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Nachruf zu Wendelin Boeheim

 

Herbe Verluste hat in den letzten Monaten unser Verein erlitten. Zu der noch jungen Trauer um Max Jähns gesellte sich bald die um Wendelin Boeheim. Zwei der Besten sind uns in ihnen entrissen worden, und der Verein wird nun sehen müssen, wie er ohne sie fertig werden wird. Gewiss wird das nicht leicht sein. Denn beide Männer sind jeder in seiner besonderen Art unersetzlich. Aber schon ist die historische Waffenkunde stark genug geworden, um ihren Platz unter den geschichtlichen Hilfswissenschaften zu behaupten, ohne, wie früher, fürchten zu müssen, dass man ihr höchstens ein Winkelchen im großen Saal der Kulturgeschichte vergönne. Wird nur in dem Geist weitergearbeitet, wie es Boeheim und Jähns taten, so können wir getrosten Mutes in die Zukunft blicken. Vor wenig Jahren noch wäre das unmöglich gewesen. Dass jetzt am Ende des Jahrhunderts die Verhältnisse so viel günstiger liegen, das ist das Verdienst Wendelin Boeheims.

 

Als ich bei Beginn des zweiten Bandes die Schriftleitung aus seinen Händen übernahm und meinem Vorgänger einige dankbare und anerkennende Worte widmete, schickte ich sie, da wir gewissermaßen vereinigt zu den Lesern sprachen, in der Korrektur an ihn zur Durchsicht. Ich hatte ihn in dieser Einführung, von der Erwägung ausgehend, dass er der historischen Waffenkunde die Daseinsberechtigung als Wissenschaft erkämpft und die Forschung auf diesem Gebiet methodisch eingerichtet hatte, den «Vater der historischen Waffenkunde» genannt, und noch heute glaube ich, dass ich trotz mancher tüchtigen Vorarbeiten wie der von Ouirin von Leitner, Violletle-Duc u. a. damit nicht zu viel gesagt habe. Boeheim aber wollte in seiner auch sonst vielfach erkennbaren Bescheidenheit eine derartige, wie er meinte, allzu hoch gegriffene Schätzung nicht gelten lassen. Ich gab damals dem verehrten Mann nach.

 

Heute aber, wo er nicht mehr unter uns weilt, bin ich sicher, dass die Fachgenossen, die ja alle von ihm gelernt haben, mir beipflichten werden, wenn ich in dieser Zeitschrift, deren Bestehen und Ergehen ihm so am Herzen lag, doch diese ehrende Bezeichnung zum Gedächtnis nunmehr niederschreibe.

 

Boeheims Gesundheitszustand erfüllte die, welche ihn persönlich kannten, schon länger mit ernsten Bedenken. Bereits ein Jahr vor seinem Tod hatte der Arzt ihm dringend geraten, in der Arbeit, in der allein er sich keine Mäßigung auferlegen mochte, Maß zu halten. So gab er denn die Schriftleitung der Zeitschrift zunächst ab und bei der dritten Hauptversammlung in Dresden bat er schriftlich auch noch um Enthebung von dem Amt eines zweiten Vorsitzenden des Vereins. Trotzdem glaubte wohl keiner, dass er, dessen Ernennung zum Ehrenvorsitzenden des Vereins man in der Hoffnung ausgesprochen hatte, dass er sich dieser Stellung noch recht lange erfreue, so bald uns verlassen werde.

 

Ein Mann, der nicht ersetzt werden kann, stirbt immer zu früh und immer unerwartet, denn man glaubt, dass der, welcher jederzeit selbstlos sich für einen idealen Zweck einsetzt, dass der, auf den man sich immer unbedingt verlassen kann, stets für uns und die gemeinsame Sache bereitstehen müsse. Eben wenn man die Größe eines möglichen Verlustes von vornherein beurteilen kann, ihn also besonders fürchten muss, wird man sich — das ist eben menschlich — scheuen, ernstlich an ihn zu denken. Freilich ist dann der Schmerz umso herber, wenn er wirklich eintritt.

 

Von Waldegg aus, dem geliebten Sommeraufenthalt, der schon mehr als einmal ihm die Kräfte verjüngt hatte, schrieb mir Boeheim noch Ende August, dass er sich bedeutend gestärkt fühle, obwohl er, wie er in seinem auch sonst nicht versagenden Humor hinzufügte, für den Arzt ein «wahres Versuchskaninchen» sei, und noch konnte er mir von literarischen Plänen für den Winter sprechen. Ehe er sie aber ausführen konnte, erlahmte die regsame Hand für immer: am 1. November 1900 erlöste Wendelin Boeheim der Tod von seinem Leiden.

