
Von Dr. G. Liebe, Kgl. Archivar.
Selten ist über einen Gegenstand allgemeinsten Interesses so viel Unbegründetes geschrieben worden, wie über das Turnier. Liefert es nebst dem Minnesang einen der Begriffe, mit denen die allgemeine Bildung ihre Kenntnis der Feudalzeit erweist, so konnten die Erörterungen darüber umso leichter ein Tummelplatz des Dilettantismus werden. Ungesichtet von wissenschaftlicher Kritik vermochte sich hier ein Wust veralteter Vorstellungen weiter zu schleppen, umso mehr, da man auch hier wie vielfach auf dem kulturgeschichtlichen Gebiet den literarischen Quellen ein viel zu großes Gewicht beimaß. Erst in den letzten Jahrzehnten sind unsere Kenntnisse vom Turnierwesen durch Wendelin Boeheim, Quirin von Leitner und Cornelius Gurlitt auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt worden. Man erkannte, wie reiches Material nicht nur die Rüstkammern, sondern auch die Archive bergen. Eine Quelle dieser Art von ganz besonderem Charakter ist es, welche Steinhausens Veröffentlichung deutscher Fürstenbriefe des ausgehenden Mittelalters erschlossen hat.1 Für den Mangel systematischer Belehrung, der nur zerstreute Einzelheiten zu sammeln gestattet, entschädigt reichlich die lebendige Färbung persönlichen Anteils. Die Kunde von der Denkweise des mittelalterlichen Menschen, die wir neben dem Reichtum der äußern Tatsachen häufig so schmerzlich vermissen, — hier quillt sie uns in reichster Fülle entgegen.
Die modernen Anschauungen vom Turnier lehnen sich zumeist an die Quellen der Hohenstaufenzeit an, über denen der Schimmer höfischer Poesie ausgebreitet liegt, aber es ist kein Zweifel, dass diese ritterliche Übung ihre kunstvollste Ausbildung erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts erhielt. Erst als die militärische Unbrauchbarkeit der feudalen Taktik erwiesen war, wurde aus der Schulung zum Kampf ein vornehmer Sport, ebenso wie die Plattnerei die höchste Kunst an ihre Erzeugnisse verschwendete, als das Pulver sie überflüssig gemacht hatte.
Der veränderte Charakter des Turniers erhellt schon daraus, dass es seine Pflege nur noch an den Höfen fand. Mit der ritterlichen Kriegskunst waren auch die Turniergesellschaften der vier Lande, Franken, Schwaben, Bayern und am Rhein im Laufe des 15. Jahrhunderts zurückgegangen; Fürsten waren es, welche an seinem Ende eine Nachblüte hervorriefen, die bis zur Mitte des folgenden währte. Nicht wenige von ihnen waren selber berühmte Speerbrecher, vor allem Kaiser Maximilian und Kurfürst Albrecht von Brandenburg, als einer der letzten Kurfürst August von Sachsen, dessen Tätigkeit als Staatswirt so ganz modern schon anmutet. Man kann sagen, dass nach den brieflichen Äußerungen der Fürsten am Schluss des Mittelalters nächst der Jagd das Turnier den Hauptinhalt ihrer Interessen bildet.
Immer weniger um ihrer selbst willen wird die Waffenübung gepflegt, als um den Glanz fürstlicher Hofhaltung zu erhöhen. Nur vereinzelt gehen noch Einladungen von den Rittergesellschaften und ihren «Königen» aus. 1438 hielt die vom Steinbock ihr Kapitel zu Koblenz und beschloss ein Turnier zu Mainz, 1485 turnierte die vom Einhorn zu Bamberg, 1486 die vom Falken und Fisch zu Konstanz. Die fränkische vom Einhorn war erst 1481 durch Wiederbelebung einer der beiden früher dort bestehenden entstanden, worauf Kurfürst Albrecht eiligst auch die andere, der mehrere seiner Vorfahren angehört hatten, erneuerte.
