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Zur Deutung der Klingeninschrift FRINGIA

Von Dr. Wilhelm Erben in Wien.

 

In seinem Aufsatz über Genuesische Klingen hat Direktor von Ehrenthal die Frage nach der Auflösung des Wortes Fringia, welches auf ungarischen Klingen des 16. bis 18. Jahrhunderts vielfach nachgewiesen ist, berührt, und dabei die in der zweiten Auflage des Kataloges des k. und k. Heeres-Museums (Wien 1895) S. 142 aufgrund eines Hinweises des verstorbenen ausgezeichneten Waffenkenners Quirin v. Leitner von mir ausgesprochene und in der vorjährigen Ausgabe wiederholte Herleitung dieser Inschrift von «fränkisch», d. h. im Sinne der Türken abendländisch, verworfen. Daran anknüpfend will ich versuchen zu zeigen, was mich bewogen hat und noch heute bestimmt, diese Erklärung für die wahrscheinlichste zu halten und weshalb ich die von Boeheim vorgebrachte und nun von Ehrenthal wieder verfochtene Deutung (Ferdinandus Rex IN Germania Imperator Augustus) als unannehmbar betrachte.

 

Die Kürzung eines längeren Regenten- oder Adelstitels durch Anwendung der Anfangsbuchstaben ist schon im 16. Jahrhundert weit verbreitet, besonders dort, wo es sich um Beischriften zu einem Wappen handelt. Aber es ist zu beachten, dass in diesen Fällen die einzelnen Initialen, soviel ich sehe, regelmäßig mit dem Kürzungspunkt versehen erscheinen. Hieße es also auf den Klingen F-R-I-N-G-T-A-, wie Demmin fälschlich angibt,1 so würde auch ich dem Gedanken zustimmen, dass sich unter dieser Inschrift ein abgekürzter Titel oder vielleicht ein Wahlspruch verberge. Aber die Punkte sind eine willkürliche Zutat Demmins, nicht eine der fraglichen Klingen zeigt meines Wissens zwischen den Majuskeln einen Abkürzungspunkt.2 Wollten wir aber auch annehmen, dass diese Kürzungszeichen durch Versehen oder Zufall weggeblieben seien, so erübrigt doch noch ein viel schwereres, sachliches Bedenken, der Umstand nämlich, dass der Titel «Rex in Germania imperator augustus» in dieser Form weder von Ferdinand I. noch überhaupt jemals gebraucht worden ist, ja gerade unter den Verhältnissen, aus denen Ehrenthal die Verbreitung der Fringia-Klingen erklären will, als eine historische Unmöglichkeit bezeichnet werden muss.

 

Der Titel der römischen Kaiser lautete in den neueren Jahrhunderten ständig: „Romanorum. imperator semper augustus“; war er ohne vorhergehende Kaiserkrönung angenommen worden, wie es seit dem von Maximilian I. gegebenen Beispiel regelmäßig der Fall war, so pflegte man diesen Worten noch das «electus» voranzustellen; hinter dem kaiserlichen Titel werden die dem Herrscher etwa zustehenden königlichen Würden angeführt. Ferdinand I. also nannte sich als Kaiser (1558—1564) „electus Romanorum imperator semper augustus ac Germaniae Hungariae Bohemiae etc. rex“. Daraus kann unmöglich Fringia werden und ebenso wenig aus den königlichen Titeln, die er vor dem Jahr 1558 führte (von 1526 bis 1531) Hungariae, Boemiae, Dalmatiae, Croatiae etc. rex; von 1531 bis 1558: Romanorum, Hungariae, Boemiae, Dalmatiae, Croatiae rex).3

 

Man wende nicht ein, dass der Klingenschmied sich nicht um Kanzleibrauch und Staatsrecht gekümmert habe. War ihm überhaupt so viel politisches Verständnis beschieden, um zum ersten Mal in jener angeblichen Kürzung den Namen Ferdinands auf sein Werk zu setzen, so musste ihm aus Münzen, Urkunden und Flugschriften diese richtige Form des Titels geläufig sein; die Kürzung konnte im besten Falle F-R-I S A oder F-R-IMP-S-A lauten;4 aber nirgends begegnet diese oder eine ähnliche Variante unserer Klingeninschrift. Und selbst wenn wir dem Schmied der ersten Fringia-Klinge die Seltsamkeit zumuten, dass er sich, obwohl Beispiele des richtigen Titels aller Orten zu finden waren, nach eigener Phantasie eine neue Formel zurechtgelegt und dabei merkwürdigerweise den Kaisertitel nachgestellt und den bekanntlich im Rang tieferstehenden Königstitel vorangerückt haben sollte, so bleibt doch noch ein unüberwindliches Hindernis. Es handelt sich um ungarische Säbel; bedeutet Fringia den Titel Ferdinand I., so müssen diese Waffen, wie Ehrenthal auch annimmt, von den ungarischen Anhängern Ferdinands geführt worden sein. Und diese auf alle nationalen Rechte so eifersüchtigen Magyaren sollten Klingen getragen haben, auf denen zwar des Kaisertitels und der deutschen Königswürde, aber nicht des ungarischen Königtums gedacht war?

