Artikel: Mitteilungen aus der Renaissance-Abteilung der Kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg
Von Staatsrat Eduard von Lenz.
Die Waffensammlung des Arsenals von Zarskoe Selo verdankt ihre reiche Entfaltung in erster Linie dem im besten Sinne des Wortes «ritterlichen» Geist des Kaisers Nikolaus I., dessen hervorragend konservativer, kriegerischer und zugleich romantischer Sinn in einer stark ausgesprochenen Freude an schönen Waffen der Vorzeit seinen natürlichen Ausdruck fand. Selbst eifriger Sammler, fand der Herrscher die regste Unterstützung bei seiner hohen Gemahlin, den übrigen Gliedern des Kaiserhauses sowie vielen Großen des Reiches, deren Darbringungen das Arsenal auch unter der Regierung seines Nachfolgers, des Kaisers Alexander II., wesentlich bereicherten. Zu der Zeit fand eine wissenschaftliche Katalogisierung und Zeitbestimmung der einzelnen Stücke nicht statt, was bei dem damaligen Stand der Waffenkunde auch nicht wunder nehmen kann; nach Überführung des Arsenals in die Räume der Kaiserlichen Eremitage aber nahmen die Neuaufstellung der Sammlung, die Einverleibung der großen Kollektion Basilewsky und endlich die besondere Aufmerksamkeit, welche den russischen und orientalischen Altertümern zugewandt wurde, die Arbeitskraft der Verwaltung zu sehr in Anspruch, um an Spezialforschungen auf dem noch so neuen Gebiete der Waffengeschichte denken zu können.
Jetzt ist es dem Schreiber dieser Zeilen vergönnt, an die zwar sehr schwierige, aber doch äußerst dankbare und dabei hochinteressante Aufgabe der neuen Katalogisierung dieser hervorragenden Waffensammlung und Bestimmung der einzelnen Objekte heranzutreten, und wenn diese Arbeit auch sozusagen mit Ausschluss der Öffentlichkeit innerhalb der vier Wände geschehen muss, so halten wir es doch mit ihrer Natur ganz gut vereinbar, von den dabei zutage tretenden Schätzen an hervorragenden Erzeugnissen der Waffentechnik, Meistermarken, kultur- und kunsthistorischen Daten dieses und jenes in zwangloser Reihe von Zeit zu Zeit zur Kenntnis eines weiteren Kreises unserer Fachgenossen zu bringen: Studien, Skizzen oder Notizen, kurz lose Blätter, deren Zusammenstellung und systematische Bearbeitung einer späteren Zeit vorbehalten bleiben muss. Wir beginnen daher hier mit einer Serie von Mitteilungen aus der Renaissance-Abteilung der Kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg und hoffen, dass es den Publikationen nicht an dem Interesse der Leser unserer Zeitschrift fehlen wird, welches in schwierigeren Fragen in einem Meinungsaustausch berufener Fachleute seinen Ausdruck finden könnte.

Der in Fig. 1 abgebildete Helm der Kaiserl. Eremitage zu St. Petersburg kann wohl, als vielleicht einzig in seiner Art, ein erhöhtes Interesse der Spezialisten im Waffenfach und nicht minder der Kunsthistoriker beanspruchen, und wenn er, wie es leider der Fall, bisher verhältnismäßig wenig berücksichtigt worden ist, so findet das vermutlich seinen Grund sowohl darin, dass den Forschern nicht das Original selbst, sondern nur unzuverlässige Gipsabgüsse zugänglich waren, als auch vielleicht in dem Umstand, dass im letzten Jahrzehnt die Zuschreibung des Objektes an eine historische Persönlichkeit gewissermaßen einen Strich unter der Rechnung gemacht hatte und somit eine weitere Forschung überflüssig erschien. Wir fühlen uns durchaus nicht berufen, an den Ausführungen und freilich um viele Jahrhunderte auseinandergehenden Zeitbestimmungen der Fachgenossen, welche unserem Helm ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben, Kritik zu üben und an dieser Stelle eine genaue Datierung des Stückes aufzustellen. Zweck dieser Zeilen ist vielmehr, eine bisher nicht veröffentlichte eingehende Beschreibung des Originals in Wort und Bild zu bringen und zugleich einiges Material zusammenzutragen, dessen Vergleich mit den ornamentalen Motiven des Helmes dem berufeneren Sachverständigen bei einer präziseren Provenienz- und Zeitbestimmung vielleicht manchen nützlichen Hinweis liefern könnte.
