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Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen

Von k. u. k. Major P. Sixl in Budweis.

 

B. Urkundliche Nachrichten über Vorkommen und Verbreitung der Handfeuerwaffen.

 

Die bisher besprochenen Handschriften aus dem 15. Jahrhundert enthielten Abbildungen von Handfeuerwaffen, welche je nach Deutlichkeit und Vollständigkeit die Waffe als solche, die einzelnen Details der Konstruktion, und endlich die Art des Gebrauchs zur Darstellung brachten. Man konnte in der Zeichnung die zunehmende Ausgestaltung der Waffe verfolgen und aus der gegebenen Handhabung auf bestimmte Verhältnisse in Bau und Einrichtung schließen. Es war notwendig, da der erklärende Text zumeist fehlte, sich selbst an die Stelle des Zeichners zu setzen, und in die Abbildung jene Idee hineinzulegen, welche den Urheber zur Darstellung veranlasste oder den Abschreiber bestimmte, das ursprüngliche Bild zu verändern.

 

Die nun folgenden Quellen bringen neue Momente für die Geschichte der Handfeuerwaffen; dieselben sind der amtlichen Verrechnung entnommen, welche über vorhandene Waffenvorräte oder über stattgehabte Ausgaben öffentlicher Geldmittel mehr oder minder genau geführt wurden. Diese Quellen bezeichnen das Material, welches für die Anfertigung der Feuerwaffen eingekauft wurde; dieselben enthalten oftmals die wichtige Angabe des Materialquantums, welches für eine bestimmte Anzahl von Hand- oder Hakenbüchsen nötig war; endlich nennen dieselben manchmal den Preis für gekaufte fertige Waffen. Interessant ist auch, dass bei den Eintragungen bestimmte Bezeichnungen gewählt werden, teils um eine einzelne Gruppe von ähnlichen Feuerwaffen zu unterscheiden, teils um eine besondere Eigentümlichkeit in Bau und Konstruktion oder in der Handhabung hervorzuheben.

 

Anfangs findet man diese Unterscheidung seltener; später jedoch wird durch das praktische Bedürfnis und die gegebene Gewohnheit die eingeführte Bezeichnung allgemein, wobei sich mit dem gewählten Ausdruck auch ein bestimmter Begriff verbindet. Bemerkenswert ist ferner die zunehmende Zahl der vorhandenen Hand- und Hakenbüchsen. Vergleicht man die Ziffern der alten und neuen Waffen, so sieht man, dass in frühester Zeit die Handfeuerwaffen nur einzeln neben Bogen und Armbrust genannt werden, in der Folge ob ihrer erhöhten Brauchbarkeit denselben gleichkommen, bei weiterer Vervollkommnung diese überflügeln und schließlich ganz verdrängen; die Zahlen der Handfeuerwaffen steigen stetig bis man am Ende des 15. Jahrhunderts bei den Tausenden anlangte.

 

Es ist notwendig, bei Besprechung der nachfolgenden Quellen in das 14. Jahrhundert zurückzugreifen, einerseits um an ähnliche Daten anzuknüpfen, anderseits um die geschichtliche Entwicklung einheitlich weiterzuführen.

 

Bisher wurde festgestellt, dass es zuerst nur Büchsen gab, welche Blei schossen — (lotbuchsen vom holländischen lood = Blei, blybuchse) — und dass später die Steinbüchsen aufkamen. Diese tatsächliche Erscheinung wird auch urkundlich bestätigt, indem Johann von Posilge in seiner Chronik zum Jahre 1362, als der Hochmeister Winrich von Kniprode das Schloss Kowno belagerte, die Bemerkung macht: «und stürmte das Haus Tag und Nacht mit Bliden und Tummlern; denn noch waren nicht die großen Steinbüchsen, sondern allein die Lotbüchsen.» (Joh. v. Posilge in SS. rerum prusicarum, III, 82.)

