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Die Blutrache in den Städten und unter den Adelsgeschlechtern

Dresden Marienbrücke des 19. Jahrhunderts Symbolbild zum Blogartikel

Mannigfache Bestimmungen in den neugegründeten Städten von den Landesfürsten erteilten Rechtsbriefen lassen erkennen, dass im Beginn der Städtegründung, als die Unterschiede zwischen Dorf und Stadt in Bauart, Lebensweise und Beschäftigung noch weniger scharf hervortraten — waren doch nicht wenige Städte aus Dörfern hervorgegangen — ein merklicher Unterschied in den Blutrachezuständen nicht stattfand. Anders gestaltete sich die Sache, je mehr die Städte ihre Eigentümlichkeiten ausbildeten, je schärfer sie sich allgemein von der ländlichen Umgebung in Einrichtungen, Sitten und Verfassung abhoben. Schon der enge, von Mauern und Türmen umschlossene Raum ließ Bildungen, wie die dörflichen Hausgemeinschaften nicht oder mindestens nicht zur vollen Reife sich entwickeln. Außerdem lag in dem fluktuierenden Charakter der Stadtbevölkerung ein die Lockerung und Schwächung des Familienzusammenhangs bewirkendes Element. Hierzu kam die bessere Organisation des städtischen Polizeiwesens, welches Ausschreitungen der Blutrache leichter verhinderte. Nichtsdestoweniger finden sich Spuren, dass sogar in den volkreichsten und bestorganisierten Städten die Blutrache unter den angesehenen Geschlechtern noch im 16. Jahrhundert ihre Anhänger hatte. Von mancherlei Fällen seien nur die folgenden angeführt.


Im Jahr 1528 überraschte in Ulm der Barbier Caspar Herzog seine Frau mit einem gewissen Anton Langenaner, der einer angesehenen Ulmer Familie angehörte, im Ehebruch und erschlug beide. In Ulm fand man diesen Fall etwas schwierig und wendete sich deshalb an den Rat zu Nürnberg für ein Rechtsgutachten. Letzterer antwortete: Die Familie des Langenaner habe keinen Anspruch auf Bestrafung des Täters, jedoch „weil des Entleibten Freundschaft vielleicht in einem tapferen (großen) Ansehen und etwas Statthafts (Stattliches) sein mögen und darum der Täter von ihnen Schaden und Sorg gewarten müsst (d.h. dass sie sich an ihm rächen würde), möchte der Ulmer Rat den Täter und des Entleibten Freundschaft [Verwandtschaft] verpflichten, sich vor dem Rat oder Stadtgericht zu vergleichen und soweit es ihm möglich, den Totschläger vor tätlichen Angriffen seiner Gegner schützen. (Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge, Bd. XI, S. 134.) Bartholomäus Sastrow, Bürgermeister von Stralsund, erzählt in seiner Lebensbeschreibung (ed. Mohnike Bd. I.) folgendes: 1523 gerät sein Vater, Bürger in Greifswald, auf der Straße mit einem Privatfeind in Streit und ersticht ihn. Der Erschlagene ist der Schwiegersohn des allmächtigen pommerschen Kanzlers Stojentin. Der Totschläger eilt sogleich ins Kloster der schwarzen Mönche (Dominikaner), diese verstecken ihn in den obersten Kirchengewölben. Er wird bei der Durchsuchung nicht gefunden. In der Nacht halfen ihm die Mönche über die Mauer. Die Verwandten des Erschlagenen streifen, ihn zu fahnden, auf den Landstraßen um Greifswald. Einer sticht in die Säcke, unter denen sich Sastrow verborgen hat. In Stralsund erhält Sastrow vom Rat Geleit, traut aber demselben nicht,weil der Entleibte selbst unter herzoglichem Geleit gestanden hat. „So ist er in Dänemark, auch zu Lübeck, Hamburg und anderswo umhergestreift, bis er mit dem Landesfürsten um eine ansehnliche Summe Geld vertragen wurde, die er auch bar bezahlen musste. Und obgleich später nach vielfältigem Ansuchen, Fleiß und Arbeit meines Stiefgroßvaters (eines Greifswalder Bürgermeisters) mein Vater mit der beleidigten Partei auf Entrichtung von 1000 Mark Blutgeld verglichen wurde, so konnte ihm doch wegen dieser Gegner der Aufenthalt in der Stadt Greifswald nicht freigemacht werden.“


Werfen wir schließlich noch einen Blick auf den Adelsstand. Auch hier verfolgen sich die Geschlechter mit Totschlagsfehden. Namentlich scheint dieselbe unter den Ministerialen der Landesfürsten im Schwang [in Mode] gewesen zu sein.


Die letzteren hatten oft alle Mühe, durch Ehestiftungen und Entschädigungen die verfeindeten Familien zum Frieden zu stimmen. In welcher schonungslosen Weise die Geschlechter gegeneinander wüteten, davon zeugt u.a. jene grausige Tat der Blutrache aus dem 14. Jahrhundert, die uns durch die elsässische Chronik des Jakob Twinger von Königshofen (bei Schilter S. 311) überliefert ist. Der Chronist erzählt: Als man zählte nach Gottes Geburt im 1374. Jahr, am St. Georgentag, da erhob sich ein Krieg und ein Geschelle bei St. Thomas zwischen den zwei Geschlechtern zu Straßburg genannt die Rebenstöcke und die von Rosheim. Und derer von Rosheim wurden drei erschlagen. Darum wurde Zwölfen von den Rebenstöcken die Stadt verboten (d. h. wurden aus der Stadt verbannt), die zogen zu Hand nach Molsheim und waren dagesessen (machten sich daselbst ansässig). Als die von Rosheim erkundschafteten (befunden), dass ihre Feinde zu Molsheim wohnten, da schlichen sie heimlich in die Stadt zu Molsheim und lagen so manchen Tag in einem Hause verborgen und warteten, wenn sie über ihre Feinde könnten kommen. Hierum wussten die Rebenstöcke nicht und gingen ungewarnt zehren und essen auf der Edelleute Trinkstube zu Molsheim. Und als die Rebenstöcke einmal alle zehn auf der Stube zu Nacht gegessen hatten und beieinander waren, da liefen die von Rosheim heimlich aus dem Haus, darin sie verborgen waren, und kamen bewaffnet auf die Trinkstube über die Rebenstöcke und stachen ihrer acht zu Tode. Zwei junge Knaben aber konnten fliehen. Und als die von Rosheim ihre Feinde also erstochen hatten, da liefen sie an die Ringmauer zu Molsheim und da es Nacht war und die Pforten geschlossen waren, kamen sie mit Leitern und mit Seilen über die Mauer hinaus, wie sie es vorher bestellt hatten. Dies geschah an St. Valentinsabend nach Gottes Geburt im 1375. Jahr. Danach klagten die Rebenstöcke, die noch zu Straßburg waren, vor dem Rat diesen Mord (d.h. sie erhoben die Klage auf Mord). Da erkannten Meister und Rat, dass die von Rosheim keinen Mord damit hätten begangen, dass sie ihre Feinde erschlagen hätten und verboten denjenigen, die dies getan hatten, die Stadt für zehn Jahre zu betreten, wie man es an denen tut, die einen Totschlag begangen haben“.

Historische Ansicht der Stadt Heidelberg Deutschland des 19. Jahrhunderts

Textquelle: Blutrache und Totschlagsühne im deutschen Mittelalter von Paul Frauenstädt - Einblick ins Buch

Bildquelle: Europäische Stadtansichten des 19. Jahrhunderts - Einblick ins Buch


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