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Die Entwicklung des Waffenwesens in ihren Grundzügen Teil 2

Symbolbild Blogartikel Wendelin Boeheim Handbuch der Waffenkunde

Wenn wir die Perioden des Mittelalters bis ans Ende des 14. Jahrhunderts überschauen, so sehen wir, dass das Rittertum einem Element erlag, das anfänglich tief verachtet, allmählich zu hoher Bedeutung gelangte, dem Volkselement, dem Bürgertum. Die Staatsweisheit nötigte die Herrscher immer mehr, dieses zu schützen. Sie folgten aber damit nicht einem Herzenszug, sondern nur der Not. Die Prinzipien des Rittertums waren so ehrenhaft, dass ihr Erlöschen nur mit tiefem Leid gesehen werden konnte. In seinem Kodex stand anfänglich für den Krieg keine Arglist, kein Überfall, kein Angriff aus der Ferne von sicherem Winkel aus. So wenig das zu den Bedingungen der Kriegskunst stimmen mochte, man konnte der reinen Anwendung der virilen Kraft, geleitet durch einen heldenhaften Geist, seine Bewunderung nicht versagen. Als die Zahl derer immer mehr zunahm, die den Traditionen des Adels untreu wurden und den ritterlichen Waffengang, oft schmutzigster Natur, ausfochten mit den Mitteln der Volkselemente, da demokratisierten sie sich selbst und verleugneten das Andenken ihrer heldenhaften Ahnen.

 

Worin aber lag die äußerliche Ursache der vorschreitenden Demokratisierung der Heere? Sie findet sich deutlich in der allgemein sich hebenden Technik, welche immer wirksamere Mittel des Angriffes und der Abwehr lieferte. Naturkräfte wurden vom Bann erlöst und mit Scharfsinn verwendet, das Bearbeiten der rohen Stoffe, vorwiegend des Eisens, entwickelte sich und der Schleier des Geheimnisses, der die Tätigkeit umgab, lüftete sich immer mehr. Alle die zahllosen neuen Mittel lieferten die Volkskreise.

 

Die bedeutsamste Erfindung, welche die Kriegskunst in vollkommen neue Bahnen lenkte, war die des Schießpulvers. Es ist ganz überflüssig darüber nachzugrübeln, wann dasselbe erfunden wurde. Viel wichtiger muss es uns hier sein, zu wissen, wann dasselbe begann, eine allgemeinere Anwendung zu finden. So viel ist als erwiesen anzunehmen, dass das Feuer bereits im Altertum als Mittel im Krieg erscheint. Kallinikos aus Heliopolis teilte das Geheimnis der Bereitung des „griechischen Feuers“ bei der Belagerung Konstantinopels 668 n. Chr. dem Kaiser Konstantin Pogonatus mit. Aus diesen und anderen Andeutungen ist zu entnehmen, dass das Schießpulver seine Entstehung als eine Art Brandsatz gefunden hat und nur allmählich zu einer explosiven Wirkung gedieh, dass anfänglich nur das Feuer selbst das unmittelbare Zerstörungsmittel bildete und erst später als treibende Kraft für eiserne und steinerne Geschosse benutzt wurde.

 

Diese letzte Stufe des Werdens scheint es durch die Orientalen erreicht zu haben, wenigstens weist seine erste Anwendung auf die Tataren 1241 vor Liegnitz. Die allgemeine Anwendung des Schießpulvers zum Treiben eiserner oder steinerner Kugeln beginnt aber erst ein Jahrhundert später, und wieder waren es Orientalen, die Mauren, in der Verteidigung von Alicante 1331 und von Algesiras 1342, welche hier voranschreiten. Die erste Schlacht, in welcher sich ein abendländisches Heer einer kleinen Zahl von Geschützen bediente, war jene bei Crecy, 1346, in welcher die Engländer sechs Kanonen verwendeten.