 

Es wurde ferner aus deutschen und aus italienischen Quellen nachgewiesen, dass sowohl bei den Lot- als auch bei den Steinbüchsen Handfeuerwaffen vorhanden waren, d. h. Feuerwaffen, welche infolge des Gewichtes der ganzen Waffe und mit Rücksicht auf die Größe des Geschosses zu den Handfeuerwaffen gezählt werden müssen. Die Nürnberger Heeres-Ordnung vom 11. Januar 1388 enthält wiederholt die Bezeichnung «hantpuhsen» zur Unterscheidung von anderen Feuerwaffen; auch das Inventar von Vestenberg vom 6. März 1389 nennt neben einer Lotbüchse «groz pühse schewst 6 bleis», «2 hantpühsen».1

 

Weitere Angaben über Handfeuerwaffen und der Zeit nach an diese Daten anschließend enthält eine Reihe von Inventarien-Verzeichnissen für die Hauptschlösser des Deutschen Ordens aus den Jahren 1370—1440, welche zum Zweck der Übergabe derselben von abgehenden Komturen, Vögten oder Pflegern an ihre Nachfolger aufgesetzt und in einem großen Buch — dem sogenannten großen Ämter- oder Bestallungsbuch — vereinigt sind.2

 

Für die einzelnen Ämter in der Marienburg und den zum Gebiet von Marienburg unmittelbar gehörigen Schlössern gibt es ähnliche Inventarien-Verzeichnisse, welche in das «Marienburger Ämterbuch»3 eingetragen sind; endlich sind noch ergänzende Inventarien zu nennen, welche bei Gelegenheit der Visitationen der Ordensämter von 1419 und von 1437 aufwärts angefertigt und in dem großen Zinsbuch4 enthalten sind.

 

Ferner ist das Tresslerbuch5 anzuführen; dieses war das Hauptbuch der Einnahmen und Ausgaben des Hochmeisters, umfasst jedoch nur die Jahre von 1399—1409, wird aber teilweise ergänzt durch «das neue Rechenbuch der Stadt Elbing von 1404—1414.6 M. Toeppen hat vorzugsweise diese Quellen für seine interessante Abhandlung: «Die ältesten Nachrichten über das Geschützwesen in Preußen»7 benützt; bei den folgenden Darlegungen werden zumeist die daselbst gegebenen Daten angeführt und verwertet.

 

Die älteste Nachricht über Feuerwaffen enthält ein Inventar vom Jahre 1374, welches in dem Ordensschloss Leipe 2 Büchsen nachweist; im Jahre 1377 hatte Schwetz 2 Büchsen und in der wichtigen Grenzfestung Ragnit waren im Jahre 1379 nebst anderen Waffen 6 Büchsen.

 

Vom Jahre 1385 stammt folgende in einem Aufgebot der Ordensmacht vorkommende Notiz: «Königsberg das Haus soll führen 2 Büchsen, dazu 2 Schock Steine; desgleichen 2 Lotbüchsen, je zur Büchse 200 Schüsse und Pulver genug.»8 In dem Hause Christburg sind in demselben Jahre eine große Büchse, eine kleine Steinbüchse und 2 Pfeilbüchsen. Im Jahre 1389 hatte Memel 4 Lot- und 2 Steinbüchsen; im Jahre 1390 waren im Hause Osterode eine große Büchse, 3 kleine Büchsen und 2 Lotbüchsen; im Jahre 1392 in Königsberg 2 große Büchsen, 5 kleine Steinbüchsen und 12 Lotbüchsen; im Jahre 1393 im Ordens-Haupthaus Marienburg 53 Lotbüchsen und 2 Steinbüchsen. Im Jahre 1395 wurde auf einer Tagfahrt zu Marienburg u. a. festgesetzt, dass «Thorn 2 lotbuxen und bly czu dem gelote 2 stucke» und die Stadt Elbing «4 steynbuxsen und steyne und pulver daczu» von dem Hochmeister in Empfang nehmen sollten. Im Jahre 1396 hat Ragnit 14 Lot- und 2 Steinbüchsen; das Haus Elbing konnte den Bürgern der Stadt eine Mittel- und 3 kleine Büchsen leihen, und im Ordenshaus Mewe lagen 9 Lotbüchsen und eine große Steinbüchse. Im Jahre 1401 ließ der Hochmeister Conrad von Jungingen Kupfer und Zinn ankaufen und aus diesem Material 6 Büchsen gießen, welche zusammen 15 Zentner wogen; gleichzeitig werden 12 eiserne Büchsen angefertigt.

