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Die chinesische Repetierarmbrust

Hier haben wir sicherlich die kurioseste aller Waffen, die ich beschrieben habe. Obwohl die Repetierarmbrust so alt ist, dass man nicht weiß, wann sie eingeführt wurde, wurde sie bis ins 19. Jahrhundert von chinesischen Soldaten in den entlegeneren Gebieten ihres Reiches getragen. Im Krieg zwischen China und Japan (1894-95) war die Repetierarmbrust häufig bei den Truppen zu sehen, die aus dem Inneren des erstgenannten Landes kamen. Das Interessante und Einzigartige an dieser Armbrust ist ihr Repetiermechanismus, der trotz seiner groben Einfachheit perfekt funktioniert und es dem Armbrustschützen ermöglicht, zehn Pfeile in fünfzehn Sekunden abzuschießen.


Als Bögen und Armbrüste, die jeweils einen Pfeil abfeuerten, die üblichen Waffen der Chinesen waren, war die Repetierarmbrust wahrscheinlich sehr effektiv, um den Ansturm eines Feindes im offenen Gelände zu stoppen oder befestigte Stellungen zu verteidigen.
So konnten beispielsweise hundert Männer mit Repetierarmbrüsten in einer Viertelminute tausend Pfeile in die Reihen des Gegners schießen. Hundert Mann mit Bögen oder gewöhnlichen Armbrüsten, die nur einen Pfeil pro Schuss abfeuern, können dagegen in fünfzehn Sekunden nicht mehr als zweihundert Pfeile verschießen.


Die Wirkung eines kontinuierlichen Stroms von tausend Pfeilen, die in einer so kurzen Zeitspanne wie fünfzehn Sekunden in eine Menge von Angreifern fliegen, wäre natürlich unendlich größer als die von nur zweihundert Pfeilen in der gleichen Zeit, zumal die Pfeile der östlichen Völker oft mit Gift beschmiert waren.


Der kleine und leichte Pfeil der hier beschriebenen, vergleichsweise schwachen chinesischen Armbrust hatte wenig Durchschlagskraft. Aus diesem Grund wurde die Pfeilspitze manchmal in Gift getaucht, damit eine leichte Wunde tödlich sein konnte. Die Wucht des schweren Bolzens der mittelalterlichen europäischen Armbrust, die einen dicken Stahlbogen hatte, reichte aus, um Leben zu zerstören, ohne dass ein so grausames Hilfsmittel wie Gift eingesetzt wurde.

Abb. 171. Seitenansicht der chinesischen Repetierarmbrust.
Abb. 171. Seitenansicht der chinesischen Repetierarmbrust.

Die Konstruktion der chinesischen Repetierarmbrust, Abb. 171
A. Das Magazin, in das die zehn oder zwölf kleinen Pfeile gelegt werden (einer über den anderen), wenn die Waffe einsatzbereit ist.
B. Der Schaft, in dem der Bambusbogen befestigt ist.
C. Der Hebel, der die Armbrust betätigt. Der Hebel ist mit Metallstiften am Schaft der Armbrust und an ihrem Magazin befestigt, Abb. 174.
E. Das Holzstück, in dessen Oberseite eine Rinne geschnitten ist, in der ein Pfeil ruhen kann, und das auch eine Kerbe hat, um die Bogensehne zu halten.
Dieses Stück ist am Magazin befestigt und bildet den unteren Teil desselben.

Abb. 172. Oberflächenansicht der chinesischen Repetierarmbrust, die die Öffnung an der Spitze des Magazins zeigt.
Abb. 172. Oberflächenansicht der chinesischen Repetierarmbrust, die die Öffnung an der Spitze des Magazins zeigt.

Wie man die Armbrust bedient
Durch Vorschieben des Magazins mittels des Hebels wird die Bogensehne automatisch in der Kerbe über dem Abzug (A, Abb. 174) gefangen. In dem Augenblick, in dem die Bogensehne auf diese Weise gesichert ist, fällt ein Pfeil aus dem Magazin in die vor der Kerbe ausgeschnittene Rinne. Ein Pfeil kann erst dann aus dem Magazin in die Rinne fallen, wenn die Bogensehne in der Kerbe liegt.


Der Abzug besteht aus einem kleinen Stück Hartholz. Wenn der Hebel ganz zurückgezogen wird, drückt der Abzug die gespannte Bogensehne nach oben aus der Kerbe, die sie hält, B, Abb. 174. Der Abzug funktioniert in einem aufrechten Schlitz. Sein oberes Ende ist vergrößert, um zu verhindern, dass er aus dem Schlitz, in dem er sich auf und ab bewegt, herausfällt, Abb. 173.

Abb. 173. Die Wirkung des Abzugs der chinesischen Repetierarmbrust. B, Die Bogensehne in der Kerbe über dem Abzug; D, Ein Pfeil in der Rinne vor der Bogensehne; E, Das Magazin, das den Vorrat an Pfeilen enthält.
Abb. 173. Die Wirkung des Abzugs der chinesischen Repetierarmbrust. B, Die Bogensehne in der Kerbe über dem Abzug; D, Ein Pfeil in der Rinne vor der Bogensehne; E, Das Magazin, das den Vorrat an Pfeilen enthält.

