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Sichelartige Hau-Messer aus Kärnten und aus Lykien (Kleinasien)

sichelartigel Haumesser, sogenannte Laubmesser
sichelartigel Haumesser, sogenannte Laubmesser

von Felix von Luschan

 

Das unter Fig. 3 abgebildete Stück ist typisch für ein Gerät, das gegenwärtig in Kärnten sehr verbreitet ist. Es dient zum Abhacken von Zweigen und Ästen, sowohl bei den gewöhnlichen Waldarbeiten als auch ganz besonders zum „Schnatteln“ der Bäume für die Gewinnung von Stallstreu. Der gebirgigen Natur des Landes entsprechend, überwiegt nämlich in Kärnten die Viehzucht weit über den Ackerbau, und Stroh kann daher nur ausnahmsweise als Stallstreu Verwendung finden. Die Leute ersetzen es durch Baumzweige, wobei sie in der Wahl des Baumes nicht wählerisch sind und alles abschnatteln, was ihnen überhaupt nur irgendwie per fas et nefas [auf jede Weise] erreichbar ist.

 

Begreiflicher Weise verdirbt dieses Verfahren nicht nur das Holz, sondern beeinflusst auch den Habitus der Bäume, sodass der Kundige schon aus dem Charakter der einzelnen Bäume erkennt, ob in einer bestimmten Landschaft regelmäßig geschnattelt wird, während ich andererseits oft gesehen habe, dass fremde Botaniker, denen diese Sitte unbekannt war, sich über den eigenartigen Habitus einzelner Bäume verwunderten.

 

Zu diesem „Schnatteln“ nun wird in Kärnten fast niemals ein gewöhnliches Beil verwendet, sondern immer das hier in Fig. 3 abgebildete sichelartige Haumesser. Es wird unter dem Namen „Laubmesser“ überall von den einzelnen Dorfschmieden hergestellt und, soviel ich weiß, nirgends fabrikmäßig erzeugt. Die ganze Innenseite ist verstählt und scharf geschliffen, der Rücken ist 6 mm dick, bei sehr schweren starken Stücken wohl auch etwas stärker. Die Handhabe wird dadurch hergestellt, dass das Griffende flach gehämmert und dann rund eingebogen wird. Das ganze Werkzeug liegt prächtig in der Hand und gestattet das Abhacken von selbst 3 und 4 cm dicken Ästen ohne jedwede Anstrengung.

 

Sehr zweckmäßig ist auch die Anbringung eines kleinen Aststückes im Innern des Griffes, das, wie die Abbildung zeigt, so eingekeilt ist, dass es oben ein klein wenig aus der Tülle vorsieht und etwas von der Klinge absteht. Es bildet so einen Haken, an dem das ganze Gerät, wenn es nicht gebraucht wird, in den Gürtel eingehakt werden kann und so völlig sicher und mühelos getragen wird, wobei es, besonders beim Bergsteigen und Baum-Klettern, beide Hände freilässt. Das hier abgebildete Stück stammt aus einer Werkstatt in Millstatt und hat als Marke die in ein Herz eingeschriebenen Buchstaben KS und drei Sterne. Es ist 1898 gefertigt und noch so gut wie unbenutzt.

 

Fig. 1 zeigt ein ähnliches Stück aus einem Bauernhof am Mirnock, in der Nähe von Millstatt. Es ist sehr stark abgenutzt und scheint, nach den Angaben sachverständiger Schmiede, noch aus dem 18. Jahrhundert zu sein. Es ist durch seine schönen eingestanzten Verzierungen bemerkenswert, war im Übrigen aber ursprünglich dem neuen Millstätter Stück ganz ähnlich gewesen, und sieht jetzt nur durch die starke Abnutzung etwas anders aus.

 

Hingegen ist in Fig. 2 ein solches Stück abgebildet, das aus Lykien stammt. Überall dort in den Gebirgsdörfern habe ich dieses Gerät in Gebrauch gefunden, genau zu demselben Zweck, für den es in Kärnten gebraucht wird. Die Ähnlichkeit der Form ist höchst überraschend und noch mehr die Tatsache, dass diese Stücke dort genau wie in Kärnten an einem kleinen eingekeiltem Holzhaken im Gürtel eingehängt getragen werden.

 

Ich stelle diese beiden gleichartigen Geräte aus Kärnten und aus Lykien einfach einander gegenüber, ohne mich in eine weitere Untersuchung darüber einzulassen, ob wir es hier mit selbständigen Erfindungen oder mit einer direkten Übertragung zu tun haben. Für die Möglichkeit der letzteren würde jedenfalls sprechen, dass wir überall in den Alpenländern einen großen Prozentsatz von extrem hoch- und kurzköpfigen Leuten antreffen, welche von der Urbevölkerung Vorderasiens anatomisch nicht zu trennen sind. Außerdem scheint es sich mehr und mehr zu bestätigen, dass auch die Brachyceros-Rasse der Alpen mit dem echten vorderasiatischen Rind übereinstimmt.

 

Der besonderen Güte des Hrn. Dr. Seier verdanke ich die Möglichkeit, hier in Fig. 4 noch ein verwandtes Gerät abzubilden, das er aus Mexiko gebracht hat. So wie es hier erscheint, hat es eine höchst schlagende Ähnlichkeit mit den kärntnerischen Stücken; es wird aber nicht in der freien Hand gehalten, sondern an einem langen Holzstiel, und ist so am meisten den langen Bananen-Messern zu vergleichen, die wir von den Konde kennen. Immerhin würde auch eine direkte Übertragung eines Gerätes aus dem Orient nach dem spanischen Amerika durchaus nicht ohne Analogie sein; Spanien verdankt ja doch überhaupt fast seine ganze moderne Kultur dem Orient, und man braucht nur ein spanisches Wörterbuch aufzuschlagen, um auf jeder Seite sprechende Beweise für den arabischen Einfluss auf die spanische Kultur zu finden; so ist alameda = el meidan, patio = el fateh, azotea = es stah, azulejos = ezeleidsch usw.

 

Natürlich sind alle diese in Spanien eingeführten orientalischen Kulturelemente von den Spaniern auch nach Amerika überbracht worden, und so kommt es, dass wir überall im heute spanisch sprechenden Amerika eine große Menge auch von ethnographischen Eigenheiten vorfinden, die zweifellos aus dem Orient stammen. In besonders schlagender und überzeugender Weise lässt sich das an dem Reit- und Zaumzeug nachweisen, das sogar noch in Patagonien seinen orientalischen Ursprung nicht verleugnet.

 

Hr. Rudolf Virchow erwähnt, dass derartige Messer in Wälsch-Tirol unter dem Namen "Weinberg-Messer" allgemein bekannt sind und auf den Märkten zum Kauf gestellt werden.

 

Hr. Ed. Seler bemerkt, dass solche Messer in Mexiko als "Wald-Messer" in Gebrauch sind.

 

Quelle: Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.


 

 

 

 

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