 

Um dieser unmöglichen Annahme aus dem Weg zu gehen, haben Boeheim und Ehrenthal in ihrer Auflösung hinter rex in Klammern Hungariae beigefügt. Sie beziehen also den Königstitel auf Ungarn, so dass die darauffolgenden Worte «in Germania» nicht zu rex sondern zu «imperator augustus» gezogen werden müssten; «König Ferdinand, in Deutschland Kaiser» würde demnach die Übersetzung zu lauten haben. Dieser Auffassung widerspricht aber die geschichtliche Bedeutung des alten Kaisertums, welches seinem Wesen nach keineswegs auf Deutschland beschränkt war, sondern einen universellen Machtanspruch in sich schloss. Einen «Kaiser in Deutschland» oder einen «Deutschen Kaiser» hat es im 16. Jahrhundert ebenso wenig gegeben als im Mittelalter, es gab nur „römische Kaiser“, die als ideelle Nachfolger der Imperatoren des Altertums und der Weltherrschaft Karls des Großen galten. Es wäre ein Hineintragen moderner Vorstellungen, wenn wir einem Waffenschmied des 16. Jahrhunderts Zutrauen würden, dass er sich von dieser Grundanschauung losgesagt und von einem «imperator in Germania» gesprochen hätte. Die Worte «in Germania» können daher, wenn sie überhaupt unter jener Kürzung verborgen sein sollen, nur auf das vorausgehende rex bezogen werden, wobei dann rex in Germania als eine zwar ungebräuchliche, aber vielleicht doch nicht ganz unmögliche Wendung für rex Germaniae anzusehen wäre. Dann aber ist die Deutung von rex als ungarischer König ausgeschlossen, und es fehlt somit in der ganzen Klingeninschrift jeder Hinweis auf Ungarn — und das ist undenkbar bei den von ungarischen Patrioten geführten Waffen.

 

Das ungarische Seitenstück zu der bisher besprochenen Auflösung bildet die Beziehung der Inschrift auf Franz Rakoczi II. Zwei Möglichkeiten, nämlich: Franciscus Rakoczi In Nomine Gentis Impetit Austriam, oder: Franciscus Rakoczi In Nomine Gentis Insurgit Armis sind hier erwogen worden. Was oben über das Fehlen der Kürzungszeichen gesagt ist, würde sich ebenso diesen Vorschlägen entgegenstellen lassen. Aber es ist unnötig, sie weiter in Betracht zu ziehen, da schon ungarische Forscher ihre chronologische Unzulässigkeit erkannt haben.5 Franz Rakoczis II. Aufstand fällt in den Beginn des 18. Jahrhunderts, Fringia-Klingen aber sind schon zu Ende des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Mit Recht hat unter solchen Umständen Bärczay darauf verzichtet, hinter dem rätselhaften Wort eine gekürzte Inschrift suchen zu wollen.6 Aber auch sein Hinweis auf die Ähnlichkeit des Wortes Fringia mit frangere (brechen) oder framea (Schwert, Säbel) führt zu keinem brauchbaren Ergebnis. Weder Fringia noch die Nebenform Frangia karin als eine Verballhornung von Framea angesehen werden.

 

Außer der lautlichen Verschiedenheit zeigt dies der Umstand, dass sich die ursprüngliche Form framea weiter erhalten und gerade in Verbindung mit fringia Anwendung gefunden hat.7 Fringia bezeichnet, wie hieraus hervorgeht, eine besondere Abart von Klingen oder Säbeln, es kann nicht identisch sein mit dem Gattungsnamen framea. An frangere aber könnte doch nur in dem Sinne von infragilis (unzerbrechlich) gedacht werden, da die aktive Deutung dieses Verbums im Sinne von «Spalten, Durchhauen» für die Zeit, als die Fringia-Klingen auftauchten, nicht mehr zulässig ist. Solange also nicht Klingen mit der Inschrift infragilis oder einer ähnlichen Form nachgewiesen sind, wird es gut sein, von einer Konjektur abzusehen, die von den überlieferten Varianten so weit abweicht.8

 

Freilich setzt auch die Herleitung des Wortes Fringia von frengi, der türkischen Bezeichnung für fränkisch und abendländisch überhaupt, eine sprachliche Veränderung voraus, aber sie nötigt nirgends zu unwahrscheinlichen Annahmen. Am einfachsten zu erklären ist die schon im 16. Jahrhundert nachweisbare Form FRANGIA (Szendrei S. 559 u. 814); hier beruht das Eintreten des a im Stamm anstelle des im türkischen Adjektiv stehenden e auf einer Wiederaufnahme des zugrunde liegenden deutschen Stammes frank, eine Veränderung, die jedem Abendländer, der den Sinn des türkischen frengi kannte, sofort in den Mund kommen musste; das a der Endung aber ist entweder durch mechanische Nachbildung anderer ähnlicher Klingenmarken (GENOA, VENECIA) zu erklären oder als eine absichtliche Latinisierung aufzufassen, sei es nun, dass hierbei frangia als Adjektiv zu einem zu ergänzenden Hauptwort weiblichen Geschlechts gedacht war (etwa zu framea), oder dass es nur als der aus frengi gebildete Ländername zu betrachten, also mit «Franken» d. i. «Abendland» zu übersetzen ist.