 

Gleich am Beginn fand das Schießpulver eine umfangreiche Anwendung, man benutzte es nicht allein für kleine Faustbüchsen, sondern auch für schwere eiserne Rohre, welche auf Wagen transportiert wurden. Die ersten im Feld gebrauchten Geschütze waren Hinterlader mit Kammerladung, genau in gleicher Konstruktion, wie sie von der ältesten Zeit an die Chinesen führten. Das gibt uns den Beweis von dem orientalischen Ursprung der Verwendung des Schießpulvers wie des darauf sich bildenden Geschützwesens. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts war man allerorts bemüht, den Effekt des Schießpulvers zu erhöhen. Das führte zu allmählicher Vergrößerung der Geschütze, zur Erzeugung von Monster-Geschützen, wie solche in den Dardanellenschlössern und anderen türkischen Plätzen zu finden waren. Aber auch in unseren Ländern überbot man sich in Riesengeschützen, von welchen sich noch einige erhalten haben. Das leichtbewegliche Feldgeschütz scheint seine Einführung unter den Hussiten um 1420 gefunden zu haben. Unter den Burgundern um 1470 fand es eine zahlreichere Verwendung, von jener Zeit reiht sich die Artillerie ebenbürtig neben Reiterei und Fußvolk. Diese nun ins Gebiet tretende Waffe bildete sich aus durchaus bürgerlichen Elementen von handwerksmäßigem Gepräge. Sie hatte keine nationale Färbung in den Heeren, im Gegenteil bedienten sich die Machthaber der Büchsenmeister, wo sie selbige nur fanden. So dienten in der Türkei Italiener, Griechen und Ungarn, in den burgundischen Ländern Italiener, Deutsche usw. Als man um 1430 begann, die Geschütze aus Metall zu erzeugen, dienten die Gussmeister zugleich als Büchsenmeister. Diese Verwendung finden sie noch am Ende des 17. Jahrhunderts.

 

Der Gebrauch von Handfeuerwaffen durch das Fußvolk griff nur langsam um sich. Seltsamerweise wurde das Handgewehr als Faustrohr lange Zeit nur in der Reiterei angewendet. Erst um 1370 finden wir Handrohre auf Bockgestellen, die aber mehr zum Wurf, als zum direkten Schuss dienten. Im 15. Jahrhundert finden sich im Fußvolk leichte Handrohre, welche, unter dem rechten Arm gehalten, abgefeuert wurden. Der Schaft des Handgewehres erscheint erst um 1480. Die meisten Heere bedienten sich noch bis etwa 1450 vorwiegend der Bogen- und Armbrustschützen.

 

Bis ins 15. Jahrhundert hatte die Reiterei noch einen Anstrich aus feudaler Zeit, die Reihen der Lehensritter lichteten sich aber so bedeutend, dass die Herrscher darauf Bedacht nehmen mussten, ihre Reiterei in einem entsprechenden Stand zu erhalten. Sie nahmen entweder ärmere Adlige dafür unmittelbar in Sold oder übertrugen das Geschäft der Anwerbung auf einen angesehenen Reitersmann gegen summarische Entschädigung.

 

Wir haben gesehen, dass die Ritterschaften in den Kreuzzügen ihre Rüstung gerade einem Feind gegenüber schwerer gestalteten, der nicht allein durch Kraftwirkung, sondern auch durch Beweglichkeit zu bekämpfen war. Diese Schwerfälligkeit der Reiterei jener Zeit war die Folge des irrigen Glaubens an den Wert einer absoluten Deckung vor der feindlichen Waffe. Dieser Irrwahn erhielt sich vor allem in der Reiterei und nahm sein Ende noch lange nicht, als die Geschosse der Kartaunen, Singerinen und Falken ganze Reihen Geharnischter niederschmetterten. Ja im Gegenteil war man bestrebt, den Lentner allmählich durch mehr und größere Platten zu verstärken.

 

Im 13. Jahrhundert begann bereits die Deckung von Armen und Beinen durch Geschiebe aus Eisenplatten. Nun fügte man Brust- und Rückenstücke, aus eisernen Platten gebildet, hinzu, gab den Helmen entsprechendere Formen. So entstand um 1420 der „Plattenharnisch“, der nur gegen Spieß und Schwert, allenfalls noch gegen Armbrustbolzen und Faustrohrkugel einen Schutz bot. Damit wurde die Reiterei nicht beweglicher und brauchbarer, wenn sich auch im Laufe der Zeit mit dem martialisch erscheinenden Plattenharnisch der Begriff von alter Ritterlichkeit verband. Der Spieß (Schürzer) bildete noch immer die vorzüglichste Angriffswaffe des Reiters, sein Gewicht veranlasste um 1460, ihn beim Anrennen auf einen Haken, Rüsthaken, aufzulegen, der an der rechten Seite des Bruststückes angebracht war. Schwert und Dolch waren gleich dem Topfhelm seit dem 13. Jahrhundert mittelst Ketten an dem Haubert befestigt, um sie im Schlachtgewühl nicht zu verlieren. Diese verwickelten sich leicht und wurden darum am Beginn des 15. Jahrhunderts abgelegt. Viel hielt der schwere Reiter seit dem 13. Jahrhundert auf ein starkes Schwert mit langer Klinge und auf einen stoßkräftigen Dolch.