Der fragliche Helm, von dem wir hier noch eine Scheitel- und eine Innenansicht geben (Fig. 2 und 3), ist eine Beckenhaube aus sechs in einer Spitze zusammenlaufenden Bronzebügeln, die im Scheitelpunkt von einer runden Scheibe mit jetzt abgebrochenem Helmzierfuß zusammengeschlossen werden. Die unten beiderseits ausladenden konkav geschweiften Enden der Bügel stoßen zusammen und sind mit einem breiten, eisernen Stirnreifen in Verbindung gebracht, auf welchen ein dünner, verzierter Bronzestreifen aufgenietet ist. Der untere Rand des Stirnreifs ist zwar an vielen Stellen ausgebröckelt, doch lässt sich noch mit voller Bestimmtheit erkennen, dass er in seiner ganzen Ausdehnung, selbst an den bogenförmigen Ausschnitten über den Augen, mit Löchern zur Befestigung des Panzerzeuges versehen war. Die Felder zwischen den Spangen sind mit sechs entsprechend flach gewölbten Eisenplatten ausgefüllt, die an die Ränder der Spangen mittels vergoldeter Kupfernieten befestigt sind. Ein Naseneisen war nicht vorhanden, es fehlt an der betreffenden Stelle jegliche Spur sowohl einer Vernietung als auch einer Verstärkung oder Auftreibung im Metall.
Wir lassen hier die nötigen Maßangaben folgen: Höhe des Helms mit dem Fuß der Helmzier 18,5 cm, Längsdurchmesser des Stirnreifs 22,3 cm, Querdurchmesser des Stirnreifs 19,5 cm, innerer Umfang des Stirnreifs 65 cm, Durchmesser der Scheitelplatte 4 cm, Höhe des (hohlen) Fußes der Helmzier 1 cm, Länge der Bügel von der Platte bis zum Stirnreif 16 cm, Dicke der Bügel 2,5 mm, Breite des Stirnreifs 4 cm, Länge der Eisenplatten 17—18 cm, größte Breite der Eisenplatten 8—10 cm, Dicke der Eisenplatten 2,5 mm, Sehnenlänge der bogenförmigen Augenausschnitte 6 cm.
Die Löcher für die Ringe des Panzerzeuges haben einen Durchmesser von 3,5—4 mm und sind in einem Abstand von ca. 3 mm voneinander und von dem unteren Rand des Stirnreifs angebracht. An der rechten Seite sehen wir acht Löcher über der ursprünglichen und an dieser Stelle offenbar schon früh brüchig gewordenen Löcherreihe eingeschlagen. Das Gewicht nach der Reinigung beträgt 3 Pf. 50 Sol. russ.

Über Fundort und Herkunft des Helmes ist nichts bekannt; in die Kaiserl. Eremitage gelangte er im Bestand der Sammlung Basilewski in Paris, in deren Verkaufskatalog (No. 409) er als «heaume du XVI. siede» (sic!) angeführt wird. Früher soll er zu der Sammlung des Freiherrn zu Rhein gehört haben,1 der ihn, wie Freiherr R. v. Mansberg mitteilt,2 aus dem Nachlass der Herzogin von Berry erstand.3 Die Angabe W. Boeheims, der Helm befinde sich gegenwärtig im Besitz des Herzogs von Cumberland,4 beruht auf einem Irrtum, denn nach Aussage des Herrn Bibliotheksrates Buck auf Schloss Cumberland, dem wir an dieser Stelle herzlichen Dank für die freundliche Auskunft sagen, befindet sich im Besitz des Herzogs nur der von einem der Maler Kaulbach in München besorgte Gipsabguss des Originals, sowie eine nach diesem Gipsabguss auf galvanoplastischem Weg hergestellte genaue Nachbildung. W. Boeheim und Fr. R. v. Mansberg schreiben den Helm dem Herzog Heinrich dem Löwen zu; letzterer bezeichnet ihn als «historisch beglaubigten Originalhelm», doch vermissen wir in beiden oben angeführten Werken die eine solche Zuschreibung begründenden Belege, welche, wie uns scheinen will, doch kaum als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, da z.B. eine Autorität wie L. Lindenschmit bei wiederholter und eingehender Besprechung des Stückes5 dieser Zugehörigkeit mit keinem Wort erwähnt und dessen Anfertigung in die merowingische Periode zurückdatiert.