 

In gewissem Sinne war Boeheim ein glücklicher Mensch. Denn am Abend seines Lebens konnte er sich sagen, dass das, wofür er vor allem gewirkt hatte, auf dem richtigen Wege zum ersehnten Ziel sei, dass die Waffenkunde, nicht mehr auf die zufällige Neigung eines kulturgeschichtlichen Forschers angewiesen, als gefestigte selbständige Wissenschaft methodisch betrieben werden würde, so lange es überhaupt geschichtliche Forschung und als deren Vorbedingung Sinn für das Leben der Vergangenheit gibt.

 

Der Anfang von Boeheims öffentlicher Laufbahn hatte zunächst nicht darauf hingewiesen, dass er sich als Gelehrter seinen Ruhmeskranz verdienen werde. Wie wohl alle von uns kam auch er erst auf dem Umweg über einen anderen Beruf, über andere Beschäftigungen zur historischen Waffenkunde. Wendelin Boeheim ist am 17. September 1832 zu Wiener-Neustadt geboren.1 Sein Vater war ein Beamter der Stadt. Er ließ den Sohn das Gymnasium besuchen und gab dann seinem Wunsch, sich auf der Kunstakademie in Wien der Bildhauerei zuzuwenden, Folge.

 

Das unruhige Jahr 1848 entzog Boeheim aber dem Dienst der Kunst: er trat als Expropriiskadett in das Pionier-Korps ein, also in einen Truppenteil, wo seine vortreffliche technische Begabung bald genug Gelegenheit zur Betätigung finden musste. Die theoretischen Kenntnisse gewann er auf der Pionierschule zu Tulln, die praktischen im Dienst des Bataillons zu Pressburg. Als Leutnant — er wurde es 1854 — nahm er an den verschiedensten Punkten seines Vaterlandes an wichtigen und lehrreichen Arbeiten teil, und für den strebsamen jungen Offizier war die Versetzung nach Verona ein anspornender Beweis von dem Vertrauen seiner Vorgesetzten.

 

1859 zum Oberleutnant befördert, sah er sich bald vor die ernstesten Aufgaben gestellt, die der Feldzug dieses Jahres brachte. Nach dessen Beendigung wurde er als Lehrer des Pionierdienstes an die Theresianische Militär-Akademie in Wiener-Neustadt versetzt, wo er sein Talent, anderen von seinem reichen Wissen in klarer Form mitzuteilen, bald soweit ausgebildet hatte, dass er an die Abfassung eines praktischen Lehrbuches denken konnte. Lehrend und fortgesetzt sich selbst weiterbildend blieb er bis zum Jahre 1864 in seiner Vaterstadt.

 

Dann aber wurde ihm das Kommando der Regiments Kadettenschule in Klosterneuburg anvertraut. Hier wurde er 1865 Hauptmann, kam aber 1866 bereits zum Infanterie-Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 und hatte als Kompaniechef sowohl wie als stellvertretender Führer eines Bataillons Gelegenheit, in der Schlacht bei Königgrätz sich auszuzeichnen. Aber auch bei diesem Regiment, mit dem ihn so ernste Erinnerungen verbanden, konnte er nicht lange Dienst tun. Noch einmal sollte er als Lehrer wirken, diesmal an der neu errichteten Kadettenschule in Graz, wohin er 1869 übersiedelte.

 

1872 wurde er auf seine Bitte wieder zum Truppendienst nach Tulln kommandiert. Nachdem er 1874 mit Wartegebühr beurlaubt worden war, schied er 1875 als Invalid aus dem aktiven Militärdienst aus.

 

Von da ab beginnt die schriftstellerische Periode in Boeheims Leben und seiner allzeit fertigen, sorgfältig geschulten Feder wusste man sich bald auch von Amtswegen zu bedienen. So arbeitete er an dem amtlichen Bericht über die Wiener Weltausstellung mit, ging dann als Sekretär der österreichischen Abteilung zur ersten internationalen Kunst- und Kunstgewerbe-Ausstellung nach München und 1878 nach Paris. Was der Knabe ersehnt hatte, das sollte jetzt dem gereiften Mann beschieden sein: er konnte sich dem Dienst der Kunst widmen, wenn nun auch nicht mehr als ausübender Künstler, so doch als Kunstforscher.

