In dem Artillerie-Saal des k. u. k. Heeres-Museums ist in diesem Frühjahr eine Reihe von Zeichnungen ausgestellt worden, welche unter den Quellen zur Geschichte des älteren Geschützwesens einen nennenswerten Rang einzunehmen verdienen. Es sind einfache, aber mit sorgfältiger Beachtung und Angabe der Masse ausgeführte Konstruktionszeichnungen, welche von den Bombardieren und Feuerwerkern des k. k. Bombardier-Corps zu Ende des vorigen und Anfang des 19. Jahrhunderts nach den zumeist im alten kaiserlichen Zeughaus damals noch vorhandenen Geschützen angefertigt wurden und welche aus dem Archiv des k. u. k. technischen Militär-Comites in die Museums-Sammlungen gelangt sind.
Da uns auf diese Weise eine Anzahl höchst merkwürdiger Geschützrohre in wissenschaftlich getreuen Abbildungen erhalten geblieben ist, sei es gestattet, die Fachkreise auf diese bisher unbenützt gebliebene Quelle vorläufig aufmerksam zu machen, bis die Neuauflage des Museumskataloges Gelegenheit zu ausführlicher Beschreibung bieten wird.
Durch ihre Dimensionen ragen vor allem vier türkische Rohre besonders hervor. Es sind dieselben im Jahre 1806 eingeschmolzene Stücke, deren Verlust schon Leber (Wiens kaiserliches Zeughaus 2, 405f.) beklagt und von denen er aufgrund der Beschreibungen von Weiskern und Freiherrn v. Stein Nachricht gegeben hat, also zwei Steinbüchsen, bei welchen sich an den Flug eine enger gehaltene Kammer anschließt, und zwei Kanonenrohre mit durchaus gleich weit gehaltener Seele.
Die beiden erstgenannten Geschütze standen der im Germanischen Museum zu Nürnberg befindlichen türkischen Bronzeröhre sehr nahe, welche Essenwein (Fig. 1) wohl zu früh ins 3. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts gesetzt hat; aber die Dimensionen dieser eingeschmolzenen Steinbüchsen, die noch 1683 vor Wien verwendet wurden, waren erheblich grösser als die ihrer in Nürnberg erhalten gebliebenen Schwester; die eine hatte eine Länge von 4 m (Vorderstück 1,81, Kammer 2,19) und im Flug 59, in der Kammer 20 cm Seelenweite, die andere war 4,35 m lang (Vorderstück 2,25, Kammer 2,10), ihr Flug 50, ihre Kammer 17 cm weit.
Das größte unter allen im alten Wiener Zeughaus aufbewahrten Geschützen, ja überhaupt eines der größten, von denen wir Kenntnis haben, war das laut Inschrift für den Sultan Suleiman II. im Jahre 1516 gegossene Rohr. Seine Länge betrug, wie die erhaltene Zeichnung und die zugehörige Konstruktionstabelle in Übereinstimmung mit den Angaben von Weiskern und Stein bezeugen, 7,28 m, sein Kaliber 26 cm, dieses Riesengeschütz war also eine ca. 100-pfündige Schlange von 28 Kaliber Länge, eine Gattung, die zur selben Zeit auch in Mitteleuropa üblich und stark verbreitet war, von welcher uns aber kein Original erhalten geblieben ist.1
Während die Schlange vom Jahre 1516, gleich den vorher beschriebenen Steinbüchsen, ein paar Ringe nahe der Mündung und zwei seitliche Zapfen am Hinterstück aufweist, treten bei dem vierten in unseren Zeichnungen erhaltenen türkischen Geschütz schon die in der Mitte angebrachten Schildzapfen auf. Auch in der ornamentalen Ausschmückung zeigt dieses jüngste unter den fraglichen Rohren2 eine gewisse Anlehnung an die gleichzeitigen abendländischen Formen, nur die Anwendung der Henkel und der Traube ist hier noch nicht durchgedrungen. Die Maße (Länge 396 cm, Kaliber 177 cm) kommen jenen der Löfflerschen Kartaune nahe, ohne sich genau hiermit zu decken.