«Wir sind vor mit gots hilfif die fordersten im Turner gewesen und gedenkens aber zu bleiben.» Auch in Schwaben wird 1478 nach langer Zeit wieder ein Turnier gehalten als «alt löblich herkomen». Überwiegend erscheint das Kampfspiel jetzt als unumgänglicher Bestandteil jeder Festlichkeit, die dem fürstlichen Hof Gäste zuführte, mochte dies durch die regelmäßigen Festzeiten, zumal Fastnacht und Martinsabend geschehen oder bei außerordentlichen Gelegenheiten wie den Hochzeiten. Das Stechen, wie die gewöhnliche Bezeichnung ist, war eine den Gästen erwiesene Höflichkeit. Der Besuch der Tochter Kurfürst Albrechts mit ihrem Gatten Eberhard von Württemberg bei ihren Eltern 1481 wurde durch ein Gesellenstechen gefeiert, wobei der junge Markgraf Friedrich seinen Schwager herabrannte.
Als Friedrichs jüngste Schwester mit Graf Wilhelm von Henneberg 1499 Hochzeit halten sollte, schrieb dieser seinem Schwager: «Als ir mir schreibt, dass ir mit mir rennen wolt als ein gut geselle, so will ichs worlich auch dun und will nit allein mit euch rennen als mit meinem freuntlichen, lieben swager, sunder als mit einem guten gesellen.» Die ganze Freude eines glänzenden kraftbewussten Daseins strahlt aus den Worten Albrecht Achills (1480): «Ist konig Artes hofe hie mit jagen, beizen, hetzen, stechen, rennen und aller kurtzwil.»
Waren die Einladungen ergangen, so galt es noch höchst sorgfältige und komplizierte Vorbereitungen. Sie gingen zunächst auf die Beschaffung passender Rosse, denn es mussten nicht nur ungewöhnlich starke, sondern auch besonders zugerittene Tiere sein, um bei dem Getöse ein williges Werkzeug des Reiters zu bleiben. Seine Hoffnungen wurden wie beim heutigen Rennen nicht selten durch Ausbrechen des Rosses vernichtet. In den Briefen wiederholt sich daher ständig die Bitte, dem Schreiber ein «Stechpferd», «bestochen Pferd» zu leihen, die keineswegs immer leicht zu erfüllen war. 1496 antwortet Markgraf Friedrich von Brandenburg dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, dass er nur zwei Pferde zur Verfügung habe, der Fuchs sei eben erst von Worms zurück und so müde, dass er ihn beim Nürnberger Gesellenstechen erst zuletzt habe gebrauchen können, weil er es sonst nicht ausgehalten hätte; den Waldecker aber schicke er, auf dem er nur vier Treffen getan.
Ebenso peinliche Aufmerksamkeit erforderte der Zustand der so kunstvoll zusammengesetzten Rüstung. Fürsten im Besitz einer wohlversehenen Rüstkammer werden daher häufig, auch von niedriger Stehenden angegangen, Stechzeuge zu leihen. Dass die Rüstung für den Benutzer gefertigt, «ihm auf den Leib geschlagen» war, wurde ja keineswegs erfordert, doch als Herzog Adolf von Berg nach einem «wälschen Kürass» Begehren trägt, bittet ihn (1434) sein französischer Agent um Übersendung von Wams und Hosen zum Maß. Auch Maximilian schreibt (1479) seinem Getreuen Sigmund Prüschenk aus den Niederlanden: «Es ist in langer zeit kein hübscher französischer harnisch gemacht worden, als ich jetzt hab. Er gesteet 3 cron allein von den platner.»
