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Eine mailändische Schallern

Fig. 1.
Fig. 1.

Artikel: Mitteilungen aus der Renaissance-Abteilung der Kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg

 

Aus dem Nachlass des Großfürsten Michael Pawlowitsch im Jahre 1866 überkommen und in das Inventar des Arsenals von Tsarskoje-Selo unter J. 615 eingetragen ist eine interessante Schallern, deren Vorder- und Seitenansicht die beistehenden Abbildungen Fig. 1 und 2 zeigen. Die Glocke mit niedrigem Kamm, aus einem Stück getrieben, ist 22 cm hoch, in der Längsachse 21 cm, im Querdurchschnitt 17,5 cm breit; das Gewicht beträgt 4 Pfd. 88 sol. russ. Gew. An der Stirn ist ein muschel- oder fächerförmiges, flach gekehltes, geätztes und vergoldetes Verstärkungsblech festgenietet, der Nackenschutz ist dreimal geschoben; rückwärtig links am Scheitelstück findet sich eine leider undeutlich ausgeprägte Meistermarke eingeschlagen. In dem von F. v. Gille 1842—61 zusammengestellten Katalog des Arsenals wird (nach einer späteren handschriftlichen Notiz) diese Schallern, freilich ohne jegliche Belege und offenbar nach einem älteren, nicht mehr vorhandenen Katalog, dem Ercole Bentivoglio von Bologna (1459 — um 1507) zugeschrieben, und zwar, wie eine eingehendere Prüfung ergeben soll, mit vollem Recht.1

 

Was zunächst die Form betrifft, so entspricht sie durchaus der angegebenen Zeit; ganz gleich gestaltete Schallern kamen im 15. Jahrhundert auch außerhalb Italiens vor, wie das in Fig. 3 abgebildete ganz analoge Stück aus der Sammlung Meyrick zeigt, welches als in England zur Regierungszeit Heinrichs VI. und Eduards IV. gebräuchlich bezeichnet wird.2 Dass auch die zeitgenössischen Glieder der Familie Bentivoglio diese Kopfbedeckung ohne Bart trugen, ist an einer im Museum von Bologna aufbewahrten Medaille des Giovanni II. Bentivoglio (1443—1509) ersichtlich, wenn auch hier die Schallern in der Form etwas von unserer abweicht, indem sie, soweit sich aus der Zeichnung Littas3 beurteilen lässt, mit einem Visier und tief herabreichendem, nicht geschobenem Nackenschirm versehen ist (Fig. 4).

 

Die Meistermarke (Fig. 5) deutet ebenfalls auf dieselbe Periode, und wenn sie uns auch in dieser Form (H? A) noch nicht begegnet ist, so glauben wir doch nicht fehlzugehen, wenn wir sie einem Mailänder Plattner, und zwar einem der älteren Missaglia zuschreiben.

 

Endlich aber bieten die Verzierungen des Stirnschildes genügende Anhaltspunkte, um die Persönlichkeit des Besitzers mit Sicherheit festzustellen; es sind nämlich an den Schmalseiten: rechts der ovale schrägrechts dreizehnmal mit Spitzen geteilte Schild (Fig. 6) und links das vollständige Wappen der Bentivoglio — der geviertelte Schild mit nach rechts gewandtem Adler in 1 und 4 und der schrägrechten Spitzenteilung in 2 und 3 (Fig. 7) — eingeätzt, letzteres genau in der Form, wie es sich auf den von Giovanni II. Bentivoglio geprägten Münzen vorfindet (Fig. 8). An der Spitze des Stirnblechs sieht man noch rechts die Wappenfigur der Bentivoglio — den Adler auf einem Nest, über dem Haupt ein fliegendes Band mit Inschrift NUN MICHI (Nunc mihi), (Fig. 9) links einen Stier, ein Schwert und einen zweiten, nicht mehr zu bestimmenden Gegenstand (Blatt? Garbe?) haltend, mit einer Lilie zwischen den Hörnern (Fig. 10). Den Adler mit dem angeführten Wahlspruch sehen wir auf zwei dem Museum in Bologna und der Kollektion Schiassi daselbst gehörigen Schaumünzen (Fig. 11 u. 12), letztere mit den Namen der beiden Söhne Giovannis II., Annibale (1469—1540) und Antongaleazzo (1472—1525); die Figur des Stieres hat nun zwar mit dem Wappen der Bentivoglio nichts gemein, lässt sich aber, wie uns scheint, ungezwungen aus dem Umstand erklären, dass der Inhaber des Helmes Ercole Bentivoglio mit Barbara Torelli vermählt war, aus deren Wappen die Figur entnommen sein könnte. Ein Beispiel der Entlehnung derselben Wappenfigur gelegentlich einer Familienallianz finden wir an dem Grabmal der Pallavicino in der Parochialkirche von Cortemaggiore, woselbst der Stifter Gianlodovico Pallavicino (1425—1481), vermählt mit Anastasia Torelli, das vereinigte Wappen beider Geschlechter am Monument anbringen ließ (Fig. 13).

 

Allzu genau freilich mit der Blasonnierung der Wappen nahmen es weder der Steinmetz noch der Ätzmaler, allein es braucht den verschiedenen Abweichungen und Freiheiten in dieser Richtung kein besonderes Gewicht beigelegt zu werden, denn in Rankenwerk eingestreute, als ornamentale Beigabe dienende Wappentiere und Figuren werden wohl kaum mit heraldischer Präzision behandelt worden sein.

 

Es erübrigte nun noch, das Wort «Nespola» zu deuten, welches sich viermal in einer der Einkehlungen und je einmal an den schmalen Seitenrändern des Stirnschildes eingraviert vorfindet, doch sehen wir uns vorläufig außerstande, eine stichhaltige Erklärung dafür zu bieten. Die in dem Werk von Litta gegebenen Daten aus der Familiengeschichte der Bentivoglio lassen keine Beziehungen zur Mispel (nespola) als dem bevorzugten Symbol des Geschlechtes erkennen, und wenn das Wort, wie in der oben erwähnten handschriftlichen Notiz gesagt ist, einen Kriegsruf, ein Feldgeschrei bedeuten sollte, so müsste es wohl im übertragenen Sinne von «dare nespole = Prügel geben» aufzufassen sein, und dann bliebe es wieder unverständlich, warum hier die Singularform nespola statt nespole angewandt wurde.

 

1 Vgl. Georg v. Kämmerer, Arsenal de Tsarskoe-Selo ou collection d’armes de sa Majeste L’Empereur de toutes les Russies. St. Petersbourg 1869. — Der Autor kommt im großen Ganzen zu einem mit dem vorliegenden Artikel übereinstimmenden Resultat.

 

2 G. Finke, Abbildungen und Beschreibung von alten Waffen und Rüstungen, welche in der Sammlung von Llewelyn Meyrick zu Goodrick-Court in Herefordshire aufgestellt sind. Berlin 1836. Cf. pl. 74 No. 4.

 

3 Die beistehenden zu Vergleichen herangezogenen italienischen Medaillen, Schaumünzen und Wappen, chronologischen und genealogischen Daten entnehmen wir dem Kapitalwerk: Litta, famiglie celebri italiane. (Fase. XXXI Bentivoglio di Bologna, XLI Pallavicino u. a.)

 

Fig. 2.
Fig. 2.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 5. Dresden, 1900-1902.