Fassen wir nun zunächst die Konstruktion des Helmes ins Auge, so dürfen wir vor allem nicht übersehen, dass wir es mit einem sogenannten Spangenhelm zu tun haben, d. h. mit einer Kopfbedeckung, deren defensive Bedeutung überwiegend in einem Gerippe radial von der Spitze zum Stirnreif hinabreichender starker Metallbügel liegt, während die Füllung der zwischenliegenden Felder als Deckmittel erst in zweiter Linie in Betracht kommt und als Schutz gegen die feindliche Angriffswaffe dem Bügelgerippe jedenfalls nicht gleichwertig ist.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Faktoren ist bei unserem Exemplar gerade weniger auffällig, da die als Füllung benutzten Eisenplatten selbst heute noch, trotz starken Rostes, bei 2,5 mm Dicke immerhin eine beträchtliche Widerstandsfähigkeit repräsentieren, doch müssen wir im Auge behalten, dass an Spangenhelmen bei weitem nicht immer Metallplatten zur Füllung der Zwischenfelder verwendet wurden; von den beiden uns erhaltenen, in England ausgegrabenen Exemplaren war der eine sicher — vielleicht aber auch beide — zwischen den Spangen mit einem Gefüge aus Hornplatten versehen6 und es ist ohne Zweifel zutreffend, was J. Hampel von fränkischen und angelsächsischen Helmen im Allgemeinen sagt:7 «Überall ist die Grundform und das Hauptstück des Helmes eine Mütze aus Filz oder ähnlichem Stoff, welche durch Metallverkleidung widerstandsfähiger gemacht wird. Um den unteren Rand der Mütze läuft ein Metallstreifen, von welchem schmale Bänder gegen die Spitze zu aufsteigen.»
Die Spangenkonstruktion gibt bei der Datierung von Helmen zweifellos ein mehr oder minder maßgebendes Moment ab, und gerade deswegen glauben wir besonders hervorheben zu müssen, dass dieser Helmtypus scharf zu unterscheiden ist von den spangenähnlichen Metallbändern, welche bei Helmen, die aus mehreren Stücken zusammengenietet sind, die Nahtstellen decken und, ohne die übrigen Teile der Glocke an Widerstandsfähigkeit erheblich zu übertreffen oder zu verstärken, teils als Bindemittel, teils dekorativen Zwecken dienen. Solche Naht- oder Nietenbänder, die mit dem konstruktiven Prinzip der Bügelgestelle in gar keinem Zusammenhang stehen, finden sich aber, besonders im Orient, sehr häufig, sowohl in vor- wie in nachchristlicher Zeit.
Originale von Spangenhelmen sind nur in sehr wenigen Exemplaren erhalten und daher sind wir bei der Zeitbestimmung solcher meist auf die Hilfe bildlicher Darstellungen derartiger Schutzwaffen angewiesen. Es würde zu weit führen und den Rahmen dieser kurzen Abhandlung überschreiten, wollten wir hier näher auf die Darstellungsweise der Spangen und Nietenbandhelme eingehen; daher müssen wir uns auf die Andeutung beschränken, dass nur in den seltensten Fällen bildliche Darstellungen von Helmen dieser Art zweifellose Schlüsse auf die Konstruktionsart gestatten, da Wollen oder Können der Bildner meist nicht ausreichten, um den Unterschied zwischen den beiden erwähnten Typen klar hervortreten zu lassen.
1 Lindenschmit, Handb. d. deutsch. Altertumskunde, S. 257.
2 Wâfen und wicgewaete der Ritter des deutschen Mittelalters, S. 33, Anm. 7. Vgl. Tafel IX mit dem erklärenden Text.
3 Von den Versteigerungen der Kunstschätze der Herzogin ist uns nur der Katalog der Auktion vom 4.—6. April 1837 von Paillet bekannt, doch behandelt dieser ausschließlich die Gemälde.
