
Doch eine weitere bemerkenswerte Erscheinung ließ die Handhabung der Feuerwaffen hervortreten, und zwar die notwendige Abschwächung des Rückstoßes. Bei den großen Steinbüchsen sollte die Art der Konstruktion der „wigen“ oder des „bock“ verhindern, dass dieselben durch die Kraft des Rückstoßes aus der gegebenen Aufstellung verdrängt werden, weil ein neuerliches Vorführen und Richten mit großem Kraft- und Zeitaufwand verbunden war.
Die Münchener Handschrift gibt hier keinerlei Aufklärung; die Nürnberger Kriegsordnung enthält nur die Angabe: «Item zu der wigen 12 pfert», durch welche die große schwere Holzlast angedeutet wird; beim Deutschen Orden sind überdies für die Herstellung des großen Bockes eingetragen: «erynne schwywen», «grosse clinkennagel», «cleyne nagel», «11 steyne hanff», «korcze stroppen» etc.
Diese Angaben ermöglichen noch keine Vorstellung von den Wiegen oder Böcken; dieselben werden jedoch deutlich illustriert durch Darstellungen in den Bilderhandschriften Kod. germ. 599 u. 734 der Kgl. Bayr. Hof- und Staatsbibliothek zu München und im „Mittelalterlichen Hausbuches“. Diese Bilderhandschriften enthalten zweifellos auch die bekannten älteren Konstruktionen und die Abbildungen derselben zeigen, welche gewaltigen Holzmaßen erforderlich waren und welche riesigen, nach bestimmten Regeln zusammengesetzte Holzgerüste hinter den großen Büchsen in den Boden eingerammt werden mussten, um die Wirkung des Rückstoßes abzuschwächen.
Noch in der Beschreibung «Der Zug für Lichtenburg» im Jahre 1444 heißt es: «man must auch altag haben großer paum 3 oder 4 zu ansetzen an die Kaltenburgerin, dann sie die holczer hinter sich zustifs und verrücket sich al schufs.» (D. Chr. d. d. St. II, 67.) Die Kaltenburgerin schoss 1 Zentner 80 Pfund Steine.
Bei den Wagen- und Karrenbüchsen, also bei den mittleren und kleinen Steinbüchsen, wurde das Rohr vorerst in Holz gefasst, gleichsam geschäftet, und sodann auf dem Wagen oder Karren mittels eiserner Bänder befestigt. Der Rückstoß wurde dadurch auf das Gewicht des Wagens oder Karrens übertragen und weiter noch durch Anwendung von Strebeständern, Unterlagen, Rädersperren oder durch in den Boden eingerammte Holzpflöcke abgeschwächt. Die Münchener Handschrift enthält die Abbildung einer Karrenbüchse, dieselbe ist jedoch schwer verständlich. Toll vermutet in dem langen sichelförmigen Ansatz, der knapp hinter der Mündung unter der Holzfassung hervorsteht, einen Haken zum Brechen des Rückstoßes; ein auf vier Blockrädern stehendes Holzgestell derselben Handschrift, auf welchem eine gefasste mittelgroße Büchse befestigt ist, zeigt Strebeständer; ein gleiches Gerüst wird für die im Jahre 1375 zu Caen angefertigte «grand canon» beschrieben. (Fave I, 97.)
Ähnliche Konstruktionen, bei welchen der Rückstoß durch einen in den Boden eingetriebenen Holzpflock aufgenommen wurde, sind in den Handschriften von Valturius, Marianus Jacobus und Paulus Santinus enthalten. (Fave pl. 5, 6, 7 u. 8.)
Bei den großen und mittleren Lotbüchsen wurde die Abschwächung des Rückstoßes, wie schon bei den Tarasbüchsen dargelegt, in der Weise bewirkt, dass man dieselben mit einer Unterlage in feste Verbindung brachte und die Wirkung des Rückstoßes auf diese hinüberleitete.
Während nun die Tarasbüchsen nur die Verwendung auf der Deckung, dem «Taras», zuließen, brachte das praktische Kriegsbedürfnis bald die Forderung nach Feuerwaffen, welche man hinter den üblichen Deckungen aufstellen und mit welchen man über diese hinwegschießen konnte. Dies erreichte man in der einfachsten Weise dadurch, dass man die bisherigen Unterlagen, auf welchen die Büchsen befestigt waren, mit Ständern ausrüstete, die in ihrer Höhe der gestellten Bedingung entsprachen. Durch diesen Vorgang erhielten die Unterlagen die Form von Holzböcken und die auf denselben aufgelegten und befestigten Feuerwaffen wurden «Bockbüchsen» genannt, analog wie bei den Hand-, Karren-, Wagen- und Tarasbüchsen.
