
Aristoteles, der Denker des Altertums, dessen Schriften ihren Einfluß so lange und tief auf das Geistesleben des Mittelalters ausübten, wie kein anderes Werk des heidnischen Altertums,
Aristoteles ist auch derjenige, der den Gedanken an unterseeische Arbeiten über anderthalb Jahrtausend allein lebendig hielt. Der große Stagirite, „der Fürst aller Philosophen“, dessen Einfluß
erst im 16. Jahrhundert gebrochen wurde, berichtet nämlich in seiner Schrift über die mechanischen Probleme, daß die Elefanten mit Hilfe ihrer aufgerichteten Rüssel auch noch unter Wasser atmen
können. Dabei vergleicht er den Elefantenrüssel mit den Hilfsmitteln zum Atmen unter Wasser, deren sich die Dauertaucher bedienten.
Diese Stelle regte immer wieder spekulative Köpfe an, es mit Entwürfen zu Unterseearbeiten zu versuchen. In der deutschen Sage ist, nach Grimms deutscher Mythologie, die Rede von Wasserhäusern,
tief unter der Oberfläche. Goethe lehnt sich im zweiten Teil seines Faust daran an, wenn er den Mephistopheles vor dem Kaiser von der „prächt’gen Wohnung in der ew’gen Frische“, von einem
unterseeischen, gläsernen Palast gaukeln läßt.
In zwei mitteldeutschen Volksbüchern tritt uns alsbald die Beschreibung von Tauchapparaten und Unterseebooten entgegen. Einmal in dem Volksbuch von „Salman und Morolf“, das andere Mal in der
„Geschichte des großen Alexanders“. Salman und Morolf ist ein deutsches Spielmanngedicht, das auf einem verlorenen byzantinischen Roman fußt, der wiederum auf jüdischen Erzählungen aufbaut. Die
erhabene Weisheit des Königs Salomo wird in der Dichtung immer mit den rohen Späßen seines Gegner beantwortet. So wird auch erzählt, wie Morolf der Königin einen wüsten Streich spielt. Salman
beschließt daraufhin, den Morolf gefangen zu nehmen. Dieser aber hatte sich ein „schiffelin“ angefertigt, auf dem er entwich. Der König Salman rüstete nun eine Flotte von 24 Galeeren und
verfolgte den Morolf:
ehe Morolf es dann wurde gewahr,
da war er mit 24 Galeeren umfahren.
nun ist umgeben Morolf, der Degen.
Er muß mit großer List
fristen sein Leben.
Da Morolf das ersah,
daß er mit 24 Galeeren
nun umgeben war,
Da gab er seine List kund:
vor ihrer Angesicht
senkte er sich nieder auf den Grund.
Eine Röhre in das Schifflein ging
Damit Morolf den Atem fing.
Die Dichtung sagt weiter, daß das Schiffchen mit Leder überzogen und mit Pech verdichtet war, und daß es seinem Erbauer gelang, sich in diesem unterseeischen Fahrzeug volle vierzehn Tage vor
seinen Verfolgern verborgen zu halten. Wir werden nachher sehen, wie lange es dauerte, bis der von dem Dichter erwähnte Luftschlauch in der Praxis allgemein wurde.
In der Geschichte des großen Alexanders, die zu den meistgelesensten Volksbüchern des deutschen Mittelalters gehört, wird gleichfalls ein Tauchversuch beschrieben. Bereits um die Mitte des 13.
Jahrhunderts berichtet der wegen seines physikalischen Wissens von seinem Orden hart bestrafte englische Franziskaner Roger Baco: „Man kann Instrumente herstellen zum Tauchen ohne irgendwelche
Gefahr, wie Alexander der Große solche Vorrichtungen herstellen ließ.“ Baco schreibt also dem historischen König der Mazedonier, nicht dem diesem nachgebildeten Helden des mittelalterlichen
Romans, die Kenntnis von Tauchapparaten zu. Der Romanheld Alexander aber ist der, der alles wagt, alles glücklich vollbringt.