 

Schon am Ende des 13. Jahrhunderts entstanden in England, Spanien, in Brabant und in Italien leichte Reiterkorps, welche aus Söldnern bestanden. Sie führten meist keine Spieße, wohl aber leichte Schwerter und Bögen, später auch Faustrohre (scopiti). Friedrich der Schöne benutzte 1322 die Freundschaft Ungarns zur Mithilfe ungarischer Reiter, die er leider bei Mühldorf nicht zu benützen verstand. Immer mehr wuchs das Ansehen der Italiener als leichte Reiter, das sie sich bis ins 17. Jahrhundert zu erhalten wussten. Das Fußvolk gewann seit den Schweizerkriegen eine stets wachsende Bedeutung, damit wurde auch ihrer entsprechenden Bewaffnung allerorts mehr Sorgfalt zugewendet. Diese Sorgfalt äußert sich nicht allein in der stets solider werdenden Form der Angriffswaffen, sondern auch in dem Bestreben, den immer wertvoller werdenden Mann zu schützen. Der Fußknecht und besonders der Schütze wurde nun durch den Holzschild, ersterer auch durch sogenannte Sturmwände gedeckt, die wohl die Beweglichkeit sehr beeinträchtigten, dennoch aber beim Angriff viele Vorteile boten. Sie erhalten sich bis gegen das Ende des 15. Jahrhunderts. Im Allgemeinen teilte sich das Fußvolk in Spießknechte und Schützen. Nur die Spanier fochten mit Schwert und Rundschild. Es war um 1320 ein bewegliches und moralisch tüchtiges Element in das Fußvolk gekommen, der geistige Faktor wuchs in der Kriegskunst, die Taktik entwickelte sich. Ebenso wohl durchdachte als kühn ausgeführte Unternehmungen, Flankenmärsche, Überfälle etc. beweisen das zur Genüge. Dem entsprechend entwickelte sich auch die Waffe, sie wurde handlicher, es wuchs das Streben, ein und dieselbe Waffe für mehrere Zwecke zum Hieb und Stich zu verwenden. Zu ungemeinem Ruhm gelangten die Schweizer, die ihre eigene Fechtweise besaßen, der auch die Bewaffnung entsprach, die im 14. Jahrhundert noch einfach genug war. Sie bestand damals nur aus schwerem Schild und Spieß, später bedienten sie sich auch der Helme und Bruststücke, legten den Schild ab und rüsteten sich mit langem Spieß, dem Kurzschwert und dem sogenannten Kurzdolch (Schweizerdegen) aus. Einzelne kräftige Leute fochten mit ungeheuren Schwertern oder schweren Keulen. In der Fechtweise wie in der Bewaffnung wurden sie das Vorbild für die späteren Landsknechte Maximilians I. In Frankreich, wo die Heeresfolge schon früh abnahm, mussten die Könige schon im 13. Jahrhundert zu Miettruppen ihre Zuflucht nehmen. Den Brabançons folgten die Grandes compagnies, diesen die berüchtigten Armagnacs. Sie bestanden alle der Mehrzahl nach aus Fußvolk mit leichter Bewaffnung und betrachteten alle das Kriegführen als Geschäft mehr zur Bereicherung wie zur tüchtigen Leistung. Als ein schwacher Versuch, ein Nationalheer zu schaffen, kann die 1448 erfolgte Errichtung der Franc-archers oder Freischützen unter Karl VII. in Frankreich betrachtet werden. Nicht besser als die Armagnacs waren die italienischen Condottieri, nur war die Bewaffnung der letzteren solider. Diese wurde später zum Vorbild für die Heere des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland und anderen Ländern. Spieße, Kurzschwerter, Degen sowie die Armbrüste erhielten allenthalben italienische Formen.

