Von den Bilderhandschriften aus der Mitte des 15. Jahrhunderts enthält nur der Kodex ms. 2952 der k. k. Hof-Bibliothek zu Wien vom Jahre 1457 die Abbildung einer Tarasbüchse, welche ausdrücklich als solche bezeichnet ist. (Fig. 55.) Diese Tarasbüchse ist offenbar eine Lotbüchse mittleren Kalibers mit verstärkter Kammer, welcher Umstand auf eine starke Pulverladung und wohl auch auf einen direkten Schuss hindeutet.
Die Büchse selbst ist zur Hälfte in einem starken Holzbalken eingelassen, dessen rückwärtiges Ende knapp hinter der Kammer bedeutend verstärkt ist; das Ganze liegt auf einem zweiten rechteckigen Balken, welcher als Unterlage dient. Die Verbindung der zwei Balken ist derart bewirkt, dass die Büchse mit dem oberen Balken rückwärts gehoben werden kann, ohne dass eine Trennung der beiden Balken eintritt; diese lose Verbindung kann man sich nur durch eine Art Verzapfung denken, bei welcher der obere Balken mit einem solchen Zapfen in die entsprechende Öffnung des unteren Balkens eingreift; ein über die Büchse und beide Balken gespanntes Metallband sollte diese Verbindung fester gestalten. Am rückwärtigen Teil des unteren Balkens ist außen auf den beiden Seiten je ein Richthorn mit Querlöchern angebracht, durch welche der Büchse eine bestimmte Elevation gegeben werden konnte. Der Rückstoß wurde durch diese Balken-Konstruktion von dem oberen auf den unteren Balken übertragen; eine stangenförmige Verlängerung mit zwei Haken dürfte zur besseren Fixierung der ganzen Waffe und vornehmlich zur Aufnahme des Rückstockes gedient haben.
Die Tarasbüchse zeigt in dieser Schäftung einen bedeutenden Fortschritt; dieselbe konnte leicht aufgestellt und auch im freien Feld oder auf dem Oberteil der Tarassen, durch eingerammte Pflöcke schnell befestigt und verwendet werden. Die vorliegende Konstruktion enthält auch die Grundform für die Bockbüchse.

Man findet die Tarasbüchsen durch das ganze 15. Jahrhundert. Die städtischen Kämmerei-Rechnungen von Wien1 enthalten über die Tarasbüchsen aus dieser Zeit folgende interessante Angaben:
1445, Fol. 57. «so hat man gossen ain stainpüchsen und zwo klaine stainpüchsen und ain tarraspüchsen, scheusst drei pleikugeln mit ahn züntloch.» «also wegent die vir puchsen lauter 807 Pfund.»
1452, Fol. 119 «drei karrn darauf 6 püchsen, 3 haufnitz, ain terraspüchsen und 2 hakenpüchsen, 3 kuphrein scheiben in den neuen turn auf der Widern, wigt alles 1079 Pfund.»
1455, Fol. 67 «er hat geben ain tarraspüchsen und ain kuchenmörser, so wigt die puchsen und mörser lautter 11 cent. 69 Pfund.»
1456, Fol. 52 «ain schirmpüchsen und ain tarraspuchsen im neuen turn in die lad zen machen.»
1459, Fol. 50 «Maister Thoman Kren der stat püchsenmeister für ain haufnitz und ain tarraspüchsen, wegent paid 3,5 cent.»
«von Veiten, Stadler aidem von Sand Polten 6000 kugln in hagkenpuchsen, jedes hundert per 42 den., und für 1500 kugln per 2 den. und 1011 kugln per 3 den. und 1000 terraspüchsen per 3 den.»
1462, Fol. 138 „von demselben maister Thoman kauft ain kleine haufnitz und aine kleine terraspüchsen, jede auf ain gerüst, wegen bed 3 zent 32 Pfund.»
1473, Fol. 511 «von Enterichen Koppl kauft ain kuphraine haufnitz und zwo klain terras wegen alle drei 9 Centn, und 60 Pfund.»
«demselbenkoppleinumb zwo eisnein terras 24 Pfund.»
Fol. 53 «umb 8 zentn eisnein kugln zu terras-puchsen.»
Fol. 54 «Cristian wagner umb 6 rad zu den puchsen, haufnitz und terras.»
