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Die Feuerwaffen

Wie wir in der Darstellung der Entwicklung des Waffenwesens bereits auseinandergesetzt haben, währte es Jahrhunderte, bis die seit langer Zeit bekannte Sprengkraft des Schießpulvers für Kriegszwecke ausgenutzt wurde und der gegen das Feuergewehr gerichtete tiefe Widerwille des Kriegers, der bislang mit seiner Körperkraft und seiner Gewandtheit für sich selbst wie ein Held einstand, durch die Macht der Tatsachen überwunden worden war.

 

Die Entdeckung der explosiven Kraft des Pulvers hatte zunächst keine Bewunderer gefunden und die Kunde von ihr sich scheu in die Gelehrtenstuben, in die Mönchszellen zurückgezogen, wo sie als Geheimnis der Alchimisten bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts bewahrt blieb. Es ist bezeichnend, dass es kein abendländisches Volk war, dass das Schießpulver in Europa zuerst für Kriegszwecke verwendete, sondern ein asiatisches: die Tartaren, deren Begriff vom Heldentum wesentlich anders als die abendländischen geartet waren. Im Gefühl ihrer Schwäche sahen sie sich veranlasst, das Missverhältnis der Kräfte durch eine wesentliche Verstärkung der Waffenwirkung auszugleichen und gaben so, ohne es zu wollen, den Anstoß zu dem ungeheuren Umschwung in der Kriegführung, der noch zur Stunde nicht an seinem Zielpunkt angelangt ist. Genau dieselbe widerwillige Empfindung hatte einst der Bogen und später die Armbrust zu überwinden gehabt; auch sie stehen im Widerspruch mit dem Begriff des persönlichen Heldentums, der bei dem Adel des Mittelalters geltenden Ritterlichkeit. Indes waren die Vorzüge der neuen Kampfmittel für den Schwachen, ebenso wie für den Eroberer zu verführerisch, als dass nicht allmählich die alten Grundsätze preisgegeben worden wären, wenn es galt, die Existenz zu retten oder einem feindlichen Nachbarn den eigenen Willen aufzuzwingen.

 

Man führt als eins der frühesten Beispiele der Anwendung von Geschützen den Krieg von Chioggia (1381) an. Nun kennen wir aber ein Senatsdekret von Venedig von 1324, also weit vor diesem Krieg datierend, mit welchem die Regierung den Gonfaloniere und die 12 Vertrauensmänner beauftragt, cannoni und „eiserne“ Kugeln zur Verteidigung der Stadt anfertigen zu lassen1.

 

Die technische Entwicklung der Feuerwaffe in ihren ersten Stadien ist bis jetzt noch nicht genügend festgestellt, doch deuten die kurzen Angaben der Chronisten darauf hin, dass die ersten Feuerwaffen als schwerfällige Maschinen auftraten, die den Bewegungen des Heeres im Krieg nur langsam und mit vielen Anstrengungen zu folgen vermochten, also als Positionswaffen anzusehen waren.

 

Wir unterscheiden in der Waffenlehre zweierlei Kategorien von Feuerwaffen. Das Geschütz, welches auf dem Boden ruhend, von Menschen- oder Pferdekräften bewegt wird, und die Handfeuerwaffe, welche von einem Schützen allein getragen und bedient wird.

 

Aus den Nachrichten der Chronisten ergibt sich, dass erst allgemach mit der Entwicklung der Technik und Kriegskunst die Feuerwaffe beweglicher, handsamer, leichter gemacht wurde, bis man dahin gelangte, ihre Bewegung und Bedienung auch der Kraft eines einzelnen Kriegers zuzumuten. Dieser Weg wurde aber, als sich die Erfindung endlich Bahn gebrochen hatte, in verhältnismäßig schneller Zeit zurückgelegt. Die erste Nachricht vom Gebrauch des Schießpulvers durch die Tartaren unter Babu Chan bei Liegnitz gegen die Polen und Schlesier fällt in das Jahr 1241. Und schon um 1320 besaß jede größere Stadt Geschütze, um 1350 selbst gegossene. Um 1360 finden wir bereits „spannenlange“ Handbüchsen, ja 1380 solche aus Bronze gegossen. Die ersten Geschütze waren aus Eisen, über den Dorn geschmiedet und bestanden aus mehreren Lagen. Die erste Lage bestand aus einer mäßig dicken Eisenplatte, welche um den Dorn gebogen und zu einer Röhre verschweißt wurde. Dann kam gewöhnlich darüber eine der Länge nach angeordnete Lage Langschienen, welche mittels einer Reihe von in glühendem Zustand darüber gezogenen Ringen gehalten wurden. So schwerfällig die ersten Geschütze auch waren, so besaßen sie doch nur eine mäßige Größe. Erst am Ende des 14. Jahrhunderts suchte man sich in der Ausdehnung der Rohre zu überbieten. Es ist eine noch ungelöste Frage, ob die ersten Geschütze schon für den direkten Schuss gedient haben; es klingt wahrscheinlicher, dass sie anfänglich nur für den Wurf eingerichtet waren. Das Geschossmaterial bestand in den ersten Zeiten aus natürlichen großen Feldsteinen, später, um die Mitte des 14. Jahrhunderts, bediente man sich kugelförmig zugemeißelter Bruchsteine, für kleinere Kaliber auch eiserner Kugeln, die natürlich nicht gegossen, sondern geschmiedet waren. Mit diesem Zeitpunkt erst beginnt eine wenn auch anfangs noch systemlose Bestimmung der Lichtendimension des Rohres, des Kalibers, üblich zu werden. (Fig. 511.)

