· 

Entwicklung und Gebrauch der Handfeuerwaffen

Von k. u. k. Major P. Sixl in Budweis.

 

(Fortsetzung.)

 

Im Jahre 1411 werden im Inventar von Schwetz neben 8 Handbüchsen auch 3 Tarasbüchsen genannt. Es ist dies die erste Erwähnung von Tarasbüchsen überhaupt und der Vergleich einzelner Inventarien ergibt, dass man sowohl Lot- als auch Steinbüchsen als Tarasbüchsen bezeichnete.

 

In Schwetz wurden im Jahre 1415 neben 5 Steinbüchsen 12 Lotbüchsen übergeben. Hält man diese Angaben den Zahlen vom Jahre 1411 entgegen, so lässt sich annehmen, dass bei den Lotbüchsen die 3 Tarasbüchsen mitgezählt wurden. Dasselbe Resultat erhält man beim Vergleich zweier Inventarien des Ordenshauses Mewe, welche im Jahre 1416 schnell hintereinander aufgenommen wurden. Im ersten werden 5 Stein-, 3 Taras- und 16 Lotbüchsen, in dem zweiten ebenso viele Stein- und Lotbüchsen, und überdies 3 große Lotbüchsen genannt; es ist nahezu zweifellos, dass diese 3 großen Lotbüchsen mit den 3 Tarasbüchsen identisch sind.

 

Auf dem Hause zu Memel wurden im Jahre 1419 bei der Visitation 2 große, 6 kleine und eine Steinbüchsen, 4 Taras- und 26 Lotbüchsen gezählt; im Inventar vom Jahre 1420 sind eingetragen: 9 Stein- und 30 Lotbüchsen; auch hier muss angenommen werden, dass die 4 Tarasbüchsen bei den Lotbüchsen angeführt wurden. Aus diesen Angaben geht ferner hervor, dass man meist nur Lotbüchsen größeren Kalibers als Tarasbüchsen bezeichnete, weil einerseits dieselben den Handbüchsen gegenübergestellt werden, anderseits Tarasbüchsen als große Lotbüchsen eingetragen wurden. Werden jedoch Steinbüchsen als Tarasbüchsen bezeichnet, so sind dieselben als «Steintarrasbüchsen» oder «Tarras-Steinbüchsen» angeführt oder aber bei den kleinen Steinbüchsen mitgezählt.

 

Im Jahre 1414 werden in Thorn 5 Steintarasbüchsen und 5 Lotbüchsen erwähnt. Im Jahre 1416 enthält das Inventar von Elbing folgende Feuerwaffen: eine große, eine mittlere und 8 kleine Stein- und 10 Lotbüchsen; im Inventar vom Jahre 1428 kehren dieselben Zahlen unverändert wieder mit der einzigen Ausnahme, dass die 8 kleinen Steinbüchsen als Tarasbüchsen bezeichnet werden.

 

In größerer Anzahl werden. die «Tarrassteinbüchsen» in der «Einung der schlesischen Fürsten, Mannen und Städte auf dem Tage zu Grotkau zum Kriege gegen die Ketzer in Böhmen vom 18. September 1421» erwähnt.1

 

«Item iglich fürste sal bestellen in seinen landen vnd steten, das 10 gebawer einen waijn haben mit irer were vnd speise vfif drei monden. Nemlich itzlich waijn sol haben eine kethe, die man nennt eine landzocht, zwey brethe, zwey grabescheit, eine schauffel, zwu czoe, eine haue adir zwu. Vnd itzlich er sal seine beste were mit jm nemen, also spisse, armbroste vnd suste so er beste mag. Das sulleft auch tun die obgenannte lande vnd stete. Item itzlicher fürste sal seine stete heissen mete nemen weren so sie beste mögen vnd auch die Iannt. Item itzlich fürste sal mit jm nemen bochsen, nachdeme also es im ist angeslagen. Item die Sweidnitzer land vnd stete sulleft mit jn nemen eine grosse bochse, 15 tarrasssteinbüchsen vnd 100 pisschullen. Item die andern fürsten vnd land vnd stete werden och mete nemen iglicher nach seinem anslage. Summa Summarum der bochsen, 20 grosse bochsen, domete man mawren feilen mag, 300 tarrasssteinbüchsen, 2000 pisschullen.»

