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Glefe oder Gertel — Waffe oder Werkzeug?

Fig. 1, Fig. 2 und Fig. 3.
Fig. 1, Fig. 2 und Fig. 3.

 

Bevor dieser erste Band der Zeitschrift für historische Waffenkunde zum Abschluss gelangt, sei es gestattet, auf eine Notiz in dessen 1. Heft zurückzukommen. Auf Seite 22 wird ein Fundstück erwähnt und auf eine bezügliche Abhandlung in den Beiträgen zur prähistorischen Archäologie und verwandte Gebiete, 1892, von R. Forrer, aufmerksam gemacht, wonach das fragliche Gerät eine Waffe aus merowingischer Zeit, also aus der Periode von 481 bis 751 wäre. Diese Mitteilung hat uns umso mehr interessiert, als uns ein ganz ähnliches Stück bekannt war, das allerdings bisher als Gertel oder Hippe galt.

 

Es ist ja an und für sich gewiss nicht sehr wichtig, ob ein solches veraltetes Stück Eisen früher einmal als Waffe oder zu häuslichen oder landwirtschaftlichen Zwecken gedient hat. Es dürfte aber gerade der Verein für historische Waffenkunde das Forum sein, vor welchem eine derartige Frage geprüft und entschieden wird, indem es den Freunden der Waffenkunde doch nicht ganz gleichgültig sein kann, wenn durch eine solche Publikation ein Gegenstand in die Fachliteratur eingeführt wird, der vielleicht gar nicht hineingehört. In dem erwähnten Aufsatz in den Beiträgen zur prähistorischen Archäologie wird von dem im 1. Heft unserer Zeitschrift abgebildeten Gerät gesagt, «als Werkzeug hat zweifellos das Fundstück nicht, wohl aber als wuchtige und gefährliche Waffe gedient», ohne dass diese Behauptung irgendwie belegt oder begründet würde. Das Eisen, dessen Gewicht mit 750 gr. angegeben wird, dürfte, am Ende eines Schafts für zweihändigen Gebrauch, keine sehr «wuchtige» Waffe ausmachen, auch «gefährlich» sieht das Ding nicht aus, indem nur ein verhältnismäßig geringer Teil von dessen Umgang scharf ist und das Ende der Gabel, mit welcher man bei unvorsichtiger Manipulation jemand verletzen könnte, sorgfältig abgerundet ist.

 

Zu einer vollwertigen Stangenwaffe gehört, nach gewöhnlicher Auffassung, eine Spitze, die wir meist auch bei Waffen vorfinden, welche ganz besonders für den Schlag bestimmt sind, wie Streitaxt, Streitkolben, Morgenstern etc.

 

Der Haken, in den die Schneide ausläuft, ist für eine Hiebwaffe weniger aggressiv als hinderlich, da er für den oberen Teil der Schneide einen toten Winkel bildet.

 

Den Haken am Rücken der «Waffe» sucht der Verfasser des fraglichen Aufsatzes damit zu motivieren, dass dieselbe als Trabantenwaffe und der Haken zum Anhängen von «kostbaren Rüst- oder Würdenstücken» gedient haben mochte. Es liege daher der Gedanke nahe, dass diese merowingischen Sichel- resp. Hakenwaffen als Abzeichen königlicher Trabanten aufzufassen seien.

 

Nebenbei erfahren wir auch, dass die römischen Soldaten auf Märschen ihr Gepäck in einem Bündel auf der Spitze ihrer Lanzen trugen, ebenso die fränkischen, deren Lanzen zu diesem Zweck mit Querknebeln versehen waren.

 

In der erwähnten Abhandlung, unter dem Titel: «Merowingische und karolingische Sichelwaffen», wird die aufgefundene «Glefe» mit den gleichnamigen Waffen des 14. bis 16. Jahrhunderts verglichen, und zwar mit «Schweizerischen Glefen» nach Demmin und einer burgundischen Kriegssichel des 15. Jahrhunderts, nach einem Manuskript.

 

Von diesen vier abgebildeten Waffen hat einzig die «Schweizerische Glefe des 15. Jahrhunderts» Ähnlichkeit mit dem Fundstück, indem auch diese Waffe keine Spitze hat. Wir werden auf diese «Glefe» zurückkommen. Die drei anderen sind die bekannten Glefen, resp. italienischen Helmbarten: eine kräftige Stoßklinge mit verschiedenartigen Haken, welche diesen Waffen den eigentümlichen Charakter geben, die dem Fundstück gerade abgeht.