 

Für diese letztgenannte Annahme spricht besonders die (bei Szendrei S. 865) überlieferte Variante FRANCIA. Aber auch die weit stärker verbreitete Form FRINGIA bietet keinerlei Schwierigkeiten. Aus dem türkischen und levantinischen frengi (ferengi, firengi) kann sehr leicht firingi, fringi geworden sein, ja es muss diese dialektische Umformung geradezu erwartet werden. Die Gleichstellung von Fringia und frengi unterliegt also keinem lautlichen Bedenken und sie bildet nur einen neuen Beleg für die auch anderwärts beobachtete Erscheinung, dass im Handelsverkehr zwischen Orient und Okzident oftmals die von dem einen Teil entlehnten Warenbezeichnungen in merkwürdig veränderter Gestalt in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind. So sind beispielsweise die in Italien und anderen Teilen des Abendlandes nach orientalischen Mustern gearbeiteten Gewebe (Seidenbrokate), welche man hier Sarazinois nannte, im Wege des Handels in den Orient gelangt und dort als «Säräsina» bezeichnet worden — ein Wort, dessen Erklärung gleichfalls Schwierigkeiten bereitete, solange man nicht auf jene Handelsbeziehungen und die dabei unvermeidlichen Wanderungen und Wandlungen der Namen aufmerksam geworden war.9

 

Sprachlich steht also nichts im Wege, unsere Inschrift als eine geographische Herkunftsbezeichnung aufzufassen, wozu ja von vornherein die Analogie der in ganz derselben Weise in die Klingen eingeschlagenen Marke GENOA die meiste Berechtigung gibt. Und diese Erklärung lässt sich auch mit den geschichtlichen Verhältnissen des 16. Jahrhunderts und den hieraus erwachsenden Bedingungen des Waffenhandels sehr wohl vereinbaren. Fränkische, d. h. abendländische Klingen waren im Morgenland neben den indischen seit alters her rühmlich bekannt. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die Türken, als sie im Laufe des 16. Jahrhunderts sich den größten Teil Ungarns unterwarfen und so die nahezu unmittelbaren Nachbarn der durch eine alte Eisenindustrie berühmten österreichischen Erblande wurden, anfingen aus diesen Gebieten ihren Waffenbedarf zu decken, und wenn umgekehrt österreichische und steirische Waffenschmiede ihre Handelsverbindungen nach Osten ausdehnten.

 

Von dem siebenbürgischen Fürsten Bethlen Gabor ist es bezeugt, dass er im Jahre 1620, mitten in seinem Kampf mit dem Kaiser, zu Weiz in Steiermark Säbel und Klingen hundertweise ankaufte, so dass die steirischen Stände sich genötigt sahen durch ein Ausfuhrverbot diese Unterstützung des Feindes zu verhindern.10 Diese Tatsache kann aber nicht vereinzelt dastehen, sie darf als ein Beispiel und Beweis lange fortbestehender Handelsbeziehungen aufgefasst werden, welche den unmittelbar angrenzenden, unter habsburgischer Herrschaft stehenden Rest Ungarns und die weiten, daran stoßenden türkischen Teile des Landes gewiss ebenso lebhaft mit dem Westen verbanden, wie das ferne Siebenbürgen, das zwar von Zeit zu Zeit mit Österreich verbündet, in der Hauptsache aber doch von türkischer Politik und Kultur abhängig war.

 

Wie aber, sollte man im türkischen Ungarn oder in Siebenbürgen diese Einfuhrartikel aus dem Westen nennen, wenn nicht fränkisch? Wie anders sollte der Fabrikant seine Ware, um sie von orientalischen und italienischen Erzeugnissen zu unterscheiden, in diesen Gegenden empfehlen, wenn nicht als abendländische? «Deutsch», «österreichisch» oder «steirisch» wäre genauer gewesen und uns heute bequemer. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass für die Bezeichnung der Ware die geographischen Begriffe des Erzeugers weniger maßgebend sind, als der geläufige Sprachgebrauch des Abnehmers. Von den politischen Abgrenzungen des Abendlandes hatte der Orientale keine Vorstellung, nur der Gesamtname frengi war bei ihm eingebürgert, an ihn also musste sich derjenige halten, der in Deutschland oder in seinen südöstlichen Teilen erzeugte Waffen im türkischen Ungarn an den Mann zu bringen gedachte. Die heute in Ungarn gebräuchliche Bezeichnung Schwaben für Deutsche ist den Türken fremd gewesen, und der türkische nicht der ungarische Sprachgebrauch war in dieser Frage maßgebend.

 

Mit dieser Darlegung entferne ich mich freilich noch in anderer Hinsicht von dem Standpunkt, welchen Ehrenthal in seinem oben angeführten Aufsatz einnimmt. Nach Ehrenthals Ansicht deutet das häufige Vorkommen von Fringia-Klingen in Ungarn auf den Handelsverkehr der Genuesen mit den Magyaren; er sucht also die Entstehung wenigstens der älteren Fringia-Klingen in Genua, wo nach seiner Annahme der persönliche Auftrag König Ferdinands den Anstoß zu der Einführung dieser Inschrift gegeben haben dürfte. Ich muss gestehen, dass mir der Beweisgang, der hierzu führen soll, nicht zwingend erscheint. Dass die genuesische Klingenindustrie einen Weltruf genoss, dass einzelne ihrer Erzeugnisse den Weg selbst bis nach Ungarn fanden, soll nicht geleugnet werden, aber weder die von Ehrenthal als wichtigstes Kennzeichen genuesischer Klingen behandelte Sichelmarke noch auch die eingeschlagene Inschrift GENOA möchte ich in allen Fällen als vollgültigen Beweis der behaupteten Herkunft hinnehmen.