 

Es überrascht hier die große Anzahl der geforderten Feuerwaffen; es ist möglich, dass man im Anschlag hoch gegriffen, um möglichst viel zu erreichen; immerhin lässt sich aus der gestellten Forderung ableiten, dass zu dieser Zeit der Kampf- und Gefechtswert der Feuerwaffen schon allseitig anerkannt und gewürdigt wurde und dass die Kriegführung in der Wirkung derselben eine ausgiebige Unterstützung suchte.

 

Die Taras-Steinbüchsen sind in der obigen «Einung» den großen Büchsen, welche Bresche legen sollten, gegenübergestellt. Es muss demnach die gefechtsmäßige Bestimmung derselben in der Wirkung auf andere, und zwar lebende Ziele zu suchen sein, bei welchen sie den übrigen Schusswaffen entweder durch größere Schussweite vorarbeiteten oder durch die Art ihrer Schussleistung die Wirkung der übrigen Handschusswaffen erheblich verstärkten.

 

Einige Angaben über Tarasbüchsen sind auch in den städtischen Kämmerei-Rechnungen von Wien enthalten; zum Jahre 1426, fol. 342, ist eingetragen: «umb zwo eisnein stainpuchsen und umb funifif tärraspuchsen . . . 12 Pfund 60 dn.; von den benanten puchsen ze vassen und ze beslahen ... 17 Pfund dn.; umb ain kuphreine tärraspuchsen und um ain aysnene tärraspuchsen und davon ze vassen und ze beslahen .. 3 Pfund 6 sh. 5 dn.»

 

In der ersten Ausgabepost sind die Tarasbüchsen den Steinbüchsen gegenübergestellt; es ist daher wahrscheinlich, dass dieselben Lotbüchsen waren; in der zweiten Ausgabepost, in welch er eine kupferne und eine eiserne Tarasbüchse, in Holz gefasst und beschlagen, eingetragen erscheinen, müssen schon mit Rücksicht auf den Preis, kleinere Kaliber angenommen werden, und zwar zweifellos wieder Lotbüchsen, nachdem in demselben Jahre eine eiserne Handbüchse mit 0,5 Pfund bezahlt wurde.

 

Weitere interessante Details über Feuerwaffen enthält der Frankfurter «reichstägliche Beschluss und «Verzeichnisse, wie man sich im künftigen Feldzuge wider die Ketzer verhalten soll vom 4. Mai 1427.»3 Die betreffenden Stellen lauten:

 

«Item dy zwen herren vnd erczbyschöffe von Triere vnd von Colne sollen iglicher bringen 4 tarrasbuchsen, 20 hantbüchsen,4 vnd iglicher 10000 pfeyl, vnd iglicher 200 fewerpfeyl, vnd darczu puluers, stain vnd czeugs darzu ein notdurfft vnd iglicher drey büchsenmeyster.

 

Item der erczbischoffe von Meincz 6 Kamerbuchsen vnd 30 hantbüchsen, 4 tarrasbüchsen. . . (wie oben).

 

Item glich souil sol der pfalczgraff bey Reyne bringen oder schicken an allen geczeugen als der erczbischoffe zu Meincz, vnd darüber ein grosz steinbüchsen, die da schüsst anderthalben czentten. Item drey büchsenmayster.

 

Item der marggraff von Brandeburg ain grosz stainbüchsen, 4 tarresbüchsen, 20 hantbüchsen ...

 

Item dye herren von Beyeren im niderlande ein Steinbüchsen, dye da schüsst 2 czenttner, 4 kleine stainbüchsen, 22 hantbüchsen . . .

 

Item herezog Johanns von Beiern ein grosz büchsen, 4 tarresbüchsen, 20 hantbüchsen . . .

