raum einnehmen und immer an erster Stelle stehen. Die Angaben werden auch wenig unterstützt durch Originalwaffen aus jener Zeit, weil das Material leicht eingeschmolzen und zu weiteren Versuchen umgearbeitet werden konnte. Die Handfeuerwaffe verliert den Kriegswert, sobald dieselbe durch bessere Konstruktionen überholt ist; sie wird dann zur geschichtlichen Erinnerung!
Um nun die Entwicklung der Handfeuerwaffen von den ersten Anfängen verfolgen zu können, muss daran festgehalten werden, dass auch hier der praktische Gebrauch die Vor- und Nachteile der neuen Waffe erkennen ließ und derselben den richtigen Weg für die weitere Vervollkommnung vorzeichnete. Das Zielschießen beseitigte die Hindernisse, welche der Treffsicherheit entgegenstanden. Die Schützen-Gilden und Schützen-Vereine des 15. und 16. Jahrhunderts haben an der Vervollkommnung der Handfeuerwaffen keinen geringen Anteil.
Bei den Schießübungen und Schützenfesten stellte man die Forderung, ein bestimmtes Ziel zu treffen und gab für die beste Schussleistung hohe Preise. Die Waffentechnik war natürlich bemüht, dem Ehrgeiz und dem Vorteil der Schützen entgegenzukommen und die persönliche Schießfertigkeit zu unterstützen; Konstruktion und Bau der Waffe wurden für das sichere Treffen eingerichtet.
Die auf den Schieß- und Ladebriefen aufgedruckten und genau beschriebenen Schussentleerungen und Scheibengrößen sowie die angegebenen Schießregeln lassen die Leistung der damaligen Feuergewehre in dieser Hinsicht deutlich erkennen. Durch kriegsmäßige Verwendung wurden die Handfeuerwaffen handlich und einfach. War man einmal von dem wahren Kriegswert derselben überzeugt, so nötigten der Mangel an geschulter Mannschaft und die Natur des Kampfes den Mechanismus möglichst einfach und leicht zu gestalten. Die Waffe musste von allen Leuten bequem und während der ganzen Dauer des Kampfes gehandhabt werden können, — dieselbe durfte in der Konstruktion nicht kompliziert und musste für jedermann leicht und schnell verständlich sein.
Kriegserfahrung und der weite Ausblick genialer Feldherren sammelten und bestimmten bald die Grundsätze für den Bau und die Verwendung der neuen Waffe; — Ausbildung und Technik verarbeiteten nun diese Prinzipien und vervollkommneten die Handfeuerwaffen endlich so weit, dass aus der plumpen Handbüchse die entscheidende Hauptwaffe der gesamten Kriegsführung entstehen konnte.
1 Dr. B. Lepsius: Das alte und das neue Pulver. 1891.
Erste Feuerwaffen im 14. Jahrhundert.
Die Angaben über das erste Vorkommen der Feuerwaffen lassen erkennen, dass im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts der Gebrauch derselben ein allgemeiner war.
Dieser Umstand schließt in sich, dass alle die praktischen Versuche und Bemühungen, welche diese Erscheinung herbeigeführt, der Zeit nach schon vorangegangen waren. — Die Chronisten notieren nur die erste Anwendung, geben jedoch keinen Aufschluss über den schwierigen Weg, welcher zu dieser Erfindung geführt hat.
Die unmittelbare Vorbereitung hierzu bilden alle jene Nachrichten, welche von Feuerwerkskörpern und vom Schießpulver erzählen; diese führen zunächst nach China und zu den Arabern.
Es wird nun angenommen,1 dass der Salpeter etwa in dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts von China aus in den mohammedanischen Ländern bekannt wurde, und weiter, dass er auch in China erst zu dieser Zeit jene Bedeutung annahm, welche denselben mit den Feuerwerkskörpern in nähere Verbindung brachte.
Chinesische Geschichtsquellen enthalten zum Jahr 1232 die Beschreibung von zwei Belagerungen, bei welchen die Verwendung eiserner Explosiv-Kugeln, die Rakete und diese in Verbindung mit dem Pfeil zum ersten Mal erwähnt werden. — Zum Jahre 1259 wird die „Lanze des ungestümen Feuers“ beschrieben, ein Bambusrohr, welche mit einem schnell brennenden Zündsatz und mit Geschossen abwechselnd geladen wurde.