 

Auch in den orientalischen Ländern machten sich in den Heeren ähnliche Verhältnisse geltend wie im Abendland. Auch dort wollte der Türke, der Tatare und vorab der Araber nicht zu Fuß fechten, aber in der Abhilfe dieses Missverhältnisses schritten die Sultane den Europäern weit voraus durch die Errichtung eines tüchtigen Fußvolkes der Janitscharen (Jeni-tscheri) 1330. Die Bewaffnung der türkischen Heere war nach den zahllosen Stämmen dieses großen Reiches eine sehr verschiedene und es machten sich darin später auch europäische Einflüsse geltend. Die Janitscharen führten Bogen und Krummschwert, die Spahis oder Timarioten, aus Europäern bestehend, lange, gerade Schwerter und dünnschäftige Spieße. Die Anatolier, welche unter ihren Dere-Begs eine Art Feudalverfassung hatten, waren in ganz asiatischer Art mit Krummschwert, Bogen, Streitaxt und dem Wurfspieß (djerid) bewaffnet.

 

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts stand ein Staat an der Spitze der Heeresreformen, das Herzogtum Burgund unter Karl dem Kühnen. Die Einrichtungen desselben waren, äußerlich betrachtet staunenerregend und einzelne derselben, wie die Organisation des Geschützwesens, ohne Zweifel hoch verdienstlich, aber dem ganzen riesigen Heer fehlte es an Homogenität und vor allem an Korpsgeist. So kam es, dass ein äußerlich prachtvolles und vorzüglich bewaffnetes Heer den Schweizern erlag. Ebenso erging es vorher den östlichen Mächten, die den fanatischen Hussiten nur Haufen eilfertig bewaffneter, stumpfsinniger Landleute entgegenstellen konnten.

 

Mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert beginnt die Epoche der stehenden Heere und damit einer mehr in den Sorten und Formen einheitlichen Bewaffnung. In der Reiterei erscheinen die Gensdarmes, in Deutschland die Kürassiere als Muster einer schweren Reitertruppe. Vielfach noch aus adeligen Elementen bestehend, erhielten sich in ihnen noch manche Traditionen der feudalen Heere. Ihre Ausrüstung und Bewaffnung, an sich sehr sorgfältig, war doch selbst für den starken Pferdeschlag zu schwer. Mann und Pferd waren mit Eisenplatten bedeckt, der Reisspieß, das Kürissschwert waren die Angriffswaffen. Offiziere und Rottmeister führten den eleganten, aber wenig brauchbaren Reiterhammer, Oberste den Regimentsstab. Die leichten Reitertruppen bildeten sich nach italienischem Muster. Sie waren nur in leichte Harnische mit Sturmhauben gekleidet und führten neben dem Haudegen das Faustrohr und die Arkebuse, eine Art leichter Reitergewehre mit deutschen Radschlössern.

 

Mit staunenswerter Raschheit entwickelte sich das Geschützwesen. Um 1520 bestanden schon nahezu sämtliche Feldgeschütze aus Bronze und auch eine oberflächliche Bestimmung der Kaliber hatte, von Nürnberg angeregt, Platz gegriffen. Die sogenannten 4 Geschlechter: der 48pfünder oder die Kartaune, der 24pfünder, die Halbkartaune, der 12pfünder oder Falke, endlich der 6pfünder oder Schlange konnten trotz der vielen Zwischenformen als Grundformen angesehen werden. Das Wurfgeschütz, die Mörser für Steingeschosse, hatten noch keinen bestimmten Kaliber, doch wurden auch sie in Bronze gegossen und es schieden sich aus ihnen eigenartige Formen zum Werfen von Feuerwerkskörpern ab. Auch die Ballistik machte Fortschritte; man kannte schon um 1480 den Quadranten und bediente sich um 1500 hie- und da bereits der Richtmaschinen. Die alte Karrenlafette machte der Protzlafette Platz und die Lade, in welcher früher das Kanonenrohr befestigt war, verschwand. Dafür entstand die Balancelagerung des Rohres in den Schildzapfen, die zuerst bei kleineren Kalibern in Anwendung kam. Der Büchsenmeister erhielt den charakteristischen Luntenspieß, der halb als Waffe, halb als Werkzeug anzusehen ist.