 

Item die bischofe von Babenberg vnd von Wirczburg sullen bringen buchsein klein vnd grosz ...

 

Item dye stat Nürenberg ein grosz stainbüchsen die da schiess auff 2 czentner, 6 chlein stainbüchsen, 12 tarresbüchsen, 60 hantbüchsen, 20000 pfeil, 600 feurpfeil .. .

 

Item Regensburgk ein gut grosz stainbüchsen vnd fürter cleynbuchsen . . .

 

Item dye von Eger ein stainbuchs vnd sust buchsen . . .

 

Item die von Elnpogen, der burggraff vnd die stat Süllen komen mit irer macht vnd bringen ein grosz steinbüchsen vnd ander buchsen grosz vnd klain . . .

 

Item furbasz iglich stat sol haben buchsen, puluer, stain vnd geczeug nach irem vermügen.» Es wurden demnach in diesem Anschläge verlangt: 2 große Steinbüchsen, welche 2 Zentner, und 1 große Steinbüchse, welche 1,5 Zentner schießen, überdies 3 große Steinbüchsen, 2 Steinbüchsen, ohne jede nähere Bezeichnung und 10 kleine Steinbüchsen; ferner 12 Kammerbüchsen, 36 Tarasbüchsen, 222 Handbüchsen, 90.000 Pfeile und 18.000 Feuerpfeile; — die Bischöfe von Bamberg und von Würzburg, die Städte Eger und Ellbogen sollten noch große und kleine Büchsen bringen, so viel sie konnten.

 

Die verlangten Tarasbüchsen waren, wie schon die Reihenfolge und die Zusammenstellung ergeben, bestimmt Lotbüchsen mittleren und größeren Kalibers.

 

Nach einem städtischen Rechnungsberichte hatte Nürnberg tatsächlich beigestellt: «ein grosse püchsen, die schoss einen zentner, 6 karren püchsen, 200 und 60 hantpüchsen, 12 tarrasspüchsen, 400 kugeln darczu, vier tunnen pulfers, zweliftausend pfeil, sechshundert fewerpfeil; . . .Von späterer Hand sind die «200 hantpüchsen» durchstrichen.5

 

Der Wert solcher Anschläge liegt vornehmlich in den Verfassern, zumeist kriegskundigen und kriegserfahrenen Männern, welche einerseits die Leistungsfähigkeit der einzelnen Fürsten und Städte richtig abschätzten, anderseits in voller Kenntnis der herrschenden Kriegführung auf die Beistellung jener Kriegsmittel den Nachdruck legten, von welchem sie den größten Erfolg erhofften oder zu erwarten glaubten.

 

Nach dem obigen Anschlag sollten vier Heere von vier verschiedenen Seiten zugleich in Böhmen einrücken; die vorstehenden Angaben enthalten jedoch nur die Ausrüstungsbestimmungen für die «vier kurfürsten vnd ander des heiligen Reichs fürsten, Graven Hern vnd Stete vom Lande des Reyns, von Elsaz, von Swaben, von Francken, von Beyern,» also nur für eines der zum Einfall bestimmten Heere; nimmt man nun bei den drei andern Heeren: «Herczoge zu sachssen vnd Marggraf zu Missen», «die fürsten Hern vnd Stete uss Slezien», «Hochgeborn fürste Herr Albrecht Herczoge zu Österreich mit der obgenannten vnsers gnedigen Herrn des Römischen Königs Folcke Seinen Vettern Herezog Frederich von Österreich dem Bisschove von Saltzburg» ebenso viele Feuerwaffen an, so kommt man bei den Tarasbüchsen in die Hunderte, bei den Handbüchsen in die Tausende.