Dieselbe repräsentiert die erste Pulver-Schusswaffe: «ein Rohr, aus welchem durch Explosivkraft Geschosse geworfen wurden». Die Geschosse wurden zwar auf ungefähr 100 Fuß geschleudert, ermangelten aber so ziemlich jeder Durchschlagskraft; «ihr Zweck war auch nur, auf brennbare Gegenstände zu fallen und zu zünden».2 — Eine Feuerwaffe im heutigen Sinn waren demnach die so oft zitierten und beschriebenen Feuerwaffen der Chinesen nicht. Bezüglich der Araber gibt ein arabisches Kriegsbuch einige Nachricht. — Dasselbe befindet sich in zwei Abschriften in der Pariser Nationalbibliothek, der Verfasser heißt Hassan Alrammah, welcher dasselbe zwischen 1275 und 1295 geschrieben haben muss.3
In diesem Kriegsbuch ist die Rakete oder der „Pfeil von China“ und das mit salpeterhaltigem Satz gefüllte kugelartige Gefäß erwähnt. «Um das Feuer mit Sicherheit in das Innere des genannten Gefäßes gelangen zu lassen, bedient sich Hassan anstatt einfacher mit Brandsatz eingeriebener Baumwollschnüre meistens mit Brandsatz gefüllter Röhrchen. Ferner findet man eine Feuerwaffe, welche der chinesischen «Lanze des ungestümen Feuers» sehr ähnlich ist. Dieselbe ist hier aus Holz, „die Geschosse“ heißen «Kichererbsen», welche aus Salpeter, Schwefel, Kohle, Harz u. a., oft auch mit Zusatz von Feilspänen, geformt sind; dieser Zusatz muss die Geschosse spezifisch schwerer und für die Überwindung des Luftwiderstandes günstiger gestaltet haben.»
Eine andere — häufig erwähnte -=— arabische Handschrift befindet sich im Asiatischen Museum in St. Petersburg, und gehört wahrscheinlich schon in die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts. Bisher war man der Ansicht, dass die in diesem Manuskript beschriebene Feuerwaffe, das «Madfoa» — eine Feuerwaffe im heutigen Sinne —, «eine wirkliche Feuerwaffe»4 bedeute.
S. J. v. Romocki5 glaubt, dass es sich hier um eine Art Feuerrohr handle, welches sich von den «Feuerlanzen» der Chinesen und des Hassan Alrammah nur dadurch unterscheidet, «dass es von größerem Kaliber und infolgedessen, um für den Schützen nicht zu gefährlich zu sein, nur ein Kaliber lang und an einem langen, dünnen Stiel befestigt ist, und nur eine Ladung aufnimmt.» Das Geschoss war höchstwahrscheinlich eine größere Abart der «Kichererbsen». — Ferner ist daselbst die Beschreibung einer «Lanze, aus der du angesichts des Feindes einen Pfeil hervorgehen lassen kannst, der sogleich in die Brust des Gegners eindringt.» Schon Upmann6 hat versucht, nachzuweisen, dass man es hier mit einer Feuerwaffe nicht zu tun hat, sondern dass der Bolzen durch die bloße Gewalt des Lanzenstoßes vorgeschnellt wurde. S. J. v. Romocky schließt sich dieser Auffassung an.7
Es hatten somit weder die Chinesen noch die Araber Feuerwaffen im heutigen Sinne; es fehlt das Metallrohr, welches allein ermöglicht, Geschosse von festem Material mittelst der Triebkraft des Pulvers derart abzuschießen, dass selbe mit durchschlagender Kraft am Ziel zur Wirkung gelangen. Als weitere unmittelbare Vorbereitung zur Erfindung der Feuerwaffen müssen genannt werden;
a) Das «liber Ignium ad comburendes hostes des Marcus Graecus», über dessen Lebenszeit die Ansichten weit auseinander gehen.8
b) Das Werk «de mirabilibus mundi des Albertus Magnus» (geboren 1193 zu Lauingen in Schwaben, gest. 1280 zu Köln) und
c) die «Epistola» (1265 —1266) und das «Opus majus» des englischen gelehrten Minoriten Roger Bacon (geboren 1214 zu Ilchester, gest. 1294 zu Oxford)9
Es ist in diesen Schriften insofern ein Fortschritt zu verzeichnen, als in denselben eine Anweisung über Kriegsfeuerwerk enthalten ist, bei welchem die verwendeten Stoffe und deren Mischungsverhältnisse mit denen des späteren Kriegspulvers fast genau übereinstimmen.