 

Und was die Bezeichnung Fringia betrifft, so sehe ich sie vielmehr als einen Beweis nichtgenuesischer Erzeugung, als eine Marke an, die in bewusstem Gegensatz zu der genuesischen aufgekommen ist. Dafür scheint mir schon der interessante Fall der beiden Waffen Stefan Bathorys charakteristisch, den Ehrenthal S. 75 bespricht. Die genaue Übereinstimmung, welche Schwert und Säbel in Bezug auf die geätzten Verzierungen aufweisen, lässt mich nicht daran zweifeln, dass beide von derselben Hand, oder doch in derselben Werkstatt in solcher Weise ausgeschmückt sind. Aber von der Ätzung abgesehen zeigen beide Waffen untereinander nichts, was dazu führen müsste, ihre Erzeugung demselben Waffenschmied zuzuschreiben; der Säbel mag, wie die eingeschlagene Schrift besagt, wirklich in Genua geschmiedet sein, bei dem Schwert spricht nichts dafür.

 

Hat nun also derselbe Ätzmaler zwei so verschiedenartige, aller Wahrscheinlichkeit nach an verschiedenen Orten erzeugte Waffen in ganz gleicher Weise geziert und überdies mit einer neuen Marke «Frangia» versehen, so liegt doch kein Grund vor, diesen Ätzer in Genua zu suchen; vielmehr ist es mir wahrscheinlich, dass der, welcher neben das GENOA des Klingenschmieds sein FRANGIA auf die für den Osten bestimmte Waffe gesetzt hat, hiermit hervorheben wollte, dass die Ätzarbeit an anderen Orten entstanden sei als die Schmiedearbeit. Und nach dem Stil der Zeichnung wird die Entstehung dieser Ätzarbeit doch wohl in Deutschland und nicht in Italien zu suchen sein.11 Wenn dann auf den gewöhnlichen, aller künstlerischen Ausschmückung entbehrenden ungarischen Säbeln, die in ihrer Form aufs engste mit jenen übereinstimmen, welche die Marke GENOA tragen, in ganz gleicher Weise FRINGIA eingeschlagen wird. So sehe ich hier nichts anderes als die Nachahmung genuesischer Klingen durch deutsche Werkstätten, die, sobald ihre Handelsbeziehungen genügend gesichert waren, im Interesse ihres Absatzes mit Absicht die italienische Herkunftsbezeichnung durch die deutsche ersetzten.

 

Einen Hauptgrund für meine Überzeugung, dass Ehrenthal den genuesischen Klingen eine zu große Verbreitung zugeschrieben hat, bildet das häufige Vorkommen der Sichelmarke und der Bezeichnungen Fringia und Genoa auf den Säbeln des Grazer Zeughauses.12 Es ist ja bekannt, dass diese Anstalt keine im kunstwissenschaftlichen oder historischen Interesse zusammengebrachte Waffensammlung ist, sondern in ganz einziger Weise die Vorräte erhalten hat, welche im 16., 17. und 18. Jahrhundert von der steirischen Landschaft zum Zweck der Landes- und Grenzverteidigung aufgehäuft wurden. Wie nun soll das landschaftliche Zeughaus zu einer so bedeutenden Zahl genuesischer Klingen gekommen sein? Von vornherein ist ja die Annahme abzulehnen, dass die Stände, welche an dem Blühen der Waffenindustrie im eigenen Lande das größte Interesse und eine so willkommene Stütze hatten, im fernen Welschland Waffenbestellungen gemacht haben sollten. Aber es bedarf keiner indirekten Schlüsse, denn wir besitzen die urkundlichen Belege über die Art, wie jener stattliche Kriegsvorrat zustande kam.13 Mit voller Klarheit ergibt sich aus ihnen, dass die Stände ihre Säbel zum Teil in Passau und Wiener-Neustadt, zumeist aber in Steiermark selbst bestellten; von den steirischen Erzeugungsstätten waren in erster Linie Weiz, daneben auch Graz, Judenburg und Pettau an der Lieferung von Säbeln beteiligt. Auch den Bedarf welscher Rapierklingen deckte nicht das fernere Italien, sondern Friaul. Von einem Import von Klingen aus Genua findet sich keine Spur.

 

Sehen wir also von der höchst unwahrscheinlichen Annahme ab, dass alle in Betracht kommenden Waffen auf dem Wege der Erbeutung aus Ungarn ins Land gekommen wären, so ergibt sich die notwendige Folgerung, dass die mit Sichelmarken versehenen oder mit GENEVA oder FRINGIA bezeichneten Säbel und Klingen des Grazer Zeughauses in Passau, Neustadt oder in Steiermark verfertigt worden sind. Die größte Wahrscheinlichkeit spricht für Steiermark selbst.14 An dieses Land dürfte daher auch bei den anderwärts vorkommenden Klingen derselben Art zunächst zu denken sein, und getrost kann ihre Beliebtheit als ein Ruhmestitel für die rührige Waffenindustrie der deutschen Alpenländer angesehen und ihre starke Verbreitung in Ungarn als ein Beweis dafür geltend gemacht werden, wie sehr dieses Land auch im Waffenwesen von seinen unmittelbaren westlichen Nachbarn abhängig war.

 

1 So zuerst in der 3. Auflage seiner Kriegswaffen S. 1022, wo im Übrigen die von Boeheim, Handbuch aufgestellte und von demselben in dieser Zeitschrift berichtigte Deutung angenommen, aber nicht beachtet ist, dass eine Auflösung von I. N. durch «in» unzulässig ist.