Diese Konstruktion mit Ständern musste aber die größeren Kaliber ausschließen, und dieser Umstand sowie die durch das tatsächliche Kriegsbedürfnis sich ergebende geringe Beweglichkeit brachten es mit sich, dass die Bockbüchsen in der Kriegführung des 15. Jahrhunderts zumeist nur bei Ausrüstung von Türmen und Befestigungen Verwendung fanden. Die Kaliber mussten jedoch immer noch so groß sein, dass man über den Wirkungsbereich der damals üblichen Handschusswaffen hinausreichte und das Vorfeld wirksam bestreichen konnte.

Die Darstellung einer Bockbüchse aus der ersten Zeit der Entstehung derselben enthält der Kodex H 49 der Kgl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden auf Folio 277.1 (Fig. 58.) Die Abbildung zeigt eine Bock-Steinbüchse kleinen Kalibers, welche auf einem mit vier Füßen versehenen Holzbalken befestigt ist und von dem Schützen mittels eines brennenden Zündschwammes oder mittels eines brennenden «Luder»-Lappens abgefeuert wird. Die erste urkundliche Erwähnung der Bockbüchsen findet sich in den Stadtbüchern und Rechnungen der Stadt Nürnberg.
«Paul Vorchtel lässt i. J. 1423 für den Rat anfertigen 50 Bockbüchsen, 200 kleine Handbüchsen.»2 Die weitere Entwicklung der Bockbüchsen ist durch die Abbildungen aus dem Kodex 719 des Germanischen Museums zu Nürnberg, circa 1450 (Fig. 59), aus dem Kod. ms. 2952 der K. K. Hof-Bibliothek zu Wien (1457), dem Kod. germ. 734 der Kgl. Hof- und Staats-Bibliothek zu München (1460—1470), dem Kod. germ. 599 derselben Bibliothek und endlich durch die Abbildungen aus dem Landshuter Zeughausinventar vom Jahre 1485 (Fig. 60) gegeben.
1 J. Schön, Geschichte der Handfeuerwaffen. Dresden 1858. 8 und Tafel 1, Fig. 1.
2 Baader, Beiträge zur Geschichte des Kriegswesens. A. F. K. d. d. V. 1862, 159 u. 160.

In den amtlichen Inventarien vom Jahre 1449 über die Ausrüstung und Bewaffnung von Nürnberg werden in sechs von acht Vierteln 2 Bockbüchsen mit dem a, 5 Bockbüchsen mit dem a und «aim kreucz dahinter» und 48 Bockbüchsen mit dem b genannt.1
Nach dem «Aufzeichnis» der Büchsen und des Zeugs in allen Festungswerken der acht Stadtviertel und in den Zeughäusern von Conrad Gürtler, angefertigt im Jahre 1462, waren in sämtlichen Zwingern, Türmen und Zeughäusern 8 Bockbüchsen mit a+, 99 Bockbüchsen mit b und 10 Bleibüchsen mit a+ auf Böcken vorhanden.
Die «simwel» Bockbüchseri hatten nach diesem Verzeichnis ein Gewicht von 21 Pfund und schossen nach dem «zaichen auf der püchsen» 3,5 Lot Blei. Bei den kleinen Lotbüchsen, den Handbüchsen, wurde der Rückstoß von dem Schützen selbst aufgenommen und empfunden; dieser Rückstoß war umso lästiger, als derselbe vorläufig nur durch die Art der Handhabung abgeschwächt werden konnte.
Die Bilderhandschrift, Kod. ms. 2952 der K. K. Hof-Bibliothek zu Wien (1457), sagt in der schon einmal erwähnten belehrenden Abhandlung: «Lass die Büchs anzünden und wenn du empfindest, dass sie hinter sich stösst, so widerheb nicht zu stark, doch halt den Stab in der vorderen Hand fest und damit lass die vordere Hand, also den Stab darinnen haltend, gegen die hintere Hand gehen und lass den Stab durch die hintere Hand hinter sich ausschliefen.»
