
Im Alexanderroman wird auch erzählt, wie der König eine Luftfahrt unternahm.
Als ich die künstlerische Darstellung dieser Luftfahrt vor Jahren in der Berliner Handschrift des Alexanderromanes sah, hätte ich sie beinahe nicht beachtet, weil doch von einer Luftfahrt oder
von irgend einem andern technischen Problem auf den ersten Blick nichts zu sehen ist. Ich sah nur einen König auf seinem Thron sitzend, und das erschien mir nicht besonders erachtenswert. Erst
die altfranzösische Überschrift des Bildes machte mich neugierig. Es heißt dort nämlich: „Wie Alexander sich läßt tragen in die Luft von Vögeln, die man Greife nennt.“
Der ganze Hintergrund ist wiederum durch einen großen Vorhang abgedeckt, vor dem sich folgendes ereignet. Zwei Gruppen von würdigen Hofleuten schauen empor und deuten durch die Sprache ihrer
Hände an, daß sie etwas verwunderliches sehen. Ihre Blicke sind auf einen Thron gerichtet, auf dem der König Alexander wieder im Königsornat sitzt. An dem Thron bemerken wir lange, seitlich
herausragende Stangen, und an die Stangen sind geflügelte Tiere mit den Beinen festgebunden. Die Blicke aller dieser Tiere sind mit gierigen Augen auf die große Lanze gerichtet, die der König zum
durchbrochenen Dach seines Luftsitzes hinausgesteckt hat.
Der Text zu dieser Malerei erzählt uns folgendes Erlebnis des Königs: „Da gedacht ich, wie ich an den Himmel rühren möchte und ließ mir bereiten eine starke Sänfte, die gut mit Eisen beschlagen
war. Daran hieß ich Stangen machen, und band daran gezähmte Greife. Und ich hatte eine lange Stange, daran war den Greifen ihr Essen gemacht. Diese Stange konnte ich zu den Greifen und von ihnen
wegrücken. Ich ließ die Greife von ihrer Speise kosten. Darnach reckte ich die Stange in die Höhe; weil aber die Greife meinten, sie könnten ihre Speise erlangen, schwangen sie ihr Gefieder: da
erhoben sie sich mit der Sänfte von der Erde. Ich aber reckte die Stange mit der Speise empor, die greiffen flugen nach und fürten mich so hoch in die lufft, das ich weder wasser noch erden
gesehen mocht.“
Nun erzählt Alexander weiter, wie er in den Lüften schwebt und unter sich blickte. Er war so hoch, daß ihm die Erde wie eine kleine Kugel erschien! Köstlich ist es zu lesen, wie der König wieder
abwärts flog. Er neigte einfach die Stange „unter sich“, und die Greife „sanckten sich zu tal“. Als seine Getreuen ihn wieder in der Luft sahen, eilten sie auf Dromedaren in schnellem Lauf
herbei. Sie mußten aber zehn Tagereisen bis in eine wilde Wüste zurücklegen, ehe sie ihren König erreichten. Von dort aus führten sie ihn getreulich, fröhlich und wohl gesund wieder zu seinem
getreuen Volk. Da erhob sich große Freude und Wonne, denn das ganze Volk hatte große Angst und großes Leid um den König gelitten; denn sie meinten und besorgten fast, daß er nimmer wieder zu
ihnen kommen würde. So wurde denn diese Sorge und Angst in große Freude und Wonne verkehrt.
Quelle: F. M. Feldhaus, Modernste Kriegswaffen – alte Erfindungen. Leipzig, 1915.