Von Wendelin Boeheim.
Im Gebiet des Waffenwesens ist die Meistermarke eine Erscheinung, welche erst von der Periode der Renaissance an datiert. Im Mittelalter erschien jedes menschliche Werk als ein Ausfluss der göttlichen Macht, vor der jede schaffende Persönlichkeit in ein Nichts versank. Erst mit dem 15. Jahrhundert trat der Mensch mit seinem Werk hervor und von da an wagt es der Meister, den Stolz auf seine Leistung zu äußern und sein Werk mit anfänglich geheimnisvollen und religiösen Zeichen zu versehen, bald aber mit seinem vollen Namen zu kennzeichnen. Urplötzlich gewahrte der Meister, dass in diesem Kennzeichen mehr als nur ein Wert der Selbstgefälligkeit, sondern vielmehr ein geschäftlicher gelegen ist; seit dieser Überzeugung gelangte die Meistermarke zu einer immensen Ausbildung und Verbreitung und damit zu einer ungeahnten künstlerischen und fachlichen Bedeutung. Es ist auf dem Feld der historischen Waffenkunde genauso wie in der Kunstwissenschaft, dass der künstlerische Wert eines Werkes in erster Linie durch seinen Meister bestimmt wird. Das besterscheinende Bild schwankt in seiner Wertbestimmung, wenn dessen Meister nicht bekannt ist; so ist es auch bei Werken der Waffenschmiedekunst, bei welchen ebenfalls die Marke des Meisters als das sicherste Dokument des Kunstwertes erscheint.
Kein Fachmann, dem die Beurteilung einer Waffe zur Aufgabe fallt, kein intelligenter Sammler sollte in seinem Urteil über den Grundsatz hinweggehen, dass das Werk durch seinen Meister bestimmt wird. Abgesehen davon, dass hierdurch erst überhaupt eine feste Grundlage für den Wert geschaffen wird, gelangt der Fachmann wie der Liebhaber durch die konsequente Befolgung desselben erst zu einer tieferen Auffassung; ihm werden sich damit erst die nationalen und territorialen Typen, die Eigenschaften der verschiedenen Schulen ins Gedächtnis prägen und er wird im Einzelnen frühere und spätere Arbeiten eines Meisters sicher unterscheiden und den Wert beider erkennen lernen. Selten ereignen sich die Fälle, dass der Meister einer Waffe durch eine literarische Quelle, durch die Technik oder durch eine diesem eigentümliche Form oder Zier bestimmt wird; der allgemeine und sicherste Anhaltspunkt bleibt immer die Marke und es ist hierbei nur die Erfahrung, die über eine Klippe hinweghilft: die echte Marke vor der Nachahmung und Fälschung zu unterscheiden.
1. Klingenmarken.
Die ältesten Marken treten wohl auf Schwertklingen auf; sie sind in der Regel sehr groß, stellen meist religiöse Embleme, Kreuze, Monogramme etc. nicht selten im Verein mit kabbalistischen Zeichen dar. Auch heraldische Embleme finden sich dabei nicht selten und Sprüche, die sich aber nie auf den Erzeuger, sondern auf den Eigentümer beziehen. Solcher Art bezeichnete Schwertklingen finden sich bereits im 14. Jahrhundert. Sie sind mit scharfen Meißeln roh eingehauen, die ältesten immer in Gold eingelegt. Erst im 15. Jahrhundert treten derlei Zeichen, die ersichtlich einen mehr dekorativen Charakter an sich tragen, mit Messingeinlagen auf.
Wenn in diesen Darstellungen ein Hinweis auf den Meister gegeben ist, dann ist er sehr versteckt darin und immer in Verbindung mit christlichen Symbolen. Unter diesen finden sich am häufigsten der Name Christi und Mariens, dann auch jene der Weisen. Hand in Hand mit den Zeichen des Glaubens gehen jene des Aberglaubens in der Heranziehung kabbalistischer Sprüche, wie des Geheimwortes «agla» (Atha, Gibor, Leolam, Adonai, du bist stark in Ewigkeit Herr) oder auch christlich legendarischer Vorstellungen, wie jene der «Siebenschläfer» und solcher aus dem «Physiologus».