4 Siehe „Handbuch der Waffenkunde“.
5 L. Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde, S. 257. Derselbe, Das Altertum unserer heidn. Vorzeit III, Heft 10, Tafel V. Derselbe, Römisch-German. Central-Museum Tafel 14. — Es ist wohl nur einem Missverständnis auf Rechnung zu setzen, wenn A. v. Essenwein (Helme im Germ. Museum S. 3) die Ansicht ausspricht, dass Lindenschmit den Helm «mit Recht dem 10. Jahrhundert zuschreibt». Die Stelle in dem angezogenen Werk Lindenschmits (Handbuch 1. c.) lautet: «Obschon die Herkunft und der Fundort des Helmes nicht mehr aufzuweisen ist und bei der überaus großen Seltenheit von Schutzwaffen selbst noch des 10. und 11. Jahrhunderts seine Altersbestimmung unsicher bleibt, so bietet doch seine nächste Verwandtschaft mit den beiden angel-sächsischen Helmen und überhaupt mit der Schmiedearbeit der merowingischen Periode vollkommenen Anhalt für eine Vorstellung der Helme dieser Zeit, in welcher ja allenthalben das Vorwalten volkstümlicher Überlieferung erkennbar ist.»
6 Roach Smith, Collectanea antiqua. Vol. II, p. 238 sq.
7 J. Hampel, Der Goldfand von Nägy-Szent-Miklös, p. 10.

Die Konstruktion des Helmes zum Ausgangspunkt nehmend, müssen wir also die Zeit seiner Entstehung innerhalb der allerdings recht weiten Grenzen suchen, welche nach den bisher bekannten Denkmälern die Gebrauchsperiode der Spangenhelme bezeichnen. Eine genauere Betrachtung der Ornamentierung unseres Objektes kann vielleicht dazu beitragen, den Kreis enger zu ziehen; wir wollen daher versuchen, einzelnen Motiven der Dekoration analoge, an anderen Denkmälern vorkommende Elemente zur Seite zu stellen oder wenigstens auf verwandte Erscheinungen hinzuweisen.
Am wenigsten Charakteristisches bieten die stark vergoldeten Bügel (Fig. 4) und die runde Scheibe auf dem Scheitelpunkt des Helmes. Ihre Verzierung besteht in teils spitz-, teils rechtwinkligen, mit der Spitze gegeneinander gekehrten Dreiecken, deren Konturen in gehauener Technik durch punktierte Linien und aneinander gereihte Halbkreise bezeichnet sind; die Innenflächen der Dreicke sind umschichtig blank und geschuppt; in dem gebrochenen Zwischenfeld ist mehrfach eine Figur wiederholt, welche auf die primitivsten Anfänge der Tierornamentik zurückzuweisen scheint.
Reicher verziert ist das auf dem Stirnreifen aufgenietete vergoldete Bronzeband, welches mittels Stempel von der Innenseite herausgetriebene Figuren und Ornamente trägt. Den Mittelpunkt (Fig. 5) bildet ein großer menschlicher, bartloser Kopf, zu dessen beiden Seiten zwei löwenähnliche Tiere in schreitender Stellung; über dem rechts (Rechts und links hier durchweg heraldisch zu verstehen) stehenden Tiere vier in einer horizontalen Reihe angeordnete Dreiecke, deren jedes an der Basis von dem Scheitelpunkt des nächstfolgenden berührt wird; über dem linken Löwen eine im Zickzack gebrochene Linie. Rechts, an dem Kinn des Gesichtes ansetzend, ein Vogel, die entsprechende linke Seite ist weggebrochen; direkt unter dem Kopf eine wegen der starken Lädierung dieser Stelle schwer zu deutende Figur, welche bei genauer Betrachtung des Originals das rankenartige Fragment eines Pflanzenornamentes darzustellen scheint.