 

2 Außer den von Ehrenthal zitierten Beispielen kann ich mich auf sechzehn derartige Klingen berufen, die das Heeresmuseum besitzt; zehn hiervon sind in meinem Katalog (Wien 1899) I. Saal Nr. 91, 152, 155, 279 bis 282, 343, 351 und II. Saal Nr. 109 beschrieben, die übrigen teils in den Wandgruppen, teils im Depot untergebracht.

 

3 Vgl. die Legenden der Siegel Ferdinands bei Heffner, die deutschen Kaiser- und Königs-Siegel S. 35, jene der Münzen bei Schulthess-Rechberg, Thaler-Cabinet I. Bd. Nr. 127 bis 158, und Nr. 2375, 2376, 2378 bis 2384 und insbesondere die in ungarischen Angelegenheiten ergangenen Schreiben Ferdinands bei Fraknói, Monumenta comitialia regni Hungariae IV. Bd. S. 39, 125, 195, 203 usw., welche erweisen, dass auch in Ungarn die gleichen Formeln üblich waren. Eine Ausnahme scheint die zu Hermannstadt im Jahr 1552 geschlagene Klippe zu bilden, deren Initialen F. R. V. mit Ferdinandus rex Ungariae aufgelöst werden (Schulthess-Rechberg 12377).

 

4 Die Abkürzungsform R. I. S. A. war im 17. und 18. Jahrhundert auf Kanonenrohren gebräuchlich, so steht sie auf den österreichischen Geschützen Nr. 35 und 57 bis 66 des Heeres-Museums, die den Jahren 1657 bis 1738 angehören; zur Zeit Ferdinands I. hingegen u. auch unter seinen nächsten Nachfolgern liest man auf den Geschützrohren den Titel meist ungekürzt; die aus Münzen u. Siegeln ersichtliche beliebteste Abkürzungsform des 16. Jahrhunderts war: el. Ro. imp. s. (oder semp.) aug. G. (oder Ger.) H. (oder Hung.) Bohem. etc. rex.

 

5 Bárczay, A hadügy fejlödésének története 2, 607 und Szendrei, Ungarische kriegsgeschichtliche Denkmäler S. 322 u. 844. Wann und von wem diese Erklärungen von Fringia zum ersten Mal aufgestellt wurden, konnte ich nicht feststellen.

 

6 a. a. O. 2, 606.

 

7 S. die von Szendrei S. 404 und darnach von Ehrenthal oben S. 74 angeführte Stelle aus dem 1672 angelegten Verzeichnis des Zrinyschen Nachlasses.

 

8 Eine Stütze würde diese Annahme nur dann erhalten, wenn die von Demmin, Kriegswaffen 3. Aufl. S. 741 Anm. angeführten Formen INFRINGIA und INFINIA sich bestätigen sollten. Vorläufig bin ich geneigt, hierin bloße Verlesungen oder allenfalls Entstellungen des vielleicht doppelt gesetzten Wortes FRINGIA oder auch der an einem Panzerstecher des Heeres Museums (1, Saal Nr. 91) nachweislichen Marke FINA FRINGIA zu erblicken.

 

9 Pichler-Graf Meran, Das Landeszeughaus in Graz 1, S. 109.

 

10 Der türkischen Sprache u. Literatur unkundig, muss ich mich für das oben Gesagte dankend auf die wertvollen Mitteilungen berufen, mit welchen mir der Direktor der k. k. Hofbibliothek, Hofrat Professor Karabacek, in freundlichster Weise an die Hand gegangen ist.

 

11 Ganz ähnlich dürfte es sich mit der framea cum ferro Fringiae Genuae verhalten haben, die sich im Zrinyschen Nachlass fand. Etwas anders muss die auf einem ungarischen Säbel des 18. Jahrhundert (Heeres-Museum Nr. 343) vorkommende Form FRINGIARAB erklärt werden. Die Klinge ist damasziert und in eleganter Weise mit Nachahmungen türkischer Schriftzeichen geschmückt, also eine Fringiaklinge, der man das Ansehen orientalischer Herkunft zu geben trachtete. Demgemäß möchte ich die Inschrift jetzt FRINGI-ARAB lesen, also als das Bekenntnis einer abendländischen Imitation orientalischer Arbeit auffassen. Die hierzu nicht passende Abteilung des Wortes vor RAB, welche ich, ohne dass die Waffe selbst dazu einen Anhalt bietet, im Katalog (1899) S. 167 eingeführt habe, wäre demnach zu verbessern.

 

12 Vgl. Ehrenthal oben S. 75 (Szendrei N. 2587, 2645 und außerdem Nr. 2795j 3456), Pichler-Graf Meran, Das Landeszeughaus in Graz, 2,78 und Lacher, Führer durch das Landeszeughaus in Graz (1898) S. 30. Nach einer auf meine Bitte von Herrn Direktor Lacher vorgenommenen und mir freundlichst mitgeteilten Berechnung beträgt die Zahl der im Landeszeughaus befindlichen Klingen mit FRINDIA (FRINGIA) 14, jener mit GENEVA 18 und jener mit Sichelmarke 367.

 

13 S. die von Pichler a. a. O. 1, 106ff. veröffentlichten Aktenauszüge über Erwerbungen blanker Waffen für das Zeughaus; sie beginnen mit dem Jahre 1577.