 

Im Jahre 1403 werden 2 neue kleine Büchsen gegossen, welche zusammen 4 Zentner 20 Pfund wogen, deren jede aber aus 4 Stücken bestand; im folgenden Jahre waren in Elbing eine große Büchse, eine Mittelbüchse, eine kleine Steinbüchse und eine Lotbüchse. Von den Ordenshäusern im Culmerland hatte im Jahre 1405 Brateau 2 eiserne Lotbüchsen; in demselben Jahre kaufte der Hochmeister 4 kupferne Lotbüchsen, welche einzeln ein Gewicht von 48,5 Pfund hatten.

 

Im Jahre 1409 goss der Büchsengießer und Büchsenschütze von Danzig, Werner auf dem Berge, eine, «deine lange bochse», die jedoch 11,5 Zentner wog; in demselben Jahre goss der Glocken- und Büchsengießer, Heinrich Dümchen, 2 kleine Steinbüchsen, jede von 2 Stücken, eine geschraubt (geschruwet) mit ein Pulvergehäuse, die anderen nicht geschraubt, mit 3 Pulvergehäusen; in Bobrowniki «waren 4 Lotbüchsen, 3 kleine Steinbüchsen, eine geschraubt, die andere mit 2 und die dritte mit 3 Pulvergehäusen.»

 

Heinrich von Plauen übergab als Komthur zu Schwetz, welches Amt er in den Jahren 1407—1410 bekleidete, im Jahre 1411 seinem Nachfolger 2 große Steinbüchsen, eine eiserne Steinbüchse, 2 kupferne Steinbüchsen, 8 Handbüchsen und 3 Tarrasbüchsen. Es ist dies das erste Inventar, in welchem Handbüchsen erwähnt werden; nachdem in den Nürnberger Urkunden die Handbüchsen schon im Jahre 1388 vorkommen, so erscheint dieser späte Zeitpunkt auffallend und vermag nur dadurch eine Erklärung zu finden, dass man annimmt, dass die Hand- und auch die Tarrasbüchsen unter den Lotbüchsen aufgezählt wurden; in dem Inventar von Schwetz im Jahre 1415 sowie im Jahre 1411 wurden die 5 Steinbüchsen gezählt, allein anstatt der 8 Hand- und 3 Tarrasbüchsen, werden 12 Lotbüchsen genannt. Es liegt nahe, dass diese Lotbüchsen mit den vorigen Hand- und Tarrasbüchsen identisch sind. Auch der Zweck dieser Inventare und die Art der Abfassung brachten es mit sich, dass man den Nachdruck mehr auf die vorhandene Anzahl, als auf Handlichkeit, Art der Konstruktion oder Verwendung legte und nur ungewöhnliche Größe, wie z. B. „grosse lotbuchsen“ oder eine besondere Eigentümlichkeit in der Konstruktion hervorhob; z. B. Inventar vom Jahre 1416 von Nassau: „10 Handbüchsen, 7 Lotbüchsen in Gestellen, 5 Steinbüchsen“; — oder im Jahre 1428 von Messig: „4 Lotbüchsen, der sint drey an denander.“

 

Aus diesen Angaben geht weiter noch hervor, dass man unter den Lotbüchsen dieser Zeitperiode teilweise auch Handfeuerwaffen, unter den kleinen Lotbüchsen teilweise auch Handbüchsen zu verstehen hat. Die übrigen oben angeführten Daten enthalten in chronologischer Reihenfolge die Entwicklung der Feuerwaffen von den letzten Jahrzehnten des 14. und vom ersten Viertel des 15. Jahrhunderts; dieselben sind schon deshalb wichtig, weil, wie schon wiederholt nachgewiesen wurde, zu dieser Zeit die Konstruktion von der Größe der Waffe unabhängig war. Man findet anfangs nur Büchsen, später Lot- und Steinbüchsen, sodann große und kleine Steinbüchsen, Pfeilbüchsen und schließlich die Mittelbüchsen; ferner Büchsen aus Eisen, Kupfer und Zinn oder nur aus Kupfer; es entstehen die langen Büchsen, welche schließlich der großen Länge wegen aus mehreren Teilen gegossen und mit Pulvergehäusen von rückwärts geladen werden; endlich kommt die Unterteilung der Lotbüchsen in 3 Gruppen, und zwar in große Lotbüchsen, in Lotbüchsen und in kleine Lotbüchsen; 1416, Inventar von Meve : «16 lotbüchsen und 3 große lotbuchsen»; — 1434, Inventar von Brateau: «5 große lotbuchsen und noch 12 lotbuchsen»;—1441, Inventar zu Althaus: «1 grosse lotbuchse, 12 kleine lotbuchsen».