 

Obwohl die erste Nachricht von ihrer Verwendung aus dem Osten Europas zu uns dringt, nahm die Feuerwaffe dennoch ihren Weg über den Kontinent von Spanien aus, wo sie in bereits entwickelterer Form und allgemeiner bei den Mauren in Gebrauch war. Langsam verbreitete sie sich über Frankreich und England, wo die Traditionen der Ritterschaft noch zu lebhaft waren, aber rasch über Italien, das, bewohnt von einer Handel treibenden Nation, den Utilitätsprinzipien zugänglicher erschien.

 

1Gelcich, G., Die Erzgiesser der Republik Ragusa. Mitt. der k. k. Zentr.Kommission, 1890.

 

Fig. 511. Bombarde, sogenanntes Hauptstück, aus Eisen, genannt die „tolle Grete“, in Gent. 14. Jahrhundert. Nach Müller-Mothes, Archäologisches Wörterbuch.

Fig. 511. Bombarde, sogenanntes Hauptstück, aus Eisen, genannt die „tolle Grete“, in Gent. 14. Jahrhundert. Nach Müller-Mothes, Archäologisches Wörterbuch.

 

Um 1360 erhält das große Geschütz eine bestimmte Bezeichnung. Bisher hatten die Feuergeschütze vielerlei willkürlich gewählte Namen, als Feuermaschinen und dergleichen. In den Rechnungen von Valenciennes vom Jahr 1363 werden die Stadtgeschütze bombardes de la ville benannt. Unzweifelhaft stammt der Name aus Italien und hat seine Ableitung von dem griechischen Wort bombos (βόμβος), was so viel als Brummer bedeutet. Den Namen Bombarden behalten sie in Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden bis ans Ende des 15. Jahrhunderts; nur in Deutschland ist von der ältesten Zeit an die Bezeichnung Büchse üblich, die mit verschiedenen Variationen selbst noch bis ins 17. Jahrhundert wenigstens als allgemeinen Begriff beibehalten wird. Kleinere Bombarden erscheinen in Frankreich unter dem Namen bombardelles, aber schon um 1300 auch als canons, ein Wort, das sich gewiss von canne, Rohr, ableitet und ursprünglich sich auf alle kleineren Kaliber bis zur Handfeuerwaffe bezog. Für das schwere Wurfgeschütz, den Mörser, kommt am Ende des 15. Jahrhunderts die Bezeichnung mortier in Aufnahme.

 

Der Name Artillerie erscheint in Burgund und Frankreich schon im 14. Jahrhundert für das Geschützwesen, gleichviel ob hierbei Wurfmaschinen oder Pulvergeschütze in Gebrauch kamen. Allgemeiner wird der Ausdruck erst im 15. Jahrhundert, nach Deutschland gelangt er verstümmelt in vermutlich unrichtiger Ableitung von arco, der Bogen. Bogen- und Armbrustmacher erscheinen unter der Bezeichnung Artilleurs (Künstler), so Jean l’Artilleur, der Bogenmacher in Brüssel 1400. Später wurde das gesamte Schießwesen unter dem Begriff Artillerie zusammengefasst, schließlich aber dieser Begriff nur auf das Geschützwesen allein bezogen. Alle übrigen Bezeichnungen im Deutschen, wie Arkelei, Arcolei etc., beruhen auf schlechter Schreibweise und Verkrüppelung dieses Wortes.

 

Fig. 512. Belagerungsgeschütz in Stellung, mit Blende. 14. Jahrhundert. Nach Froissard.

Fig. 512. Belagerungsgeschütz in Stellung, mit Blende. 14. Jahrhundert. Nach Froissard.

