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Wie ich das älteste datierte Gewehr fand

Das älteste datierte Gewehr, 1421.
Das älteste datierte Gewehr, 1421.

Die ältesten Gewehre waren sogenannte „Stangenbüchsen“, das heißt einfache Schießrohre, die auf einer Stange von etwa anderthalb bis zwei Meter Länge saßen. Man lud sie vorn mit Pulver, Pfropfen und Kugel, und feuerte sie gegen den Feind ab, indem man einen glühenden Haken oder eine brennende Lunte an die Pulverpfanne hielt. Die Pulverpfanne war manchmal durch einen Deckel gegen Wind und Wetter geschützt.

Diese Gewehre waren also verkleinerte Kanonen auf Stangen, sodaß sie sich bequem tragen ließen. Wann und wo die Handfeuerwaffen aufkamen, weiß kein Mensch; um’s Jahr 1340 finden sie sich plötzlich an verschiedenen Orten.

Das älteste mit einer Jahreszahl versehene Gewehr entdeckte ich vor einigen Jahren auf sonderbare Weise im Museum für Völkerkunde in Berlin. Es lag dort in einem Schrank der chinesischen Abteilung und war als „Wallpistole“ bezeichnet. Das aus Bronze gegossene Rohr mißt 35 cm in der Länge und trägt in chinesischen Zeichen die Aufschrift „Kaiser Yunglo, im 19. Jahr, 7. Monat“. Außerdem sind noch Inventarnummern auf dem Rohr zu lesen. Das 19. Jahr der Regierung jenes chinesischen Kaisers war unser Jahr 1421.

Als ich mir diese chinesische Inschrift hatte erklären lassen, war ich nicht wenig erstaunt, eine Wallpistole in der Hand zu halten, die 120 Jahre älter sein mußte, als die früheste Nachricht von Pistolen überhaupt. Gewiß, die Form der Waffe sprach für eine Pistole: in der Mitte den wulstigen Teil mit einer länglichen Zündpfanne, die ehemals durch einen Deckel geschlossen werden konnte, als Handgriff der lange Schaft, und als Pistolenrohr der kurze Teil. Betrachten wir unsere Abbildung, so wäre der Handgriff nach oben hin, das Pistolenrohr nach unten hin gerichtet (der im Pistolenrohr versteckte Holzschaft fehlte).

Als ich diesen seltenen Fund zweifelnd in der Hand hielt, kam mir der erleuchtende Gedanke zur rechten Zeit: blase in den Lauf hinein, dann kommt die Luft zum Zündloch hinaus. Schlau, nicht wahr?

Und ich blies. Es kam aber keine Luft.

Und ich blies schließlich in den langen, wohl zur Gewichtserleichterung hohl gegossenen Handgriff der Pistole, da zischte die Luft zum Zündloch hinein. Zunächst allgemeines Staunen. Dann lieh ich mir einen Besenstiel, steckte die angebliche Wallpistole mit ihrem kurzen „Lauf“ darauf auf und konnte so den erstaunten Sinologen die Verwendung ihrer Waffe klar machen. Es ist gar keine Wallpistole, sondern die älteste bisher bekannt gewordene, datierte Stangenbüchse, zugleich das älteste datierte Gewehr überhaupt. Aus unserer Abbildung erkennen wir, wie das Bronzerohr auf dem Holzschaft steckt. Bei näherer Untersuchung fanden sich in der unteren, kurzen Bohrung noch die Reste eiserner Stifte, die Rohr und Holzschaft ehemals zusammenhielten.

 

Quelle: F. M. Feldhaus, Modernste Kriegswaffen – alte Erfindungen. Leipzig, 1915.