· 

Zusammengesetzte und verstärkte Bogen Teil 3

Eine ganz andere Art der Verstärkung ist in dem beistehend (Fig. 4) abgebildeten Bogen von Sekar gegeben, den das Berliner Museum zugleich mit einer größeren und sehr wertvollen Sammlung von Prof. Warburg als Geschenk erhalten hat. Soviel mir bekannt ist, steht dieser Bogen bis jetzt völlig vereinzelt da und ist das einzige Exemplar seiner Art. Er besteht aus zwei Stäben, einem längeren und dickeren aus Palmholz und einem kürzeren und dünneren aus Bambus, die einfach hintereinander gelegt und durch viele darumgeflochtene Ringe miteinander verbunden sind. Es wird abzuwarten sein, ob ähnliche Bogen auch sonst noch im äußersten Westen von Neu-Guinea vorkommen, oder ob es sich bei diesem einzelnen Stücke in der Tat nur um eine ganz isolierte Erscheinung, etwa um eine persönliche Spielerei eines einzelnen Eingeborenen handelt. Einstweilen möchte ich annehmen, dass wir es hier doch mit einem typischen Stück zu tun haben. Obwohl dieser Bogen aus zwei Stäben besteht, möchte ich ihn doch nicht zu den "zusammengesetzten" zählen; es scheint mir richtiger, ihn nur als "verstärkt" zu registrieren und den Begriff des "zusammengesetzten" Bogens auf solche Stücke zu beschränken, deren einzelne Elemente fest mit einander verleimt sind oder sonst so fest aneinanderheften, dass sie ohne völlige Zerstörung nicht wieder getrennt werden können.


In diesem Sinne ist auch der aus verschiedenen Rentierhorn- oder Knochenstücken zusammengesetzte Bogen mancher Eskimo-Stämme nicht zu den eigentlich "zusammengesetzten" Bogen zu zählen: in der Tat hat er mit dem typischen Schema für diese Bogen, wie ein solcher Fig. 2 abgebildet ist, nicht das Mindeste zu tun. Er ist eben aus kleinen Hörn- oder Knochenstücken zusammengebunden, weil man weder über ein genügend langes und sonst geeignetes Holz verfügte, noch über einen genügend langen und dabei elastischen Knochen. Einzelne Eskimo-Stämme haben da einfach aus der Not eine Tugend gemacht; der Bogen, den sie sich trotz der äußersten Ungunst der Verhältnisse konstruiert haben, mag ja verhältnismäßig recht gut sein, aber es wäre nicht ganz korrekt, wollten wir ihn zu den zusammengesetzten rechnen; er wird besser als "zusammengestückt" bezeichnet.


Wenden wir uns nun zu den wirklich zusammengesetzten Bogen, so können wir aus diesen zunächst jene herausgreifen, welche nur aus verschiedenen Stäben von Holz zusammengesetzt sind. Solche gibt es auch in Europa; zwar die ältesten Bogen, die wir aus Pfahlbauten und sonst aus alter Zeit kennen, sind durchweg einfach; auch im Mittelalter waren, wenigstens in Westeuropa, die Bogen einfache Stäbe aus Eibenholz. Aber schon vor einigen Jahrhunderten begann man, ich glaube zuerst in Frankreich, auf den Rücken des Bogens einen Stab aus Eschen-, Ulmen- oder Hickory-Holz zu leimen, oder auch beide Stäbe noch außerdem regelrecht miteinander zu verdübeln. Noch heute werden in England, wo das Bogenschießen mit zu den vornehmsten Sportübungen gehört, neben dem einfachen Eiben-Bogen (self-yew) derartige zusammengesetzte (backed) Bogen hergestellt.


H. Balfour hat gezeigt, dass ähnliche Bogen im 17. Jahrhundert auch in Lappland üblich waren. Solche sind nach ihm in der Histoire de la Laponie von Jean Scheffer 1678 sehr ausführlich und genau beschrieben. Wir erfahren, dass sie aus einem Stab Birken- und aus einem Stab Fichtenholz zusammengesetzt waren. Wir finden dort sogar eine genaue Beschreibung der Herstellung des hierzu nötigen Fischleims und hören auch, dass der so zusammengesetzte Bogen nachher zum Schutz gegen Schnee und Regen mit Birkenrinde überzogen wurde.


Ähnlich zusammengesetzte Bogen finden wir auch in Japan; sie sind aus mehreren dünnen Stäben von Bambus und von Laubholz zusammengefügt, mit einer dicken Rinde umgeben und sehr sorgfältig lackiert. Das Bogenschießen, das in China den wichtigsten Gegenstand der Offiziers-Prüfung ausmacht, gehört dort, wie auch in Japan, zu den sechs Dingen, Riku-gei, die jeder gut erzogene Mann verstehen muss (1. Schreiben und Lesen, 2. Rechnen, 3. Etiquette oder Anstandslehre, 4. Bogenschießen, 5. Musik, 6. Reiten und Fahren); es wird uns daher nicht wundern, wenn wir sehen, welchen außerordentlich hohen Grad der Vollendung gerade der japanische Bogen erreicht hat. Bogenbauer gehörten im alten Japan zu den am meisten geehrten Künstlern: auf den guten alten Bogen sehen wir oft den Namen ihres Verfertigers und das Datum vermerkt, ebenso eine Nummer für die Stärke, wofür 12 Abstufungen unterschieden wurden. Natürlich hat unter dem modernen europäischen Einfluss die Kunst des Bogenbauens und auch die des Schießens schon sehr abgenommen: aber auch heute noch braucht man einem Japaner nur einen Bogen in die Hand zu geben und ihn einen einzigen Schuss machen zu lassen, um sofort zu wissen, ob er aus guter Familie ist oder nicht. Ich habe ab und zu die Freude, dass japanische Kollegen sich hier an meinen Schießübungen beteiligen, und ich muss gestehen, dass ich ihre Fertigkeit immer wieder von Neuem bewundere und sie um ihre vielen Treffer beneide.