 

Schon um 1305 geschieht der „Kanone aus Metall“ in Italien Erwähnung, doch treten in Deutschland gegossene Geschütze von größerem Kaliber in bedeutenderer Zahl erst am Ende des 14. Jahrhunderts auf. Diese waren nicht gebohrt, d. h. das Rohr ging vollkommen fertig aus dem Guss hervor. Mit Zunahme der Fertigkeit bemühte man sich, immer größere Geschütze zu gießen; so entstanden die größten, „Hauptstücke“ genannten Geschütze. Daneben aber wurden noch bis ans Ende des 15. Jahrhunderts Geschütze von geringerem Kaliber und größerer Rohrlänge aus Eisen geschmiedet.

 

Die den Hauptbüchsen in der Größe zunächst stehenden Geschütze wurden Metzen, Scharfmetzen (scharpffmetzen) genannt. Der rohe Söldnerwitz personifizierte die plumpe Waffe und verglich sie mit einem weiblichen Wesen. Der Ideengang dabei ist spezifisch oberdeutsch. Die Bezeichnung selbst aber dürfte sich aus dem Italienischen „mezza-bombarda“ herleiten.

 

Wie uns die vorhandenen alten Feuerwerksbücher belehren, war im 14. Jahrhundert bereits das Streben nach Verbesserung des Geschützwesens in technisch-konstruktiver Beziehung, wie nach der pyrotechnischen Seite hin nicht geringer als heutzutage inmitten des Zeitalters der Erfindungen. Von allem Anfang an jagte ein Projekt das andere, suchte der eine Büchsenmeister den anderen zu überbieten.

 

Fig. 513. Viertelbüchse in Lade und Bank. 15. Jahrhundert. Nach Dolleczek, Geschichte der österreichischen Artillerie.

Fig. 513. Viertelbüchse in Lade und Bank. 15. Jahrhundert. Nach Dolleczek, Geschichte der österreichischen Artillerie.

 

Dadurch entstanden in den verschiedenen Ländern die mannigfachsten und auch sonderbarsten Geschützformen, sodass es schwierig wird, in das Chaos ein System zu bringen, umso mehr, als diese unter zahllosen Namen auftauchen.

 

Die Bombarde oder pumhart, wie sie zuerst in deutschen Ländern genannt wurde, entbehrte anfänglich jeglicher Lafettierung. Sie wurde einfach auf schwere Kanthölzer gelagert, nach Möglichkeit gerichtet und nach langwierigem Laden abgefeuert. Dabei stellte sich der bedeutende Übelstand des Rückstoßes heraus, der meist das Rohr gänzlich aus seinem Lager warf. Man suchte ihn zwar durch rückwärts in die Erde gegrabene starke Balken zu beheben, aber das gelang nur in geringem Maß, da, wie auch die Nürnberger Chronik berichtet, diese Balken (Preller) alle drei bis vier Tage erneuert werden mussten. Einzelne Büchsenmeister versenkten das Rohr darum bis zur Hälfte des Querschnittes in die Erde. Bei Belagerungen wurde das Rohr den Augen des Feindes durch eine Bretterwand (Schirm) entzogen, die erst beim Schuss aufgezogen wurde. (Fig. 512.)

 

Erst im Anfang des 15. Jahrhunderts wird das Rohr in einem ausgehöhlten Balken (Lade) gelagert, der rückwärts einen schräg nach abwärts gerichteten Fortsatz besaß, um den Rückstoß nach abwärts zu lenken. Vorne war der Balken auf einen niederen Bock (Bank) gelagert. Das war der erste Schritt zur Bildung der Lafette mit dem schief nach abwärts gerichtetem Protzstock, der mit seinem rückwärtigen Ende auf dem Boden ruht (Fig. 513). Im 17. Jahrhundert waren die Rohre noch sehr niedrig gelagert und die Protzstöcke hatten bei geringem Lafettenwinkel eine große Länge. Nach ihrer Konstruktion unterscheidet man Wandlafetten von Blocklafetten. Erstere bestehen aus zwei parallelen Wänden, welche durch Riegel verbunden sind; letztere aus einem keilförmig, rückwärts verlaufenden Holzklotz. Die Wandlafette entstand aus der sogenannten Gabellafette; sie wird bereits von Martin Merz um 1490 angewendet und ist speziell in Deutschland in Gebrauch gestanden, während in Frankreich und Italien vorzugsweise die Blocklafette zur Anwendung gelangte. Auf den Galeeren ruhte das gröbere Geschütz in Laden, die auf vier Blockrädern sich bewegten. Hier wurde der Rückstoß durch die Hemmseile gemildert, die an den Ringen der Bordwände befestigt waren. Kleinere Rohre ruhten in Gabeln, sogenannten Drehbassen. Für die Lafettierung der Marine war in den meisten Staaten das venezianische System maßgebend.