 

Das Fußvolk war je nach der Art seines Aufbringens und seiner Herkunft noch sehr verschiedenartig gestaltet. Die städtische Truppe war ziemlich gleichmäßig und gut, immer aber eigenartig und wenig für den Angriff tauglich ausgerüstet. In ihr überwog in der Regel das Feuerrohr als Luntengewehr, daneben erschienen die Spießknechte mit gemeinen Spießen oder Helmbarten. Armbrustschützen verschwanden nun gänzlich. Fußknechtshaufen, welche noch zuweilen Adelige gegen Besoldung stellten — ein Schatten der alten Feudaleinrichtung — bestanden zumeist aus unbeholfenen Bauern und anderen wenig kriegsgeübten Elementen. Ihre Bewaffnung war die verschiedenartigste und schlechteste.

 

Anders war es mit jener Elitetruppe, welche die Franzosen in ihren Schweizerregimentern besaßen. Sie war mit langen Spießen, Kurzschwertern und Dolchen, ein Teil mit allerdings schweren Bockbüchsen bewaffnet. Eine anfänglich bedeutende Zahl führte riesige Schlachtschwerter, deren Handhabung ungemeine Übung erforderte; es wurde für die Schweizerheere charakteristisch. Nach ihrem Muster bildete Maximilian I. 1482 die Landsknechte als von erprobten Führern geworbene Truppe, ein nationales Heer, denn ihre Werbung beschränkte sich auf Schwaben, das Allgäu und Tirol, später auch aus anderen, aber immer eigenen Ländern. Die Landsknechtstruppe bildete ungeachtet ihrer ziemlich mangelhaften Disziplin und ihrer zuweilen schwer fühlbaren Ausartung eine ausgezeichnete Fußtruppe, die sich den Schweizern ebenbürtig und nicht selten überlegen erwies. Der Landsknecht war Soldat von Profession mit eigener imponierender Streitweise, der auch die Bewaffnung entsprach. Gleich dem Schweizer ließ sich auch der deutsche Landsknecht ebenso wohl als Spießknecht, wie als Schütze oder als Stuckknecht verwenden, ohne seinen Charakter dabei einzubüßen. Der Spießknecht führte den langen Spieß, die Pinne (von dem mittelalterlichen pennon hergeleitet), das Landsknechtschwert und den starken kurzen Dolch. Einzelne führten, wie sie es von den Schweizern gesehen hatten, das zweihändige Schwert, den Bidenhander. Der Schütze trug die Bockbüchse und als erster in allen Heeren die kurze leichte Handbüchse. Er wandte vor allen anderen zuerst die Patrone an, um rascher seine Büchse laden zu können.

 

Die italienischen Fußtruppen weisen in dem beschriebenen Zeitraum gegen die vergangene Periode die geringsten Unterschiede auf. Über das ganze Land war eine Zahl von Hauptleuten verstreut, die das Kriegführen als eine geschäftliche Unternehmung betrachteten und sich mit ihren Leuten an den Meistbietenden verdangen. Ihre Bewaffnung, meist klaglos, war verschieden, je nach den Ansichten ihrer Hauptleute; in einigen Kompagnien machten sich antike, in anderen orientalische Einflüsse merkbar. Hervorragend in Organisation und Bewaffnung waren immer die Venetianer, zeitweise auch die Mailänder. Die Bewaffnung war aber stets ungemein verschiedenartig. Wir finden nebst dem gemeiniglich nicht übertrieben langschäftigen Spieß das Kurzschwert, später den Degen; aber neben der leichten Luntenbüchse noch lange Armbrust und Bogen. Von den Schweizern entnahmen sie das Schlachtschwert und nicht selten finden wir Fußkompagnien gleich den Spaniern nur mit Rundschild und Schwert ausgerüstet.

 