 

14 Dieser Überzeugung ist auch schon in dem Werk von Pichler und Graf Meran deutlicher Ausdruck gegeben, siehe die Beschreibungen zu Tafel XXIV Fig. 4, 6 und 9, a. a. O. 2, S. 75, 77 und 78.


Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 5. Dresden, 1900-1902.

 

Nachtrag

Noch ein Wort über die „genuesischen Klingen“.

 

Von Dr. G. Petzsch.

 

Die Abhandlung von Dr. Wilh. Erben «Zur Deutung der Klingeninschrift "FRINGA" in Heft 5 des zweiten Bandes, welche sich gegen einige wissenschaftliche Ergebnisse, die M. von Ehrenthal in seinem Aufsatz «Genuesische Klingen» (Heft 2 u. 3 der Zeitschrift) niedergelegt hat, wendet, ist geeignet, beziehentlich mehrerer darin festgestellter Tatsachen Zweifel oder Unsicherheit hervorzurufen. Gestützt auf das Material von echten genuesischen Klingen, welches seit Jahrhunderten im Königlichen Historischen Museum zu Dresden aufbewahrt wird, sieht sich der Schreiber dieses daher in der Lage, zu der Streitfrage ebenfalls das Wort zu ergreifen.

 

Zuerst sei zu dem Wort Fringia noch eine Bemerkung gemacht. Wer der Annahme Dr. Erbens beistimmt, dass das türkische Wort frengi (fränkisch, abendländisch) der Bezeichnung Fringia oder Frangia zugrunde liege, und ebenso seiner Ansicht, dass der türkische, nicht der ungarische, bez. abendländische Sprachgebrauch bei der Anbringung des Wortes maßgebend gewesen sei, dass also die orientalische Kundschaft ein orientalisches Wort auf den gekauften Klingen sehen wollte, der möge bedenken, dass die Türken das stets in lateinischen Buchstaben wiedergegebene Wort keinesfalls lesen, dass sie auch mit dem Schriftbild kaum eine Vorstellung verbinden konnten.

 

Die Klingenfabrikanten und -Verkäufer aber hätten sich mit einiger Mühe sehr wohl die Schreibweise des türkischen Wortes in türkischen Buchstaben aneignen können, wenn dies ihrem kaufmännischen Interesse förderlich gewesen wäre. Ohne nun bestreiten zu wollen, dass das Abendland neben anderen Waffen auch Säbelklingen an die Türken absetzte, möge doch darauf hingewiesen werden, dass, nach den auf unsere Zeit überkommenen türkischen Säbeln zu schließen, der Bedarf an Klingen fast ausschließlich im Osmanischen Reich oder von Persien her gedeckt worden sein dürfte; denn türkische Säbel mit westeuropäischen Klingen gehören jedenfalls zu den größten Seltenheiten.

 

Nehmen wir aber trotzdem an, dass die im Allgemeinen doch ziemlich geschäftsgewandten europäischen Klingenhändler nicht auf den Gedanken gekommen wären, den Handel mit Säbelklingen mittels des türkisch geschriebenen Wortes Fringia zu beleben und zu fördern, so stellt uns Erben vor folgende Möglichkeiten:

 

1. Das a der Endung im Wort Fringia wäre die mechanische Nachbildung anderer Herkunftsbezeichnungen auf Klingen (wie Genoa, Venecia u. a.), was dem Sinn nach mit der anderen Annahme zusammenfällt, Fringia wäre der aus frengi gebildete Ländername mit der Bedeutung «Frankenland, Abendland». — Hiergegen wäre geltend zu machen, dass eine derartige Wortbildung für Mund und Ohr von Orientalen ganz unwahrscheinlich ist; da für den Begriff Franken- oder Abendland außerdem das Wort Fransa, in neuerer Zeit Frangistan im Türkischen existiert, ist nicht erfindlich, warum ein Abendländer, um bei den Orientalen geschäftlichen Erfolg zu haben, ein neues und dabei nicht einmal ohne weiteres verständliches Wort gebildet haben sollte.

 

2. Als ferner mögliche Erklärung des Wortes Fringia — Frangia nimmt Erben eine absichtliche Latinisierung an. Spricht dagegen schon der oben angeführte Grund, der völlige Mangel an Verständnis bei den Türken, so muss mindestens ebenso der Umstand in Betracht gezogen werden, dass das dem Abendländer vertraute deutsche Wort frank in richtigem Lateinisch nur Franca oder Francica (seil, framea), nie aber frangia oder anders lauten kann.

 

Schreiber dieses weiß wohl, dass er mit der Darlegung dieser Widersprüche selbst keine neue positive Erklärung der vielumstrittenen Klingeninschrift geben kann;1

 

Erbens Aufstellung, welche nach seinem Dafürhalten «nirgends zu unwahrscheinlichen Annahmen nötigt», dürfte sich aber nach dem Vorstehenden wohl auch nicht als stichhaltig erweisen. Von praktischer Bedeutung für uns wäre nur die eine Erklärung des umstrittenen Wortes, welche gleichzeitig den sicheren Nachweis der Herkunft derartiger Klingen lieferte, wie es die Notiz in dem Nachlassverzeichnis des Peter Zriny, «Framea cum ferro Fringiae Genuae», vermuten lässt.