Alle diese Motive — und das ist das Charakteristische an ihnen für das absterbende Mittelalter — stehen nicht hier in ihrer ursprünglichen Auffassung, sondern in einer abergläubischen; sie stehen hier als eine Versicherung des Waffenerfolges, als «Wundsegen» und es wird ihnen hier eine geheimnisvolle Kraft beigelegt. In dieser Auffassung befinden sie sich bereits in einem Gegensatz zum Geiste der vergangenen Heldenzeit. Die Anfänge dieser idealen Ausgestaltung dürften in den arabischen Werkstätten auf Sizilien zu suchen sein; in weiterer Ausbildung der Motive finden wir diese Bildgestalten in Spanien, Südfrankreich und Italien, bald aber auch in Deutschland, wo sie sich in Passau am längsten erhielten.
Im 15. Jahrhundert verkleinerten sich diese Darstellungen bei gleicher Technik bedeutend. Die Rippen- und Hohlschliffe, welche nun nach italienischen Vorbildern auf den Schwertklingen in Anwendung kamen, boten solchen breiten Bildgestalten keinen Raum mehr; sie schrumpfen allmählich zu einfachen, kleinen Zeichen zusammen, die mittels einer Punze ins Gesenk geschlagen, aber dann mit Gold oder Messing eingelegt werden. Diese Zeichen von sehr einfachen Formen, etwa ein Herz, einen Dolch, einen Anker, eine Zange etc. darstellend, sind als die ältesten Meisterzeichen anzusehen, wenigstens sind sie geeignet, in sicherer Weise die Werkstätten festzustellen. Sie treten zuerst auf italienischen und spanischen Klingen auf und werden auf deutschen erst spät nachgeahmt.
In ganz eigentümlicher Weise wird in Passau die Herkunft der Klinge durch den sogenannten «Wolf» bezeichnet. Um den Ursprung dieses Zeichens zu erklären, müssen wir etwas weiter ausholen:
Es ist von einzelnen Historikern bestritten worden, aber doch einer inneren Wahrheit nicht entbehrend und aus bestimmten Anzeichen als im Allgemeinen richtig anzunehmen, dass die Passauer Waffenindustrie von flüchtigen norischen Waffenschmieden begründet worden ist. Von den Awaren verdrängt, flüchteten sich die Eisenschmiede, wie es heißt, von Lorch1 mit ihrem Bischof an die Mündungen des Inn und der Ilz und bildeten dort eine Gemeinschaft, die ihren alten Stammescharakter das ganze Mittelalter hindurch zähe beibehielt. Das lässt sich auch als richtig heraldisch nachweisen. Das zu den ältesten zählende heraldische Wappenbild ist ein aufrecht stehendes, vierfüßiges, phantastisch gestaltetes Tier, das bald als Greif, bald als Panther angesprochen wird. Tingierung und spätere Zutaten, wie die flammende Zunge und Ohren des Tieres, haben nichts zu bedeuten.
Nun sehen wir in Passau ganz dasselbe grimmende Tier, das aber in späterer stilistischer Ausgestaltung als «Wolf» erscheint. Dieser Wolf in ziemlicher Größe wird nun, gewissermaßen als Wappen der Genossenschaft und bald der Stadt selbst, zum Zeichen auf den sämtlichen Passauer Klingen. Die Figur, anfänglich aufrechtstehend (steigend), später laufend dargestellt, ist überaus roh mit kurzem Scharfmeißel eingehauen; auf dem Rücken werden sogar die Pelzhaare darzustellen versucht. Die ältesten sind in Gold oder Messing dargestellt; vom 16. Jahrhundert an erscheinen die Linien nur mehr mit Schwarzlot eingerieben. Werkstätten des mächtigen Bischofs, der auch den gesamten Handelsbetrieb einschließlich der Waffen donauabwärts in seinen Händen vereinigte, fügten dem «Wolf» auch den «Bischofsstab» hinzu. Überaus selten wird man Meisterzeichen auf Passauer Klingen finden; hier hat sich der Geist des Mittelalters am längsten erhalten.
Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts gelang es den Werkstätten von Mailand, Brescia, Belluno und Serravalle durch die Schönheit und Güte ihrer Klingen den Weltmarkt zu erringen. Boten die Schwertklingen derselben mit ihren Blutrinnen schon wenig Raum für Meistermarken, so war dies noch viel schwieriger auf den später nach spanischen Mustern gefertigten Degenklingen der Fall. Die Marken wurden immer kleiner und zierlicher und man begann die langen Zeilen der Hohlschliffe und Blutrinnen ihrer Länge nach zu schriftlichen Anführungen: Meisternamen, Sprüchen zu benützen. Beobachten wir diese Veränderung der Äußerlichkeit genauer, so müssen wir gestehen, dass hier nicht mehr der Stolz des Meisters auf seine Leistung, sondern eine geschäftliche Reklame im modernen Sinne bemerkbar wird. Es bestätigt sich diese Auffassung auch dadurch, dass die ältesten der so markierten an Venetianer Klingen bemerkbar werden, die samt und sonders in Belluno und Serravalle erzeugt wurden. Rasch darauf verbreitet sich diese Art der Markierung über Brescia, Mailand bis nach Toledo und Lissabon.
In Toledo war für Klingen, bezüglich deren Güte, eine strenge Überwachung eingeführt worden. Tadelfreie erhielten die bekannte Beschaumarke T in einem Wappenschild. Außerdem schlug der Meister noch seine Bildmarke bei. Ein Verzeichnis von 99 Toledaner Marken des 17. Jahrhunderts, aus Urkunden der Ayuntamiento, hat Don Manuel Rodriguez Palomino kopiert; es erschien in Jubinals: Armeria de Madrid. Aber Palomino war ein schwacher Zeichner und man wird guttun, sich nur an die Originale zu halten.
Gerade in Venedig finden sich die ersten Spuren der Fechtkunst in der uralten «Scuola di San Marco»; sie hatte einen großen Einfluss auf die Gestaltung der Seitenwaffe, namentlich auf deren Griffformen. Hier entstanden zuerst die «Faustschutzbügel», die später in Mailand und Toledo zu so übertriebener Ausgestaltung gelangen sollten. Die Absicht war, zu verhindern, dass der Hieb des Gegners unmittelbar auf die wenig deckenden Parierstangen fällt. Da bildete sich zwischen Parierring und Parierstangen ein überflüssiger Klingenteil von oft 6—8 cm, der sogen. «Ansatz», der sich für das Anbringen der Marken überaus günstig darbot. Die Inschriften der Länge der Klinge nach blieben desungeachtet beibehalten.
Eigentümlich wird jedem schon lange die Buchstabenform in diesen Längsinschriften angemutet haben. Sie kann als etwas bizarr, wenn auch nicht als unschön bezeichnet werden; ihre Lesung bedarf aber immerhin einiger Übung. Diese charakteristische Form ist nicht der Absicht entsprungen, etwas Neues zu schaffen, sondern mit primitiven Mitteln die gewöhnliche Lapidarschrift, wenn auch unbeholfen, wiederzugeben.
Jeder Buchstabe wurde nämlich durch Schläge mittels verschieden gestalteter Punzen gewissermaßen erst zusammengestellt, deren nur wenige zur Verfügung standen. Bedenkt man nun, dass die Inschriften meist von Gesellen ausgeführt wurden, welche oft weder lesen noch schreiben konnten und selbe daher nur verstandlos kopierten, dass einzelne Buchstaben mit diesen Mitteln an und für sich schwer darzustellen waren, so wird es begreiflich, wenn auf Klingen so viele schwer oder auch gar nicht lesbare Inschriften vor Augen kommen. Solche Inschriften kommen in Spanien häufig, in Italien nur vereinzelt vor; in Solingen treten sie erst am Beginn des 17. Jahrhunderts auf. Zu den hervorragendsten Werkstätten, welche sich dieser Art Schrift bedienen, zählen in Spanien Juan Martinez Vater und Sohn, Thomas de Aiala, Antonio Ruiz, Pedro de Arechiga und Hortuno de Aguirre; in Italien Andrea und Giandonato Ferrara. Bei den Mailändern und Brescianer Werkstätten war sie nicht üblich. Immerhin bildete die Bildmarke des Meisters das authentische Beweismittel; jede Inschrift war eine erklärende Beigabe für den minder sachverständigen Käufer.
Die um die Mitte des 16. Jahrhunderts allgemein auftretende Mode, im täglichen Umgang leichte Degen zu tragen, brachte die spanischen Werkstätten, vor allem jene zu Toledo, plötzlich zu einem ungemeinen Ruf, der sich bald über die ganze Welt verbreitete. Mit ihnen wetteiferten nicht ohne Erfolg die Mailänder, voran Antonio Piccinino und Pietro Caino. Nicht lange darauf folgten die ebenso aufmerksamen als spekulativen Solinger, obwohl sich selbe nur schwer von der Schwertklingenerzeugung trennen konnten.