Diese Anweisung bezieht sich offenbar nur auf Handbüchsen mit rückwärts eingesetztem stangenartigen Schaft ohne Abzugsvorrichtung (Fig. 18, 19, 20); der Schütze sollte mit der vorderen Hand den Rückstoß aufnehmen und gegen die hintere Hand nachgeben; die vordere Hand hatte die Handbüchse festzuhalten, in der hinteren Hand hingegen sollte der Stab (Schaft) «ausschliefen» können.
Bei der Handhabung jener Handbüchsen, bei welchen der Lauf in die muldenförmige Rinne des Schaftes eingelegt war (Fig. 23—26), wurde das breite kolbenartige Schaftende an die Armbeuge angelegt; die breitspurige Stellung des Schützen deutet an, dass derselbe bemüht war, durch eine feste sichere Körperstellung dem Rückstoß zu begegnen.
Noch empfindlicher musste die Wirkung des Rückstoßes bei der Handhabung jener mittelgroßen Handbüchsen sich gestalten, welche, wie aus den Abbildungen (Fig. 27, 28, 30 u. 32) zu ersehen ist, von dem Schützen zur Abgabe des Schusses auf die Schulter gehoben wurden. Diese Art der Handhabung war deshalb so ermüdend und anstrengend, weil nebst dem Rückstoß auch das Gewicht der Waffe auf die Schulter des Schützen übertragen wurde.
In dem Manuskript des Valturius (Fig. 30) ist der Schaft unterhalb für das Aufsetzen auf die Schulter sogar ausgeschnitten; man kann auch den Abbildungen entnehmen, dass die Schützen bemüht waren, durch Herabdrücken des Schaftes auf die Schulter, Vorsetzen eines Fußes und feste Körperstellung, dem Rückstoß zu begegnen. Die großen Handbüchsen, welche von einem einzelnen Mann noch getragen und gehandhabt, jedoch infolge des Gewichtes nicht aus freier Hand oder von der Schulter aus abgeschossen werden konnten, wurden, wie schon oben auseinandergesetzt, auf eine in den Boden eingesteckte Gabel oder auf einen Dreifuss oder auf ein Gestell aufgelegt.
1 Baader, Nürnbergs Stadtviertel im Mittelalter hinsichtlich ihrer Festungswerke und deren Verteidigung und Bewaffnung. 32. Jahresbericht des histor. Vereins in Mittelfranken. Ansbach 1864, S. 5 2 ff.

Beim schiefen Anschlag, also in der ersten Zeit der Feuerwaffen, war das Schaftende am Boden aufgesetzt, der Rückstoß wurde daher durch den Schaft in den Boden abgeleitet. Beim waagerechten Anschlag jedoch musste das rückwärtige Schaftende gehoben werden, was entweder durch den Schützen oder durch einen zweiten Stützpunkt geschehen konnte. Im ersteren Fall übertrug sich die Wirkung des Rückstoßes auf den das Schaffende haltenden Schützen, im letzteren Fall musste die nur lose aufliegende Handbüchse durch die Erschütterung von dem Gestell herabgeworfen werden.
Wenn auch das umständliche Laden dem Schützen Zeit zur Erholung gab, so mögen doch die andauernde beschwerliche Tätigkeit beim Schießen und besonders die Aufregung im Kampf den Schützen oft veranlasst haben, die Handbüchse nicht immer aus freier Hand von der Wange oder gar von der Schulter abzuschießen, sondern dieselbe auf Unterlagen, wie sich solche hinter Deckungen von selbst ergaben, aufzulegen und abzufeuern; in diesem Fall kam nun der Rückstoß in ähnlicher Weise zur Wirkung, wie bei den großen Handbüchsen.
Dieser «aufgelegte Anschlag» musste in seiner praktischen Anwendung bald von selbst zu einer Vorrichtung führen, durch welche der Rückstoß wenigstens teilweise auf die Unterlage übertragen werden konnte und durch welche für den Schützen die Handhabung sich erleichterte.
Die erste Erfahrung beim aufgelegten Anschlag mag die Erkenntnis gewesen sein, dass schon durch starkes Aufdrücken oder Anlegen der Handbüchse an die Unterlage der Rückstoß abgeschwächt wurde und dass man durch konstruktive Verbesserungen am Schaft oder Lauf dieses Anlegen oder Andrücken fördern könne.