 

Als weitere Seitenstücke zu der «merowingischen Glefe» wird in erster Linie angeführt eine in einem Frankengrab bei Mertloch gefundene Waffe, die A. von Essenwein in den Mitteilungen des Germanischen Museums (1886, S. 177) beschreibt. Nach der mitgeteilten Skizze hat die Waffe vollständig die Gestalt einer Kriegssense, also eine regelrechte Stoßklinge. Einen abgebrochenen Ansatz am unteren Teil des Rückens deutet Essenwein als senkrechte Spitze, der Verfasser der «Merowingischen Sichelwaffen» glaubt annehmen zu können, dieser Ansatz habe die Form derjenigen seiner «Glefe» gehabt. Hierzu kommt eine andere Waffe, welche in einem merowingischen Grab bei Charnay gefunden wurde; dieselbe hat eine gerade, spitz zulaufende Klinge, die mit einer viereckigen Tülle versehen ist. Infolge ihres ausgeprägten Charakters als Stichwaffe, lassen sich diese beiden Fundstücke, unseres Erachtens, mit dem Gegenstand unserer Untersuchung nicht zusammenstellen. Von einer weiteren, aus einem Grab bei Niederbreisig stammenden Waffe wird gesagt, dass sie die Biegung des oben beschriebenen Mertlocher Fundstückes habe.

 

Schließlich wird auch ein Gegenstand zugezogen, welcher in A. Demmins Kriegswaffen (4. Aufl.) S. 804 Fig. 2, als Schweizer Glefe des 13. Jahrhunderts abgebildet ist. Dieses Stück, welches sich im kantonalen Museum in Lausanne befindet, passt nun allerdings ganz besonders gut zu einem Vergleich, nur muss bemerkt werden, dass dieser Haken nie von jemand anderem als Waffe angesehen wurde, als von Demmin, da er weder Spitze noch Schneide besitzt.

 

Das Charakteristische an dem Fundstück ist der Haken auf dem Rücken der Klinge. Wäre dieser nicht vorhanden, so hätte niemand etwas anderes darin gesehen, als einen Gertel. Dieser Ansatz ist nun auch Parierhaken genannt worden. Eine Pariervorrichtung gehört aber naturgemäß ans untere Ende der Klinge, um alle Hiebe aufzufangen, welche die Klinge treffen. Die Stellung eines Parierhakens bzw. «Klingenfängers» am oberen Ende der Klinge ist undenkbar.

 

Auch zum Abheben von gegnerischen Rüststücken ist gerade dieser, in einem kleinen Knopf endigende Haken nicht geeignet, da er leicht in einer Fuge stecken bleiben würde.

 

Jedenfalls dürfte eine solche Vorrichtung den Zweck der Waffe, den Gegner zu verwunden, nicht dadurch beeinträchtigen, dass der Gebrauch zum Schlag und die Verwendung zum «Abrüsten» des Gegners eine verschiedene Handhabe bedingt; das wäre aber hier der Fall.

 

Wir haben nun für das Fundstück eine andere Familie ausfindig zu machen gesucht, deren Angehörige wir hier zusammenstellen. Nr. 1 ist ein Hackmesser, welches in den Ruinen der im Jahre 1309 zerstörten Burg Alt-Büron (Kanton Luzern) gefunden wurde.

 

Nr. 2 und 3 sind Fundstücke, die anlässlich von Kanalbauten im Kanton Bern zutage gefördert wurden und deren Alter sich nicht bestimmen lässt. Diese drei Stücke gehören dem Historischen Museum in Bern.

 

Nr. 4 ist ein Gertel mit ca. 1,20 m langem Stiel, wie er im Rebgelände am Bielersee noch heute zum Abhauen von Gestrüpp und Unterholz verwendet wird.

 

Nr. 1 führen wir hier hauptsächlich deshalb an, weil auch solche Messer, wenn sie das nötige alte Aussehen haben, gelegentlich als «Rossschinder» verkauft werden. Ein solches Gerät kann aber nicht einmal als richtige Bauernwaffe gelten, wenn man darunter einen Gegenstand versteht, der zum Kampf besonders hergerichtet wurde, da diesfalls jeder Dorfschmied eine Spitze an die Klinge geschweißt hätte, wodurch dann allerdings eine brauchbare Kriegshippe entstanden wäre.

