

Die Sempacher Hellebarde ist eine besonders berühmte und historisch bedeutsame Variante der Hellebarde, einer Stangenwaffe, die im
Spätmittelalter in weiten Teilen Europas – vor allem in der Schweiz – verwendet wurde. Sie ist eng verknüpft mit der Schlacht bei Sempach im Jahr 1386, einem Wendepunkt in der Geschichte der alten Eidgenossenschaft. Die Sempacher Hellebarde steht
sinnbildlich für den Übergang von ritterlicher Reiterei zu dominanten Infanterietaktiken – und für die Entstehung einer neuen, bürgerlich geprägten Kriegerkultur.
Was ist eine Hellebarde?
Die Hellebarde ist eine kombinierte Hieb- und Stichwaffe mit einem langen Schaft (oft 1,8 bis 2,5 Meter) und einem metallenen Kopf, der drei Waffenelemente vereint:
Spitze (Spießform): Zum Stechen gegen Reiter
Beil- oder Axtklinge: Für wuchtige Hiebe
Haken oder Dorn: Zum Ziehen von Reitern vom Pferd
Diese Kombination machte die Hellebarde zu einer extrem flexiblen Waffe, besonders in dichten Infanterieformationen. Sie war tödlich gegen Reiter, konnte aber auch gegen Fußsoldaten effektiv
eingesetzt werden.
Die Schlacht bei Sempach (1386)
Die Bezeichnung „Sempacher Hellebarde“ geht auf die Schlacht bei Sempach zurück, die am 9. Juli 1386 zwischen den Truppen des Habsburger Herzogtums Österreich und den eidgenössischen Kräften
(v. a. Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zürich) stattfand.
Historische Bedeutung:
Sieg der Schweizer Infanterie über die ritterliche Kavallerie der Habsburger.
Symbolischer Triumph der bürgerlichen Krieger über den Adel.
Entstehungsmythos der Schweizer Wehrhaftigkeit (Stichwort: „Arnold von Winkelried“ – der sagenhafte Held, der sich in die feindlichen Spieße stürzte, um eine Bresche zu schlagen).
Ob die Hellebarde in dieser Schlacht bereits in großer Zahl verwendet wurde, ist historisch nicht ganz gesichert, aber in der Erinnerungskultur wurde sie mit Sempach untrennbar verbunden.
Merkmale der Sempacher Hellebarde
Die Sempacher Hellebarde zeichnet sich durch besondere Gestaltungsmerkmale aus, die sie von anderen Typen unterscheiden:
Typische Merkmale:
Großer, breiter Beilkopf mit leicht geschwungener Schneide
Spitze in Form eines langen, spitz zulaufenden Blattes
Dorn oder Haken an der Rückseite – oft abwärts gekrümmt
Der Schaft aus Hartholz, teils mit Eisennägeln oder Beschlägen verstärkt
Länge: ca. 2 Meter (manchmal länger)
Diese Konstruktion ermöglichte es einem Fußsoldaten, sowohl Schneid-, Stich- als auch Reißangriffe auszuführen – eine Antwort auf die massiven Rüstungen der Ritter, aber auch auf das Bedürfnis
nach Beweglichkeit und Durchschlagskraft.
Taktische Verwendung
Die Sempacher Hellebarde war ideal für den Kampf in Formation – typischerweise in sogenannten Spießhaufen oder Infanteriekolonnen, die sich gegen Kavallerie und andere Infanterie behaupten
konnten.
Taktiken:
Sturmangriffe auf Ritterformationen
Verteidigung gegen Kavallerie
Entwaffnung oder Abreißen von Gegnern mittels des Hakens
Gezielte Hiebe auf ungeschützte Stellen in der Rüstung (z. B. Kniekehlen, Achseln)
Die Schweizer entwickelten eine eigene Kampfschule mit der Hellebarde – mit Formationen, Ausweichmanövern, Wechselgriffen und Kombinationstechniken. Diese Erfahrung trug maßgeblich zu ihrem Ruf
als Elite-Infanterie im 15. und 16. Jahrhundert bei.
Symbolik und kulturelle Bedeutung
Nach der Schlacht bei Sempach wurde die Hellebarde zu einem nationalen Symbol der Wehrhaftigkeit und Freiheit. In Schweizer Stadtwachen und Zeremonien war sie über Jahrhunderte präsent – und ist
es teilweise noch heute, z. B. bei historischen Umzügen oder in der Garde der Schweizergarde im Vatikan, wo eine zeremonielle Hellebarde getragen wird.
In der Schweizer Erinnerungskultur steht die Sempacher Hellebarde für:
Den Stolz des freien Bürgers
Die Fähigkeit der „einfachen Leute“, Ritterheere zu besiegen
Tugenden wie Tapferkeit, Disziplin und Gemeinschaftssinn



Weiterführende Literatur:
Handbuch der Waffenkunde
Das Waffenwesen in seiner historischen Entwicklung vom Beginn des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
Von Wendelin Boeheim
ISBN: 9783754977064
Format: Taschenbuch
Seiten: 624
Erscheinungsdatum: 13.08.2022
Ladenpreis: 29,99 EUR