So taucht er ins Meer hinab, um — wie er sagt — „zu messen und zu ergründen die Tiefe des Meeres, auch darin zu sehen und zu erfahren die wilden Meerwunder“. Dieser Gedanke ließ ihn weder ruhen
noch rasten und zwang ihn so sehr, daß er ihm nicht mochte widerstehen. Da berief er die besten Sternseher und Geometer, die er hatte, und auch gute Meister der Alchemie, und bat sie, eine Truhe
zu machen, dadurch man sehen könne, und die fest und stark sei und nicht leicht zerbrechen könnte. Das taten denn auch seine getreuen Meister und machten ihm einen starken Kasten gar gut mit
Eisen gebunden und überzogen mit gesalbten Ochsenhäuten. Darinnen waren mit köstlicher List viele Fenster gemacht, daß kein Wasser hineindringen konnte. Der Kasten war an eine lange eiserne Kette
gehängt. Darauf verabschiedete sich der König von seinen getreuen Rittern, ging in den Kasten, nahm etliche Speise mit und ließ sich versenken in das Meer, das man Ozean nennt, bis zu 30000
Klafter Tiefe. Da sah er mannigfache Gestalten, gebildet nach den Tieren der Erde, die gingen auf dem Grunde des Meeres herum. Und er sah Meerwunder, die so wild waren und sich so grausamlich
stellten, daß er es gar nicht zu erzählen vermochte.
Soweit der wesentliche Inhalt der Stelle über diesen Tauchversuch im Alexander-Roman. Sowohl in einer Brüsseler, als einer Berliner Pergamenthandschrift dieses Volksbuches findet man
Miniaturmalereien des 13. Jahrhunderts über diesen merkwürdigen Vorgang. Die altfranzösische Überschrift in unserer, dem Berliner Exemplar entnommenen Abbildung lautet in der Übersetzung: Wie
Alexander sich versenkt in das Meer in einer Tonne aus Glas. Der Hintergrund des Bildes ist oben von einem Teppichmuster überspannt. Davor sehen wir ein kleines Schiff, von dem aus zwei Männer
den König in seiner Glastonne an vier Stricken ins Meer hinabgelassen haben. Zwischen Schiff und Meeresboden wimmelt es von allerlei Fisch- und Tiergestalten. Greulich-groß schwimmt ein Wallfisch
mit bösem Blick gerade über dem Glasfasse dahin. Der königliche Held sitzt in vollem Ornat, mit Krone und Zepter, dicht unter dem Einsteigedeckel seines Tauchapparates auf einer Bank und beschaut
beim Schein zweier Lampen, die links und rechts neben ihm hängen, die Wunder ringsumher. Auf dem Meeresboden gibt es vierfüßige Tiere, grünende Bäume und fischfressende Meermenschen.
Der Tauchversuch aus dem Alexander-Roman wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts in der Weltchronik des Rudolph von Ems noch in einer weit originelleren Weise in drei Malereien dargestellt, und
natürlich dort auch wieder dem historischen Alexander zugeschrieben. Als Tauchgefäß dient eine große, gläserne Kugel, die an einer Kette befestigt ist. Im ersten Bild wird die Kette von der
Königin in einem Schiff gehalten, und der König hat sich sogar seine Haustiere mit in die Tiefe hinabgenommen. In dem zweiten Bilde, wo der König auf dem Meeresboden Rast macht, wird sein
Fahrzeug von häßlich gestalteten Meerwundern mit Tier- und Menschenköpfen bedroht. Im letzten Bild entsteigt der König seinem unterseeischen Fahrzeug. Diese Darstellung hat sich der Maler
besonders leicht gemacht, indem er nur einen schmalen Spalt an der Kugel geöffnet erscheinen läßt.
Während der König noch den linken Fuß aus der Spalte herauszieht, erzählt er bereits seinen Getreuen von dem, was er unten auf dem Meeresboden gesehen.
Später ging die Darstellung des Tauchversuches auch in die Druckausgaben des Alexander-Romans über; so findet man z. B. die Abbildung in der Straßburger Ausgabe von 1488. Die schönen Glasgefäße
der Handschriften sind zu häßlichen nüchternen Kästen zusammengezezichnet worden.
Daß der im Volk durch die Dichtungen lebendig gebliebene Glaube an die Möglichkeit unterseeischer Arbeiten nicht nutzlos verloren gegangen war, erkennen wir aus einer Reihe von Darstellungen in
Werken alter Kriegstechniker. Es sind Göttinger, Dresdener und Münchener Handschriften aus der Zeit von 1405 bis 1460, die uns verschiedentlich die praktische Anwendung der in den Volksdichtungen
gegebenen Anregungen zu Tauchversuchen zeigen.
Leider ist seit einer Reihe von Jahren die einzige, in Stuttgart aufbewahrte Handschrift von Salman und Morolf, worin, wie wir hörten, vom Luftschlauch die Rede ist, mehrerer ihrer Malereien
beraubt worden. Unter diesen befindet sich ersichtlich auch die Malerei über das Unterseeboot Morolfs.
Quelle: F. M. Feldhaus, Modernste Kriegswaffen – alte Erfindungen. Leipzig, 1915.