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Kurze Geschichte über die Bauchredekunst

Kurze Geschichte über die Bauchrednerkunst

In diesem Blogartikel geht es über die Bauchrednerkunst, die im 19. Jahrhundert in Europa noch immer zu panischen Reaktionen des Publikums auslöste. Der Aberglauben im Volk über Geister sowie die Angst vor Hexenkünsten ("Schwarzkünstler") war trotz der fortschreitenden Industrialisierung in Deutschland und Frankreich weit verbreitet. Die Auswirkungen dieser Unterhaltungskunst kann man in der folgenden kleinen Erzählung aus einem Zeitungsartikel von 1858 nachlesen:

 

"Auch die sogenannte Bauchredekunst gehört zu diesen merkwürdigen und rätselhaften Erscheinungen und da eben jetzt ein Bauchredner eine Reise durch Deutschland macht und an vielen Orten Proben seiner Kunst ablegt, so nehmen wir diese Gelegenheit wahr, unsere geneigten Leserinnen und Leser darauf aufmerksam zu machen und ihnen einige Mitteilungen über diese merkwürdige Erscheinung der Bauchsprache zustande kommt und, fern von aller Scharlatanerie, kommt er mit der größten Bereitwilligkeit den Wünschen derjenigen entgegen, welche sich über diesen Gegenstand durch eigene genaue Beobachtung belehren wollen.


Bauchredner, Ventriloquisten oder Engastrimythen nennt man bekanntlich solche Personen, welche imstande sind, ihre Stimme so zu verändern, dass sie dumpf und hohl, wie aus einem verschlossenen Raum zu kommen scheint, und die Hörer zu dem Glauben nötigt, die Stimme komme nicht von der in Wirklichkeit dieselbe erzeugenden Person, sondern von einer anderen und aus einer ganz anderen Gegend her.


Die Bauchrednerkunst scheint bereits in den ältesten Zeiten bekannt gewesen zu sein. Man meint, dass die wahrsagenden Weiber und Orakel der Alten sich dieser Kunstfertigkeit bedienten, um den Aberglauben des Volkes zu fördern und sich in den Augen der Rat- und Hilfesuchenden eine höhere Weihe zu verschaffen, wozu diese Kunst auch gewiss in hohem Grad geeignet ist. Wahrsager und Bauchredner waren bei den Griechen gleichbedeutend, sie nannten die Bauchredner "Engastrimanten" oder "Eurytlyten" letzteres nach einem berühmten atheniensischen Bauchredner, Eurytles mit Namen.


Doch wir wollen uns nicht bei den Alten aufhalten, über deren Fertigkeit in dieser Kunst uns nicht viel mit Sicherheit bekannt ist. Wir haben uns den späten Zeiten von gar manchem Bauchredner genauere Nachrichten und darunter sind einige, die es in die Kunst, die Zuhörer irrezuführen, zu einer erstaunlichen Virtuosität gebracht haben. Manche von ihnen erlangten durch andauernde Übung eine solche Geschicklichkeit, dass sie über ihre Gesichtsmuskeln eine Gewalt bekamen, welche es ihnen leicht machte, alle Mitbewegungen derselben während des Sprechens vollständig aufzuheben und dadurch die Täuschung auf den höchsten Gipfel zu bringen. Sie waren imstande, die Stimme verschiedener Personen hören zu lassen, welche von verschiedenen Richtungen her sich miteinander zu unterhalten schienen. Bald vernahm man eine Stimme aus dem Kamin, bald wieder hörte man, wie sich draußen auf der Straße zwei Stimmen zankten, bald schien zum größten Schrecken die verhängnisvolle Stimme selbst unter den Bänken der Zuhörer hervorzukommen. Es lässt sich begreifen, mit welcher Leichtigkeit sich ein geübter Bauchredner bei denjenigen, welche mit der natürlichen Ursache dieser Erscheinung nicht bekannt sind, das Ansehen eines Teufelsbanners und Geisterbeschwörers zu geben und den Aberglauben der Menge zu seinem Nutzen auszubeuten vermag.


