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Die fürstlich Radziwillsche Rüstkammer zu Nieswies

Vorderkürass mit Johanniterkreuz
Vorderkürass mit Johanniterkreuz

Von M. v. Ehrenthal in Dresden.

 

Eines der mächtigsten und einflussreichsten Fürstengeschlechter im Großherzogtum Litauen war seit Beginn des 15. Jahrhunderts die Familie Radziwill. Ihr Besitz erstreckte sich von den Sümpfen des Pripet bis in die Woywodschaft Wilna, östlich bis an den Ptitsch und westlich bis an die Weichsel. Volkreiche Städte, freundliche Dörfer und stolze Schlösser waren Eigentum der Familie, die sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts in mehrere Linien spaltete. Der Stammvater des noch heute zu Nieswicz blühenden fürstlichen Hauses ist Nicolaus II. Priscus, geb. 1398, gest. 1509, der sonach das ungewöhnliche Alter von 111 Jahren erreichte. Der Ort Nieswicz besteht aus dem etwa 6000 Einwohner zählenden Städtchen und dem fürstlichen Schloss, das etwas abseits von der Stadt liegt und mit dieser durch einen schmalen Damm, der zwischen Teichen hindurchführt, verbunden ist. Die Gebäude des Schlosses, im Kasernenstil des 18. Jahrhunderts um-, bzw. neugebaut, umschließen einen geräumigen viereckigen Hof. Das gewölbte Erdgeschoss und die fast 2 Meter starken Mauern des aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts herrührenden Mittelbaues, sowie der hohe Erdwall mit vier Bastionen, welcher noch heute das Schloss umschließt, zeigen uns, dass dasselbe dereinst den fürstlichen Besitzern nicht allein als Wohnung, sondern auch als Kastell gegen anstürmende Feinde gedient hat. Überdies war früher der Gebäudekomplex auf drei Seiten mit Seen umgeben, von denen erst neuerdings ein Teil in Parkanlagen umgewandelt, worden ist.

 

Schon diese Verteidigungseinrichtungen geben uns ein Bild der Verhältnisse, wie sie besonders im 16. und 17. Jahrhundert in jenen Gebieten obwalteten, wo abwechselnd Moskowiter und Tataren, Kosaken und Walachen, Schweden und Türken sengend und brennend, raubend und mordend einfielen. Jeder Edelmann, namentlich aber der in den östlichen und südlichen Provinzen des polnischen Reiches, war daher genötigt, seinen Herrensitz in eine kleine Festung zu verwandeln und auch Waffen für seine Dienstboten bereit zu halten, um dem oft plötzlich erscheinenden Feind Widerstand leisten zu können. Brach aber ein größerer Krieg über das Land herein, da schloss sich der Kleinadel dem Mächtigeren an, entweder um gemeinsam mit ihm den Horden entgegenzutreten oder unter Befehl des Woywoden oder Hetmans zu den Kronsheeren zu stoßen. Es war daher natürlich, dass der begüterte Adel auch für Waffen und Ausrüstungsstücke Vorsorge traf, und dass, nachdem der Plattenharnisch Bedürfnis geworden war, auf Schlössern und Burgen Rüst- und Harnischkammern entstanden. Aber auch ritterliche Belustigungen und Spiele wurden zu jener Zeit in Polen und Litauen ebenso gepflegt wie in den westeuropäischen Ländern. Der reichere Edelmann, der Fürst, der einen Hof hielt, bedurfte daher auch des Zeuges zu den verschiedenen Turnierarten für sich und seine Gäste.

 

Von den Waffenkammern, welche vor drei- bis vierhundert Jahren angelegt wurden, ist nur noch diejenige im Schloss Nieswiez bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben, während alle anderen durch spätere Kriege, politische Ereignisse, vielleicht aber auch infolge fehlenden Sinnes dafür hinweggefegt worden sind wie die Blätter vom Herbstwind. Zwar ist auch an der Rüstkammer der Radziwills der Zeitenlauf nicht spurlos vorübergegangen; manches Stück, namentlich aber sämtliche Trutzwaffen mit Ausnahme einiger Geschütze, sind ihm zum Opfer gefallen; doch gibt uns der heutige Bestand immer noch ein Bild der Bewaffnung in jenen, für die polnische Nation besonders bewegten Zeiten. Beim Anblick der Reiterharnische, die vielfach Spuren des Kampfes aufweisen, wird die Erinnerung lebendig an die polnische schwere Reiterei des 16. und 17. Jahrhunderts, wie sie, schier unüberwindlich, oft die zehnfach stärkeren Horden der Tataren oder die aufständischen Kosaken niederritt und niederschlug. Vor unseren Augen stehen die Heldengestalten eines Johann XI. Radziwill, Jeremias Wisniowiecki, Michaeli Kasimir Radziwill, Marcus und Johann Sobieski und ihre Siege über den wilden, aber tapferen Tuhai-Beg, den furchtbaren Chmielnicki und die türkischen Paschas Hussein und Kara Mustapha.