 

Die rapide Zunahme der Feuerwaffen kommt in überraschender Weise in folgenden Zahlen zum Ausdruck. Im Jahre 1411 betrug der Gesamtbestand aller Feuerwaffen des Deutschen Ordens 173 Stücke, und zwar 74 Stein- und 99 Lotbüchsen; im Jahre 1414 war derselbe auf 676 Stücke, 254 Stein- und 422 Lotbüchsen gestiegen; bis zum Jahre 1419 hatte sich dieser Vorrat um weitere 126 Feuerwaffen, und zwar um 24 Stein- und 102 Lotbüchsen vermehrt und im Jahre 1437 die Zahl 863, und zwar 269 Stein- und 594 Lotbüchsen, erreicht. In den letzten Inventarien sind bei einzelnen Ordenshäusern die Handbüchsen deutlicher hervorgehoben, so z. B. 1437, Inventar von Straßburg: «10 Steinbüchsen, 19 Handbüchsen»; 1458, Inventar von Roggenhausen: «8 Steinbüchsen, 18 Handbüchsen».

 

Der Gesamtstand der Feuerwaffen hatte sich also innerhalb 26 Jahren um das Fünffache erhöht, ein deutlicher unzweifelhafter Beleg für die zunehmende kriegsmäßige Brauchbarkeit derselben, welche wieder nur durch die gesteigerte Verbesserung in Konstruktion und Handhabung einerseits und durch die erreichte vergrößerte Wirkung anderseits bedingt war. Das Verhältnis der Steinbüchsen zu den Lotbüchsen war anfangs 3:4, schließlich jedoch nahezu 1:2.1; die Erklärung hierfür liegt wohl in der leichteren Herstellung kleinerer Büchsen, welche überdies im Vergleich zu den großen Steinbüchsen sehr billig waren; allein die Steigerung von 99 auf 594 gibt auch die Gewissheit, dass die kleinen Lotbüchsen der damaligen Kriegführung sehr erwünscht waren und dass dieselben den gestellten Forderungen vollkommen entsprochen haben.

 

Über das Material, aus welchen die Lotbüchsen angefertigt wurden, geben folgende Eintragungen näheren Aufschluss. Im Jahre 1392 werden in Thorn «6 eiserne Büchsen» gezählt; im Jahre 1401 lässt der Hochmeister Conrad von Jungingen zu Marienburg 12 eiserne Büchsen anfertigen; im Jahre 1405 kaufte derselbe 5 kupferne Lotbüchsen und in demselben Jahre lagen in Brateau 2 eiserne Lotbüchsen; im Jahre 1410 hat Marienburg 4 eherne Lotbüchsen und in Schochau werden nebst 2 eisernen noch 4 kleine eherne Lotbüchsen in das Inventar eingetragen.

 

Aus diesen wenigen Daten, die sich in ähnlicher Weise öfters wiederholen, geht hervor, dass man zur Anfertigung des Laufes der Lotbüchsen Eisen oder Kupfer gebrauchte. Nach den Angaben aus dem Tresslerbuch scheint es wahrscheinlich, dass man in diesem Fall zumeist Kupfer mit einem mäßigen Zusatz von Zinn verwendete; so wurden z. B. im Jahre 1401 vom Molner, dem Schmied, aus 14,5 Zentner Kupfer und 0,5 Zentner Zinn 6 Büchsen gegossen; dies gibt ein Mischungsverhältnis von 29 Teilen Kupfer auf 1 Teil Zinn; heute enthält das Glockenmetall 78 Teile Kupfer, 22 Teile Zinn, Kanonengut oder Medaillenbronze 91 Teile Kupfer, 9 Teile Zinn.