Rakete und Kanonenschlag finden sich hier wieder, ebenso die Römerkerze; — eine Andeutung über Feuerwaffen in späterem Sinne ist nicht enthalten. Es ist anzunehmen, dass so wie bei den Chinesen, Arabern und Griechen, so auch bei den Deutschen und Engländern die Kenntnis des Pulvers und dessen Verwendung nicht auf einzelne Gelehrte beschränkt blieb. Und dass schon die vorwiegend kriegsmäßige Bestimmung dieses den weiteren Kreisen zuführte.
Als erste Nachricht über Feuerwaffen in heutiger Auffassung wird die Angabe der Annalen von Gent zum Jahre 1313 angeführt: «Item in dit jaer was aldereerst gevonden in Duitschland het gebruik der bussen van eenen mueninck.»10
Oberstleutnant M. Jähns fügt hinzu: «Wenn diese Eintragung wirklich vom Anfang des 14. Jahrhunderts herrührte, so wäre sie von höchster Wichtigkeit. Leider sind meine Bemühungen, dieselben in einen der möglicher Weise gemeinten Codices der Genter Bibliothek aufzufinden, erfolglos geblieben, trotz der freundlichen Unterstützung des Vorstandes.»
Köhler bemerkt, «die Angabe der Annalen von Genf zum Jahre 1313 findet in den Tatsachen nicht den geringsten Anhalt».11
Die nächste Nachricht bringen die Chroniques messines par Huguenin (Metz 1838), welche melden, dass Metz im Jahre 1324 couleuvrines und serpentines besessen habe. Über diese Angaben gehen die Ansichten auseinander.
Jähns schreibt;12 «Nun sind die Chroniques messines eine abgeleitete Arbeit, welche auf ein altes Reimgedicht zurückführen: «La guerre de Metz en 1324» (Publié par E. de Bouteilles. Paris 1875) und in diesem steht anstelle von coleuvrines und serpentines der dem 14. Jahrhundert durchaus entsprechende Ausdruck espignoles. Dieser Ausdruck kann allerdings engins älterer Art (Standarmbrüste) bezeichnen, ebenso gut aber auch engins á feu, und da die Bearbeiter des Reimgedichts solche darunter verstanden haben, so ist doch wahrscheinlicher, dass es sich um Geschütze handelt als um älteres „Werfzeug“. General Köhler ist jedoch der bestimmten Ansicht, dass Metz im Jahre 1324 keine Feuerwaffen gehabt, sondern nur Espingolen.13 Nun kommt in der Zeitfolge eine Nachricht aus Spanien, welche berichtet, dass im Jahre 1325 «Ismael, König von Granada, die Stadt Baza Tag und Nacht mit Maschinen beschossen habe, welche mit großem, donnerähnlichem Geräusch Feuerkugeln in die Stadt warfen.»
Auch diese Nachricht wird verschieden aufgenommen.14
Köhler schreibt:15 «Das können nun zwar Bliden gewesen sein, aber der Chronist (Conde) nennt zwei Arten von Maschinen und bezeichnet im folgenden Jahr, wo der König Martos beschoss, die Maschinen als Donnermaschinen (machinas de truenos), was zu sehr an die Ausdrücke erinnert, die man im Abendland den ersten Geschützen gab.» Jähns glaubt die „machinas de truenos“, mit denen der wenig zuverlässige Geschichtsschreiber Conde im Jahre 1325 den König von Granada die Stadt Baza beschießen lässt, und die pelotas de hierro que se lazaban con fuego, welche er denselben König 1331 gegen Alicante verwenden lässt, sind mindestens ebenso fragwürdiger Natur, wie die oben besprochenen Metzer Espignolen von 1324.»16
Romocky urteilt noch bestimmter und glaubt, «dass die spanischen Araber noch bei der Belagerung von Tarifa im Jahre 1340 und von Algeciras in den Jahren 1342—1344 keine Geschütze gehabt haben, wenigstens geht das selbst aus Condes und Casiris Berichten nicht hervor«.17
Nun kommt in der chronologischen Reihenfolge eine Nachricht aus Italien vom Jahre 1326, welche von mehreren Seiten18 als bestimmte und sichere Nachricht für das Vorkommen von Feuerwaffen aufgefasst wurde. Die Urkunde ist vom 11. Februar 1326 datiert; in derselben erteilt die Signoria von Florenz den Behörden den Befehl, zwei Beamte anzustellen mit dem Auftrag, auf Kosten der Republik eiserne; Kugeln und Kanonen von Metall (pilas seu palloctas ferreas et canones de metallo) zur Verteidigung der Burgen und Dörfer der Republik fertigen zu lassen.