1477, Fol. 49 «herrn Hannsen Mulfelder seligen wittib umb zwo kuphrain puchsen, ain haufnitz und ain terras 42 Pfund dn.»
«umb modlstain allenhalben under die toer, kugln zw terrassen zu giessen.»
1485, Fol. 19 «maister Wolfgangen puxnmaister von ainer neuen terraspuxen zu giessen, hat in wag 7 zentn.» (7 Ztr. Kupfer, 70 Pfund Zinn).
1494, Fol. 7, Einnahme aus dem Bürgerrecht: 14 hakenpuxen, 2 terraspüchsen, 1 ubermachts armbst.
1498, Fol. 61 «an pfinztag vor sand Michelstag hab ich kauft ain kleine eiserne terrespüchsen, 2 Pfund 6 dn.»
1 Dr. Karl Uhlirz: Der Wiener Bürger Wehr und Waffen.

Die vorstehenden Daten geben ziemlichen Bescheid über die Tarasbüchsen in dieser Zeitperiode. Dieselben stehen den Haufnitzen gegenüber, waren für Blei- oder Eisenkugeln eingerichtet und hatten mit einer einzigen Ausnahme 1,5—3 Zentner Gewicht; interessant ist, dass in den Einnahmen aus dem Bürgerrechte 2 Tarasbüchsen angeführt erscheinen. Das Gerüst, auf welches die Büchse aufgesetzt war, war in einzelnen Fällen fahrbar gemacht. Ähnlich sind die Angaben aus dem Zeugregister der Stadt Passau vom Jahre 14881, in demselben werden genannt: «eine grosse Tarras auf zwei Rädern, zwei Tarras auf Scheiben .. . eine Zeugtruhen mit 31 Klotzkugeln, überzogen mit Blei, für die Tarras.» «Eine Tarras, eingefasst auf zwei Rädern, schiesst grosse Klotzkugeln.» «Auf dem St. Gilgenthor: Eine grosse Tarras, gefasst und auf zwei Rädern unter dem Thor, schiesst einen grossen Klotzen mit Blei überzogen.»
Es ist hier ein Unterschied gemacht zwischen einer großen Tarasbüchse «auf zwei Rädern» und den Tarasbüchsen «auf Scheiben». Diese wurden schon oben erwähnt und sind in Fig. 55 dargestellt. Die Tarasbüchsen «auf zwei Rädern» sind hingegen eine neue Erscheinung und für die Entwicklung und Kriegsbrauchbarkeit der Feuerwaffen von großer Bedeutung, indem durch die Ausrüstung mit hohen Rädern die Fortbringung auf besonderen Wagen entbehrlich und die direkte Transportierung mittels vorgespannter Pferde möglich wurde. Derartige fahrbare Tarasbüchsen wurden nach der Chronik von Diebold Schilling wiederholt abgebildet.2 Fig. 56.
Die Abbildung zeigt eine große Lotbüchse, welche in einen massiven Holzblock zur Hälfte eingelassen und mit Metallbändern befestigt ist. Der Holzblock, im rückwärtigen Teil verstärkt, endigt in einen spitzen, bei einzelnen Darstellungen auch verbreiterten, mit zwei Löchern versehenen Balken, welcher bei schussbereiter Waffe am Boden aufsteht; um nun die Pferde vorspannen zu können, wurden eine Deichsel und ein Drittel am rückwärtigen Balkenende befestigt.
Man verband in dieser Konstruktion die verstärkte und weitere Wirkung der großen Lotbüchse mit der von der Kriegsführung verlangten Beweglichkeit; man hatte die praktische Durchführung von Prinzipien aufgenommen, aus welchen ob ihrer entscheidenden Wichtigkeit das heutige Feldgeschütz entstehen musste. Der Name «Terras» findet sich noch in den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I., und bezeichnet daselbst Geschütze auf niederen Bocklafetten, die sogenannten Halbschlangen.3
Nach diesen Darlegungen kann man die vorhandenen großen und mittleren Lotbüchsen in den einzelnen Zeitperioden dann als Tarasbüchsen bezeichnen, wenn deren Gewicht die Handhabung und den Transport auf kurze Strecken durch Mannschaft zuließ und dieselben zur Verwendung auf Tarassen oder ähnlichen Befestigungen geeignet waren; in der letzteren Zeit werden die größeren Stücke durch die Ausrüstung mit hohen Rädern fahrbar gemacht, wodurch der Übergang zum Feldgeschütz vermittelt wird.