Von Italien und den Niederlanden aus angeregt, erlitt das Kriegswesen am Ende des 16. Jahrhunderts eine bedeutende Umbildung. Die schwere Reiterei, die alten Kürassier, legten den Reisspieß ab und fochten nur noch mit leichteren, italienischen Haudegen. Der alte ritterliche Harnisch verschwand, dafür erschien der reiterische Harnisch mit Sturmhaube ohne Beinzeug, der eine größere Beweglichkeit und freiere Führung der Klinge gestattete. Noch war das Bruststück schwer, um vor den Geschossen zu sichern, aber dafür wurde es kürzer und kleiner. Die Arkebusiere und Dragoner, letztere aus Frankreich gekommen und zum Streit zu Fuß und zu Pferde geeignet, erhielten leichte, sogenannte Trabharnische, die Arkebuse schrumpft zum Karabiner zusammen, die Faustrohre werden doppelläufig, nicht selten erscheinen darin Revolversysteme. Die Artillerie erleichtert ihre Kaliber für den Feldkrieg beträchtlich. In der ersten Gefechtslinie findet man nur noch Schlangen. Ein Hauptstützpunkt in der Stellung aber ist von Halbkartaunen besetzt, die, in einer Batterie vereint, der ganzen Gefechtsstellung eine gewisse Festigkeit verleihen.

 

Das Fußvolk änderte schrittweise seine Physiognomie. Die allmählich gewonnene Überzeugung, dass auch andere Volksstämme zu einem brauchbaren Fußvolk herangebildet werden können, veranlasste zu allgemeinen Werbungen im Reich. Dadurch und durch verschärfte Ordnungen verwischte sich der Charakter der Landsknechtsregimenter und damit erlosch auch ihr immerhin ruhmvoller Name. Von nun an erscheinen nur Fußknechtsregimenter, die von erprobten Kriegern geworben, ausgerüstet und als Obersten kommandiert werden. Schon unter den Landsknechten waren Spießträger und Schützen in organischem Verband, jetzt wurde das System mehr ausgebildet und in ein besseres Verhältnis gebracht. Der Spießknecht erhielt die lange dünnschäftige Picke und wurde nun „Pickenier“ genannt. Noch lange trug er einen leichten, schwarzen Harnisch und eine sogenannte Pickelhaube; der Schütze gemeiniglich nur ein Brust- und Rückenstück mit der sogenannten Schützenhaube. Die alte, schwere Hakenbüchse wird abgelegt und die Luntenmuskete eingeführt, welche zum Anschlag auf einen Gabelstock aufgelegt wird. Unteroffiziere führten die Helmbarte, Offiziere der Truppe die Partisane oder den leichten Feldspieß. Die Spanier und Niederländer griffen in der Regel mit starken Kolonnen an, in deren ersten Reihen Soldaten mit Rundschilden und schweren Stoßdegen marschierten. Derlei Schildträger, „Rundtartschiere“ genannt, finden sich auch bei den Engländern. Charakteristisch für die zunehmende Bedeutung des Feuergewehres ist, dass die Picken an Zahl immer mehr abnehmen, während die Musketenzahl stetig wächst.

 

In dieser Bewaffnung, die sich im Detail im Niederländischen Krieg am Ende des 16. Jahrhunderts herausgebildet hatte, wurden von den Deutschen die Schlachten des Dreißigjährigen Krieges ausgefochten. Die Italiener bequemten sich erst allmählich zu derselben. Ihre Bewaffnung mit Schilden und Haudegen, Partisanen und leichten Musketen eignete sich mehr für den kleinen Krieg, als für die Feldschlacht; desungeachtet fand diese leichte Ausrüstung, namentlich der Schützen, allenthalben auch in deutschen Truppen Nachahmung. Eigenartig wie immer erschien die Ausrüstung der Polen und Ungarn in jener Zeit, die stets ein orientalisches Gepräge aufwies. Gewisse überraschende Einzelerfolge brachten die Truppen jener Nationen zu nicht unbedeutendem Ansehen unter den Heerführern. Bei den Polen findet sich in der Ausrüstung ein Gemisch von abendländischen und orientalischen Mustern. In der Reiterei diente der hohe Adel in den in deutsche Harnische gekleideten Husaren mit Spieß und Schwert, der niedere Adel unter den „Gepanzerten“, pancernik, welche, mit Ringpanzern bekleidet, zu den leichten Reitern zählten. Das gemeine Volk wurde unter die Kosaken gereiht, die noch um 1630 und später neben dem Säbel den Bogen führten. Ähnlich war die Ausrüstung bei den Ungarn, deren Reiterei fast durchgehend mit Panzerhemden bekleidet war und die nebst leichten Spießen und Säbeln mit Vorliebe Schlagwaffen handhabte. Vom 16. Jahrhundert an hatten sich die Heiducken anfangs gefürchtet, später geachtet zu machen verstanden. Nach ihrer späteren Organisation nach 1613 dienten sie ebenso wohl zu Pferde als zu Fuß, und waren durch Bocskay vorzüglich bewaffnet worden. Die Reiterei führte neben dem Säbel noch Schilde, das Fußvolk Musketen und sogenannte Fokos, eine Schlagwaffe. Unter den Habsburgern wurde ungarisches oder kroatisches Fußvolk weniger verwendet. Erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts erscheint solches allgemeiner. In demselben findet sich keine Picke; der Ungar und Kroate griff mit dem Czákány oder Buzogányi an; seine Muskete war leichter als die der Westvölker; daneben führte er den krummen Säbel.

