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Wie sahen die ältesten Geschütze aus?

Über das Vorkommen und Aussehen der Schießpulverwaffen herrscht noch in den weitesten Kreisen Unklarheit, sodaß es sich wohl lohnt, einmal einen kurzen Überblick über die Geschichte des Schießpulvers, der Gewehre und der Geschütze zu geben.

Höchstwahrscheinlich sind die Chinesen ums Jahr 1175 im Besitz einer Mischung von Salpeter, Schwefel und Kohle gewesen, die sie als Spreng-Mittel in eisernen Bomben verwendeten. Die Sprengwirkung eines solchen Schießpulvers beschreibt in Europa im Jahre 1242 der von der Kirche wegen seiner naturwissenschaftlichen Forschungen später heftig verfolgte Roger Baco. Wenige Jahre hernach berichtet ein Grieche, namens Marchos, über dieses sprengsame Schießpulver und im Jahre 1265 macht der vielgelesene Albertus Magnus weitere Kreise hierauf aufmerksam.

Wer dieses Schießpulver in seinem Mischungsverhältnis so verändert, daß es in einem eisernen Rohr treibend wirken konnte, ist gänzlich unbekannt. Den Vater der bedeutsamsten Erfindung aller Zeiten kennen wir nicht!

Wir wissen nur, daß zwischen 1325 und 1350 Schießpulver und Geschütze in verschiedenen Urkunden erwähnt, bezw. primitiv abgebildet werden. Die älteste Darstellung eines solchen Geschützes findet sich als dekorative Zugabe in einer Randleiste eines in Oxford aufbewahrten lateinischen Manuskriptes „Über das Amt der Könige“. Die Malerei verrät, daß der Künstler ein Geschütz nur von Hörensagen kannte. Auf einer viel zu schwach gezeichneten Holzbank liegt ein an der Pulverkammer übertrieben verstärktes Rohr. Aus seiner Mündung schießt ein Kugelpfeil gegen das Tor eines Turmes, weil ein hinter dem Geschütz stehender Ritter im Augenblick ein glühendes Eisen an die kleine Pulverpfanne hält.

Die Ungeschicklichkeit des Malers kann gerade uns heute nicht wundern. Erleben wir es doch, daß niemand von uns etwas sicheres über die neuen Waffen der Gegenwart weiß, obwohl wir mehrere Male am Tage aus den Berichten unserer Zeitungen die erstaunlichsten Leistungen dieser neuen Waffen erfahren. Wie anders erst vor 600 Jahren, wo die Geheimniskrämerei, verbunden mit einer starken Dosis Aberglauben, und unterstützt durch die langsame Berichterstattung, fast in jedem Beruf zu finden ist. Im Beruf der Kriegstechniker ist das Geheimnis noch Jahrhunderte lang möglichst in allen Dingen gepflegt worden. Ihre Handschriften, deren wir trotz aller Kriegswirren vergangener Zeiten noch einige hundert Stück besitzen, sind entweder ganz ohne Text, oder in Geheimschrift, oder in einer unverständlichen, phantastischen Sprache geschrieben, und immer wieder begegnet man, wenn der Verfasser kaum begonnen hat, eine Neuerung zu erklären, den eiligen Schlußworten „so fortfahrend kannst du dies machen, wenn du die Kunst kannst“.

Weil wir in der Technik überall zuerst das Grobe, und erst später als Verbesserung das Feine finden, können wir annehmen, daß das schwere Geschütz älter ist, als die Handfeuerwaffe. Die Urkunden bieten zwar wenig Anhalt für diese Annahme, weil eine feststehende Bezeichnung in keiner Sprache zu finden ist. Die Franzosen nennen ihre ersten Geschütze Eisenköpfe, wir bezeichnen große und kleine Rohre zunächst als Büchsen. Chronisten, die später ältere Urkunden abschrieben oder übersetzten, haben viele Verwirrung angerichtet, weil sie nach Gutdünken solch unklare Ausdrücke präzisierten. So entstanden denn dort, wo höchstens eine Wurfmaschine oder ein Rohr zum Schleudern einfacher Brandsätze erwähnt wird, willkürlich eine „Kanone“ oder ein „Gewehr“. Das ist z. B. in vielen spanischen und orientalischen Urkunden der Fall. Ebenso in einer Genter Urkunde von 1313 bezw. 1393 und einer Metzer Urkunde von 1324. Ließt man die Urtexte, so steht vom Schießpulvergeschütz nicht das geringste darin.

Die ersten Geschütze wurden bald aus Eisen, bald aus Bronze angefertigt. Sie hatten eine Rohrlänge von sechs Kalibern, d. h. das Rohr war sechs Mal so lang als die dazu gehörige Kugel. Kugeln waren bald aus Eisen, bald aus Stein gefertigt. Bemerkenswert bei den ältesten Rohren ist die innere Konstruktion. Fast alle Rohre haben nämlich, wenn man etwa bis zu ⅝ in ihre Rohrlänge eingedrungen ist eine scharfe Verengung. Hinter diese Verengung schüttet man das Schießpulver, dann trieb man einen Holzklotz in das Rohr, der sich gegen die Verengung stemmen mußte und alsdann lud man die Kugel vor den Holzklotz und befestigte sie durch kleine Holzteile. Zwischen dem Schießpulver und dem Holzklotz blieb ein Luftraum, sodaß ein allzu starkes Eintreiben des Klotzes das Schießpulver nicht zur Entzündung bringen konnte. Zum Schießpulver führt eine Bohrung, die mit Pulver gefüllt und mit dem glühenden Geschützhaken (Abb. Seite 39) erst später mit der Lunte, entzündet wurde. Neben einem jeden Geschütz brannte ein kleines Feuer, oder ein kleiner Ofen, um den eisernen Geschützhaken an der Spitze glühend zu machen. Das Geschützrohr hatte keinerlei Zapfen. Es wurde auf eine Balkenunterlage gelegt und dort stark verkeilt. Infolgedessen hatte das Geschütz nur eine einzige Schußrichtung. Das Laden und Abfeuern eines Geschützes nahm eine viertel bis eine volle Stunde Zeit in Anspruch. Was wir heute als Geschützlafette bezeichnen, ist uns aus dem ersten Jahrhundert der Geschütze so unbekannt, daß noch keine Zeughausverwaltung bis heute für ihre ältesten Rohre eine glaubwürdige Lafette konstruieren konnte. Noch zur Zeit Kaiser Maximilians finden wir zu Anfang des 16. Jahrhunderts schwere Geschützrohre in den einfachsten unbeweglichen Balkenbettungen liegen.

 

Quelle: F. M. Feldhaus, Modernste Kriegswaffen – alte Erfindungen. Leipzig, 1915.