Den Ansprüchen der Meisten zu genügen waren die kunstvollen Erzeugnisse deutscher Plattnerei wohl geeignet. Hauptstätten der Industrie waren Nürnberg und Augsburg, durch Maximilian gesellte sich Innsbruck, durch die sächsischen Fürsten Wittenberg hinzu.2 Die nach der Ausrüstung verschiedenen Arten des Turniers erforderten schon beim Ausschreiben genaue Angabe der Bedingungen. Die Briefe nennen neben dem üblichen Stechen nur das Rennen — in leichterer Rüstung — und das Stechen im hohen Zeug — in geschlossenen Sätteln. In dem eben angezogenen Brief erwähnt Maximilian die «Wallisch hoffweis», wahrscheinlich das Stechen über die Planke (Palia), das sich nachher vom österreichischen Hof über ganz Deutschland verbreitet hat. Bei den einzelnen Kampfarten wurden ganz gleiche Bedingungen vorgesehen und deshalb mit der Einladung die Masse für die Höhe der Pferde und die Länge der Spieße mitgeschickt. Das gerechte Abwägen aller Chancen scheint manchmal Mühe genug gemacht zu haben; 1476 schreibt Kurfürst Albrecht aus Cölln a. d. Spree seinem Schwiegersohn Eberhard von Württemberg, wenn er zum Stechen komme, solle er Hader bei seinen Gesellen verhüten, es sei dort «ein hederisch volk, das auf irm mist niemand nachgibt». Daher wolle er alles Gerät in der Harnischkammer anhängen lassen, «denn wir wollen selber harnaschmeister sein durch die unsern und es machen, das es gleich ist und niemands darin gribeln lassen nach alter Frenkischer weis. Dann die underrichtung findet man an den zetteln, wie man globt. Dann es köndt mit den leuten sonst niemands ausskommen, sonderlich so es nach mittag wer». Überhaupt atmet der Brief Missvergnügen über den Mangel höfischer Sitte in der Mark: «Zu zehen Hochzeiten sticht man kaum einsten und wem wir nicht, so wurd ganz kein stechen nit.»3
Auf glanzvolle Repräsentation bedacht ließen Fürsten nicht selten ihr Gefolge in gemeinsamer Hofkleidung aufziehen, auch auf Gleichheit der Pferde sah man wohl; 1485 sucht Markgraf Friedrich vergeblich zwei Rotschimmel. Seinem Sohn Markgraf Johann verspricht Kurfürst Albrecht (1471) Kleider und Harnisch mitzubringen und fügt launig hinzu: «Doch so wag ein botenlon dorauff und schreib uns, vor was färb du begerst von claydern. Du bist ein armer kurfürgt, so du nit sovil hast, das du clayder zuwegen bringen magst.» 1476 schreibt er seinen Räten nach Ansbach, zehn namentlich genannte Ritter nach Cölln a. d. Spree zu schicken, wo sie mit zehn von seinem Sohn gestellten in einer Farbe stechen sollten.4
Vor dem Turnier wurde der Anlegung der Rüstung die größte Sorgfalt zugewandt; die wichtigste Person war dabei der Harnischmeister. Als Aufseher der Rüstkammer überwachte er die genaue Befestigung aller Teile, von der, besonders was den Helm anging, das Leben abhängen konnte, und unterstützte gelegentlich den Herrn mit seiner Erfahrung. Gurlitt hat die ansprechende Vermutung aufgestellt, dass die Gunst Kurfürst Augusts von Sachsen für den Dresdener Oberrüstmeister Dehn, später als «von Dehn-Rothfelser« geadelt, in dessen erfolgreicher Belehrung ihren Grund gehabt habe.5
Albrecht Achilles wird (1482) um den Harnischmeister seines Sohnes Friedrich gebeten, der ein so guter Renner und Stecher sei nach dem Sprichwort: «der opfel geredt geren noch dem stamm». Ihn selbst bittet (1464) Eberhard von Württemberg um Angabe «etwas subtiler, verborgner kunst dienende zu vorteil dem rennen und stechen». Die Kunst bestand in der Führung des Stoßes, schwierig durch die doppelte Beweglichkeit des Stützpunktes wie des Zieles sowie die Länge der Stechstange, deren Maß Albrecht (1481) auf 11 Schuh von der Brechscheibe bis zum Ende des Krönleins angibt.
Wurde der Gegner aus dem Sattel geworfen, «abgerannt», umso besser, indessen wurden als «Fall» auch die verschiedenen Grade der Erschütterung gerechnet und von den «Beschauern» vermerkt, angesehenen Männern, die als Unparteiische fungierten. In dem eben angezogenen Schreiben bestimmt Albrechts anerkannte Autorität darüber: «Weiher den schilt verleurt, hat ein fal; welher vom zäum kombt, hat ein fal; welher vom sattel feilt, hat ein fal; wen man heldt, hat ein fal; rossfallen wurdt nit gezelt Welher also am maynsten leut herabsticht und am myndsten feilt und am maynsten sticht und am lengsten harrt, das wurdt beschriben und von den Beschauern angesehen und darnach der dank gegeben.»6
Jeder «Fall» eines Gegners wurde dem andern als «Gewinn» angerechnet, sodass sich eine Anzahl von Points, wie wir heute sagen würden, zu Gunsten und Ungunsten ergab. Ein Beispiel liefert die erhaltene Liste des Gesellenstechens auf Franz von Seckendorfs Hochzeit 1485: bei dem Namen jedes Stechers sind «Gewinn» und «Fall» in Zahlen aufgeführt; es ist die Urform des Paukbuchs7 Das Resultat des Turniers fand seinen Ausdruck im Verteilen der Preise, Dank genannt. Das Ausschreiben Albrechts 1481, das auf 20 Stecher rechnet, setzt deren zwei aus und nimmt für je 10 weitere abermals einen in Aussicht. Die Chancen vorher wie das Resultat waren Gegenstand eifriger Erörterung. Als Kurfürst Albrecht sich 1476 zehn fränkische Stecher nach der Mark verschreibt, bemerkt er dazu, der Dank werde gut zu erstechen sein, zu fürchten nur die Meissner und Thüringer, die etwa 20 an Zahl erscheinen würden, darunter mindestens 10 gute. «Mit den müssen es die unsern und unsers sons ausessen.»