 

Interessante Einzelheiten sind über die Pulverbereitung angegeben. Die geringen Quantitäten des Pulvers, deren man anfangs bedurfte, machen es wahrscheinlich, dass man dasselbe in der einfachsten Weise anfertigte; man benötigte hierzu eine Kohlenpfanne, den Pulverkolben und ein Pulversieb. Das Tresslerbuch enthält hierüber folgende Angaben:

 

«1401: 2,5 m vor 4 kolpfhannen und 5 scot vor 1 pulversijp. 1409: 2 scot vor eyne yserynne kolwe, polver domethe yn czu stossen».

 

Es beschäftigten sich verschiedene Leute mit der Pulverbereitung; so z. B. kaufte der Tressler 5 Pfund Pulver für 10 Scot von einem Pfarrer; die Frau des Glocken- und Büchsengießers Dümchen bekam für Pulver 1 Mark 2 Scot; auch die Knechte in einzelnen Ordenshäusern werden bei der Pulverbereitung verwendet. Um das Jahr 1410 wird die Kohle in einer Mühle gemahlen und zu Marienburg, Elbing und Neuteich werden Pulvermühlen aufgestellt. Ins Feld werden zumeist nur die Materialien und Geräte für die Pulverbereitung mitgenommen oder bei Bedarf später nachgeschoben. In welchem Verhältnis Salpeter, Schwefel und Kohle damals gemischt wurden, ist nicht zu entnehmen, weil jede Andeutung fehlt. Das Pulver wurde in ledernen Pulversäcken aufbewahrt, so z. B. werden im Jahre 1409 für 7 Pulversäcke 9 Scot bezahlt und im Jahre 1414 in Schochau 8 lederne Säcke mit Pulver übergeben.

 

Als Geschosse für die Lotbüchsen diente das «Gelote», aus welchem man Bleikugeln anfertigte; zum Jahre 1401 wurde eingetragen: 3 m. «vor 9 steine blyes zu geloten»; im Jahre 1408 werden «6 Centner blyinne gelote» erwähnt, und im Jahre 1409 werden «gelote» gegossen; nähere Angaben über Beschaffenheit und Größe dieser Bleikugeln fehlen. Nicht uninteressant ist, dass im Jahre 1385 in Königsberg «2 Lotbüchsen, je zur Büchse 200 Schüsse und Pulver genug», im Jahre 1391 zu Osterode bei 2 Lotbüchsen 200 Gelote, und im Jahre 1428 zu Elbing bei 10 Lotbüchsen 10 Schock Geloten aufgezählt werden; diese große Anzahl von Geschossen deutet auf einen intensiven Gebrauch der Lotbüchsen und auf eine besondere Fürsorge für die nötige Munition hin.

 

In den einzelnen Inventarien werden auch «rore» genannt, so z. B. im Jahre 1414 «in Tapian 3 par roren», im Jahre 1422 ebenda «9 par rore, 2 par haberroren, 2 par roren gegetert». Das Tresslerbuch gibt hierzu die nötige Aufklärung; dasselbe enthält zum Jahre 1409 folgende Ausgabepost: «4 scot vor polvermesechen, von bleche gemacht, und vor 4 roren, do der bochsenschocze Fuver mag inne tragen». Diese Rohre hatten demnach die Bestimmung, das brennende Zündmittel aufzunehmen und sollten ermöglichen, dass man dasselbe stets zur Hand habe, um die geladene Feuerwaffe sofort abschießen zu können. Dieselben eisernen Röhren nennt auch das Inventar des Zeughauses von Bologna vom Jahre 1397: «14 ferros ad trandum ignem».

 

Die Lotbüchsen wurden in hölzernen, beschlagenen «laden»—die heutigen Gewehr-Verschläge — aufbewahrt und versendet. Im Jahre 1409 erhält der Schmied Jan Wernig in Marienburg «1,5 mark vor 5 laden czu lotbuchsen czu beslohen», und im Jahre 1410 werden zu Elbing 15 Laden angeschafft, «lotbuchsen dorin to leggende».