 

Mochte ihn nun die Kunstgeschichte zunächst zum Studium der alten Waffen geführt haben, so erscheint es mir doch zweifellos, dass daran sein Beruf als Soldat nicht geringeren Anteil gehabt hat, und auch das ist ein Umstand, der meine Äußerung rechtfertigt, dass Boeheim ein glücklicher Mensch gewesen sein muss. Denn auf dem Gebiet der Waffenkunde konnten sich ohne Störung jene beiden hauptsächlichen, anscheinend so weit auseinanderliegenden Neigungen begegnen, die seinem Leben äußeren Verlauf wie Inhalt schufen, die Liebe zur Kunst und die Liebe zum Waffenhandwerk.

 

Sein Kaiserlicher Herr, der übrigens, um das gleich hier zu bemerken, es ebenso wenig wie andere Fürsten an äußeren Ehrungen Boeheim gegenüber fehlen ließ, wusste diese glückliche Harmonie für seine reichen Schätze zu nutzen: 1878 ernannte er Boeheim zum Kustos der Waffensammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses, der er dann in den letzten Jahren unter dem Titel eines Direktors Vorstand.

 

Mit dem lebhaften Eifer, der Boeheim bis zu seinem Tod nicht verließ, nahm er sich der neuen Aufgabe an. Das reiche Material machte er sich bald zum geistigen Eigentum. Seinen Fleiß unterstützte eine auf den Besuch aller bedeutenden Sammlungen sich gründende, weit ausgedehnte, von einem scharfen, stilkritischen Blick unterstützte Anschauung und sein streng historischer Sinn, der sich nicht mit gefälligen, leichtherzig ersonnenen und auf romantisch-sentimentale Wirkung gestimmten Märchen zufrieden gab, sondern den Dingen auf den Grund ging, sich auch nicht scheute, immer und immer wieder, wie das zahlreiche Abhandlungen in den «Jahrbüchern der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses» beweisen, die Archive zu befragen.

 

So reifte er in gewissenhafter Selbstzucht rasch zum Führer in seiner Wissenschaft heran, und er dürfte es wagen, den gesamten Stoff in einem «Handbuch der Waffenkunde» (Leipzig, 1890) zu bearbeiten. Heute noch, wo unterdessen, wiederum meist unter Boeheims Vorgang, mancherlei klärende Forschungen angestellt worden sind, behauptet es den ersten Platz in der Fachliteratur. Einen Schlussstein kann es bei der Jugend unserer Sonderwissenschaft nicht bilden, wohl aber wird es für alle Zeit der Grundstein sein. Neben dieses Werk tritt ein zweites, ebenso wichtiges und wertvolles, die «Meister der Waffenschmiedekunst vom 14. bis ins 18. Jahrhundert» (Berlin 1897), das er «in dem Gefühle der herzlichsten Kollegialität» unserem Verein widmete. Boeheim lag es vielleicht noch mehr am Herzen als das Handbuch. Denn es entsprach seiner, in ihren Ursachen vorher näher auseinandergesetzten Vorstellung «von der innigen Verbindung der Kunst mit dem ernsten Werkzeug des Krieges», dass er seine Aufmerksamkeit, was vorher nie geschehen war, von den Gegenständen auf die Meister, die sie geschaffen, lenkte. Es wäre töricht, ein Meisterlexikon zu erwarten. Das kann auch heute noch nicht geschrieben werden. Aber die hundert Meister, die Boeheim aus seiner reichen Stoffsammlung heraushob, sind so vortrefflich in ihren Persönlichkeiten erfasst, die Kritik ihres Stiles ist so klar geschildert, dass, wer auch immer einmal sich an die große Aufgabe wagen muss, jenes Lexikon zu schaffen, unbedingt hier sich sein Vorbild zu suchen hat.

