
Im 11. Heft des ersten Bandes dieser Zeitschrift versuchten wir einen Beitrag zur Klärung der Frage zu bringen, ob die «Mitteleisen» genannten dornartigen Fortsätze an den Parierstangen orientalischer Blankwaffen eine praktische Bedeutung hatten oder aber ihre Existenz rein stilistischen Erwägungen verdankten.1 Der ersteren Voraussetzung den Vorzug gebend, glaubten wir darauf hinweisen zu müssen, dass diese in ihrer Einfachheit hervorragend praktische Pariervorrichtung im Okzident nie recht zur Perzeption und Aufnahme gekommen ist, sondern für gewöhnlich auf die Stufe einer mechanischen Verfestigung der Klinge am Griff hinabgedrückt wurde, wie das aus dem Umstande hervorgeht, dass z. B. an den Degengriffen spanischer und italienischer Provenienz des 16. und 17. Jahrhunderts die verkümmerten, zu kleinen Schildchen zusammengeschrumpften Mitteleisen fast an der Klinge aufliegen und folglich dem in der Richtung zur Hand niedergleitenden Hieb gar kein Hindernis mehr in den Weg legen konnten.
Im Anschluss an diese Ausführungen möchten wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf das beistehend abgebildete Exemplar einer interessanten Blankwaffe lenken, deren Handschutzvorrichtung in ihrer eigentümlichen Form eine vermittelnde Stellung zwischen Orient und Okzident einnimmt und daher eine eingehendere Betrachtung verdient. Von einer ausführlichen Beschreibung mag abgesehen werden, da die Zusammengehörigkeit von Klinge und Griff, ja selbst der einzelnen Teile des letzteren, gegründete Zweifel erwecken kann; der Handschutz, von dem allein hier die Rede sein soll, scheint uns maurisch-spanischer Herkunft zu sein und steht in dieser Form gewiss nicht vereinzelt da, sondern findet sowohl in anderen europäischen Sammlungen, als auch in der Kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg, zu deren Bestände das vorliegende Stück gehört, so manche Analogien.
Die ganze Pariervorrichtung ist aus einem Stück Schmiedeeisen hergestellt, die Flächen tragen ein orientalisches, auf schraffiertem Grund in äußerst dünnem Goldblech aufgeschlagenes Arabeskenmuster. Die vordere Parierstange ist spitzwinklig aufgebogen und bildet den leicht eingezogenen Griffbügel, die hintere Parierstange ist abwärts geneigt. Von den Mitteleisen ausgehend, sehen wir ferner zwei annähernd halbrund geschweifte, zur Klinge hinabreichende Bügel, auf deren gelappten Enden je ein starker, kantiger Dorn mit verstärktem Kopf aufgenietet ist. Die kurzen, spitz geschnittenen Mitteleisen umklammern die Klinge zwingenartig und liegen fest auf.
Versuchen wir uns die Ziel zu vergegenwärtigen, welche dem Verfertiger des vorliegenden Handschutzes vorschwebten, so stehen wir zunächst vor der Tatsache, dass hier, wie an den Degen des 16. und 17. Jahrhunderts, die Mitteleisen ihren ursprünglichen Charakter als Schutzvorrichtung gegen die längs der flachen Klinge niedergleitenden Hieb vollkommen verloren haben. Die nach oben gerichteten, am Griffholz festliegenden Dorne, welche die Widerstandskraft der abwärts gerichteten, frei über der Klinge schwebenden Eisen bedeutend verstärkten, sind ganz weggelassen, und diese letzteren Eisen liegen so flach an der Klinge, dass ein Auffangen und Einklemmen der feindlichen Waffe nicht mehr erzielt werden konnte. Dieser Abgang wird ersetzt durch die an den Enden der halbrunden Bügel hervorstehenden Dorne, deren Stellung und massive Konstruktion keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass sie dazu bestimmt waren, in der Ebene der Klingenfläche niedergehende Hiebe in angemessener Entfernung von der Hand abzufangen, wobei die verstärkten Köpfe ein Abgleiten der feindlichen Schneide verhindern mussten. Im Prinzip der Konstruktion sehen wir offenbar ein vermittelndes Glied oder vielleicht ein Übergangsstadium vom orientalischen zum okzidentalen Handschutz-System, denn in dem halbrund zur Klinge abgebogenen Bügelpaar müssen wir dieselbe Vorrichtung erkennen, welche an europäischen Degengriffen die Form von Parierbügeln annimmt, und die beiden Dorne erfüllen dieselben Funktionen, wie der die Enden der Parierbügel verbindende «Eselshuf» genannte Faustschutzbügel.
Eine Untersuchung der Frage, ob die angegebene Konstruktion orientalische Erfindung und zugleich Vorbild für die europäische Kombination von Parierbügeln und Eselshuf war, oder ob diese Form einer Konzession des islamitischen Waffenschmiedes an okzidentale Anforderungen ihren Ursprung verdankt, würde zu weit führen und wohl kaum Erfolg versprechen; es mag genügen darauf hinzuweisen, dass eine aufmerksame Betrachtung dieser immerhin merkwürdigen Vorrichtung uns wieder einmal deutlich vor Augen führt, wie der Orientale auch im kleinsten Detail stets bestrebt ist, seine Ziele mit möglichst geringem Aufwand an Mitteln und unter tunlichster Vermeidung alles Überflüssigen zu erreichen. Denken wir uns die vollen, bis zur Klinge reichenden Parierbügel des spanischen oder italienischen Degens mit der ihre Enden verbindenden gebogenen Spange und reduzieren wir diese Konstruktion auf das strikt Notwendige, so erhalten wir eben die hier gegebene Form der halben Bügel mit ihren Parierknebeln, denn weder die unteren Bügelhälften, noch der mittlere Teil des Faustschutzbügels tragen wesentlich zur Ergiebigkeit und Widerstandsfähigkeit des Handschutzes bei.
Wir beschränken uns hier auf die obigen, ganz allgemeinen Ausführungen, sprechen aber zugleich die Hoffnung aus, dass der Frage über den Handschutz an orientalischen Blankwaffen und dessen Übergangsformen in westeuropäische Formen ein reges Interesse zuteilwerden möge; es bleibt auch in dieser Richtung noch viel zu tun übrig.
E. v. Lenz.
1 Zugleich ergreifen wir die Gelegenheit, unsere geneigten Leser zu bitten, in der erwähnten Notiz einige sinnentstellende Druckfehler gütigst zurechtstellen zu wollen: p. 287, Spalte I, Zeile 4 von unten ist zu lesen «flach» (statt schwach); Spalte 2, Zeile 12 von oben «verfestigt» (statt verfertigt) und Zeile 1 von unten «mit» (statt der).
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 3. Dresden, 1900-1902.