 

Von dem einstigen Reichtum der fürstlichen Waffenkammer geben alte, im Familienarchiv bewahrte Inventarien Aufschluss; aber auch ein im Schloss befindliches Gemälde, welches die Szene darstellt, wie Michael V. Kasimir Magnus am 24. September 1744 seine Fahnen dem König in Polen, August III., vorführt, legt davon Zeugnis ab. Das Bild, dessen historische Treue feststeht, zeigt uns die zahlreiche Kavallerie des Fürsten, Dragoner, Husaren und die schwere gepanzerte Reiterei, an deren Spitze man den Fürsten selbst auf weißem Hengst sieht.

 

Die Anfänge der Rüst- und Harnischkammer reichen bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück; aus jener Zeit sind noch Teile geriffelter Harnische für Mann und Ross vorhanden. Zahlreicher und vollständiger sind die Schutzwaffen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zumeist halbe Reiterharnische nebst Arm- und oberem Beinzeug, deren Bruststücke entweder die Form des Tapul oder den sogenannten tiefliegenden Gansbauch zeigen. Zu diesen Harnischen gehören auch geschlossene Sturmhauben von derselben Form, wie sie in dem Handbuch der Waffenkunde von W. Boeheim, Fig. 36, abgebildet ist. Auch eine größere Anzahl leichter Rossharnische aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat, nach den vorhandenen Fragmenten zu urteilen, ehedem zu den Beständen gehört.

 

Eine weitere Vermehrung der Rüstkammer erfolgte augenscheinlich etwa zwischen 1610 und 1640. Man kann dies aus der Gestalt der Bruststücke der Reiterharnische sowie aus der Form zahlreicher Sturmhauben mit Vorsteckvisieren schließen. Aus denselben Jahren stammt auch eine Reihe leichter Helme, deren Scheitel in eine Spitze ausläuft und deren Krempe vorn und hinten ähnlich wie die der Morions aufwärts gebogen ist, sogenannte Schützenhauben, mit denen das Fußvolk ausgerüstet war.

 

Über die Herkunft aller dieser zur Bewaffnung der Kriegsknechte dienenden Schutzwaffen ließ sich weder an den Stücken selbst noch aus archivalischen Unterlagen etwas ermitteln. Der Form nach gleichen sie vorkommenden deutschen Schutzwaffen, sodass angenommen werden kann, sie seien entweder von deutschen Plattnern bezogen oder in Polen nach deutschen Mustern angefertigt worden.

 

Neben den Rüstungsteilen für Kriegsknechte enthält aber die fürstliche Rüstkammer noch manches Stück, das nach Zweck und Ausstattung nur von ritterlichen Personen, sonach von Vorfahren des fürstlichen Hauses Radziwill getragen worden sein kann. Die beiden ältesten dieser Stücke sind zwei geriffelte Visierhelme; der eine, ohne Wulst am Scheitel, noch aus den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts, der zweite, mit kleiner Wulst und ausgekehltem Visier, aus der Zeit zwischen 1510 und 1520. Als einstiger Träger der beiden Helme ist Fürst Johann II., der Bärtige (1474—1552), mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Zwei andere ebenfalls gut erhaltene Visierhelme — der eine mit niedrigem Kamm und dreimal geschobenem Kragen (um 1570), der andere, ein sogenannter Burgunderhelm mit Visier und Helmfenster, zu einem Turnierharnisch gehörig und um 1590 angefertigt — dürften dem Fürsten Nicolaus VIII. Christophorus (1549—1616) angehört haben. Von ganzen Harnischen, deren im 18. Jahrhundert noch sieben aufgezählt werden, ist heute nur ein einziger erhalten1; er ist blank, an den Rändern mit schuppenartig getriebenen Streifen geziert und mit einer, wahrscheinlich Nürnberger Plattnermarke, einem Stechhelm mit den Buchstaben W R darüber, gezeichnet. Der Form nach zwischen 1550 und 1560 geschlagen, könnte er recht wohl von Fürst Nicolaus VI. Priscus (1515 —1567) herrühren.