 

Wie alle zusammengesetzten Bogen ist auch der japanische „reflex", d. h. er hat, wenn er abgespannt ist, eine Krümmung, entgegengesetzt der Krümmung, die er bei richtiger Bespannung annimmt. Jeder zusammengesetzte Bogen wird also von einem Unkundigen regelmäßig falsch besehnt werden, und gar viele kostbare Bogen der Art sind intra et extra muros der ethnographischen Sammlungen zerstört worden, weil man sie falsch bespannte; auch heute noch kann man die Museen, in denen zusammengesetzte Bogen richtig besehnt sind, an den Fingern einer Hand abzählen! Fast alle diese Bogen sind vollständig symmetrisch und werden asymmetrisch nur dann, wenn sie fehlerhaft gebaut oder sehr schlecht behandelt wurden. Allein nur die japanischen Bogen sind ganz unsymmetrisch: ihr unteres Ende ist viel stärker als das obere; deshalb werden sie auch nicht in der Mitte gehalten, sondern etwa an der Grenze zwischen dem untersten und dem mittleren Drittel; das kann man aus den zahlreichen Holzschnitten ersehen, auf denen japanische Bogenschützen abgebildet sind, und das ergibt sich auch aus der immer durch besondere Rotan-Umwicklung bezeichneten Stelle für die Hand. Ich hebe das hervor, nicht nur, weil es an und für sich interessant ist, sondern weil auch die Bogen der Neu-Hebriden-Insulaner, obgleich natürlich "einfach", doch oft eine derartige asymmetrische Krümmung erkennen lassen.


Nachdem wir so die aus verschiedenen Holzstäben zusammengesetzten Bogen kennengelernt haben, gelangen wir zu den eigentlichen "zusammengesetzten" Bogen, als deren typischen Vertreter ich schon einmal den Turkistan-Bogen bezeichnet habe, dessen Querschnitt Fig. 2 abgebildet ist. Die geographische Verbreitung dieses Bogens ist eine außerordentlich weite. Wir finden ihn von der Küste des Ägäischen Meeres an durch ganz Klein-Asien und den ganzen asiatischen Kontinent hindurch bis nach China; die Araber haben ihn über das ganze Mittelmeer bis nach Spanien und Nordwest-Afrika gebracht, die Chinesen nach dem Malayischen Archipel. Ja, er ist von den Arabern sogar mehrfach in das Innere von Afrika verschleppt worden.


Ebenso bemerkenswert aber, wie die ungeheure Verbreitung, ist auch das hohe Alter des zusammengesetzten Bogens. In diesem Artikel habe ich einen solchen Bogen beschrieben, der dem 13. vorchristl. Jahrhundert angehört, und 1897 hat auch H. Balfour uns mit einem ähnlichen Bogen bekannt gemacht, den er dem 7. vorchristl. Jahrhundert zuschreibt. Beide Bogen sind in Ägypten gefunden worden, wo sie sich durch die ganz besondere Gunst des Klimas erhalten haben, wo sie aber wohl nicht einheimisch gewesen sind. Der im alten Ägypten vorherrschend gewesene Bogen war nämlich ein einfacher, leicht gebogener Stab und sah genau so aus, wie heute die Bogen der Wanyamwesi und anderer Ost-Afrikaner. Ich habe im Ganzen gegen 80 altägyptische Bogen untersuchen können, die alle untereinander völlig übereinstimmen und alle "einfach" sind. Die beiden oben erwähnten zusammengesetzten Bogen gehen also ganz aus der Reihe heraus und gehören natürlich einem fremden Volk an. Aus assyrischen und "hethitischen" Denkmälern ergibt sich in völlig einwandfreier Art, dass der Bogen dieser Vorder-Asiaten zusammengesetzt war; es ist also ganz selbstverständlich, dass die beiden von H. Balfour und von mir nachgewiesenen Bogen aus Vorder-Asien stammen. Ob sie als Kriegsbeute nach Ägypten gelangt oder etwa in der Hand vorderasiatischer Söldner dahin gekommen sind, ist für unsere Untersuchung belanglos; wichtig ist nur, dass uns überhaupt in Ägypten zwei alte vorderasiatische Bogen leibhaftig erhalten blieben, sodass wir in der Lage sind, sie genau zu studieren und auch ihren feineren Bau zu erkennen, der uns sonst, trotz der vielfachen Darstellungen des Bogens auf vorder-asiatischen Monumenten, natürlich niemals bekannt geworden wäre.

a Querschnitt durch einen in Ägypten gefundenen Bogen des 7. Jhd. v. Chr. nach Balfour. b, c Querschnitt durch Mitte und Arme eines vorderasiatischen Bogens des 13. Jhd. v. Chr.
a Querschnitt durch einen in Ägypten gefundenen Bogen des 7. Jhd. v. Chr. nach Balfour. b, c Querschnitt durch Mitte und Arme eines vorderasiatischen Bogens des 13. Jhd. v. Chr.

Weiter zu Teil 4.

 

Quelle: Zeitschrift für Ethnologie, 31. Jahrgang. Berlin, 1899.