 

Die Ursache dieser Erscheinung liegt in den Erfahrungen, welche die Hussitenkriege bisher gebracht hatten. Die böhmischen Heere, durch die genialen militärischen Qualitäten Žižkás von Trocznow geschaffen, ausgebildet und geführt, versuchten zuerst kleinere Feuerwaffen in größerer Anzahl im Kampf zu verwenden; durch die Art dieser Verwendung gelangte der volle Kampfwert derselben zur augenscheinlichen Wirkung, wodurch ein neues, bisher nicht gekanntes Element in die Kriegführung eingeschaltet wurde. Der überraschte und geschlagene Teil sucht nun — wie fast immer — Bewaffnung und Organisation des siegreichen Gegners aufzunehmen, wodurch die große Zahl der geforderten kleinen Feuerwaffen erklärlich erscheint.

 

Auch in den Annalen von Mühldorf kommt die Bezeichnung «torrös puchsen» vor; die Stelle lautet: «Item anno domini 1400 im acht und zwaintigsten iar hat unser genadiger her pischove Johans von Reisperig zwo stainpüchsen mit wegken aus geformt Und sünst auch ain torrös puchsen.»6 Diese Annalen sind in einer Handschrift des Münchener Reichs-Archivs enthalten; die Schriftzüge der Chronik selbst, vom Jahre 1313 bis zum Jahre 1404, verweisen auf das Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts; die Einträge von 1404— 1406 und von 1428 (obige) rühren von verschiedenen Händen her; überdies steht, jedoch an den äußersten Rand des Pergamentblattes gesetzt und mit roter Farbe geschrieben: «Istam canonicam fecit scribere Nycolaus dictus Grill sub anno domini 1400 in sui memoria.»

 

Nach diesen Angaben ist es zweifellos, dass obige Stelle nicht vor 1428 hinzugefügt wurde; es war notwendig, dies genau zu konstatieren, da wiederholt mit Hinweis auf obige Stelle behauptet wird, dass der Ausdruck «Tarrasbüchse» schon im Jahre 1400. in den Annalen von Mühldorf vorkommt. Die Bezeichnung «Tarasbüchse» wird von dem Worte «taras» abgeleitet, welches in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wurde.

 

In dem Schreiben des Rates von Olmütz an Herzog Albrecht von Österreich vom Februar 1425 heißt es:

 

«Darczu heben sie nu an sich vnd das klastr mit bosteyen prustsczeinen vnd tarassen zufesten darczu sie die pawren rwffen laden vnd twingen mit arbeit halczfurung.»7

 

Die «tarassen» waren hier offenbar kleine Erdaufwürfe z. B. eine Wehr, ein Damm, welche zum Schutz der Tore vor denselben errichtet wurden. In diesem Fall steht die Bezeichnung «tarassen» in Übereinstimmung mit dem böhmischen Worte «taras», welches Wall, Bastei, Wehr, Damm bedeutet. In Deutschland hatte man einen ähnlichen Ausdruck, das mittelhochdeutsche «terräs», welches eine Veranda, einen freien Erker, zu dem man auf einer Treppe emporsteigt, die heutige «Terrasse», bedeutet.8

 

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wird der Ausdruck «Terras» für die Bezeichnung eines Erdwerkes zum Schutz des Tores — also wie oben — gebraucht; solche Erdwerke behielten diesen Namen auch dann, wenn dieselben später in Mauerwerk ausgeführt oder selbst nur aus einem Turm bestanden. Der in Breslau vor dem Ohlauer-Tor im Jahr 1445—1446 erbaute große Turm wurde «Terras» genannt, ebenso eine aus einer Mauer mit Türmen bestehende Befestigung des äußeren Schweidnitzer Tors.9

 

Eine andere Bedeutung erhält das Wort «taras» in jener böhmischen Kriegsordnung, welche dem Unterkämmerer Hájek von Hodetin zugeschrieben wird.