 

Nr. 2 ist jedenfalls zum gleichen Zweck erstellt worden wie Nr. 3, ist aber entschieden keine Waffe, da das Ding an einer Stange, auf welche die Tülle am unteren Ende der Eisenstange weist, keine Wucht hätte.

 

Nr. 3 und 4 sind aber ganz ähnliche Geräte wie die «merowingische Glefe», womit wir glauben den Nachweis erbracht zu haben, dass dies eben auch keine Waffe ist.

 

Was nun die «Schweizerischen Glefen» betrifft, wie sie Demmin1 zeichnet, so gibt es in schweizerischen Sammlungen zwei unter sich sehr ähnliche und doch in ihrem Charakter ganz verschiedene Geräte, das eine ist ein Werkzeug, das andere scheint unzweifelhaft eine Waffe zu sein.

 

1 «Die Kriegswaffen» (4. Aufl.), S. 804, Fig. 2.

 

Fig. 4 und Fig. 5.
Fig. 4 und Fig. 5.

 

Von den alten Zeughaus-Inventarien der Stadt Luzern enthält zum ersten Mal der "Züghaus-Rodel der Statt Lucern wiederumb erneüweret Anno 1615" nach Bickeln, Äxten und Bielen, 36 Schwendtgertel1 und 20 Handgertel. Im «Züghaus-Rodel» des Jahres 1661 figurieren noch 33 Schwendtgertel, jetzt aber im Anschluss an die Hallbarten, Spieße und Mordäxte. Im Inventar von 1600 kommen noch keine Schwendtgertel vor.

 

Von diesen Schwendtgerteln, welche wir in Fig. 5 darstellen, besitzt das Museum in Luzern noch mehrere Exemplare; in anderen Sammlungen ist uns ein einziges Stück bekannt, welches aber ebenfalls das Zeichen von Luzern trägt.

 

Das Messer ist sauber geschmiedet und trägt da, wo die Spitze auf dem Rücken angesetzt ist, auf der einen Seite eine Schmiedemarke, auf der anderen ein gotisches L als obrigkeitliches Eigentumszeichen. Die kurzen Schaftfedern sind nachträglich angesetzt worden. Der ca. 1,20 m lange Stiel ist ziemlich roh gearbeitet und hat einen quasi herzförmigen Querschnitt, was insoweit bemerkenswert ist, als dadurch nur eine Handhabe bequem ist, und zwar diejenige zum Gebrauch der Schneide, woraus geschlossen werden muss, dass eine Verwendung der Spitze, d. h. die Benutzung des Gerätes als Waffe, nur als Ausnahme angenommen war. Der Umstand, dass die Schwendtgertel im Jahre 1615 unter den Pionier-Werkzeugen, im Jahre 1661 unter den Stangenwaffen figurieren, könnte darauf schließen lassen, dass die Werkzeuge erst nachträglich, in dieser Zeit, durch Anschweißen der Spitze und der Schaftfedern zur Verwendung als Waffe eingerichtet worden wären; es ist jedoch ersichtlich, dass die Klinge samt der Spitze am Rücken in einem Mal geschmiedet worden ist. Wir haben es hier unzweifelhaft mit einem Faschinenmesser für «Schaufelbauern» zu tun, wie zu jener Zeit bei uns die Pionier-Abteilungen genannt wurden.

 

Wie der Schwendtgertel nur in Luzern vorkommt oder erhalten geblieben ist, so finden wir die Waffe, welche wir in Fig. 6 darstellen, nur in Zürich. In der allgemeinen Form ist der «Halbartengertel» dem Schwendtgertel sehr ähnlich, derselbe ist aber in allen Teilen sehr sorgfältig gearbeitet und trägt vollständig den Charakter einer Stangenwaffe des 17. Jahrhunderts. Der achtkantige Schaft, in welchen die Federn eingelassen sind, ist 1,70 m lang. In den Zeughaus-Inventaren von Zürich findet sich diese Waffe unter anderem Namen, zum ersten Mal anno 1644 unter dem Titel «Allerlei Handwaffen», nämlich "360 Mordaxen, Langgertel und andere derglichen". Im Jahr 1651 finden sich im Inventar der „halbartenkammer“ 48 Halbartengertel zwischen halbarten und Mordäxen. In der Summation finden wir „10.351 Spießen, 1031 Halbarten, 263 Mordaxen, 48 Halbartengertel“, Handgertel waren in einer anderen Abteilung 413 Stück vorhanden.