 

Wenn ich neben diesen beiden Hauptwerken außer den unseren Lesern bekannten, zahlreichen Abhandlungen in dieser Zeitschrift noch auf sein «Album hervorragender Gegenstände aus der Waffensammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses» (1887) hinweise, ferner auf die «kunstgewerblichen Gegenstände auf der kunsthistorischen Ausstellung in Steyr» (1884), auf «die Gründung und Entwicklung von Wiener-Neustadt» (1885), auf «Kunstgewerbliches aus dem mährischen Gewerbe-Museum, Waffen, Kriegs- und Jagdgeräte» (1885), auf «Philippine Welser, Schilderung ihres Lebens und ihres Charakters» (1894), so bin ich mir bewusst, dass ich nur eine Vorstellung von der Vielseitigkeit des Boeheimschen Schaffens, nicht aber von dessen vollem Umfang und dessen Tiefe gebe. Das muss einem mehr ausgeführten Lebensbild, welches zu schreiben sich wohl verlohnte, überlassen bleiben.

 

Neben der literarischen Tätigkeit darf die praktische nicht vergessen werden. Was die Einrichtung unseres Vereins und seiner Zeitschrift ihm verdankt, das brauche ich an dieser Stelle nicht auszuführen. Jeder weiß es, jeder erkennt dankbar Boeheims Fürsorge und Geschicklichkeit an. Seinen Herzenswunsch, die Zukunft seiner Wissenschaft sicher gestellt zu sehen, sah er mit dem Aufblühen des Vereins erfüllt: er wusste, dass er nicht vergeblich jahrelang irr-ernster Arbeit sich abgemüht hatte. Aber auch denen, die nicht zu uns gehören, stellt sich sein praktisches Wirken in einem glänzenden äußeren Zeugnis dar: das neue Wiener Hofmuseum zeigt, wie er sich die Einrichtung einer Waffensammlung dachte.

 

Boeheim war ein heftiger Gegner alles dessen, was den Wert der Waffe als solcher herabzusetzen geeignet war. Starke Worte des Zorns konnten dem sonst so wohlwollenden Manne dabei entschlüpfen. Keine Raritätenkammern, die durch dekorativen Aufputz das Urteil des Besuchers trüben, verlangte er, sondern Sammlungen, die durch klare, systematische Anordnung Erkenntnis vermitteln. Noch in einem seiner letzten Briefe an mich sprach er sein Bedauern aus, dass diese Anschauung immer noch nicht allenthalben gesiegt habe, und dass er deshalb im Laufe des Winters seine Ansichten über diesen Gegenstand ausführlich in der Zeitschrift entwickeln wolle. Es kann nun leider nicht mehr geschehen. Aber er durfte sich meines Erachtens doch bewusst sein, dass fast alle Leiter großer Waffensammlungen mit ihm eines Sinnes sind. Wenn trotzdem hie und da diese Betonung des Sachlichen der Aufstellung nicht durchgeführt worden ist, so mögen vielleicht Umstände mitsprechen, die mit der Wissenschaft nichts gemein haben, aber gerade deshalb umso schwerer aus der Welt zu schaffen sind.

 

Nur in einer Skizze habe ich Boeheims Leben und Wirken an dieser Stelle gezeichnet. Ich brauchte nicht ein farbenreiches Bild in allen Einzelheiten auszuführen. Denn jeder, der diese Zeitschrift liest, hat einen tiefen Blick in sein innerstes Wesen tun können. Was er dort sah, musste ihn mit hoher Achtung und mit Ehrfurcht erfüllen, denn er fand als Kern von Boeheims Persönlichkeit das Streben nach rechter Erkenntnis der Dinge, das Streben nach Wahrheit. Wer das aber zur Triebfeder seiner Handlungen macht, dessen Gedächtnis kann nie schwinden. Und so wird denn in der Geschichte der Wissenschaften und besonders in der Geschichte der historischen Waffenkunde für alle Zeit mit Ehren genannt werden der Name Wendelin Boeheim.

 

Karl Koetschau.

 

1 Herr Dr. Baron Potier, der Boeheim in verschiedenen Zeitungen Nachrufe widmete, vermittelte mir die Kenntnis der biographischen Daten, wofür ihm ebenso gedankt sei, wie für die Beschaffung des wohlgelungenen Bildnisses. Beim Begräbnis vertrat er den Verein und legte in dessen Namen einen würdigen Kranz an der Bahre nieder, herzliche Worte dem Entschlafenen nachrufend. Auch ein Kranz der Stadt Emden, der Boeheims letzter größerer Beitrag in der Zeitschrift galt, schmückte sein Grab, gewidmet «in treuem Gedenken».

 

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 5. Dresden, 1900-1902.