 

Bisher wurde angenommen, dass diese im Jahre 1413 auf Befehl des Königs Wenzel zusammengestellt und dass die hier niedergelegten Vorschriften das Kriegswesen vorhussitischer Zeit darstellen. Nach dem Ergebnis neuerer Untersuchungen ist diese Kriegsordnung eine Kompilation späterer Zeit, welche bestimmt nicht vor dem Jahre 1420 entstanden und erst nach den Hussitenkriegen den späteren Wortlaut erhalten hat.10

 

Im Artikel 46 dieser Kriegsordnung heißt es im Wortlaut: «dva rýče a taras s berlú.» In derselben Weise wird dieses Wort im Artikel 55 jener Kriegsordnung gebraucht, welche von dem berühmten tschechischen Kriegsmann, Ritter Wenzel Wlček von Čenow im Jahre 1490 verfasst wurde; der Wortlaut sagt: «má býti na krajnich řadich taras s berlú a děrú.»

 

Nach der alttschechischen Kriegsterminologie bedeutet «taras» einen großen Schild, welcher vor den feindlichen Geschossen schützen sollte; um denselben aufstellen zu können, war ein Stock, eine Krücke, berla, nötig; überdies war in dem Schild ein Loch, děra, durch welches der Schütze visieren und schießen konnte.

 

In dieser Bedeutung ist der Ausdruck «taras» auch in einer Handschrift des Nürnberger Archivs S. I. L. 212 vom Jahre 1430 gebraucht; dieselbe enthält die Beschreibung einer Wagenburg und trägt die Überschrift: «Alte fragmenta von denen Geschichten König Wenceslai von Böhmen.» Die Stelle lautet: «Auch mancherlei Tarras, Schirme und gut Antwerk zum Stürmen werden wir im Felde ausrichten, wenn die Heere beisammen sind, dass jegliches mit Zuversicht dem Feinde entgegen gehe, und dabei doch sicher bleibe.»11 Abermals eine andere Bedeutung erhält das Wort «taras» in folgenden Stellen, welche auf die Belagerung der Prager Brücke im Jahre 1421 Bezug nehmen:12 «et filius duobus castellani super asseres, alias taras ligatis» — «quendam enim Teutonicorum captum asseri, qui vulgo taras dicitur, alligantes, cum eo impetu in castrum jacere volebant.»

 

Asser heißt ein rund gezimmerter dünner Balken, eine dicke Stange, eine starke Latte; es müssen demnach die «taras» diesen ähnlich gestaltete Balken gewesen sein. Es waren dies Werkzeuge zum Erbrechen der Tore beim gewaltsamen Angriff, gehörten zu den Ausrüstungsgegenständen zu einem Feldzug und bestanden aus einem langen schweren Holzbalken, welcher vorne eine zangenartige Spitze hatte und von der Mannschaft noch aus freier Hand geschwungen werden konnte. Eine Abbildung eines solchen Instrumentes mit der Überschrift «Terras» enthalten die Ausgabe des deutschen Vegez vom Jahre 1511 und mehrere Bilderhandschriften.13 In diesem Sinne ist das Wort «teras» in dem reichstäglichen Beschluss zu Frankfurt vom 4. Mai 1427 gebraucht.

 

«Item iglicher kurfürste vnd stete sollen bestellen mit zukommen Steinmetzen, zymerleute, schuczen, buchsen, pulver, stain, pfeyl, toressen, layttern vnd ander gut were.»14) Fronsperger bezeichnet mit dem Wort Darrass hölzerne, den spanischen Reitern ähnliche Gerüste.

 

Der Ausdruck «tarassi» war auch bei den Italienern üblich; der Gussmeister Maso di Bartolomeo aus Florenz verpflichtet sich, am 6. Oktober 1455 der Gemeinde Ragusa gegen Bezahlung große, mittlere und kleine Bombarden sowie Tarassi und Cerbotane zu liefern; man versuchte deshalb, das Wort «Tarassi» von dem altspanischen «tarasca» Schlange abzuleiten.15

 

Wenn man die bisherige Einteilung der Feuerwaffen verfolgt, so findet man, dass zuerst die Rücksicht auf das Material der Geschosse eine solche in Lot- und Steinbüchsen herbeiführte. Die Steinbüchsen wurden ferner nach der Größe der Geschosse in große, mittlere und kleine eingeteilt.