 

Die kleine Zahl dieser Waffen lässt mit Sicherheit darauf schließen, dass dieselben nur für einen ganz bestimmten Zweck angefertigt worden waren, leider fehlt uns jeder Anhaltspunkt über diese Verwendung.

 

In Ermangelung einer diesbezüglichen Angabe erlauben wir uns hier einer Vermutung Raum zu geben: Eine der wenigen Situationen, in denen wir uns einen Krieger denken können, in welcher ihm untersagt sein könnte, gegen den Feind zu stoßen, ist seine Stellung auf einem kleinen Schiff, wenn der Befehlshaber an den Gegner herankommen will; in diesem Fall drängte der Stoß gegen den Feind das eigene Fahrzeug zurück. Die Züricher hatten aber wiederholt Kämpfe auf dem See zu bestehen. Es ist also nicht undenkbar, dass bei irgendwelchem Anlass diese kleine Zahl Helbartengertel speziell zur Bewaffnung von Schiffsbemannungen angefertigt wurden. Von diesen Waffen sind im Jahre 1896 noch 46 Stück aus dem Züricher Zeughaus an das Schweizerische Landesmuseum übergegangen. Dieselben sind in keiner anderen öffentlichen Sammlung der Schweiz vertreten.

 

Nach dem, was uns von den Streitmitteln aus früheren Zeiten erhalten geblieben ist, war das, was wir heute eine «Glefe» nennen, keine (statt eine) bevorzugte Waffe der Schweizer.»

 

1 Schwendten heißt roden, urbar machen durch Entfernen von Gestrüpp.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 11. Dresden, 1897-1899.


Argumente gegen die eben eingebrachte These

Von Robert Forrer.

 

Erlauben Sie mir, auf die Frage ob «Glefe oder Gertel—Waffe oder Werkzeug?», welche Herr Major Bleuler in Heft 11 dieses Bandes stellt, zurückzukommen, weil die dort vorgebrachten Argumente mehrfach anfechtbar sind und die angeregte Frage immerhin von Interesse ist. Eine Widerlegung der Bleulerschen Ausführungen ist insofern gerade durch diese selbst wesentlich erleichtert, als Herr Bleuler auf Seite 285 genau das selbst widerlegt, was er Seite 283 und 284 zuvor «bewiesen» zu haben glaubt!

 

Bleuler führt nämlich aus, dass jene sichel- oder, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, gertelartigen Geräte aus merowingischer Zeit keine Waffen sein könnten, sondern einfache Gertel sein müssten, bringt dann diverse solche Geräte, welche er als Gertel in Anspruch nimmt, in Abbildung und — schließt damit, dass er gleiche Geräte selbst als Waffe bezeichnet. Dieser Widerspruch dürfte auch Ihren Lesern aufgefallen sein und auch ihnen den Gedanken beigebracht haben, dass diese Frage durchaus nicht so spielend gelöst werden kann, wie dies der erste Teil des Bleulerschen Artikels vermuten lässt.

 

Schon das erste Argument Bleulers steht auf schwachen Füßen, indem er das Gewicht von 750 gr. für eine Waffe zu gering findet. Wer sich ernstlich mit Gewichtsfragen beschäftigt hat, wird finden, dass dieses Gewicht für jene Zeit genau das Gewicht ist, welches man von einer solchen Waffe damals verlangte. Mit den Waffengewichten der Renaissancezeit dürfen jene der Franken- und Merowingerzeit nicht verglichen werden, denn erstere hatten mit Panzerplatten zu rechnen, wie sie dem Frühmittelalter fehlten. Sind also die Eisen der Stangenwaffen des 15. und 16. Jahrhunderts wesentlich schwerer als jene des Frühmittelalters, so schließt das geringere Gewicht der letzteren den Waffencharakter doch keineswegs aus. In der Tat entspricht das Gewicht von 750 gr. durchaus dem, was man für Hiebwaffen jener Zeit verlangen darf.