Romocki19 schreibt über diese Urkunde folgendes: «doch gehört diese Urkunde zu den «Entdeckungen» des berüchtigten Libri, welcher im Jahre 1850 aus der Pariser Akademie ausgestoßen und zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurteilt wurde, da er an verschiedenen Orten Urkunden gestohlen und, nachdem er sie durch geschickte Änderungen scheinbar wertvoller gemacht, verkauft hatte, und dürfte, wie auch Berthelot (im historischen Anhang zu seinem Werk «Sur la force des matieres explosives») annimmt, als im Datum gefälscht zu betrachten sein.»
Endlich — vom Jahre 1331 — stammt eine zweifellose Nachricht über Vorkommen von Feuerwaffen, und zwar ebenfalls aus Italien. Es heißt in der Chronik von Cividale — zum Jahre 1331 «ponentes vasa versus Civitatem» — «et extrinseci balistabant cum sclopo versus Terram».20 Die Bezeichnung «vasa», deutsch «Büchse», «Häfen» oder selbst «Krug», französisch «boîtes», «pots» wird für die ältesten Feuerwaffen angewendet und entsprach wahrscheinlich der ersten Form derselben. Sclopus (scloppus, stloppus) Schall, Klapps-, Schuss, — italienisch schioppo bedeutet gewöhnlich eine Handfeuerwaffe, im Gegensatz zu schwereren Waffen.
Romocki bemerkt hierzu: «diese Nachricht deutet keineswegs auf die arabischen Länder, sondern auf Deutschland als Ursprungsland der Geschütze hin.» Der Kampf spielt sich im nordöstlichsten Teil Italiens, dicht an der Grenze der österreichischen Lande vor der Stadt Cividale in Friaul ab, und diejenigen, welche Cividale mit Geschütz angreifen, sind deutsche Ritter, und haben «de Crusbergo» und «de Spilimbergo» geheißen.
Die nächste Nachricht vom Jahre 1334 kommt gleichfalls aus dem nordöstlichen Italien und ist im «Chronicon Estense»21 enthalten, «Marchio . . . praeparari fecit maximam quantitatem balistarum, sclopetorum, spingardarum».
Nun folgt eine Nachricht vom Jahre 1338, welche das erste Vorkommen der Feuerwaffen in Frankreich meldet. Die von Lacabane zuerst veröffentlichte Urkunde besagt: «dass zu Rouen von der königlichen Marine an die Landtruppen übergeben wurden: «un pot de fer á traire garros á feu, 48 garros ferrés et empenés en deux cassez, une livre de salpêtre et demie livre de souffre vif pour fare poudre pour traire les dix garros».22 Im Jahre 1339 wird nach dem Glossar von Ducange, Artikel: bombarde, eine gewisse Summe für Pulver und andere Bedürfnisse «aux canons qui etoient devant Puy-Guillem» in Perigord verausgabt.
Aus dem Jahre 1339 datieren auch mehrere Rechnungen der Stadt Brügge, aus welchen zu entnehmen ist, dass einem Kaufmanne 22 sous für Eisen bezahlt werden, um die ribaudequins (niewen enginen di men heet ribaude) auf ihren Wagen mit mehreren Bändern zu verbinden. — Es wird auch ein maitre des ribaudequins genannt, welcher später im Sold Eduard III. wieder erscheint.23
Die Engländer sollen auch in der Seeschlacht bei Sluis, am 22. Juni 1340 und bei Crécy am 26. August 1346 Kanonen verwendet haben.24
Endlich kommt eine bestimmte und sichere Nachricht über Vorkommen der Feuerwaffen in Deutschland. Die Rechnungen der Stadt Aachen vom Jahre 1346 enthalten folgende Ausgaben: «Item pro una busa ferrea ad sagittandum tonitrum 5 Schilde. — Item pro salpetra ad sagittandum cum busa 7 sch. — Item magistro Petro carpentario de ligneo opere ad busam 6 sch. — Item 1 Dugtzin de clavis et opere sue ad candem busam 6 sch.»25
In Nürnberg erhält laut einem Rechnungsbuch vom Jahre 1356 Meister Sänger Lohn für Geschütz und Pulver;26 und zum Jahre 1362 meldet die Hogelsche Chronik von Erfurt, dass der neu gewählte Rat die Büchsen beschafft hat.27 1364 bringt Herzog Stefan von Bayern vor Mühldorf Büchsen zur Anwendung28 und in demselben Jahre werden Büchsen bei der Belagerung von Kowno erwähnt.29
Basel soll im Jahre 1371 die ersten Donnerbüchsen erhalten haben und nach einer Stadtrechnung vom Jahre 1381 erhielt Bern Geschütze.30 Welcher Art und von welcher Wirkung diese Feuerwaffen waren, sagt recht deutlich die oben erwähnte Chronik von Cividale zum Jahre 1331 in den Worten «et nihil nocuit». — Ferner wird in den Berichten über die Schlacht von Crecy erzählt, dass die Wirkung der Kanonen nur insoweit beabsichtigt war, um die Pferde und genuesischen Armbrustschützen zu erschrecken;31 der Donner der Geschütze veranlasste auch die Verwirrung der Reiterei, derselbe sollte nur den Beginn der Schlacht verkünden.