 

Die ersten Geschütze bestanden, wie erwähnt, aus Schmiedeeisen, aber schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begann man sie aus Bronze zu gießen. 1346 fertigte der Zinngießer Peter von Brügge zu Turnay ein kleines Bronzegeschütz für zweipfündige Bleikugeln, 1370 (1372?) Peter von Aarau zu Augsburg 20 Bronzegeschütze. In Venedig wurde der Geschützguss 1376 durch einen Deutschen eingeführt. Die dortige Gießerei war lange Zeit die einzige in Italien1.

 

1Gelcich l. C.

 

Fig. 514. Lotbüchse (Schiffsschlange) aus geschmiedetem Eisen, 15. Jahrhundert. K. u. k. Heeresmuseum in Wien.

Fig. 514. Lotbüchse (Schiffsschlange) aus geschmiedetem Eisen, 15. Jahrhundert. K. u. k. Heeresmuseum in Wien.

 

Der Wurf oder das Schleudern von Steinhagel erschien bald zu unsicher und effektarm. Man suchte die Bombarde kleiner herzustellen, um weniger Steine, aber mit mehr Sicherheit zu werfen. Dadurch entstand die Haufnitz, ein handsames Geschütz, das noch in den Burgunderkriegen mit Vorteil verwendet wurde1. Eine wünschenswerte Trefffähigkeit wurde aber erst erreicht, als man anfing, Stein- oder Eisenkugeln aus Rohren zu schießen, welche in der Rohrwandung einen nur geringen Spielraum fanden. Hand in Hand mit dieser Verbesserung ging das Bestreben, die Rohre zu verlängern in dem Glauben, dass die Tragweite mit deren Verlängerung zunehme. Damit tritt eine neue Geschützgattung auf, die sogenannte Schlange, in Frankreich couleuvrine, in Italien serpentina, in Spanien culebrina genannt. Sie erschien schon um 1400. Aus der kleineren Art wurden auch Bleikugeln geschossen. (Fig. 514.) Waren die Bombarden als das schwere Geschütz zu betrachten, so bildeten die Schlangen in verschiedenen Größen das leichte Feldgeschütz. Mit ihnen gelangte der direkte Schuss zur Geltung, man fand sie sehr brauchbar und erzeugte sie darum auch in so kleinen Dimensionen, dass sie von einem Mann getragen und bedient werden konnten. Diese Art nannte man Handschlangen und sie sind im Hinblick auf ihren allgemeinen Gebrauch als die ersten Handfeuerwaffen des Fußvolkes zu betrachten. Schon um 1420 treffen wir die Schlange als kleines Feldgeschütz, als Hinterlader mit einer einzulegenden Ladekammer, welche rückwärts verkeilt wurde.

 

Die Schlangen sind zumeist aus Eisen und mit aufgezogenen Ringen verstärkt, nur kleine Handschlangen wurden im 15. Jahrhundert in Bronze gegossen. Erst am Ende des 15. Jahrhunderts erscheinen gegossene Schlangengeschütze; die schönsten stammen aus Venedig2.

 

Zum Angriff auf feste Plätze erwiesen sich auch die Bombarden und Hauptbüchsen zu schwach, der Steinhagel erwies sich als zerstreut und darum wenig wirksam. Man suchte die Triebkraft zu vergrößern und die Steinladung zu vermehren. Aus diesem Streben entstand der Mörser mit weitem Flug und kleiner angeschmiedeter Kammer. Der älteste und größte dieser Gattung, der große „pumhart“ von Steyr von etwa 1380, befindet sich im k. u. k. Heeresmuseum zu Wien. (Fig. 515.)

 

Aus dieser übersichtlichen Darstellung ist zu ersehen, dass um 1450 bereits die Elemente für ein geordnetes Geschützsystem vorhanden waren, wie sie sich aus der Praxis von selbst ergaben. Eine Regelung des Geschützwesens erfolgte erst am Beginn des 16. Jahrhunderts, sie nahm ihre Wege gleichzeitig von Deutschland und von Italien aus.

 

1Der Name deutet auf slavischen Ursprung; es ist damit die erneut wieder auftretende Behauptung, dass die ersten Haufnitzen im Heer der Hussiten angewendet wurden, von vieler Wahrscheinlichkeit begleitet. Tatsächlich stammt der Ruhm Böhmens, die geschicktesten Artilleristen zu besitzen, aus den Hussitenkriegen her.