 

Zu den großen Büchsen zählte die «zentnerpuhsen», welche «zentnerstein», d. h. Steine von 1 Zentner Gewicht, schossen (Nürnberger Anschlag 1388); ferner alle jene, welche 1 bis 2 Zentner schossen, z. B. Anschlag zu Frankfurt, 1427, wo Steinbüchsen mit 1,5, und 2 Zentner Geschossgewicht verlangt werden; endlich gehören hierher jene großen Steinbüchsen, welche Steine von mehreren Zentnern schossen, wie z. B. die große Büchse von Nürnberg, jene von Braunschweig, die «grosen bochsen» beim Deutschen Orden, etc. Beim Gebrauch, zum Schießen, wurden diese großen Büchsen auf eine «wige» oder auf einen «bock» gelegt.

 

Die mittleren oder kleinen Steinbüchsen wurden nach der Art der Handhabung beim Schießen als «Wagen- oder Karrenbüchse» bezeichnet. (Nürnberger Anschlag 1388; derlei Konstruktionen auch schon in der Münchener Handschrift.)

 

Die Wagenbüchse schoss 45 Pfund Stein, war auf einem Wagen mit 4 Rädern, welcher von 4 Pferden gezogen wurde, befestigt, und wurde auch von diesem aus abgefeuert. In derselben Weise wurde auch die Karrenbüchse gehandhabt, welche 3-pfündige Steine schoss; der Karren hatte 2 Räder und wurde von 2 Pferden gezogen. (Nürnberger Anschlag 1388.)

 

In ähnlicher Weise erfolgte die Einteilung bei den Lotbüchsen in große, mittlere und kleine. Die erste Unterteilung bezeichnete man nach der Nürnberger Kriegsordnung als «Handbüchsen» mit welchen einzelne Leute ausgerüstet waren, z. B. «Item 2 hantpuchsen, domit sollen schiessen dez Zengels gesellen». Die Handhabung durch diese Gesellen, ohne weitere Vorrichtung, aus freier Hand, konnte keiner Schwierigkeit unterliegen, da die Handbüchsen kurz und klein waren. Die Bezeichnung «Handbüchse» gründet sich somit, analog wie bei der Wagen- und Karrenbüchse, auf die Art des Gebrauches und steht in voller Übereinstimmung mit den Darstellungen aus den Bilderhandschriften, Fig. 15, 18, 19 etc.

 

Die mittleren und großen Lotbüchsen, wie z. B. die Lotbüchse von Vestenberg oder jene beim Deutschen Orden usw., mussten schon infolge ihrer Schwere in anderer Weise transportiert und gehandhabt werden.

 

Die oben berührte rapide Zunahme der Feuerwaffen, besonders der Lotbüchsen, und die zwingende Rücksicht auf die nötigen Fahrmittel (Wagen und Pferde) brachten es mit sich, dass man die mittleren und kleinen Steinbüchsen nicht immer als Wagen- oder Karrenbüchsen ausrüsten konnte und dass man diese, sowie die mittleren und großen Lotbüchsen, auf größere Strecken, bei weiteren offensiven Unternehmungen, auf Wagen verladete und transportierte, auf kurze Entfernungen, wie sich dieselben bei der Verteidigung von Örtlichkeiten ergaben, durch Mannschaft bis zu jenem Punkt tragen ließ, von wo aus geschossen werden sollte.

 

Beim Deutschen Orden z. B. wurden verrechnet: im Jahre 1403 «1 mark vor 17 lotbüchsen czu beslan ken Ragnith czu furen»; im Jahre 1416 «3 starke wagne, dy beslaen sind czu den buchsen czu faren mit allem gerethe».