Sehr interessanten Aufschluss in dieser Beziehung gibt auch eine Instruktion über die Verteidigung der Burg Bioule, welche, im Besitz des Ritters Hugues de Cardilhac, im Jahre 1347 mit 22 Kanonen armiert war. Die Instruktion sagt, dass man bei Annäherung des Feindes zuerst mit den großen Armbrüsten schießen solle, die am weitesten gingen, dann mit den Schleudern und schließlich mit den Kanonen, die also nur auf sehr kurze Entfernungen zu verwenden waren. Die 22 Kanonen hatten 11 Mann zur Bedienung, sodass ein Mann auf zwei Geschütze kam.32
Wenn man nun trotzdem in der Wirkung der Feuerwaffen eine erwünschte Unterstützung suchte, so mag dies in der Kriegführung damaliger Zeit gelegen sein, welcher im Belagerungskriege zum Breschelegen nur die Maschinen des Altertums zur Verfügung standen. Diese lösten jedoch ihre Aufgabe recht langsam; und oft hatte der Verteidiger Zeit, neue Abschnitte herzustellen; die Schuss- und Wurfmaschinen des Mittelalters waren zum Breschelegen nicht geeignet;33 man suchte endlich in der mächtigen Triebkraft des Pulvers, deren volle Erkenntnis in der Konstruktion von Feuerwaffen zum praktischen Ausdruck kam, die gewünschte Unterstützung.
War man einmal von dem Nutzen und Vorteil der neuen Waffe überzeugt, so war es auch natürlich, dass die Aufmerksamkeit der Kriegsleute und Handwerke sich auf dieses neue Kriegsmittel vereinigte und dass man sofort sich bemühte, die bisherige Wirkung durch Vergrößerung der Feuerwaffen zu verstärken. Hierdurch wird es auch erklärlich, dass aus verhältnismäßig früher Zeit übergroße Feuerbüchsen gemeldet werden.34 Die Feuerwaffe als Schießwaffe entwickelt sich wohl gleichzeitig aber doch in zweiter Linie; hierzu mussten vorerst die Schussentfernungen der bisherigen Schießwaffen erreicht werden, und weil bei diesen die Wirkung am Ziele eine bedeutend geringere zu sein brauchte, wie oben, so genügten hierzu kleinere Geschosse und kleinere Feuerwaffen.
Bei diesen kleinen Feuerwaffen war das Experimentieren nicht so kostspielig und weniger gefährlich, so dass die Versuche zahlreich aufgenommen werden konnten. In dem Bestreben, die Schussweiten zu vergrößern, kam man zur Erkenntnis des Einflusses der Elevation auf Schussweite und Wirkung, und mit dieser Erkenntnis nahm auch die Schießkunst mit den Feuerwaffen ihren Anfang!
1 S. J. v. Romocki., Geschichte der Sprengstoffchemie, der Sprengtechnik und des Torpedowesens bis zum Beginn der neuesten Zeit, 1895, I, 38.
2 Ebenda 47 ff. — Ebenda 58.
3 S. J. v. Romocki 68 ff.
4 G. Köhler, Generalmajor, Die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegführung in der Ritterzeit, 1886—89, III, 1,220. — M. Jähns, Oberstleutnant, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens von der Urzeit bis zur Renaissance, 1880, 520. — M. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, 1889. I, 181.