Sein Sohn Markgraf Friedrich berichtet ausführlich an Herzog Georg von Bayern über das Gesellenstechen zu Weihnachten 1481 beim Besuch seiner Schwester und ihres Gemahls Eberhart von Württemberg am väterlichen Hof zu Ansbach: «Haben wir und unser gesellen den dank mit gewalt erstochen, wiewol sein liebe viel guter sticher von Bayern und Swaben auf seiner seiten gehabt hat und ist unserm swager ein dank und Adam Thunnen einer, darnach uns einer, her Jorgen von Veilberg einer und Wiglesen von Seckendorf einer gegeben worden.»
Mehr als das vom Fürsten gespendete Kleinod mochte manchen der Kämpfer der aus schönen Augen leuchtende Beifall locken. Die Übersendung von Stechpferden begleitet als ständige Formel der Wunsch, schöner Frauen und Jungfrauen Lob darauf zu erwerben und der Vortanz am Abend des heißen Tages bildete ein beneidetes Ehrenrecht des Siegers. Unter den Turnierbedingungen Albrechts (1481) ist auch die gegen solche, die sich unrechtmäßiger Vorteile bedienen: «ist das pferdt der pfeiffer, und er hat der frauen undank erworben und ist des tanzs beraubt».8
So gestaltete sich das Turnier zu einer Vereinigung aller geselligen Freuden der ritterlichen Gesellschaft. «Das jung gesind rennt, sticht und tanzt», schreibt Kurfürst Albrecht (1480) zusammenfassend über seinen Hof halt an seinen Sohn Markgraf Johann. Freilich begleitet Reinhard von Heimstatt die Sendung seines Sohnes an Markgraf Friedrich (1493) mit der Bitte, ihn zum Ritterspiel zu brauchen «und ob er sich ander luder und spyelss flissen wollt, im dess nitt zu gestatten». Schon in einem der ersten uns erhaltenen Fürstenbriefe spricht (1368) Gräfin Margarete von Nassau ihr Bedauern aus, ihre Tante Mechthild von Cleve auf dem Turnier zu Herborn nicht getroffen zu haben «inde heyddes de weydelichgen rytter inde kneychte alle geseyn, de day weyren».
Und am Ende der Epoche stehen die strahlend fröhlichen Worte des letzten Ritters Maximilian (1479), als ihm ein Sohn geboren war: «Ich bin gar fro, daz ich ein gesellen hab ahn meinen sohn und wars nur fried worn, daz ich rennen und stechen möcht.» In ihm, dem Meister alles Ritterspiels, verkörpert sich noch einmal aller Glanz des Rittertums, aber gerade er hat dessen Überlebtheit gegenüber der neuen Zeit auf das bitterste empfinden müssen.
1 Deutsche Privatbriefe des Mittelalters. Mit Unterstützung der K. Preuss. Akademie der Wissenschaften. I. Fürsten und Magnaten, Edle und Ritter. Berlin 1899.
2 v. Ehrenthal. Eine sächsische Plattnerwerkstatt zu Wittenberg (Neues Archiv f. sächsische Geschichte 1894).
3 Priebatsch, Politische Korrespondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles II. No. 225.
4 Priebatsch a. a. O. No. 228.
5 Deutsche Turniere, Rüstungen und Plattner des 16. Jahrhunderts S. 25.
6 Priebatsch a. a. O. No. 702.
7 Priebatsch a. a. O. III. No. 1152.
8 Priebatsch a. a. O. No. 228.

Textquelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 3. Dresden, 1900-1902.
Bildquelle: Richter, Albert: Bilder aus der deutschen Kulturgeschichte. Erster Teil. Leipzig, 1893.