Ludwig Brabant, der Kammerdiner Franz des Ersten, war seiner Zeit besonders durch die Täuschungen abergläubische Leute berühmt, ebenso der Gewürzkrämer St. Gille zu St. Germain. Der Bauchredner Alexander (geb. 1797 zu Paris) erwarb sich in unserm Jahrhundert großen Beifall und legte auch in Deutschland vielfache Proben seiner Kunst ab. Auch Fitz James war im Anfang dieses Jahrhundert ein berühmter Bauchredner. Später haben sich namentlich Charles und Comte bedeutenden Ruhm erworben und sie haben in Frankreich und Deutschland durch die Bereitwilligkeit, mit welcher sie den wissenschaftlichen Untersuchungen dieser Kunstfertigkeit vonseiten der Philister und Physiologen entgegenkamen, nicht wenig zur Aufhellung dieser wunderbaren Erscheinung beigetragen.

 

Vor allem aber war es Comte, von dessen ausgezeichneten Leistungen um das Jahr 1815 alle Zeitungen des Lobes voll waren. Was für Wunderdinge erzählte man auch nicht von diesem Meister! In der von Margaretha von Österreich gestifteten Kirche von Bron hatte Comte diese Prinzessin sprechen gemacht. Zu Touers bewog er die Menge, eine Bude zu zersprengen, aus welcher die klägliche Stimme eines vor Hunger Sterbenden erscholl. In Reims jagte er dem Quartier von St. Nicolaus einen panischen Schrecken ein, indem er Gestorbene sprechen ließ. Zu Revers machte er einen Esel reden, dem die Luft ausgegangen war, seinen Herrn weiter zu tragen. In einer Diligence jagte er seinen Mitpassagieren Todesangst ein, indem er an dem Kutschenschlage gefährliche Stimmen: "Geld oder Blut" ertönen ließ, nahm den geängstigten Reisenden Uhren und Börsen, sie den Räubern zu übergeben und jene wunderten sich nicht wenig, als er sie am anderen Morgen über seine Kunst aufklärte.

 

In Freiburg wäre er aber beinahe ein Opfer seiner Hexenkunst geworden. Die Bauern meinten, er sei ein Schwarzkünstler und wollten ihn in einem Backofen werfen. Mit einem Mal erscholl aus dem gähnenden Feuerschlund eine furchtbare Stimme, welche die Bauern so erschreckte, dass sie schleunigst die Flucht ergriffen und dem Zauberer Zeit ließen, sich aus dem Staub zu machen. Auch zur Heilung von Gemütskranken, welche sich von bösen Geistern besessen glaubten, hat sich Comte mehr als einmal seiner Kunst bedient. Einmal befand er sich eben in einer mit kostbaren Statuen zierenden Kirche, als ein Trupp revolutionärer Bilderstürmer eindrang und zu plündern begann. Eben war man in Begriff, die frevelnden Hände zur Zerstörung der Kunstdenkmäler auszustrecken, als die Statuen mit geisterhafter Stimme den Räubern Vorwürfe zu machen anfingen, worauf diese in aller Eile ihre Beute von sich warfen und die Flucht ergriffen. Als Comte von seinen Reisen nach Paris zurückkehrte, war er nicht mehr der unbedeutende Bauchredner, der vor wenigen Jahren vor seinen Reisen ohne sonderlichen Beifall in bürgerlichen Lokalen bescheidene Unterhalten ankündigte. er war zu einem von den gelehrtesten und berühmtesten Größen gesuchten "Professor der unterhaltenden Physik" avanciert, alle Journale hatten einstimmig sein Lob verkündet und selbst die Musen von Grenoble hatten sich zu seinem Ruhm hören lassen."

 

Quelle: Hygea. Populäre medizinische Zeitung zur Belehrung und Unterhaltung für Gebildetere beiderlei Geschlechts insbesondere den Geistlichen, Lehrern und Erziehern gewidmet. Zweiter Jahrgang, Nr. 15, Münster, den 1. August 1858

Bildquelle: A collection of pamphlets, handbills, and miscellaneous printed matter - caption: 'Miss Madeline Rosa', London, 1883


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