 

Ich habe schon vor längerer Zeit den Gewichten solcher Waffen mein Augenmerk geschenkt und zahlreiche Wägungen vorgenommen. Die Gewichte sind für den Waffenforscher von nicht geringem Wert und sollten mehr als bisher Beachtung finden. Der praktische Wert solcher Wägungen ergibt sich gerade im vorliegenden Fall: Die von mir festgestellten Gewichte ergaben für die Kampf- und Wurfbeile der Franken und Merowinger, für die sogenannte Franziska, ein Durchschnittsgewicht von circa 600 gr. (Ein Exemplar meiner Sammlung, aus einem Frankengrab vor Andernach stammend, wiegt circa 550 gr.) Bedenken wir nun, dass diese Franziskabeile auf relativ kurzem Schaft saßen, also nach den Gesetzen der Schwere ein relativ höheres Gewicht verlangten, als langgeschäftete Beile, so erscheint das Gewicht von 750 gr. der angezweifelten Gertelwaffe nicht nur als genügend, sondern sogar als recht ansehnlich! Das geht auch daraus hervor, dass andere Stangenstreitbeile, welche dem weiteren Mittelalter angehören, also einer Zeit, in der die Panzerung sich vervollständigte und schwerer wurde, dieselben Gewichte wie diese Gertelwaffe aufweisen. Das Gewicht spricht also im fraglichen Fall nicht nur nicht gegen, sondern sogar für den Waffencharakter jenes merowingischen Gertelfundstückes.

 

Beiläufig möchte ich auch einen anderen Irrtum widerlegen, der in dem Vorwurf steckt, als wäre jener Gertel zu leicht, nicht wuchtig genug für eine Waffe, wohl aber gerade recht für ein Werkzeug. Diesen Einwand hört man hie und da bei alten Waffen, allein er ist unberechtigt, denn wer nur einigermaßen die Waffengeschichte studiert hat, wird finden, dass im Allgemeinen die Waffe leichter, das Werkzeug aber schwerer an Gewicht ist. Man vergleiche z. B. die Gewichte der Streitbeile und Streithämmer mit denen von (natürlich gleichzeitigen) Werkbeilen. Was dem Streitbeil an Gewicht abging, musste die größere Länge des Schaftes ersetzen: die «Wucht» des Hiebes wurde dadurch gewaltig verstärkt. Das gilt auch für die fragliche Gertelwaffe.

 

Auch das zweite Argument Bleulers hat wenig Boden: Nur ein verhältnismäßig geringer Teil des Umfanges jenes Gertels sei scharf. Dem gegenüber könnte ich auf Helmbarten und andere Waffen hinweisen, welche gleich wenig «Schneide» (und keine Spitze) besitzen, allein es genügt ja, auf Bleulers Fig. 6 «Halbartengertel» im Museum zu Zürich hinzuweisen, wo das Schneidenverhältnis relativ genau das gleiche ist. Wollte ich scharf ins Gericht gehen, so könnte ich sogar anführen, dass bei der merowingischen Gertelwaffe von der Klinge zehn Elftel auf die gerade Schneide entfallen, bei der Gertelhelmbarte Bleulers aber bloß drei Viertel!

 

Als drittes Argument, das gegen den Waffencharakter spreche, gilt Bleuler der abgerundete Haken am Rücken des Gertels. Nun gibt es ja zahlreiche Waffen, welche solche Haken tragen, ohne dass es bis jetzt jemandem eingefallen wäre, deshalb diese Waffen als Waffen zu bestreiten. Ich erinnere nur an Boeheim, Fig. 396 und 397a, doch ließe sich diese Liste unendlich vermehren. Der Haken an und für sich spricht also nicht gegen den Waffencharakter. Bleuler wirft deshalb in die Waagschale, dass der Haken «sorgfältig gerundet sei». Allein da dieser Haken nicht als «Gabel verletzen soll», sondern als Traghaken gedeutet worden ist, so fällt auch jenes Argument zu Boden. Als «Parierhaken» oder «Klingenfänger» ist zwar der Haken jener merowingischen Waffe nicht gedeutet worden und Bleulers Widerlegung also an und für sich gegenstandslos, allein selbst das Argument hiergegen ließe sich anfechten, da solche Klingenfänger auch bei den Glefen Boeheims 396 und 397a nicht am unteren Ende der Klinge sitzen, wie dies Bleuler wünscht, sondern in der Mitte der Klingenlänge. Selbst bei Bleulers Gertelhalbarte sitzt sogar der Haken stark am oberen Ende!