 

Besonderes Interesse erwecken ein Brust- und Rückenstück von riesigen Dimensionen, jedes unten dreimal geschoben, das Bruststück mit tiefliegendem Gansbauch, das Ganze an den Rändern mit Ätzstreifen geziert, als dessen Träger Fürst Christophorus I. Nicolaus, genannt Belli fulmen (1547 bis 1603), mit großer Wahrscheinlichkeit anzusehen ist, eine Persönlichkeit, deren Bildnis einen riesenhaften Körperbau aufweist. Schließlich wären noch zwei Vorderkürasse aus dem 18. Jahrhundert zu erwähnen, die ebenfalls mit Vorfahren des fürstlichen Hauses in Verbindung zu bringen sind. Beide Stücke sind an den Rändern mit gepunztem Messingblech beschlagen und stammen den Ornamenten nach aus einer polnischen Werkstatt. Der ältere, vom Anfang des 18. Jahrhunderts, mit dem Johanniterkreuz auf der Brust, könnte dem Fürsten Karl I. Stanislaus (1669 bis 1719) gehört haben. Der jüngere, mit dem Kreuz des polnischen weißen Adlerordens, ist mit Sicherheit dem Fürsten Michael V. Casimirus Magnus (1702—1762), demselben, der seine Truppen 1744 dem König August III. vorführte, zuzuschreiben.

 

Von Gegenständen, die lediglich ein waffentechnisches Interesse bieten, sind erwähnenswert einige Panzerschurze und einige Panzerkragen, teils aus genieteten, teils aus zusammengebogenen Ringen, die noch aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen. Die Schurze bestehen aus Vorder- und Hinterteil, die durch einen zwischen den Beinen hindurchführenden schmalen Steg, der zugleich den Gliedschirm bildet, miteinander verbunden sind.

 

Mehrere Nackenschirme aus Panzergeflecht gehören zu sogenannten Zischäggen, einer Kopfbedeckung, die sich aus der türkischen Sturmhaube herausgebildet und vom Ende des 16. Jahrhunderts in Polen sowohl, als auch in westeuropäischen Ländern Eingang gefunden hatte. Auch die ungarische Schlaghaube, eine Sturmhaube mit krebsschwanzartig geschobenem Nackenschutz, ist in einigen Exemplaren vertreten. Als wertvolles Erinnerungsstück an die Kämpfe des 16. Jahrhunderts ist ein moskowitischer Spitzhelm zu erwähnen, an dessen unterem Rand sich ein Ätzstreifen in zierlichem Blumenmuster befindet; auch der zugehörige geschlossene Nackenschutz aus Panzergeflecht ist noch vorhanden.

 

Besonders zahlreich sind die Fragmente von Turnierharnischen, die den einstigen Reichtum der fürstlichen Rüstkammer ebenfalls nach dieser Seite hin erkennen lassen; darunter befinden sich einige Stücke, deren Herkunft durch ein inwendig eingeschlagenes A (Augsburg)2 nachgewiesen wird. Ein Verstärkungsstück für die linke Schulter mit angeschraubtem, steifem Bart, durch Ätzstreifen in gotisierendem Muster geschmückt, zeigt uns neben der Augsburger „Stadtpyr“ die Marke des berühmten Plattners Coloman Kolman Holmschmied (gest. 1532).

 

Mit demselben Muster sind noch einige andere Harnischteile, insbesondere aber ein Brust- und Rückenstück von einem Prunkharnisch, geziert, die unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Es befindet sich nämlich auf dem Kürass, wie aus der beigefügten Abbildung des Bruststückes ersichtlich ist, in Ätzarbeit ein auf einem Kreuz liegendes Wappenschild, welches einen einköpfigen schwarzen Adler in weißem Feld zeigt, das Abzeichen eines Hochmeisters des Deutschen Ritterordens. Nach Form und Ätzmalerei, welch’ letztere besonders in der zierlichen Spitzenkante noch die rein gotischen Motive aufweist, stammt der Harnisch vom Anfang des 16. Jahrhunderts und ist jedenfalls nicht später als 1520 angefertigt worden. Als einstiger Besitzer desselben käme sonach einer der beiden letzten Hochmeister des Ordens, entweder Friedrich von Sachsen, welcher das Amt von 1496 bis 1510 innehatte, oder Albrecht von Preußen, der von 1511 bis 1525 Hochmeister war und dann erblicher Herzog in Preußen unter polnischer Lehnshoheit wurde, in Frage. Das Grabmal des sächsischen Herzogs Friedrich befindet sich im Dom zu Meißen. Die Bronzeplatte, mit welcher die Gruft bedeckt ist, zeigt den Fürsten in der ritterlichen Tracht eines Ordensmeisters, mit einem Kreuz auf der Harnischbrust, genauso wie dasjenige auf unserem Bild, doch fehlen auf dem Kürass die Ätzmalerei und -— die am oberen Rand ersichtlichen Buchstaben G. V. D. M. T. E., welche vermutlich einen Spruch bedeuten wie: «Gott verleih Dir Mut, Tapferkeit, Ehre.» Obgleich es zu jener Zeit häufig vorkam, dass auf Grabmonumenten die Harnische und Leibwaffen der verstorbenen Herren mit großer Genauigkeit nachgebildet wurden, könnte doch aus dem Fehlen der Ätzmalerei sowie der Inschrift auf der Grabplatte im Meissner Dom allein noch nicht der Schluss gezogen werden, dass der besprochene Harnisch dem Herzog Friedrich nicht angehört haben könne.