 

Die feldmäßige Verwendung forderte ferner das Herangehen auf die eigene wirksame Schussdistanz und hierdurch oftmals das Eintreten in den feindlichen Schussbereich. Dieser Umstand nötigte zur Ausnutzung natürlicher oder künstlicher Deckungen, wie z. B. Gräben, Terrainwellen, Mauern, Holz- und Erdwerke, «bosteyen, prustsczeinen vnd tarassen», — und zur Aufstellung künstlicher Deckungsmittel, wie z. B. Schild, Setztartsche (pawesi), taras s berlú a d'ru, Schirme, Mantel, Mönchskutte. Diese schützen zumeist nur in der Zeit des umständlichen Ladens und gegen kleinere Kaliber, jene gewährten auch beim Zielen, Richten und Abfeuern und oft auch gegen größere Kaliber ausgiebige Deckung.

 

Unter den künstlichen Deckungen benötigten die Mauern, Holz- und Erdwerke, die «bosteyen», hinten offene Halbtürme und die «prustsezeyne», Brustwehren, längere Vorbereitung und besonderes Material, welches oft in beschwerlicher Weise herbeigeschafft werden musste. Die aus Erde aufgeworfenen Tarassen konnten jedoch bei gutem Boden rasch und leicht, oft über Nacht, errichtet, mit dem Angriff vorgeschoben und sofort mit Feuerwaffen ausgerüstet und besetzt werden.

 

«Uff denselben Dornstag hatten die von Erfurte ihre Tarrase alle umbestat mit viel steinen Buchsen, mit manchem Wappener, die dann viel Handbuchsen und andris getzugis die Menge hatten.» (Kammermeisters Annalen von Erfurt zum Jahre 1447). Bei der Belagerung von Rapperschwyl im Jahre 1443 heißt es: «Also am Freitag zu Nacht schlügend sie aber ein Tarris noch näher der Stadt, dann der vorder was, und am Samstag fruy hatten die von Lucern auch zwo Buchsen in demselben Tarris und schussen mit denselben fünf Steinbuchsen bei acht Tage lang, Tag und Nacht, und beschachend in die Stat 320 Schuss uss den Steinbuchsen, ohne die Schuss uss den Tarrasbuchsen.»16

 

Bringt man diese Darlegungen mit der oben gegebenen Einteilung der Feuerwaffen und den angeführten Erklärungen des Wortes «tarass in Verbindung, so ergibt sich mit größter Wahrscheinlichkeit, dass, wie bei den Wagen-, Karren- und Handbüchsen, auch hier aus der Art des Gebrauches die Bezeichnung «Tarasbüchse» entstanden ist.

 

(Schluss folgt.)

 

1 Grünhagen in Scr. rer. Siles, n. 17 aus Scultetus annal. Gorlic II, 50, — bei Franz Palacký; Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges vom Jahre 1419 an. Prag 1873,1,149.

2 Dr. Karl Uhlirz, Stadtarchivar: «Der Wiener Bürger Wehr- und Waffen (1426—1648). Auszüge aus den städtischen Kämmerei-Rechnungen,» (Berichte und Mitteilungen des Altertums-Vereines zu Wien Bd. 27—31. Wien 1891—1897.)

3 Andreas Ratisbon. Supplementa Fol. 431—33; — bei Palacky: Urkundliche Beiträge I, 503.

4 Im Abdruck: «haubtbuchsen»; wohl ein Druck- oder Lesefehler.

5 D. Chron. d. d. St., Bd. II, 47.

6 Die Chroniken d. d. St. Bd. XV, 382, Einleitung von Dr. K. Th. Heigel und 387.

7 Ms. Wenc. de Iglavia f. 8 a bei Palacky: Urkundliche Beiträge I, 373.

8 Jähns, Hdb. 801, Anm. 2.

9 Köhler III, 1, 453.

10 Dr. Hugo Toman; IIusiLske väleCnictvi za doby Ziükovy a Prokopovy. V Praze. 1898. 32.

11 Würdinger, II, 379.

12 Vavfinec z Bfezove (Prameny V, 505 u. 506), — bei Toman 160.

13 Vgl. Köhler III, I, 133.

14 Palacky: Urkundliche Beiträge I, 505.

15 Gelcich, Josef: «Die Erzgießer der Republik Ragusa». Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale. Wien 1891.

16 Tschudi, Schweizer-Chronik.

Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 2. Dresden, 1900-1902.