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Zusammengesetzte und verstärkte Bogen Teil 5

Querschnitte durch einen Turkistan-Bogen: a durch die Mitte des Griffes, b durch die Mitte eines der Arme, c durch einen Grat, d durch ein Ohr.
Querschnitte durch einen Turkistan-Bogen: a durch die Mitte des Griffes, b durch die Mitte eines der Arme, c durch einen Grat, d durch ein Ohr.

Ein dritter, gleichfalls zwingender Beweis liegt aber in der Übereinstimmung der Querschnitte. Ich gebe hier eine Reihe von Querschnitten durch einen typischen Turkistan-Bogen (Fig. 7) und bitte, sie mit den Querschnitten der alten vorderasiatischen Bogen zu vergleichen. Ich glaube, dass dieser Vergleich auch wieder allein schon genügen würde, die Frage in dem oben erörterten Sinne zu erledigen.


Dieser völlig gesicherten Lösung steht allerdings eine große scheinbare Schwierigkeit entgegen, das ist die bekannte Stelle über den Pandarus-Bogen, llias, 105 — 111. Diese Stelle wurde bisher so gedeutet, als ob der homerische Bogen aus zwei in der Mitte verbundenen Hörnern von Capra aegagrus bestanden hätte. Nun ist es vom technisch-ethnographischen Standpunkt aus völlig klar, dass ein derartiger Bogen absolut unbrauchbar sein müsste. Natürlich kann man es fertigbringen, zwei Aegagrus-Hörner an einen Handgriff zu stecken und fest mit ihm zu vereinigen, aber niemals würde ein Mensch es fertigbringen, einen so entstandenen Bogen zu spannen. Dafür gibt es einen mathematischen Ausdruck. Die stärksten Bogen, die wir kennen, die der Bugre in Brasilien, haben ein Spanngewicht von 60 kg, ein Self-yew gilt aber schon mit 20 — 25 kg als stark, und die besten japanischen Langbogen, die auch kräftigen Europäern vorzüglich in der Hand liegen, halten sich zwischen 15 und 20 kg. Ein nach der üblichen Auflassung hergestellter Bogen würde aber nach meiner Berechnung ein Spanngewicht von 500—1000 kg haben, also nur mit Hilfe von Maschinen zu spannen sein. Mit den Hörnern gewisser zentralafrikanischer Antilopen und auch der tibetischen Pantholops ließen sich allerdings Bogen mit Spanngewichten von 100—200 kg herstellen, aber auch solche würden nur von Athleten und Giganten zu handhaben sein; außerdem erscheint die Verwendung ausländischer Hörner durch die Sachlage selbst ausgeschlossen.


Die übliche Deutung ist also zweifellos falsch. Tatsächlich steht da auch nicht mehr, als dass der Mann zwei Hörner bearbeitet und zusammengefügt hat; wie er das tat, ist mit keiner Silbe gesagt, und hineinzulesen, er habe die beiden Hörner heil und ganz gelassen und aus ihnen je den oberen und den unteren Arm des Bogens gemacht, dazu scheint mir niemand berechtigt. So interpretieren nur Leute, die keine andere Vorstellung von der Anfertigung eines wirklichen Bogens haben und die ihre naturgemäß und entschuldbar mangelhaften Vorstellungen deshalb mit den unausgesprochenen Homers identifizieren.


Auf Java allerdings gab es, wie nicht verschwiegen werden soll, einen Bogen, der in ähnlicher Art aus zwei in der Mitte verbundenen Hornstäben bestand; aber das war ein bloßer Zeremonial- und Theaterbogen ohne jede praktische Verwendbarkeit. Von dem antiken Bogen wissen wir hingegen, dass er eine Waffe ersten Ranges war. Die großartigen Leistungen der alten Bogenschützen, die sogar dem Löwen entgegentraten, würden mit einem Bogen in der Art des javanischen niemals auch nur annähernd zu erreichen sein. Wohl aber entspricht der Turkistan-Bogen allen Anforderungen, die an den antiken Bogen gestellt wurden; die Leistungen, die mit ihm erreicht werden, sind geradezu bewundernswert und reichen an die einer guten modernen Feuerwaffe heran, sowohl was die Sicherheit des Zielens als die Kraft des Schusses angeht. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass die größte Entfernung, die jemals von einem Bogenschuss in Europa verzeichnet wurde, 1795 von Mahmud Effendi, einem türkischen Legations-Sekretär in London, mit einem kleinen türkischen Bogen erreicht wurde. Sie betrug 482 yards = -440,7 m, also fast das Doppelte von dem, was zur Zeit Shakespeares als eine bemerkenswerte Leistung eines Schützen mit dem britischen Langbogen gefeiert wird und was noch heute als ein ganz unerhört seltener Erfolg eines englischen Kraftschützen gilt. Sultan Selim soll 1798 sogar bis auf eine Entfernung von 972 yards = 888,8 m geschossen haben, was vielleicht noch gegenwärtig am Ok-meidan in Konstantinopel nachgeprüft werden könnte, wo die einzelnen Meisterschüsse dieses kräftigsten Schützen aller Zeiten durch kleine Marmor-Stelen der Nachwelt erhalten wurden. Es würde sicher sehr verdienstvoll sein, wenn einer unserer Landsleute in Konstantinopel sich einmal die Mühe gäbe, die dort festgelegten Entfernungen nachzumessen. Jedenfalls aber handelt es sich hierbei um Leistungen, die ganz allein nur mit einem zusammengesetzten Bogen erreichbar sind und gegen die alles, was mit einem einfachen Bogen geleistet werden kann, sehr weit zurückbleibt.