 

Bleuler vermisst weiter an den merowingischen Gertelwaffen als «vollwertigen Stangenwaffen» eine Spitze. Dem muss aber erwidert werden, dass von «vollwertigen Stangenwaffen» im Mittelalter und noch weniger also in merowingischer Zeit nicht die Rede sein kann. Erst im 15. und 16. Jahrhundert haben die Stangenwaffen ihre volle Entwicklung erlangt — alle früheren waren bloß Anfänge, sodass also auch diese Voraussetzung hier nicht anwendbar ist. Sie wäre es aber auch insofern nicht, als es ja genug Schlagwaffen und Stangenwaffen gibt, welchen die Spitze fehlt.

 

Auch nicht eines der vorgebrachten Argumente ist also stichhaltig, um gegen den Waffencharakter jener Fundstücke zu sprechen. Gleiches gilt nun auch für die von Bleuler zitierten Vergleichsstücke. Er erwähnt zunächst ein in der 1309 zerstörten Burg Alt-Büren gefundenes Gerät (Fig. 1), welches er als «Hackmesser» bezeichnet. Nun muss man uns aber füglich die Frage erlauben, ob denn dies Geräte wirklich ein Hackmesser war und ob es wirklich aus der Zeit von 1309 stammt? Die Form, die Verzierung und die Tülle machen es nun nicht gerade sehr wahrscheinlich, dass hier ein Objekt des 14. oder gar 13. Jahrhunderts vorliegt. Im Gegenteil erinnert das ganze Objekt weit eher an die Arbeiten der Dorfschmiede des 17. und 18. Jahrhunderts. Ich will indessen, weil diese Frage hier nebensächlich ist, darauf nicht bestehen, wohl aber darf man sich die Bemerkung erlauben, dass Herr Bleuler zwar behauptet, dass es ein «Hackmesser» sei, dass er dafür aber einen Beweis absolut schuldig bleibt. In der Frage, ob Werkzeug oder Waffe gibt dies Stück also keinen Aufschluss.

 

Gleiches gilt für Bleulers Fig. 3, die sehr den merowingischen Originalen gleicht und vielleicht gleichzeitig ist. Weder der Fundort, noch das Objekt selbst geben aber neuen Aufschluss, sodass also dieses Stück weder für noch gegen seinen merowingischen Kollegen zeugt.

 

Anders wäre es mit den Gerteln Fig. 2 und 4 Bleulers, die beide noch heute gebräuchliche Geräte darstellen und bei welchen der Gedanke an eine Waffe von vornherein ausgeschlossen ist. Es sind Geräte, welche man zum Abhauen von Baumzweigen und Gestrüpp benutzt hat. Ähnliche Geräte finden sich auch ohne Rückenhaken bald kurz-, bald langgestielt. Ich sah solche vor Jahren schon in der Schweiz; sie kommen aber auch anderwärts vor. Neues sagen sie uns also nicht. Aber sie bezeugen, dass ähnliche Geräte, wie die merowingischen, noch heute üblich sind, und zwar als Geräte, nicht als Waffe. Gegen diese gefährlichen Belegstücke könnte man nun zwar allerlei Gegengründe anführen und durch Beispiele belegen, dass Dinge, die früher Waffen waren, später in gleicher Form als Werkzeug dienten — und umgekehrt —, allein die beste Waffe gibt uns Major Bleuler selbst, indem er von den Luzerner und Züricher «Schwendtgerteln» und «Halbartengertel» spricht und letzteren unbedingt als Waffe bezeichnet. Er bildet einen im Luzerner Zeughaus-Rodel aufgeführten «Schwendtgertel» ab, den er als sauber geschmiedet beschreibt und der zwei kurze Schaftfedern, Schmiedemarke und — am Rücken waagerechten Haken trägt. Dieses Stangengerät ist nun im Zeughausverzeichnis bald bei den Äxten und Beilen (1615), bald (1661) bei den Stangenwaffen aufgeführt. Könnte man also aufgrund der Analogie mit den Gertel-Werkzeugen, wie sie Bleuler anführt, an ein Werkzeug denken, so nimmt doch andererseits das 1661er Verzeichnis des Luzerner Zeughauses die Luzerner Stücke als Waffen in Anspruch.