Suchen wir uns zunächst innerhalb dieses Kreises von Darstellungen zu orientieren, so muss uns die Verwandtschaft einzelner Figuren mit den Typen auf dem Silberkessel von Gundestrup auffallen:1 Die Wahl eines im Verhältnisse zu den übrigen Figuren übergroßen Kopfes als Mittelpunkt, Form, Züge und Ausdruck des Gesichtes, Anordnung des Haares, das Fehlen der Ohren — alles dieses weist uns in den Bilderkreis des Silberkessels und bietet namentlich gewisse Analogien mit dem bei S. Müller auf Tafel IX dargestellten Bildnis des gallischen Gottes Cernunnos, dessen Geweihstangen hier leicht wegen Raummangel in Wegfall gekommen sein können (Fig. 6).
1 Wir folgen der Ausgabe Sophus Müller, Nordiske Fortidsminder. Det store sølvkar fra Gundestrup i Jytland.

Die löwenähnlichen Tiere zu den Seiten des Kopfes (Fig. 7—8) finden freilich keine direkten Vorbilder auf dem Silberkessel, und wenn auch in der Anordnung, Stellung sowie Behandlung des Kopfes und der Krallen nicht zu leugnende Anklänge an das Fundstück von Gundestrup vorliegen, so tragen doch die Tierfiguren des Helmes einen mehr römischen Charakter und nähern sich den Löwengestalten auf der großen Reibschale des Museums in Speyer, wo auch das Fragment des Rankenornamentes eine Analogie findet (Fig. 9). Der Vogel unter dem Kopf hat offenbar nur die Bestimmung, den leeren Raum auszufüllen; er ist ganz deutlich auf dem Original und auf der beigegebenen Fotographie (Fig. 5) wahrzunehmen, und wenn Lindenschmit1, nach dem ihm vorliegenden unvollkommenen Abguss schließend, die Vermutung ausspricht, dass auf dem Original sich an dieser Stelle nicht eine Wiederholung des häufig gebrauchten Vogelstempels, sondern der rechte Arm der angedeuteten menschlichen Figur findet, welcher den Löwen abwehrt oder am Bart fasst, so ist diese Voraussetzung freilich ein Irrtum, aber zugleich ein uns willkommener Hinweis darauf, dass dem gelehrten Verfasser sich gleichfalls die Ähnlichkeit mit den Gundestrupbildern und ihnen verwandten Darstellungen aufgedrängt hat.
Eine, wenn auch durchaus nicht ungezwungene Erklärung für das Anbringen des Vogels an der angegebenen Stelle bietet vielleicht die Annahme, dass dem Künstler die Figur der Göttin auf PI. XIII des Gundestrupkessels vorgeschwebt hat, welche einen ganz ähnlich gezeichneten Vogel (Fig. 10) auf der rechten Hand hält. Da nun Hals, Schultern und Arme hier in Wegfall kommen, so hat der Meister den Vogel, auf den es in seinen Augen am meisten ankam, dem Götterkopf direkt an das Kinn, d. h. in Schulterhöhe angesetzt. Die reihenweise Anordnung von Vogelgestalten (Fig. 11) ist als Verzierung räumlich und zeitlich wohl zu verbreitet gewesen, um daraus Schlüsse auf die Zeit der Anfertigung des Blechbandes ziehen zu können; finden wir doch bereits eine ganz ähnliche Ornamentierung auf einer Brustplatte des Hallstätter Fundes2 (Fig. 12).
Wir wollen hier nur darauf aufmerksam machen, dass einzelne der Vögel ohne ersichtlichen Grund und jedenfalls nicht aus räumlichen Rücksichten umgekehrt, mit den Füßen nach oben, gestellt sind, gerade so, wie auf dem Silberbecher von Bavnehoi auf Seeland3 (Fig. 13). Von den übrigen auf dem Band vorkommenden Verzierungen scheinen uns noch die an der rückwärtigen Nahtstelle als Abschluss angebrachten Tangentenspiralen beachtenswert, deren Mittelfeder nicht als Spiralen eingerollt, sondern knopfartig aufgetrieben sind4 (Fig. 14).
Endlich möchten wir noch die Umsäumung des unteren Randes besonderer Aufmerksamkeit empfehlen: es ist dieses ein horizontales Band aus ineinander geschobenen stumpfwinkligen Dreiecken, welches beiderseits in flache, birnenförmig gestaltete Schlangenköpfe ausläuft, denen unmittelbar hinter dem Hals je ein Paar kleiner, nach vorn gekrümmten Füßen beigegeben ist (Fig. 14). Die ungewöhnliche Zeichnung dieses Appendix — halbrund gebogen und zugespitzt — legt unwillkürlich den Gedanken nahe, dass der Künstler seine Vorlage falsch aufgefasst und ein Paar Füße dort angebracht hat, wo eine andere Figur hingehörte.