 

Diese vorstehenden Angaben lassen sich durch gleichzeitige ähnliche Daten leicht ergänzen, wodurch das Gesamtbild der Entwicklung der Feuerwaffen sich immer mehr vervollständigt. Schon im Jahre 1378 wurden in Nürnberg Ausgaben eingetragen, für Steine, die man schießt, für 2 kupferne und 2 eiserne Büchsen9 und im Jahre 1386 kosten daselbst 3 kupferne Büchsen, die 2,5 Zentner wiegen, 27 und 10 kleine eiserne 30 hl.10

 

Es wurden demnach schon im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts Eisen, sowie Kupfer, wahrscheinlich mit einem geringen Zusatz von Zinn, zur Anfertigung der Feuerwaffen verwendet; das Gewicht der kupfernen Büchsen war dasselbe, wie bei jenen 6 Büchsen, welche im Jahre 1401 der Hochmeister Conrad von Jungingen aus 14,5 Zentner Kupfer und 0,5 Zentner Zinn gießen ließ. Die in dem Inventar von Vestenberg vom Jahre 1389 erwähnte große Büchse schoss 6-pfündige Bleikugeln, was einem Kaliber von nahezu 8 cm entsprechen würde. In der Zeugmeisterrechnung der Stadt Regensburg vom Jahre 1382 wurden oben 11 gegossene, in Holz verrichtete «Büchsen», welche zusammen 120 Pfund wogen, angeführt, daher eine Büchse zu 12 Pfund, was auf Handfeuerwaffen hindeutet.11

 

Aus dem Jahre 1410 ist eine Urkunde der Burg Hohenkarpfen bei Tuttlingen erhalten, welche folgende Schießwaffen anführt: 20 Armbrüste und 5000 Pfeile, 8 kupferne Büchsen, 4 Steinbüchsen und 4 Klotzbüchsen.12 Hier stehen 20 Armbrüste 16 Feuerwaffen gegenüber. Es wurde oben hervorgehoben, dass schon in der Münchener Handschrift das Wort «Klotz» in der Bedeutung von Geschoss, und zwar im Gegensatz zu «ainem stein» vorkommt, es lag nahe, diese nach der Art der Geschosse als Steinbüchsen, jene aber als Klotz- oder Lotbüchsen zu bezeichnen.

 

Dem Pfalz. Cop. Buche Nr. 4 aus Karlsruhe ist folgende Notiz entnommen: «Gein Waldeck ist kommen . . . 1412 eine cammerbohsse, it. 50 stein dartzu. it. 3 clotzbohssen und me dann 100 clotzer dazu. 1 fessel Salpeters; 1 fessel mit polver.»13 Hier sind die Klotzbüchsen sowie oben die Lotbüchsen, den Steinbüchsen gegenübergestellt; auch die Munitionsmenge entspricht den oben gegebenen Daten von Königsberg, Osterode und Elbing. — Im Jahre 1413 sind zu Fürstenberg 7 Handbüchsen und 117 Büchsensteine vorhanden.14

 

1 Die Chroniken d. deutschen Städte, 1.

2 Großes Ämterbuch im Königsberger Archiv, A 15.

3 Marienburger Ämterbuch im Königsberger Archiv, A 31.

4 Großes Zinsbuch im Königsberger Archiv, A 138.

5 Tresslerbuch im Königsberger Archiv, A 17. Im Jahre 1896 im Druck herausgegeben von Dr. Joachim, Archivrat in Königsberg i. Pr., im Auszuge veröffentlicht von B. Engel, Landrichter in Thorn; Zeitschrift f. hist. Waffenkunde I. H. 8 u. 9.

6 Gleichzeitige Handschrift, erhalten im Konventschranke des Archivs zu Elbing.

7 Archiv für die Offiziere der königl. preuss. Artillerie und Ingenieur-Korps. Berlin 1868.

8 Fol. A, 186. Allerley Missive des Königsberger Archivs, 220b, ohne Zeitangabe, aber unmittelbar vor einem ähnlichen Aufgebot von 1386 und von derselben Hand geschrieben. (Toeppen 128.)

9 Würdinger, II, 342 zitiert: Röderi Pauli memoria Ebneriana p. 73.

10 Würdinger, II, 346.

11 Gmeiner, Regensburger Chronik, II, 192.

12 Monumenta Zollerana, I, 442.

13 Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. VI. 60.

14 «Quellen» 21.

 

(Fortsetzung folgt.)

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 1. Dresden, 1900-1902.