B, Abb. 174. Hier wird der Hebel zurückgezogen, sodass der Bogen gebogen und die Sehne gespannt wird. Zieht man den Hebel ein wenig weiter zurück als in dieser Skizze gezeigt, wird das vorstehende Ende des Abzugs gegen die Oberfläche des Armbrustschaftes gedrückt. Dadurch hebt das obere Ende des Abzugs die Bogensehne aus der Kerbe und gibt sie frei. Der Pfeil wird dann entladen und die Armbrust kehrt in die in Abb. 171 gezeigte Position zurück und ist bereit für den nächsten Schuss. Aus dieser Beschreibung wird ersichtlich, wie einfach und schnell die Armbrust funktioniert. Alles, was getan werden muss, um die im Magazin enthaltenen Pfeile abzuschießen, ist, den Hebel so langsam oder so schnell wie gewünscht hin und her zu bewegen. Es ist sogar möglich, ein Dutzend Pfeile in fünfzehn Sekunden abzuschießen.

Abb. 174. Die Funktionsweise der chinesischen Repetierarmbrust. A. Das mit Pfeilen gefüllte Magazin, das durch den Hebel nach vorne geschoben wird. Die Bogensehne ist in der Kerbe über dem Abzug eingeklemmt.
Abb. 174. Die Funktionsweise der chinesischen Repetierarmbrust. A. Das mit Pfeilen gefüllte Magazin, das durch den Hebel nach vorne geschoben wird. Die Bogensehne ist in der Kerbe über dem Abzug eingeklemmt.
B. Die Armbrust kurz vor dem Abschuss. Der Abzug, dessen unteres Ende durch die Wirkung des Hebels gegen die Oberfläche des Schaftes gedrückt wird, hebt die Bogensehne aus der Kerbe.
B. Die Armbrust kurz vor dem Abschuss. Der Abzug, dessen unteres Ende durch die Wirkung des Hebels gegen die Oberfläche des Schaftes gedrückt wird, hebt die Bogensehne aus der Kerbe.

Durch eine geringfügige Änderung in der Konstruktion der Armbrust wurde sie manchmal dazu gebracht, bei jedem Rückstoß des Bogens zwei Pfeile statt einem abzuschießen.


In einem solchen Fall waren das Magazin und der Schaft etwa 1,9 cm breiter als bei der eben beschriebenen Waffe. Das Magazin hatte in der Mitte eine dünne Trennwand, die es in zwei Fächer teilte. Auf jeder Seite der mittleren Trennwand wurden ein Dutzend Pfeile übereinander gelegt. Die Bogensehne verlief über zwei parallele Rillen statt über eine einzige, wobei sich jede Rille natürlich genau unter einem Fach des Magazins befand. Wenn der Hebel betätigt wurde, fielen zwei Pfeile aus dem Magazin und blieben nebeneinander liegen, einer in jeder Rille, wobei beide Pfeile beim Loslassen der Bogensehne zusammen verschossen wurden.


Auf diese Weise konnten hundert Mann in fünfzehn Sekunden zweitausend Pfeile abschießen, also doppelt so viele wie mit einer gewöhnlichen Repetierarmbrust in der gleichen Zeit.


Die effektive Reichweite dieser chinesischen Waffen betrug etwa 73 Meter, ihre äußerste Reichweite lag bei 160 bis 180 Metern. Die Bambuspfeile waren zwar kurz und leicht, aber gut verarbeitet und hatten Stahlköpfe, die im Verhältnis zur Schaftlänge schwer waren. Sie hatten keine Federn, damit ihre Bewegungsfreiheit nicht beeinträchtigt wurde, wenn sie beim Gebrauch der Armbrust einer nach dem anderen aus dem Magazin fielen.


Aus demselben Grund war die Breite des Magazins - innen - etwas größer als der Durchmesser des Pfeils.Die Länge des Pfeils betrug je nach Größe der Armbrust zwischen 30 und 40 cm, der Durchmesser zwischen 0,8 cm und 1 cm.Der Bogen wurde entweder aus einem kräftigen Stück männlichen Bambus, etwa 107 cm lang, oder aus mehreren flachen, zusammengebundenen Streifen hergestellt. In letzterem Fall wurde die Bogensehne durch ein Loch an jedem Ende des Bogens geführt, Abb. 174. Die Bogensehne bestand aus einer Tiersehne, die zu einer Sehne von angemessener Stärke verdreht war.

Abb. 175. Das Magazin der chinesischen Repetierarmbrust (mit entfernten Seitenteilen). Wie man sieht, kann ein Pfeil erst dann aus dem Magazin in die Rinne fallen, in der die Bogensehne läuft, wenn sich diese in der Kerbe über dem Abzug befindet.
Abb. 175. Das Magazin der chinesischen Repetierarmbrust (mit entfernten Seitenteilen). Wie man sieht, kann ein Pfeil erst dann aus dem Magazin in die Rinne fallen, in der die Bogensehne läuft, wenn sich diese in der Kerbe über dem Abzug befindet.

Quelle: Die mittelalterliche und moderne Armbrust. Autor: Ralph Payne-Gallwey.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Lawrence (Donnerstag, 28 Dezember 2023 21:15)

    Hallo ich habe hier einige schussfähige historische Exemplare gesehen die sehr schwere pfeile geschossen haben. Zwar nur auf eine kurze strecke aber immerhin. Die größten waren wohl zuerst fest montiert oder aufgebockt mittelgroße wurden über den Bauch mit zwei Händen gespannt. Ich glaube bei diesen Varianten war kein Gift notwendig.

  • #2

    Lawrence (Donnerstag, 28 Dezember 2023 21:16)

    Kleiner Nachtrag: mit hier meine ich China. Ich lebe seit einigen Jahren hier und das Reenactment steckt zwar noch in den Kinderschuhen aber es werden zunehmend mehr Rüstungen etc. rekonstruiert anhand alter Manuskripte und Bildtafeln.