1 Die Altertümer unserer heidnischen Vorzeit III, 10. Heft.
2 Fr. v. Sacken, Das Grabfeld von Hallstadt, Tafel VIII, Nr. 8.
3 Mem. de la societd des antiq. du Nord. 1869. p. 269.
4 Ein ganz ähnliches Ornament an den Zierscheiben aus Bosnien und der Herzegowina bei Hoernes, Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa, Tafel XX, Fig. 4 und Tafel XXI, Fig. 6. Vergl. auch die Goldhörner von Gallehns.

Diese Voraussetzung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir den Kessel von Gundestrup zum Vergleich heranziehen, dessen Darstellungskreis die Ornamentation unseres Helmes entschieden beeinflusst zu haben scheint. Wir finden hier auf verschiedenen Platten in dreimaliger Wiederholung (Fig. 15—17) das Bild einer Schlange mit Hörnern, des dem Gott Cernunnos geheiligten Tieres, und zwar nur einmal mit deutlich gezeichneten scharf gekrümmten Widderhörnern (Fig. 17), während die beiden anderen Darstellungen, darunter die der Schlange in der Hand des Gottes (Fig. 16), unklar genug sind, um es leicht verständlich zu machen, dass diese Beigabe falsch aufgefasst und in ein dem Verständnisse des Künstlers näherliegendes Fußpaar umgewandelt werden konnte.
Schlangenköpfe als Abschluss von Bandornamenten finden wir nicht selten an dem Silberkessel nahestehenden Denkmälern; als Beispiele führen wir hier an den Bronzegriff des eisernen Schwertes von Ultuna1 (Fig. 18) und den Goldbrakteaten aus Asum in Schonen2 (Fig. 19). Die Verwendung des Schlangenleibes aber als Band mit abschließenden Köpfen ist vielleicht unmittelbar dem Wolfsbild auf PI. XII des Silberkessels entnommen, wo der Leib zwischen den beiden Wolfsköpfen gleichfalls bandförmig ausgezogen ist (Fig. 20).
Aufgrund obiger Ausführungen glauben wir zu folgenden Schlüssen gelangen zu können:
1. Der Helm der Kaiserl. Eremitage muss nach seiner Konstruktion als Spangenhelm zeitlich den beiden angelsächsischen Spangenhelmen nahegestellt werden, sowie denjenigen bildlichen Darstellungen solcher Helme, an welchen die Spangenkonstruktion (im Gegensatz zu den Nietenbändern) zweifellos erkannt werden kann.
2. Da einer der angelsächsischen Helme einen Eber als Zier trägt, ähnliche Eberhelme aber auf dem Silberkessel von Gundestrup dargestellt sind, so ergibt sich eine Verbindung zwischen dem Silberkessel und unserem Spangenhelm, der zudem gleichfalls eine, wenn auch nicht mehr festzustellende Zier getragen hat.
3. Diese Verbindung wird bestätigt durch die Ornamentation des Helmes, welche deutliche Anklänge an die Verzierungen des Kessels von Gundestrup aufweist.
Dem Silberkessel zeitlich nahestehend, muss unser Helm aber doch jüngeren Datums sein, da auf ihm die Typen des Gundestruper Bilderkreises doch nur in verblassten, zum Teil schablonenhaften, zum Teil in ihrer Bedeutung missverstandenen Anklängen wiedergegeben werden.
Die genauere Zeitbestimmung unseres Objektes aber wird in erster Linie davon abhängen, ob neue Funde den Gelehrten die Möglichkeit geben werden, sich über das Alter des Silberkessels zu einigen, dessen Anfertigung, je nachdem man sich der Ansicht Bertrands, S. Müllers, Montelius oder S. Reinachs anschließen will, in dem Zeitraum zwischen den Kimbernkriegen und der Wikingerperiode zu suchen ist.
1 Montelius, Temps prehnt. en Suede, p. 216, fig. 304.
2 Ibid, p, 206.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 4. Dresden, 1900-1902.