Die ersten Versuche in dieser Richtung wurden wohl infolge des weicheren Materials am Schaft vorgenommen; bei zunehmender Vervollkommnung der Handbüchsen mussten diese Vorrichtungen schon wegen des stärkeren Rückstoßes solider und stärker gemacht und schließlich mit dem Lauf in feste Verbindung gebracht werden. Dieser natürliche Entwicklungsgang lässt sich auch an einzelnen erhaltenen Handbüchsen nachweisen.
Im Historischen Museum der Kgl. Stadt Pilsen befindet sich unter den vielen und hochinteressanten Handfeuerwaffen — 378 Stücke, darunter 25 älterer Konstruktion — eine Handbüchse, welche dem Anfang des 15. Jahrhunderts angehört und zweifellos eine derartige Verbesserung an dem Originalschaft aufweist.1 (Fig. 61.)
Die Handbüchse ist 10,37 kg schwer, daher eine mittelgroße Handbüchse, welche für die Verwendung aus freier Hand infolge des Gewichtes weniger geeignet war, jedoch von einem einzelnen Schützen anstandslos getragen und auf Unterlagen aufgelegt und abgeschossen werden konnte. Die Handbüchse besteht aus dem Lauf, dem Schaft und zwei Laufringen.
Der Lauf ist 5,77 kg schwer, 31,5 cm lang, außen achteckig, zylindrisch, an der Mündung auf etwa 4-5 cm verstärkt, aus Schmiedeeisen unregelmäßig roh gearbeitet; es ist auch möglich, dass der Lauf der Länge nach zusammengeschweißt ist.
Die Länge der Seele beträgt 26,2 cm, der Durchmesser derselben 26 mm, daher das Verhältnis des Kalibers zur Länge 1 zu 10. Das Zündloch befindet sich oberhalb und ist trichterförmig eingetrieben.
Der Schaft steht der Form nach in voller Übereinstimmung mit der Abbildung aus Kod. ms. 53 der kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses, Fig. 4, und mit der Handbüchse im Historischen Museum zu Bonn, Fig. 5.
Die ganze Länge des Schaftes beträgt 130 cm, die Länge des Stieles 90 cm.
An der unteren Seite des Mittelschaftes ist nach der Breite desselben eine beiläufig 6 cm tiefe Stufe rechtwinklig eingeschnitten, welche mit Eisenblech ausgelegt und beschlagen ist.
Mittels dieser Stufe konnte die Handbüchse an eine entsprechend geformte kantige Unterlage, z. B. einen Balken, eine Mauer etc. angesetzt, durch festes Anziehen an die Unterlage angepresst und dadurch der Rückstoß zum Teil auf diese hinübergeleitet werden.
Der vordere Laufring, ein ca. 3 cm breites Eisenband, umfasst Schaft und Lauf. Der rückwärtige, 6 cm breite Laufring umfasst nur das Rohr am rückwärtigen Teil, ist an das Rohr angeschweißt und oberhalb des Zündloches ausgeschnitten, geht mit beiden Enden durch einen schlitzförmigen Ausschnitt des Schaftes und ist unterhalb desselben verriegelt. Durch diese Verriegelung wird der Lauf in die Rinne des Schaftes eingepresst und Lauf und Schaft fest verbunden.
Es ist natürlich, dass Handbüchsen mit Original-Schäften aus dieser ersten Zeit äußerst selten sind, weil der Schaft schon durch die Länge der Zeit und insbesondere durch den Gebrauch im größten Maße der Zerstörung unterworfen ist; allein einzelne geschäftete Handbüchsen aus der späteren Zeit zeigen, dass man dieses Konstruktionsprinzip auch noch in der Folge und in verschiedener Form in Anwendung brachte.
(Fortsetzung folgt.)
1 Wir müssen mit großem Dank hervorheben, dass das löbliche Kuratorium des Historischen Museums der Kgl. Stadt Pilsen die photographischen Aufnahmen der Handbüchsen uns bereitwilligst zur Verfügung stellte, dass der Herr Sekretär Fr. H. Franc die mühevollen genauen Abmessungen freundlichst besorgte und uns die interessanten verlässlichen Resultate seiner Arbeit in liebenswürdigster Weise überlassen hat. — Profossor Jan Kaula hat das lobenswerte Verdienst, in seiner Abhandlung «Vývoj českých pušek od dob husitských během XV. stoleti.» (Světoror XXII, v Praze, 1898) auf die hochinteressante Waffensammlung im Historischen Museum der Kgl. Stadt Pilsen aufmerksam gemacht zu haben.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 4. Dresden, 1900-1902.