Neben den spanischen Meistermarken bzw. der vorerwähnten Toledaner Beschaumarke findet sich zuweilen eine dritte, die Marke der «Espadero del Rey» oder königlichen Waffenschmiedes, die in einer ins Gehenk geschlagenen gekrönten Lilie besteht. Für die Mailänder Marken ist in einer bestimmten Zeit das savoyische Kreuz charakteristisch. In Venedig bestand nur im 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts eine behördliche Beschaumarke für Klingen, den Markuslöwen darstellend. Solingen, dieses Emporium der Waffenschmiedekunst, zeichnete sich nicht allein durch die Güte seiner Erzeugnisse aus, sondern auch durch seinen eminenten kaufmännischen Betrieb. Das System der Meistermarken wurde dort nicht begründet, nicht technisch verbessert, aber staunenswert vervielfacht. Immer aufmerksam auf die Bewegungen im Handwerksgebiet, bequemten sich die dortigen Werkstätten leicht an fremde Formen, so eigneten sie sich auch den Passauer «Wolf» an, den sie allerdings nur oberflächlich kopierten. Später, als die Spanier mit ihren Klingen hervortraten, suchten sie auch deren Stil in den Bildmarken nachzuahmen. Viele Meister besaßen dabei aber die Aufrichtigkeit, den frappant den spanischen Marken ähnlichen Marken das Wort «Solingen» hinzuzufügen.
Ein Übelstand, der sich im 17. und 18. Jahrhundert in Solingen bemerklich macht, lag in dem Verkauf der Meistermarken. Durch diesen Vorgang wurde der Charakter derselben vollständig verändert und eine Verwirrung in der Beurteilung der Erzeugnisse hervorgebracht.
Noch wäre der französischen Klingenmanufaktur zu Klingenthal im Elsass zu gedenken, die aber erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts leistungsfähig wird. Ihre Klingen tragen die Worte «Manufacture de Klingenthal» oder nur «Klingenthal» eingestempelt. Die einst blühende Fabrikation erlag um 1830 der Konkurrenz Solingens. Bemerkenswert erscheint die königliche Klingenfabrik zu Potsdam unter König Friedrich II. Ihre Erzeugnisse tragen das Wort «Potsdam», auch «Potzdam».
Eines Gebietes der Klingenfabrikation müssen wir noch erwähnen: des steirisch kärtnerischen. Die Industrie, neben der altiberischen im Nordwesten Spaniens gewiss die älteste im Abendland, hatte von jeher einen bäuerlich-konservativen Anstrich und stand damit in vollem Gegensatz zu den anderen Betrieben, vorab jener Solingens. Die in den Gebirgsdörfern arbeitenden Klingenschmiede führten die rohesten Marken, deren Typus unschwer dem Gedächtnis einzuprägen ist.2 Unbekümmert um die internationale geschäftliche Bewegung schafften sie empfindungslos weiter und lieferten ihre zuweilen ausgezeichneten Waren an die Kaufleute in Leoben oder Bruck an der Mur, die sich bei solchem Betrieb ungemein bereicherten.
(Fortsetzung folgt.)
1 Etwa eine halbe Gehstunde westlich der Stadt Enns an der Einmündung des gleichnamigen Flusses in die Donau. Das Gebiet gehörte damals zur Steirischen Mark.
2 Die beste und zahlreichste Sammlung steirisch-kärnthnerischer Klingenmarken, und zwar meist für Stangenwaffen, findet sich in F. G. v. M. (Franz Graf von Meran), c Das steirische Landeszeughaus in Graz». Aus selber stellt der Verf. allerdings nur eine einzige, jene des Peter Schröckeisen in Leoben, fest, es befinden sich darunter aber unzweifelhaft auch die Marken der berühmten Pögel von Thörl bei Aflenz, welche die Ausrüstung der Heere der Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. nahezu allein besorgten, und jene des nicht weniger bedeutenden Peter Hofkircher, alle aus dem 16. Jahrhundert.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. II. Band. Heft 3. Dresden, 1900-1902.