 

Gegen diese Persönlichkeit und für den preußischen Herzog Albrecht sprechen vielmehr andere Momente. In der Königlichen Bibliothek zu Königsberg wird nämlich eine Handschrift von Kaspar Stein aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bewahrt, welche die Waffenkammer der ehemaligen Hochmeister des deutschen Ritterordens erwähnt; es heißt darin:3 «Die Waffenkammer unter dem großen Eberhaus und in ihnen an der Thür sind Reime den Eintretenden vorgeschrieben. Sieben Ritterrüstungen gemeinhin «Kürisser auf bocken», herrlich polierte von den Hochmeistern des deutschen Kreuzritterordens und unter ihnen die des Marschalls Henrici Schindikops (Hennig Schindekopf) mit der Keule des Martin Wallenrod, mit der Lanze und dem Kränzchen, welches in den einzelnen Jahren von den Waffen Wächtern für ein Fass voll Bier von der Wallenrodschen Familie erneuert ist. — Die Rüstung und das Schwert Albrechts, des letzten Hochmeisters des Deutschen Ordens und ersten Herzogs von Preußen ...»

 

Ein Harnisch des Hochmeisters Friedrich von Sachsen ist nicht erwähnt. Bis zum Jahre 1807 war die Rüstkammer zum größten Teil noch vorhanden; in diesem für die Stadt Königsberg verhängnisvollen Jahre, in dem sie dem Marschall Soult ihre Tore öffnen musste, wurden jedoch die Bestände durch die Franzosen verkauft; hierbei könnte wohl einiges davon und so auch der Harnisch des letzten Hochmeisters in die Hände eines Radziwill gelangt sein. Diese Annahme teilt auch der als vortrefflicher Kenner der Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen bekannte Königliche Baurat Dr. Steinbrecht, dem an dieser Stelle für die dem Verfasser in freundlicher Weise erteilte Auskunft der verbindlichste Dank ausgesprochen sein möge.

 

Jedoch sei auch einer anderen Meinung über die Frage, wie der Harnisch nach Nieswiez gekommen ist, Raum gegeben. Der ausgezeichnete Forscher in der Familiengeschichte des Hauses Radziwill, der fürstliche Bibliothekar Dr. Puljanowski zu Nieswiez, vermutet nämlich, dass die fragliche Rüstung schon früher, vielleicht durch Boguslaw I. Radziwill (geb. zu Danzig 1620, gest. als Generalgouverneur der Provinz Preußen zu Königsberg 1669), dessen Mutter Elisabeth Sophie eine Tochter des Kurfürsten Georg von Brandenburg war, in den Besitz der Familie übergegangen sein könne. Doch wie das Stück auch seinen Weg nach Litauen gefunden haben möge, es liegt eine große Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass wir hier in Nieswiez den von Kaspar Stein erwähnten Harnisch des letzten Hochmeisters und ersten Herzogs in Preußen, des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, und damit ein ebenso für die Geschichte des Ordens, wie für das Hohenzollernhaus besonders wertvolles Erinnerungsstück vor uns haben.

 

(Fortsetzung folgt.)

 

1 Einige aus der Rüstkammer zu Nieswiez stammende ganze ritterliche Harnische befanden sich bis vor kurzem auf Schloss Weiki bei Wilna.

2 Die Abbildung der Marke siehe im «Führer durch das Königl. Historische Museum zu Dresden» von M. v. Ehrenthal (3. Auflage), S. 40.

3 Vergl. «Die Bau- und Kunstdenkmäler in Königsberg» von Adolf Boetticher (Königsberg 1897), S. 25 ff.


Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 5. Dresden, 1900-1902.