Die leichte Art der Errichtung der oben beschriebenen Tarassen forderte eine schnelle Ausrüstung, welche oft über Nacht bewirkt werden musste. Zu diesem Zweck waren Feuerwaffen notwendig, welche leicht transportabel, dabei aber doch einen größeren Wirkungsbereich als die Handbüchsen hatten. Die vorhandenen Wagen- und Karrenbüchsen waren durch die Art ihrer Ausrüstung kostspielig, schwerfällig und für die Besetzung der Tarassen ungeeignet. Es mussten daher einfache, größere Feuerwaffen entstehen, welche für diesen Zweck von besonderer Brauchbarkeit, rasch aufgestellt und bei drohender Gefahr wieder mitgenommen werden konnten, und welche, zur Unterscheidung von den Wagen-, Karren- und Handbüchsen, infolge ihrer Verwendung auf Tarassen, die Bezeichnung «Tarasbüchsen» erhielten.
1 Würdinger II. 405.
2 Emanuel v. Rodt: Geschichte des Bernerischen Kriegswesens I, 86 u. T. I. Bern 1831. Favé gibt auf PI. 9, Fig. 1, 3 u. 4 dieselben Abbildungen nach einem Manuskript von Schilling, jedoch nach der Ausgabe von M. Massd: «Aperçu historique sur l’introduction de l'artillerie en Suisse.»
3 Wendelin Boeheim: Die Zeugbücher des Kaisers Maximilian I. (Wir behalten uns vor, auf diese für die Waffenkunde und das Kriegswesen ebenso wichtige wie interessante Publikation später noch eingehend zurückzukommen.)

Die Tarasbüchsen waren anfangs tragbare Feuerwaffen, einerseits grösser als die Handbüchsen, anderseits jedoch nur so groß, dass deren Handhabung und Fortbringung auf kurze Strecken durch Mannschaft möglich war.
Dieselben waren in der ersten Zeit sowohl Lot- als auch Steinbüchsen, in späterer Zeit, in welcher die kleinen Steinbüchsen durch die Lotbüchsen, die mittleren Steinbüchsen durch die «hawfenitz» verdrängt werden, erscheinen die Tarasbüchsen nur mehr als große Lotbüchsen.
Das Gewicht des Rohres dieser großen Lotbüchsen und der massive Schaft machten jedoch das Aufstellen und den Transport beschwerlich, mit der Anbringung von kleinen Rädern, Scheiben, war dem Übelstand abgeholfen, und die großen Tarasbüchsen konnten bis zum Aufstellungsplatz gefahren, resp. gerollt werden. Die Räder waren klein, nur für den Transport auf kurze Strecken verwendbar; bei längeren Entfernungen mussten auch diese Tarasbüchsen wieder auf den Büchsenwagen verladen und auf diesen transportiert werden.
Der Kodex ms. 50 der kunsthistorischen Sammlungen zu Wien, circa 1410, enthält mehrere Abbildungen von fahrbaren Tarasbüchsen. Die in Fig. 57 dargestellte Tarasbüchse ist augenscheinlich eine Lotbüchse, der massive Schaft ist mit zwei kleinen Rädern versehen, endigt nach rückwärts in eine lange nach abwärts gerichtete Spitze, welche offenbar durch Einbohren in den Boden den Rückstoß abschwächen sollte.
Man hat wiederholt versucht, den Ausdruck «Tarasbüchse» auf das «Gestelle» zurückzuführen, wie solche beim Deutschen Orden und in den Chroniken von Braunschweig usw. erwähnt werden. Derartige Gestelle finden sich jedoch schon in der ersten Zeit der Feuerwaffen, ohne dass dieselben irgendwie die Benennung einer einzelnen Spezies herbeigeführt hätten; z. B. in der Rechnung von Laon heißt es zum Jahre 1357: «9 canons sur 3 pieds ferez et enchiez danches et de platines»; in der Münchener Handschrift bestehen diese Gestelle aus einem pyramiden- oder kegelförmigen Holzblock und in Kyesers «Bellifortis» wurde zum Auflegen der langgeschäfteten Lotbüchse eine massive Holzgabel in den Boden eingesteckt.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 3. Dresden, 1900-1902.