 

Von den zahlreichen, verschieden ausgerüsteten türkischen Truppen ist es schwierig, ein Gesamtbild aus jener Periode zu gestalten, doch kann im Allgemeinen bemerkt werden, dass die schwere, aber nach unseren Anschauungen noch immer leichte Reiterei die sogenannten Gepanzerten, tschebeli, bildeten. Mann und Ross waren in sehr leichte Plattenharnische gekleidet. Sie führten handliche Spieße, Säbel, Handjars und Faustkolben. Den Kern der Reiterei bildeten die von den Timari gestellten Spahis. Sie waren nach altarabischer Art in Panzerhemden gekleidet und führten nebst dem Wurfspieß, djerid, auch den Bogen. Eine durch Tapferkeit berühmte Truppe waren die Deli oder Tollköpfe, welche in Asien geworben wurden. Ein vollkommen unregelmäßiges und nahezu unabhängiges Reiterkorps waren die Tartaren unter ihrem Chan, der sich den Titel eines Sultans gab. Sie konnten immer nur als Vortruppen verwendet werden. Ihre Bewaffnung war vollkommen verschiedenartig. Der Janitscharen als Fußtruppe haben wir bereits gedacht. Im 17. Jahrhundert wird der Bogen in ihren Reihen seltener, dafür wird die Muskete häufiger, die, um 1680 bereits mit Schnapphahnschloss ausgestattet, als Feuerwaffe der Infanterie die Luntenmusketen der anderen Heere an Brauchbarkeit weit überragte.

 

Gegen das Ende des 17. Jahrhunderts erhalten die Heere überall eine strammere Organisation, wenn auch die Heeresbildung dieselbe bleibt. In der Reiterei werden die Harnische nur noch von Kürassieren getragen und selbst bei diesen die Helme durch Hüte ersetzt. Nur die Franzosen beließen den Dragonern ihre Bruststücke und Helme. Die Waffen waren der gerade Pallasch und die Pistole. Noch ist unter den Offizieren der Reiterei eine Spur des alten ritterlichen Geistes wahrnehmbar. Die deutsche Artillerie war um jene Zeit sehr herabgekommen, während die französische und venezianische außerordentlich gut ausgerüstet und bedient war, doch zeigte sich allerorten der Fehler, dass dieselbe in den Rahmen des Heeres nicht entsprechend eingefügt war und noch immer das Gepräge des Handwerks aufwies. Die Infanterie, wie sie nun nach spanischem Muster genannt wurde, ging einer vollen Umwandlung in ihrer Bewaffnung entgegen. Am Beginn des 18. Jahrhunderts legte sie die Picke vollends ab, sie fand ihren Ersatz in dem Bajonett, das anfänglich in den Lauf des Gewehres gesteckt wurde. Statt des Luntengewehres erhielt sie die Flinte, die mit dem französischen Feuerschloss versehen war und ebenfalls Muskete genannt wurde. Das Bajonett nahmen endlich auch die ungarischen Truppen an. Von 1750 datiert die Bildung einer leichten Feld-Artillerie, von 1772 in den deutschen Erblanden die Bildung von Artillerie-Regimentern und einer Festungsartillerie. Ungefähr um die gleiche Zeit auch in Frankreich und den deutschen Staaten. Damit war ihre vollständige Militarisierung endlich durchgeführt. In der Reiterei kamen schon vom 17. Jahrhundert an mannigfache Namen in Aufnahme. Chevauxlegers, reitende Jäger, Arkebusiere, Husaren, vom 18. Jahrhundert an Ulanen, Bosniaken, Towarsziken, Kosaken etc. Im Allgemeinen stehen alle diese als leichte Reiter den schweren Kürassieren gegenüber. Die Husaren bilden darunter eine besondere Truppe, als ihre Fechtweise eine der orientalischen ähnliche war. Dasselbe ist auch von den Ulanen und Kosaken zu sagen, die als Lanzenreiter allerdings selbständig hervortreten. Der Name Ulan stammt aus dem Tartarischen und bedeutet so viel als der Wachsame. Als die Polen ihre schweren Pancerni und Husaren durch leichte Reiterei ersetzten, gaben sie dieser den Namen Ulanen. Auch der Name Kosak (Kasak) ist türkisch-tartarischen Ursprungs. Die Verwendung von Reiterei mit orientalischer Fechtweise lässt erkennen, wie sehr man noch im 18. Jahrhundert und noch später die Kriegskunst der Orientalen achtete.

