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Die Wurfharpune

Die Großseefischerei in der Nordsee war jahrhundertelang ein bedeutender Wirtschaftszweig in Nordwesteuropa. Besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert spielten traditionelle Fangmethoden eine entscheidende Rolle beim Beutezug auf Hochseearten wie Wale oder große Raubfische. Eine dieser Methoden, die Wurfharpune, nimmt dabei eine besondere Stellung ein – sowohl historisch als auch technologisch.

Die Wurfharpune hat eine Länge von rund 1,41 Metern, ist vollständig aus Eisen und wiegt rund 3,5 kg.
Die Wurfharpune hat eine Länge von rund 1,41 Metern, ist vollständig aus Eisen und wiegt rund 3,5 kg.

Was ist eine Wurfharpune?

Die Wurfharpune ist ein manuell bedientes Jagdgerät, das ursprünglich zur Jagd auf Großfische und Meeressäuger wie Wale eingesetzt wurde. Im Gegensatz zur späteren Harpunenkanone wird die Wurfharpune – wie der Name andeutet – aus der Hand geworfen, häufig von Deck aus oder in kleineren Beibooten. Sie besteht typischerweise aus einem langen Holz- oder Metallstiel mit einer scharfen, oft mehrfach gezackten Spitze, die beim Eindringen im Körper des Tieres hängen bleibt.

In der Regel ist die Harpune mit einer Leine verbunden, die entweder direkt in der Hand des Harpuniers verbleibt oder an einem Boot befestigt ist. Nach dem Treffer beginnt der eigentliche Kampf – ein zäher und oft gefährlicher Prozess, bei dem das Tier erschöpft und schließlich erlegt wird.

 


Einsatz in der Nordsee

Im rauen Klima und den oftmals stürmischen Gewässern der Nordsee war die Wurfharpune nur bedingt geeignet für großflächige Jagd. Dennoch fand sie ihren Einsatz – vor allem im Küstenbereich und auf kleinen Fangfahrten, wo sie zur Jagd auf Robben, kleinere Wale oder große Fischarten wie Thunfisch oder Hai verwendet wurde. Im Gegensatz zum industriellen Walfang in der Arktis oder im Nordatlantik war der Einsatz in der Nordsee meist kleinteilig und handwerklich geprägt.

Besonders im 18. und 19. Jahrhundert, als die Küstenfischerei expandierte und der Mensch zunehmend mit größeren Meeresbewohnern in Kontakt kam, wurde die Wurfharpune zu einem wichtigen Werkzeug für Fischer, die sich auf die Jagd nach besonders ertragreichen Einzeltieren spezialisiert hatten.

Leicht verbogene Eisenspitze (Widerhaken) der im 19.Jahrhundert verwendeten Handharpune. Dieses Exemplar stammt aus Norddänemark.
Leicht verbogene Eisenspitze (Widerhaken) der im 19.Jahrhundert verwendeten Handharpune. Dieses Exemplar stammt aus Norddänemark.

Technik und Handhabung

Der Einsatz einer Wurfharpune erforderte große Geschicklichkeit, Erfahrung und Kraft. Der Harpunier musste nicht nur zielsicher sein, sondern auch das Verhalten des Tieres einschätzen können – Geschwindigkeit, Fluchtrichtung, Abtauchverhalten. Ein Fehlwurf konnte nicht nur die Jagd vereiteln, sondern auch gefährlich für das gesamte Boot werden, wenn ein verletztes Tier in Panik geriet.

Mit dem Aufkommen mechanischer Fanggeräte und moderner Harpunentechnik – insbesondere Harpunenkanonen mit Sprengladung – verlor die Wurfharpune zunehmend an Bedeutung. Ihre Rolle beschränkte sich fortan auf Sonderfälle oder traditionelle Fischerei.

 


Heute: Tradition statt Technik

Heutzutage hat die Wurfharpune in der Nordsee-Großfischerei keine praktische Bedeutung mehr. Der Einsatz ist in vielen Ländern – besonders im Kontext des Walschutzes – stark reguliert oder sogar verboten. In Museen, traditionellen Fischereifesten oder bei maritimen Handwerksvorführungen lebt die Technik jedoch weiter. Sie symbolisiert eine Zeit, in der der Mensch noch auf direkte Weise mit der Natur ringen musste.

Einige kleinere Fischereigemeinschaften in Norwegen, den Shetlandinseln oder entlang der niederländischen Küste pflegen die Erinnerung an diese Jagdform – oft verbunden mit Geschichten, Liedern und überlieferten Techniken.

Am Ende der Harpune wurde ein dickes Seil befestigt, dass zumeist mit dem Boot verbunden war. Es ist eine einfache aber massiv geschmiedete Jagdwaffe.
Am Ende der Harpune wurde ein dickes Seil befestigt, dass zumeist mit dem Boot verbunden war. Es ist eine einfache aber massiv geschmiedete Jagdwaffe.

Die Wurfharpune steht heute sinnbildlich für eine vergangene Ära der Großseefischerei in der Nordsee. Ihre Geschichte ist ein Zeugnis für den Einfallsreichtum und Mut der Fischer vergangener Generationen, aber auch ein Mahnmal für den oft rücksichtslosen Umgang mit den Meeresressourcen. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Artenschutz im Mittelpunkt stehen, erinnert die Wurfharpune an die Ursprünge des Fischfangs – roh, direkt und gefährlich – und an die Verantwortung, die wir im Umgang mit der Natur tragen.

Eine Verdickung zeigt den Übergang der Spitze zum Schaft. Viele europäische Harpunen bestanden nur in der Spitze aus Eisen und der Schaft war aus Holz.
Eine Verdickung zeigt den Übergang der Spitze zum Schaft. Viele europäische Harpunen bestanden nur in der Spitze aus Eisen und der Schaft war aus Holz.

© Copyright Bilder und Texte: Carsten Rau