 

Noch ungleich schärfer muss aber der Ansicht von Dr. Erben über die Genueser Klingen und ihre Bedeutung widersprochen werden. Es erscheint völlig unerfindlich, warum die eingeschlagene Inschrift GENOA oder GENOVA auf Klingen von italienischem Typus etwas anderes bedeuten soll als den Herkunftsort, nämlich die Stadt Genua in Italien, deren Klingenindustrie, wie Erben selbst zugibt, einen Weltruf genoss. Was soll das Wort nur sonst besagen und welches ist denn das Kennzeichen der echten genuesischen Klingen, wenn es nicht der Stadtname ist, zu welchem wir Parallelen in Venecia, Cividale, Toledo, Valencia und anderen haben? Es wäre absurd, bei einem Fachgelehrten, wie es Erben ist, nicht die Kenntnis der charakteristischen Merkmale von italienischen Klingen des 15. und 16. Jahrhunderts vorauszusetzen; für die Gesamtheit der Leser unserer Zeitschrift dürfte es aber wohl nicht unwillkommen sein, solche wenigstens im Bilde kennenzulernen. Es sei daher zu der nebenstehenden Abbildung folgendes bemerkt: Alle fünf Klingen tragen die unzweifelhaften Merkmale der italienischen Herkunft und überdies als spezielles Zeichen der Unterscheidung von anderen Klingen die parallellaufenden, sauber ausgezogenen Kannelierungen (Blutrinnen), welche sich, meistens zwei, drei oder vier, über einen Teil oder auch über die ganze Länge der Klinge erstrecken.

 

Nr. 1, ein Schwert mit lederbezogenem Griff und S-förmiger eiserner Parierstange, unterhalb welcher zwei Lederlappen angebracht sind, welche die (in der Scheide steckende) Klinge vor eindringendem Regen schützen sollten, wurde als «Wehr Kaiser Karls IV.» (gest. 1378) dem sächsischen Kurfürsten Christian I. in einem der letzten Jahre des 16. Jahrhunderts von Ladislaw Popell von Lobkowitz verehrt. Die dreifach angebrachte Marke (vgl. «Führer durch das Königliche Historische Museum zu Dresden» von M. v. Ehrenthal, 3. Aufl. [1899], S. 8, Nr. 30) auf der vorzüglichen Klinge bezeichnete Boeheim als «vermutlich brescianisch», also italienisch.

 

Nr. 2, ein sogenanntes Schweinsschwert aus der Zeit um 1520, trägt auf der Klinge neben der Sichelmarke ein als «halber Reichsapfel» bekanntes Meisterzeichen (vgl. «Genuesische Klingen» von M. v. Ehrenthal in Heft 2 der Zeitschrift, S. 27, Fig. 1) und führt uns in dem schönen, schneckenförmig gewundenen und in Eisen geschnittenen Gefäß ebenfalls eine unzweifelhaft italienische Arbeit vor Augen.

 

Nr. 3 ist die mit einer von Boeheim als mailändisch angesprochenen Marke (vgl. «Führer durch das Königliche Historische Museum zu Dresden» von M. v. Ehrenthal, S. 143, Nr. 1) gezeichnete Stoßklinge eines ovalen hölzernen Armschildes, dessen Oberfläche mit einer auf Leder gemalten Kampfesszene überzogen ist. Jeder Teil dieses Rüststückes leitet seine Herkunft aus Italien ab, wo es etwa 1520 entstand; 1588 ward es, wie urkundliche Nachrichten besagen, von dort nach Sachsen gebracht. Nr. 4 und 5, Säbel mit Sichelmarke auf den Klingen, der erstere außerdem mit dem Worte GENOVA (vgl. Fig. 4 und 5 auf S. 27 in Heft 2), beide in ungarischer Fassung und aus der Zeit um 1560. Nr. 5 trägt am Knopf die Jahreszahl 1569 und wurde laut Inventar-Nachricht als Andenken an den Feldobersten Fabian von Schönaich vom Kurfürsten August von Sachsen (1526—1586) gern getragen.

 

Es muss bei der Erben sehen Darlegung unbedingt in Berechnung gezogen werden, dass ihrem Verfasser Originale wie die vorstehend abgebildeten aus dem Historischen Museum nicht vorgelegen haben, sondern dass er sein Urteil lediglich von den Husarensäbeln mit Sichelmarke im k. und k. Heeresmuseum zu Wien, die wohl sämtlich kaum über die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgehen, vor allem aber von den bestechenden Momenten abhängig machte, welche die Bestände des Grazer Landeszeughauses und die urkundlichen Nachrichten über deren Herkunft ihm lieferten.

 

Und doch sind auch diese Momente durchaus nicht vermögend, die v. Ehrenthalsche Hypothese über die Genueser Klingen irgendwie zu entkräften. Denn selbst, wenn die große Zahl von Klingen in Graz (14 mit Frindia, 18 mit Geneva und 367 mit der Sichelmarke) zu den vom Jahr 1577 an bekannten Bestellungen in Steiermark, Passau und Wiener-Neustadt gehörte, wofür ja, wie zugegeben werden soll, eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorliegt, so ist doch damit nicht im entferntesten bewiesen, dass alle überhaupt vorkommenden Schwert- und Säbelklingen mit der genannten Bezeichnung ihren Ursprung aus einem der genannten Ort herleiten müssen. Was hätte das auch für einen Sinn? Um die Frage nach dem Ursprung der Klingen im Grazer Zeughaus zu entscheiden, müsste man sie natürlich erst sehen; wahrscheinlich sind sie ihrer Struktur nach auch nicht einander gleich und entstammen ebenso verschiedenen Zeiten als verschiedenen Werkstätten. Unschwer dürfte sich aber gerade aus Erbens scharfsinnig gruppiertem Beweismaterial und unter Anerkennung seines Schlusses, dass die angeführten Grazer Klingen wahrscheinlich steierischer Herkunft sind, ergeben, dass die von M. v. Ehrenthal namhaft gemachten Klingen mit der Aufschrift Genoa eben genuesische sind: denn auf den Grazer Waffen steht gar nicht Genoa oder Genova, sondern Geneva, ein Wort, das den Typus der Nachahmung an der Stirn trägt und unbedingt auf ein unverstandenes fremdsprachliches Vorbild hinweist!