 

Noch deutlicher aber spricht der Zeughaus-Rodel von Zürich. Da erscheint 1651 dieselbe Waffe «als Halbartengertel», und zwar figuriert sie zwischen « Halbarten und Mordäxten» (!), anno 1644 als «Langgertel» neben den Mordäxten bezeichnet als «Allerlei Handwaffen»! Wie man sieht, kann der Waffencharakter dieser Gertel gar nicht bestritten werden, und ohne Vorurteil sind die Züricher Stücke von den Luzernern nicht zu trennen, d. h. erstere als Waffe, letztere als bloße Werkzeuge anzusprechen. Dafür ist der Unterschied denn doch zu gering, die Übereinstimmung denn doch zu groß: Die Übereinstimmung betrifft die wichtigsten Teile der Waffe, die Abweichung aber nur nebensächliche Dinge. Die Klinge ist ganz übereinstimmend gearbeitet, nur sitzt der Haken bei der Züricher Waffe (von Bleuler als Waffe anerkannt) mehr am oberen Ende (was nach Bleuler für eine Waffe «undenkbar», uns indessen ganz unwesentlich ist).

 

Die Schäftung ist insofern anders, als der Luzerner Gertel rundlichen Schaft von 1,20 m, der Züricher viereckigen von 1,70 m Länge hat — wie man sieht, kein Argument, um jenem den Waffencharakter abzusprechen. Der Luzerner hat kurze Stangenfedern, der Züricher lange — auch nicht gerade ein gewaltiger Unterschied — gleiche Differenzen finden sich ja an den Helmbarten. Der Züricher Gertel ist oben glatt zugeschient, beim Luzerner sind zwei Lappen um den Schaft geschmiedet — Unterschiede, die bei Waffen aus so später Zeit (17. Jahrhundert) keine Rolle spielen, nichts anderes als lokale Verschiedenheiten sind und auch bei Helmbarten genügsam vorkommen.

 

Gegen die Merowinger Gertel liegt der Unterschied lediglich in dem waagerecht liegenden Haken und in der Anwendung von Stangenfedern. Letztere sind im Waffenwesen aber überhaupt erst spätzeitliche Errungenschaften und können bei den merowingischen also nicht erwartet werden — erstere sind den Helmbarten jener Zeit nachgebildet, also einem Vorbild, das der Merowinger Zeit ebenfalls fehlte. Indem Major Bleuler die Züricher Gertel als Waffen anerkennt und uns so wertvolle Belege in Gestalt der alten Zeughaus-Rodel in die Hand gibt, hat er gerade einen neuen Beweis geliefert, dass wir in den fraglichen Gerteleisen (von denen ähnliche ja unbezweifelt auch als Werkzeuge dienten) wirkliche Waffen vor uns haben!

 

Zum Überfluss sei aber als Beitrag zu dem von Bleuler zitierten Artikel über «Merowingische und karolingische Sichelwaffen» noch mitgeteilt, dass außer den dort zitierten Stücken andere solche Gertelwaffen auch anderwärts sich in Frankengräbern gefunden haben, und zwar in Gesellschaft von Kriegergräbern mit Spatha1 und Scramasax; das lässt wohl nur in letzter Linie an «Holzgertel fränkischer, merowingischer oder karolingischer Bauern» denken? Ob die Züricher Gertelhalbarten wirklich so vereinzelt dastehen, wie Herr Bleuler annehmen möchte, um die anderen Halbartengertel als Werkzeuge gelten lassen zu können, möchte ich bezweifeln.

 

Ich habe bereits oben gezeigt, dass die Luzerner sicher wie die Züricher zu den Stangenwaffen zu zählen sind und dass damit also nicht bloß eine für die «Züricher Kriegsflotte» geschaffene Spezialität vorliegt. Verwandte Stücke kommen auch anderwärts vor;2 und wenn schon an einen speziellen Zweck gedacht werden soll, so würde ich weit eher an eine Waffe der zur Vorhut gehörigen Pioniere denken. Die alten Waffenschmiede haben indessen so viele verschiedenartige und oft wundersame Formenvarianten geschaffen, dass man füglich unterlassen darf, jeder einzelnen Form besondere Zwecke unterzuschieben.

 

1 Ein schönes Exemplar befindet sich auch im historischen Museum zu Basel bei fränkischen Spathae etc.

2 Vgl. z. B. Forrer, Waffensammlung Zschille, No. 724, 801 und 810 (wohl 16. Jahrhundert) u. a.

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 12. Dresden, 1897-1899.