5 S. J. v. Romocki 77 ff.
6 Upmann, Das Schießpulver, dessen Geschichte, Fabrikation und Eigenschaften, Braunschweig 1874, 6.
7S. J. v. Romocki 77.
8 J. Schön, kgl. sächs. Hauptmann, Geschichte der Handfeuerwaffen, 1858, 5, schreibt: «um das Jahr 846 n. Chr. — M. Jähns; G. d. K. I, 156, stützt sich auf Ferd. Höfer, welcher in seiner Histoire de la chimie (I, Paris 1866) nachweist, dass Marcus im 9. Jahrhundert bereits zitiert wird. — Upmann verweist Marcus in das 13. Jahrhundert. — G. Köhler, III, 1, 167 und 169 sagt : «Das über ignium wird bald nach 1225 verfasst worden sein». — S. J. v. Romocky 115 nimmt an, «dass das Feuerbuch des Marcus die Form, in welcher es Bacon und Albert um 1267 vorlag, erst etwa ein Jahrzehnt früher erhalten hat».
9 J. G. Hoyer, Geschichte der Kriegskunst, 1797,I, 36 ff.— Dr. H. Hansjakob: Der schwarze Berthold, der Erfinder des Schießpulvers und der Feuerwaffen, 1891, Cap.: «Die drei Pulver-Mönche», 6 ff. — S. J. v. Romocky, Cap. III: «Die Explosivstoffe im Abendlande», 83 ff.; Cap. IV: «Das Feuerbuch des Marcus Graecus», 114 ff.
10 Renard, belg. Major: Revue militaire belge, Tome III, p. 584, Lüttich 1843; — bei Jähns, Handbuch 774 u. G. d. K. I, 224.
11 Köhler III, I, 236.
12 Jähns, G. d. K. I, 226 und 227.
13 Köhler III, I, 237.
14 Köhler III, I, 222.
15 Conde, Historia de la dominiacion de los Arabes en España III, 6, XVIII; — bei Köhler, Jähns, Romocki.
16Jähns, G. d. K. I, 228.
17 S. J. v. Romocki, I, 82.
18 Dr. B. Hidber: Das erste Schießpulver und Geschütz in der Schweiz, 1866, S. 9, aus den sog. Riformagioni (Archivio centrale die stato in Firenze). — Nach Lacabane, Bibliothéque de l’école de chartes, T. I, série 2, 50; — bei Köhler III, I, 215; — bei Jähns, G. d. K. I, 228.
19 S. J. v. Romocki, I, 80.
20 L. A. Muratori, «Rerum Italicarum scriptores», Bd. XXIV; _ bei S. J. v. Romocki I, 81; — erwähnt bei Köhler III, 1, 225; — M, jähns Hdb. 775.
21 Bei Muratori B. XV, C. 396 nach S. J. v. Romocki I, 81.
22 Köhler III, I, 228.
23 Kervy.n de Lettenhove, Histoire de Flandres, Brügge 1874, III, 246; — bei Jähns, G. d. K. I, 227; — u. bei Köhler III, I, 229.
24 Köhler, ebenda.
25 Laurent, Aachener Stadtrechnungen aus dem 14. Jahrhundert, Aachen 1866, S. 182; —bei Köhler III, I, 238; — bei Jähns, G. d. K. I, 227.
26 J. Würdinger, kgl. bayer. Oberstleutnant, Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1347—1506, München 1868, II, 342. — Köhler III, I, 238 nennt: Siebenkees, Kleine Chronik der Stadt Nürnberg, Altdorf 1790.
27 Köhler III, I, 238.
28 Nicolaus Grill. Chronik von Mühldorf: Bayerische Annalen, Vaterlandskunde, 1835, 30; — in Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen, herausgegeben vom Germanischen Museum, 1872 (Essenwein), 8.
29Joh. v. Posilge, SS. rer. Pr. 3, 82; — bei Köhler III, I, 238.
30 Dr. B. Hidber, 11 und 12.
31 Köhler III, I, 231; — Dr. B. Hidber, 9 (Muratori, Rer. ital. script.).
32) Nach Favé, Études sur le passé et l’avenir de l’artillerie 3, 80—83; — bei Köhler III, I, 231.
33 Vgl. Köhler III, I.
34 Vgl. Quellen I.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 4, 5. Dresden, 1897-1899.