Auch die deutschen Geschützrohre, welche die Zeichnungen des Heeres-Museums uns vor Augen führen, verdienen volle Beachtung. Da finden wir ein unter Erzherzog Ferdinand von Tirol im Jahre 1576 gegossenes Projektsgeschütz mit sieben für einpfündige Eisenkugeln berechneten in einem einzigen Rohr vereinigten Läufen, einen Mörser und eine Haubitze vom Jahre 1686, beide mit der damals mehrfach erprobten birnförmig gestalteten Kammer, dann wieder das Projekt einer siebenläufigen Kanone, gegossen von dem kaiserlichen Stückgießer Johann Achamer, demselben, der im Jahre 1711 die Riesenglocke für den Wiener Stefansdom, die zweitgrößte Glocke in deutschen Landen, gegossen hat.
Von größtem Interesse ist die Zeichnung einer vom Jahre 1444 datierten Steinbüchse, welche nach der nicht ganz deutlich wiedergegebenen Aufschrift den Namen «Krachbusa» geführt zu haben scheint. Das Rohr hatte 21,5 cm Flugweite und war außen derart 14 kantig geformt, dass die Kanten am Hinterstück parallel zur Rohrachse, von der mit 8 Löwenköpfen gezierten Mitte an für ein kurzes Stück schräg nach links, sodann bis zur Mündung nach rechts liefen. Weiskern und Stein haben dieses merkwürdige Rohr, welches, wie die Konstruktions-Tabelle besagt, «im k. k. Zeughaus zu Wien auf der Hohen Brücke zum Andenken aufbewahrt» wurde, nicht bemerkt, dagegen hat wenigstens der erstgenannte einen angeblich im Jahre 1404 für Erzherzog Sigmund von Tirol gegossenen Mörser der Erwähnung für wert gehalten. Von diesem Stück sind drei Zeichnungen vom Jahre 1791 erhalten, die mit wünschenswerter Genauigkeit das Bild eines Hauptmörsers vom Ende des 15. Jahrhunderts darstellen. Auch die vollständige Inschrift und mit ihr der Name des Mörsers und der Name des Gießers sind uns durch diese Blätter erhalten: es ist der «Narr», den Jörg Endorfer im Jahre 1488 für Erzherzog Sigmund herstellte.
Der um die Mitte des gewaltigen, auf ca. 300 Pfd. Stein berechneten Mörserrohres (Kaliber 61 cm) laufende Spruch lautete: «Sigmund erzherzog ce Österreich ec. MCCCC und im LXXXVIII ten. Der nar hais ich, mit den stan wirf ich, Jorg Endorfer gos mich.» Die Anordnung der Wappen war dieselbe wie bei den Hauptmörsern der Maximilianischen Zeugbücher, d. h. der Tiroler Adler und der österreichische Bindenschild waren je zweimal auf dem Flug des Mörsers angebracht. So ist also wenigstens im Bilde ein Werk jenes berühmten Gießers im Heeres-Museum erhalten, der den Ruf der Innsbrucker Gusshütte begründet hat; im Verein mit dem aus Rhodus ins Pariser Musée d’Artillerie gelangten Hauptstück «Die Kateri» oder «Die alt Kattel» vermag nun die Zeichnung des «Narren» die Eigenart dieses Meisters zu repräsentieren.
1 Je zwei 24 Schuh lange „Notschlangen“ besaßen im Jahre 1525 zwei Klöster des Rheingaues, s. Schunk, Beiträge zur Mainzer Geschichte 1 211 u. 232 Anm.; 8 m. lange Geschütze wurden um 1515 in Prag erzeugt; Dollercek, Geschichte der österr. Artillerie, S. 85. Ob Kaiser Maximilian Rohre von ähnlicher Länge besaß oder gießen ließ, bleibt dahingestellt, weil seine Zeugbücher keinen verlässlichen Anhalt zur Bestimmung der Maße bieten.
2 Weiskern löste die Jahreszahl mit 1560 auf, nach der von Hofrat Prof. Karabaczek mir aufgrund der Zeichnung mitgeteilten Lösung ist das Rohr aber um 18 Jahre älter.
Quelle: Zeitschrift für Historische Waffenkunde. Organ des Vereins für historische Waffenkunde. I. Band. Heft 7. Dresden, 1897-1899.