· 

Zusammengesetzte und verstärkte Bogen Teil 2

Querschnitt durch einen tonganischen Bogen.
Querschnitt durch einen tonganischen Bogen.

Wahrscheinlich hatte eben schon damals der Bogen auch in Tonga aufgehört, eine ernsthafte Waffe zu sein; jedenfalls wissen wir von Mariner, dass schon wenige Jahre später der Bogen dort zum Sport des Ratten-Schießens, fanna gooma, diente. Bei diesem Spiel sandten die Häuptlinge, welche sich daran beteiligten, zunächst einige Diener ins Gelände, welche geröstete Kokosnuss kauen und die Fasern unterwegs ganz fein verteilt ausspucken mussten. Das lockte die Ratten auf den Weg, und 10 Minuten nach den Dienern brachen die Herren auf, alle im Gänsemarsch, immer je einer der einen Partei mit einem der Gegenpartei abwechselnd; nach jedem Schuss auf eine Ratte muss mit dem Hintermann der Platz gewechselt werden, und die Partei, die zuerst 10 Ratten zur Strecke gebracht, wird als Siegerin gefeiert. Man sieht, dieser Sport ist nicht viel besser, als unser Taubenschießen; aber man begreift auch, warum Forster sich kurz vorher über das Missverhältnis zwischen der friedfertigen Gesinnung der Tonganer und der "ungeheuren Menge ihrer Waffen" so sehr gewundert; — der Bogen war eben auch schon zu seiner Zeit nicht nur Waffe gewesen, sondern auch schon Spielzeug. Leider enthält Forsters Beschreibung mehrere Ungenauigkeiten oder Schreibfehler, und gestattet nicht, dass wir uns ohne Weiteres eine genaue Vorstellung dieses Bogens machen können. Tonganische Bogen gehören jetzt zu den allergrößten Seltenheiten und zu den kostbarsten Schätzen der Museen; ich glaube nicht, dass alles in allem mehr als 10 oder 12 erhalten sind, und ich kenne keinen einzigen, der noch seine Sehne hätte. Seine ungefähre Form und sein Querschnitt (Fig. 3 c) sind aus nebenstehender Skizze ersichtlich; man sieht den vertieften Falz "für die Senne", den Falz, welcher zuweilen so tief war, dass "auch" der Pfeil darin Platz hatte. Ich kann diese Beschreibung unmöglich anders auffassen, als so, dass die "Senne" im Falz eine andere war, als die "Senne", auf welche der Pfeil gesetzt wurde. Danach müssten wir also annehmen, dass der tonganische Bogen zu Cook's Zeit regelrecht "verstärkt" war. Damit würde auch stimmen, dass er von Forster ausdrücklich als reflex bezeichnet wird. Wir werden später sehen, dass diese merkwürdige Eigenschaft nur den verstärkten und zusammengesetzten Bogen zukommt und bei einem einfachen ganz unverständlich wäre. Wir begreifen jetzt auch sofort, warum Cook's Matrosen so viele tonganische Bogen zerbrochen haben; sie spannten eben in derselben Richtung, in der der Bogen ohnehin schon durch die verstärkende Schnur auf das Äußerste in Anspruch genommen war. H. Balfour, dessen bahnbrechende Verdienste um die Kenntnis des Bogens von allen Fachleuten anerkannt sind, hat diese Mitteilung Forsters wohl übersehen; er nimmt allerdings ebenso wie ich an, dass der tonganische Bogen früher einmal regelrecht verstärkt war, aber er meint, dass schon zur Zeit Cook's diese Verstärkung obsolet geworden war und dass damals die tiefe Furche, weil sie nun einmal da war, nur mehr dazu diente, einen Pfeil aufzunehmen. Ich kann diese Ansicht nicht teilen; die Beschreibung Forsters ist allerdings sehr zweideutig, da er das Vorhandensein einer zweiten Schnur nicht ausdrücklich feststellt; aber der Wortlaut seines Textes wird nur verständlich, wenn wir neben der eigentlichen Bogenschnur auch eine Verstärkungs-Schnur annehmen. Dann, und nur dann, sind fast die sämtlichen Angaben verständlich und zutreffend. Nur die letzte Angabe Forsters, dass die Sehne niemals straff angezogen zu werden brauchte, ist mir auch jetzt noch unklar. Jeder andere im unbespannten Zustand reflexe Bogen muss erst zurückgebogen und scharf bespannt werden, bevor man den Pfeil ansetzen und schießen kann. Bespannen und spannen (to string and to draw) sind zwei völlig verschiedene Akte. Nach Forsters Beschreibung muss man aber annehmen, dass der Tonga-Bogen auch im entlasteten Zustand bespannt war, und dass die Tonganer es verstanden, die beiden Akte zu vereinen und die Schnur während des Spannens an dem Bogen vorbei zu bringen. Es ist mir nicht bekannt, dass irgendein Volk heute noch so spannt: die Möglichkeit, es zu tun, kann aber nicht in Abrede gestellt werden. Die Schwierigkeit liegt im Wesentlichen nur daran, dass der Bogen bei dieser Prozedur die Neigung hat, sich um seine Längsachse zu drehen, und dass er deshalb ganz besonders festgehalten werden muss. Nach dem Abschnellen des Pfeiles müsste die Sehne dann an dem Bogen und an der den Bogen haltenden Hand vorbei wieder in ihre Ruhelage zurückkehren: wenn Porster ausdrücklich feststellt, dass dabei die Hand des Schützen nicht beschädigt werden konnte, so müssen wir uns vorstellen, dass die Tonganer den Bogen unmittelbar nach dem Freigeben des Pfeiles selbst um seine Achse zu drehen pflegten, in ähnlicher Weise, wie das heute noch von den Japanern gemacht wird.


Ich glaube also gezeigt zu haben, dass der tonganische Bogen noch zur Zeit von Cook regelrecht durch eine dicke Schnur verstärkt war; ich halte es sogar für möglich, dass Moseleys Beschreibung des verstärkten Bogens von Tahiti sich de facto auf den Bogen von Tonga bezieht und nur auf einer Verwechselung beruht. In einer Zeit, in der man dem Unfug huldigte, von den Schiffer-Inseln, von den Sozietät-Inseln und von den Freundschafts-Inseln zu sprechen, wenn man die Samoa-, die Tahiti- und die Tonga-Gruppe meinte, würde ein solches Missverständnis sicher zu entschuldigen sein, ebenso wie auch gerade in unserer Zeit durch das fortwährende willkürliche und ungerechtfertigte Umtaufen im Bereiche des deutschen Kolonial-Besitzes in der Südsee Verwechselungen und Irrtümer entstehen.


Es ist ferner wahrscheinlich, dass es ähnliche, wirklich verstärkte Bogen vor sehr langer Zeit auch in Südamerika gegeben hat. Jedenfalls kennen wir ältere Bogen aus Surinam und Brit.-Guyana, welche im Querschnitt sehr auffallend plankonvex sind, oder statt des flachen Rückens sogar eine leicht konkave Fläche haben. Auf dieser Fläche liegt stets eine Schnur, welche man am ehesten für eine Reserve-Sehne halten könnte: ich möchte aber annehmen, dass ihr gegenwärtiger Zustand nur ein reduzierter ist, dass sie früher viel kräftiger war, und tatsächlich zur Verstärkung des Bogens gedient hat.

Verstärkter Bogen (Bogenschütze)
Verstärkter Bogen aus Schekar am Mac-Cluer-Golf.

Weiter zu Teil 3.

 

Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.