So finden wir also in Griechenland und in Vorderasien schon seit der homerischen Zeit einen zusammengesetzten Bogen von allergrößter Vollendung in allgemeinem Gebrauch. Leider ist seine Entwicklungsgeschichte uns noch ebenso unbekannt, wie seine ursprüngliche Heimat. Vielleicht stammt er aus Babylonien, vielleicht aus China; persönlich möchte ich annehmen, dass er von einem alten Turk-Stamm erfunden ist, etwa gar von den Sumerern; aber das wird sich vermutlich früher oder später durch weitere Funde, durch Denkmäler oder alte Texte mit einiger Sicherheit feststellen lassen und muss vorläufig offen bleiben. Jedenfalls ist der zusammengesetzte Bogen nur einmal erfunden worden und ist dann durch Übertragung überall dahin gelangt, wo wir ihn jetzt noch finden oder für frühere Zeiten nachweisen können.


Folgen wir seiner Verbreitung zunächst in Asien, so können wir ihn, wie schon eingangs erwähnt, bis nach China verfolgen. In ganz Ostasien führen nur die Ainu noch den einfachen Bogen; ebenso finden wir diesen bei der ältesten Bevölkerungsschicht in Indien, bei den Bhil und ihren Verwandten, ferner in Ceylon bei den Wäddah und ebenso auch auf den Andamanen und bei mehreren nordsibirischen Völkern. Das ist ungemein lehrreich und bezeichnend, denn alle diese Stämme, die allein noch in Asien den einfachen Bogen führen, nehmen auch sonst eine ethnographische Sonderstellung unter ihren Nachbarn ein und sind auch anthropologisch scharf von ihnen getrennt. Über die Beschaffenheit und den feineren Bau der persischen, indischen und chinesischen Bogen verdanken wir H. Balfour wichtige Aufschlüsse; indem ich hier auf seine Arbeit verweise, kann ich mich auf die Feststellung beschränken, dass alle diese Bogen dem Wesen nach völlig mit dem Tuikistan-Bogen übereinstimmen und sich nur in unwesentlichen, man darf wohl sagen lokalen Details von ihm unterscheiden. Um diese rasch beschreiben zu können, muss ich noch einmal auf den typischen Turk-Bogen zurückkommen, den ich, wie oben angedeutet, für die Stammform des zusammengesetzten Bogens halte.


Er besteht also aus einem flachen dünnen Holzkern, der am Rücken einheitlich mit durchgehenden oder sich schuppenartig deckenden Sehnenschichten bekleidet, innen mit zwei Hornstäben belegt ist, die genau in der Mitte des Bogens aneinanderstoßen. Der Holzkern schwillt gegen die Mitte hin rasch und stark an, sowohl um dem Bogen einen guten Griff zu geben, als auch um ihn gerade da möglichst starr und widerstandsfähig zu machen; es ist ja selbstverständlich, dass ein Bogen in der Mitte so gut wie unbeweglich sein muss. Gegen das Ende der flachen und fast geraden biegsamen "Arme" ist der Holzkern gespalten, um die scharf umgeknickten "Grate" aufzunehmen, die beim Spannen besonders in Anspruch genommen werden, daher sehr fest sein müssen und mit einem langen Ende in die gespaltenen Arme eingekeilt sind. Oben gibt a einen Querschnitt durch die Mitte des Bogens, b durch einen "Arm", c durch den Grat, d durch das Ende. Das Holz in a und b gehört also demselben Stück an, das in c und d dem "Graf und dem "Ohr". Den Übergang zwischen b und c veranschaulicht der Querschnitt, wo das mittlere Holz dem Grat angehört, die seitlichen Stücke den gespaltenen Enden der Bogenarme.


Weiter zu Teil 6.

 

Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.

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