2Aus dem italienischen Serpentinelle entstand im 16. Jahrhundert in den deutschen Heeren das Wort Scharfentindl, was gleichfalls kleine Schlange, eine sogenannte Viertelschlange, bezeichnet.

 

Fig. 515. Der große Steinmörser aus geschmiedetem Eisen mit 88,2 cm Durchmesser, bekannt unter dem Namen: „Der große Pumhart von Steyr“. Um 1350. K. u. k. Heeresmuseum in Wien. Nach Dolleczek.

 Fig. 515. Der große Steinmörser aus geschmiedetem Eisen mit 88,2 cm Durchmesser, bekannt unter dem Namen: „Der große Pumhart von Steyr“. Um 1350. K. u. k. Heeresmuseum in Wien. Nach Dolleczek.

 

Die ältesten Feuerwerksbücher, die zahlreich unter den alten Büchsenmeistern in Abschriften verbreitet waren, beschäftigen sich gelegentlich mit Vorrichtungen, eine größere Feuergeschwindigkeit zu erzielen. Viele der vorgeschlagenen Mittel sind unausführbare Projekte, wie das Ellenbogengeschütz u. a. Doch findet man auch zahlreiche anwendbare Konstruktionen, die auch gewiss praktisch verwertet wurden. Dazu sind die auf drehbaren Scheiben ruhenden kurzen Rohre, die zwei- und dreifachen Rohre, die auf vertikalen Rädern angeordneten Poller u. a. zu zählen. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts treten die Orgelgeschütze auf, die noch unter Kaiser Maximilian I. in den Zeughäusern vorrätig sind. Ein solches Orgelgeschütz (Totenorgel) besitzt 40 Rohre, die auf einem zweiräderigen Karren bewegt werden. (Fig. 516.) Später ist die Zahl und Anordnung der Rohre bei gleichem System verschieden, sie sind entweder in der Reihe oder in Bündeln gruppiert. Die Abfeuerung geschieht entweder mit gemeinsamer Zündpfanne oder mittelst der Lunte einzeln. Ihre Verwendung war immer eine beschränkte und wurde im 15. Jahrhundert ganz richtig beurteilt. In einem Kodex von 1488 heißt es: „und man sol sy prauchen vnter die thor und wo der feyndt zum sturm liefen mag, auch in der wagenburg seindt sy nutz“. — Das System der „Orgel“, so verführerisch für alle Projektenmacher, hat auch durch vier Jahrhunderte ununterbrochen in verschiedenen Formen bis zur Mitrailleuse herab seinen Weg gemacht — es kann nicht leben und nicht sterben.

 

Die Lafettierung (système d’affût) war bis ans Ende des 15. Jahrhunderts kompliziert und ungemein schwerfällig. Die Rohre ruhten, wie bereits bemerkt, zur Hälfte ihrer Stärke in ausgehöhlten Balken, sogenannten Laden (chantiers), welche, auf den Achsen schwerer Räder liegend, eine nur geringe Elevation gestatteten. An der Haufnitz, einem kurzen Wurfgeschütz, war die Lade schon etwas beweglicher eingerichtet. Der Umstand, dass das Rohr beim Schuss aus seiner Lage in der Lade gestoßen wurde, führte um 1450 zu der Beigabe von vier sogenannten Schildzapfen, welche in die Lade eingelassen wurden und so eine Bewegung des Rohres verhinderten. Die größte Zahl der älteren Hauptbüchsen Kaiser Maximilians ist noch mit solchen (doppelten) Schildzapfen versehen. (Fig. 517.) Außer den hölzernen Lafetten finden sich im Verlauf des ganzen 15. Jahrhunderts in der Marine wie in Landpositionen kleinere Schlangen meist mit Hinterladung, welche auf eisernen drehbaren Gabeln, sogenannten Drehbassen, ruhen. Erst um 1490 stoßen wir auf Geschütze mit einfachen Schildzapfen, die ungefähr in der Mitte des Rohres stehen und eine Welle bilden, um welche bewegt das Rohr auf die einfachste Art eleviert werden konnte. Diese an sich einfache Einrichtung kann zu den wichtigsten Verbesserungen im Artilleriewesen gezählt werden. Die Erfindung der einfachen Schildzapfen soll unter Karl VIII. von Frankreich im Lager von Pont d’arche gemacht worden sein.

 

Fig. 516. Vierzigläufiges Hagelstück. 15. Jahrhundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. von 1514.

Fig. 516. Vierzigläufiges Hagelstück. 15. Jahrhundert. Aus den Zeugbüchern Maximilians I. von 1514.

 


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Quelle: Wendelin Boeheims "Handbuch der Waffenkunde"