 

Wie die Solinger und andere die Namen der berühmten südeuropäischen Klingenschmiede und Werkstätten in naivem Solinger Deutsch für ihre eigenen Klingen adoptierten — es braucht nur auf Beweismaterial wie Pichinio (anstatt Picinino), Dolleta (für Toledo), Infaleo (anstatt in Valencia) im Historischen Museum verwiesen zu werden —, so machten sich eben die Steierer aus dem renommierten «Genova« ein «Geneva» (wohl auch «Geneve»: vgl. No. 2786 bei Szendrei, Ungarische kriegsgeschichtliche Denkmäler in der Millenniums-Landesausstellung) zurecht und erhöhten damit in den Augen ihrer Zeitgenossen den Wert ihrer gewiss an und für sich schon guten Waffen. Das Vorhandensein eines berühmten italischen Vorbildes wird also durch dieses verdorbene italienische Wort geradezu bewiesen. Das Beste ist, dass Erbens Gewährsmann, Pichler, in seinem Werk «Das Landeszeughaus zu Graz» selbst mehrfach die Ansicht ausspricht, dass recht viele Verfertiger der Klingen mit den stolzen Namen «gute steierische Landsleute» gewesen sein mögen, wie denn auch aus dem urkundlichen Wortlaut der Bestellungen und Lieferungen (Pichler, S. 106 ff.) hervorgeht, dass die Lieferanten recht vielseitige Meister gewesen sein müssen.

 

Gleich in den ersten Jahren lesen wir unter den Eingängen im Landeszeughaus: «291 Wolhisch (wälsche) khlingen, 327-Sabl auf Vngrisch, 265 wellisch Rappier» und anderes. Wie konnten die Klingenschmiede aber ihre Erzeugnisse dem Entnehmer gegenüber als wälsch, ungarisch usw. kennzeichnen, wenn nicht durch Nachahmen von fremdländischen Typen und Schmiedemarken? Die sogenannten wälschen Waffen werden wohl die mit der imitierten Sichelmarke oder mit dem schönen Worte Geneva gewesen sein!

 

Die bei Hiltl (Die Waffensammlung S. K. H. des Prinzen Karl von Preußen, Mittelalterliche Abteilung) unter Nr. 301 beschriebene Schwertklinge vom Jahr 1587 mit der Sichelmarke, einer deutschen Inschrift und dem Wort Neustadt gehört möglicherweise zu den Erzeugnissen von Wiener-Neustadt, obgleich gar nicht in Abrede gestellt werden kann, dass die in dem Buch abgebildete Marke einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck macht. Man müsste natürlich, um zu einem abschließenden Urteil zu gelangen, die Waffe erst im Original vorliegen haben.

 

Auch die im Catálogo histórico-descriptivo de la Real Armeria de Madrid (1898) auf Seite 376 vom Conde de Valencia wiedergegebene Klingeninschrift — das Wort GEON zwischen den korrumpierten Sichelmarken und einem Zeichen, das der vorhin bei Nr. 1 vorgekommenen Marke ähnelt — dürfte schon bei flüchtigem Ansehen hinlänglich dartun, dass die aus den Kämpfen um Orán (1732) stammende Waffe (alfanje morisco) ein neueres Erzeugnis, wahrscheinlich aus einer spanischen Werkstatt des 18. Jahrhunderts ist.

 

So finden sich fast überall Nachahmungen genuesischer Klingen, ein Umstand, auf den ja M. v. Ehrenthal in seinem Aufsatz auch schon hingewiesen hat. Auf den echten italienischen Klingen — und zwar schon vom Anfang des 16. Jahrhunderts an, einer Zeit, in welcher eine zisalpine Nachahmung der Sichel- oder einer anderen italienischen Marke noch nicht nachzuweisen ist — kommt dagegen das Sichelzeichen, eine, wie v. Ehrenthal mit Recht annimmt, örtliche Signatur, in Verbindung mit Marken vor, die sowohl andere Fachmänner, als vor allen der Paladin unserer Wissenschaft, der zu früh verblichene Wendelin Boeheim, als unbedingt italienische festgestellt haben; das gilt z. B. auch von denjenigen, welche auf der beigegebenen Abbildung ersichtlich sind. Sie speziell als Zeugen der genuesischen Klingenindustrie erkannt zu haben, ist das Verdienst der v. Ehrenthal’schen Abhandlung, welche zugleich die für die Wissenschaft bedeutsame Aufgabe löste, die verlorene Spur einer hochberühmten Waffenstadt wiederzufinden.

 

1 Jedenfalls ist auch — und das dürfte nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Herrn Verfassers stehen — die früher versuchte Auflösung des Rätselwortes aus philologischen und historischen Gründen nicht zu halten. Die Schriftleitung.


Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 6. Dresden, 1900-1902.