 

Mit der vorschreitenden Erstarkung der Herrschergewalt gelangte auch das Heerwesen stets mehr in die Hände der Landesfürsten. Als die Werbung durch eine wehrpflichtige Stellung ersetzt wurde, brach der letzte Rest der Rechte der alten Regimentsherren in sich selbst zusammen und es verschwand damit jede Spur der einstigen feudalen Organisation der Heere. In der Hand der Landesfürsten erhielt jedes einzelne Heer in seiner Ausrüstung und Bewaffnung einen gleichförmigen Charakter. Die letztere, abhängig von dem Stand der technischen Wissenschaften und der Kriegskunst, wird allmählich mehr ein Gegenstand der Massenerzeugung, der Maschinentätigkeit. Als solcher entwickelt sich die Bewaffnung unmittelbarer mit den Fortschritten der Technik. Der Kampf aber zwischen den Mitteln des Angriffes und jenen der Abwehr wogt weiter, er wird erst mit dem letzten Krieg sein Ende nehmen. Nach den jeweiligen Erfolgen des einen oder des anderen Teiles regelt sich die Taktik.

 

Die Betrachtung der Entwicklung des Waffenwesens hat den bedeutenden Einfluss des Orients auf den Okzident auf dem technischen und Formengebiete vor Augen gestellt; dieser Einfluss, schon im Altertum herrschend, ist vom Beginn des Mittelalters an periodisch, oft direkt, oft indirekt wirkend, immer aber kräftig und fördernd, zuzeiten selbst von nachhaltiger Wichtigkeit für die Kultur des Abendlandes.

 

Die ersten Spuren orientalischer Einwirkung im Mittelalter gehen bereits bis in die Zeit der Völkerwanderung, ins 4. Jahrhundert, zurück. Später vermitteln sie bis ins 9. Jahrhundert die Sarazenen in Spanien und Sizilien. Im 11. Jahrhundert sind es die Normannen, welche die Lehren orientalischer Kriegskunst aufnehmen und verbreiten. Die bemerkenswerteste Periode aber ist jene der Kreuzzüge, und vor allem war es der dritte, welcher als eine große Schule des Krieges angesehen werden kann. Von jener Zeit an wird der direkte Einfluss des Orients geringer, dafür nimmt der indirekte aus Italien zu, der sich bis ins 17. Jahrhundert erhält. In den Türkenkriegen dieses Jahrhunderts kommt der Orient wieder unmittelbarer und nicht ohne Erfolg zur Beachtung. Die Spuren dieser letzten Einwirkung leiteten sich bis auf die Gegenwart.

 

Das Feudalwesen mit all seiner Kriegskunst war starr geworden, es hatte sich früher überlebt, als die Feudalherren dies gewahr wurden. Ein flüchtiger Zusammenstoß mit Volkselementen genügte, um die Schwäche des Kolosses vor aller Augen darzutun. Von diesem Augenblick an nimmt die Bedeutung des Fußvolkes zu; aus Volkselementen heraus ersteht das Geschützwesen, als eine bedeutsame Entwicklungsstufe der Verwendung des Schießpulvers, die ihre ersten Anfänge gleichfalls unter den Orientalen gefunden hatte. Durch diese totale Umbildung des Heerwesens tritt das Waffenwesen in ein neues Stadium. Diese letzte Entwicklung fand ihren Ursprung auf heimatlichem Boden.

 

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Zweites Symbolbild für Blogartikel Wendelin Boeheims Handbuch der Waffenkunde

 

 

Textquelle: Wendelin Boeheims Handbuch der Waffenkunde, Leipzig 1890.