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Die Heuschreckennot

Die Heuschreckennot im Sommer 1338

Es ist uns keine Gattung geflügelter Insekten bekannt, welche durch ihre Gefräßigkeit in der kürzesten Zeit so viel Schaden anrichten könnten, als die großen Zug- oder Wanderheuschrecken, die vornehmlich für Kleinasien und andere asiatische und afrikanische Länder eine furchtbare verheerende Geißel sind. Die dortigen Bewohner halten sich einigermaßen dadurch schadlos, dass sie diese Zerstörer ihrer Fluren und Saaten selbst wieder, entweder roh oder über Kohlenfeuer geröstet, verzehren und sogar Wohlbehagen an dieser Speise finden.


Wir finden in den Jahrbüchern mehrfache Nachrichten verzeichnet, dass diese Wandertiere, in dunklen Schwärmen und die Sonne verfinsternd, auch in Europa erschienen sind und daselbst, wo sie sich zur Erde niederließen, schreckliche Verheerungen angerichtet haben.


Es war im Sommer 1338, als der böhmische Prinz Karl, Markgraf von Mähren und nachmals deutscher Kaiser Karl IV., bei seiner Rückkehr aus Ungarn, wo er seinen Schwager, den Herzog Otto besucht hatte, im Pulkau-Tal Zeuge eines höchst merkwürdigen Heuschreckenzuges war, den er auch in seiner Lebensgeschichte selbst in Kürze beschreibt.


Mit dem Aufgang der Sonne, sagt er, weckte uns ein Ritter aus dem Schlaf und rief aus vollem Hals: Steht auf, oh Herr! Der Jüngste Tag bricht an, die Welt ist voll Heuschrecken!" Der Fürst raffte sich schnell empor, steig mit seinem Gefolge zu Pferde und betrachtete im Dämmerlicht den sonnenverhüllenden, sieben Meilen langen Zug, der einen unerträglichen Gestank und weit und breit ein schauerliches dumpfes Getöse verbreitete.


Diesem unabsehbaren Schwarm flog eine Art kriegerische Schar als rekognoszierender Vortrab voraus. Diese mit sechs Flügeln begabten Tiere sollen der Beschreibung nach Zähne gezeigt haben, die wie Edelsteine schimmerten und glänzten. Eine Abteilung ließ sich im fruchtbaren Pulkau-Tal nieder, größere Schwärme aber senkten sich in Mähren zur Erde, verschonten überall nur die Weingärten, sonst verzehrten sie Saat und Blüte, Laub und Gras und jegliche Frucht, sodass der Boden ganz kahl abgefressen und in die traurige Wüste verwandelt wurde. Sodann brach über die geschädigten Bewohner jener Gegenden die Geißel einer überaus peinlichen Hungersnot herein, auf welche nicht lange darauf, um das Unglück zu vergrößern, auch noch eine Überschwemmung folgte, die in vielen Gegenden einen nicht geringen Schaden anrichtete.


Hierzu wird noch der ergreifende Zwischenfall erzählt, dass ein Ritter, als er von den Heuschrecken seine üppigen Saatfelder, Fluren und Gärten so schrecklich verwüstet sah, in eine solche Zorneswut geriet, dass er zu Pferde steig und tollen Mutes mitten in den wolkenartigen Schwarm der geflügelten Feinde hineinsprengte. Was half es ihm, dass er viele hundert dieser unersättlichen Fresser zermalmte. Am folgenden Tag wurden Mann und Ross als Gerippe aufgefunden.


Textquelle: Zeitspiegel: Eine chronologische Ährenlese aus der österreichischen Völker- und Staaten-Geschichte. Zur Belehrung und Erheiterung für die reifere Jugend von Joseph Alois Moshamer 1866

Bildquelle: East and West. Being papers reprinted from the “Daily Telegraph” and other sources ... With ... illustrations by R. T. Pritchett, London 1896

Blogartikel Symbolbild Heuschrecke Abschluss zum Artikel.

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