Häufig hatten wir Gelegenheit, an den Lanzen verschiedener asiatischer Völkerschäften (Kirgisen, Sarten, Turkmenen u. a.) Büschel von Rosshaaren zu bemerken, welche teils mit dem oberen Rand unter die Dille des Lanzeneisens geschoben, teils unmittelbar unter der Dille mittels Drahtschlingen am Lanzenschaft befestigt waren, während der übrige Teil des Haarbusches frei herabhing. Unsere Kenntnis von den Anschauungen unserer asiatischen Nachbarn ließ uns zur Überzeugung kommen, dass diese Rosshaare nicht bloß zur Verzierung angebracht waren, sondern einem besonderen kriegstechnischen Zweck dienten, allein trotz vielen Umfragens gelang es uns lange nicht, vor die rechte Schmiede zu kommen.
Erst vor kurzem führte uns der Zufall mit einem der früheren wilden Kriegsgesellen zusammen, der seiner Zeit lebhaftesten Anteil an den «alamän» oder «barantd» genannten gegen unsere Grenze gerichteten Überfällen genommen hatte, und nun, zu ruhmloser Untätigkeit verdammt, nicht ungern sich in ein Gespräch über die «gute alte Zeit» einließ.
Unter anderem sagte er folgendes: «Die Rosshaarbüschel banden wir an unsere Lanzen, um die Waffe leichter aus dem Körper des getroffenen Feindes herausziehen zu können; denn sie erweiterten die Wunde genügend, um ein festes Umschließen der eingedrungenen Spitze zu verhüten, und es genügte ein leichter Ruck, um das Eisen durch die sich herumlegenden, blutdurchtränkten, schlüpferigen Haare «wie durch Butter» herausgleiten zu lassen.» Diese Erklärung schien uns vollkommen einleuchtend, wurde auch später mehrfach von ausgedienten Kosaken, den erbitterten Feinden der Grenzräuber, bestätigt.
Zur Ergänzung des Obigen mag noch gesagt sein, dass sowohl die Karawie die Teke-Turkmenen bei der Attacke die Lanze nicht unter die Armhöhle drücken, sondern das untere Ende des Schaftes gegen den vorderen Sattelbogen stemmen; weit vorgebeugt geben sie mit dem rechten Arm der Lanzenspitze die nötige Richtung. Es erklärt sich daraus, dass der Stoß bei der vollen Wucht des dahinjagenden Pferdes mit furchtbarer Kraft erfolgt, und die Lanze durch alle Schutzvorrichtungen stets tief in den Körper des Getroffenen eindringt.
W. Shelesnow.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 6. Dresden, 1900-1902.