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Die Stangenwaffen. Der Spieß

Der Spieß (franz. épieu, engl. spit, ital. spiedo, lancia, asta, lat. espietus, spedus, lancea), beim Gebrauch zu Pferde auch Speer genannt, die einfachste Stangenwaffe, ist in seiner ältesten Form ein Vermächtnis aus dem Altertum und auch seine taktische Verwendung unterscheidet sich bis ins 12. Jahrhundert in nichts von jener in der antiken Zeit. Der Spieß erscheint am Beginn des Mittelalters bei allen und auch den barbarischen Völkern als eine dünnschäftige Stoßwaffe mit langer und schmaler Stoßklinge. Der Reiter wie der zu Fuß Streitende gebrauchen ihn in zwei gleichen Formen, die sich nur durch die Länge des Schaftes unterscheiden: als Spieß oder Speer mit einer Schaftlänge von 3½ bis 4 m und als Wurfspieß (ger, pilum) mit einer Schaftlänge von 2 bis 2¼ m.

 

Am Ausgang der antiken Zeit kam die Spießwaffe durch den Einfluss der Römer auch unter jenen Völkern allenthalben in Gebrauch, welche sie früher nicht führten. Unter den Germanen ist sie die älteste und allgemeine Waffe und steigt später so sehr in der Achtung, dass nur dem freien Mann ihre Führung gestattet war; diese Schätzung des Spießes erhielt sich bis ins 9. Jahrhundert. Ebenso war in den Heeren der Merowinger der Spieß die allgemeine Waffe. Das scaftlegi, das Niederlegen des Speeres, war gleichbedeutend mit Frieden halten. Unter den Galliern findet sich neben dem Bogen noch eine Art von Wurfspießen, mataris, welche aus freier Hand geworfen wurden, nebenher eine andere, cateja, die mittelst Riemen geschleudert wurde. Unter den vielen Spießformen mit verschiedenen Namen erscheinen zwei, welche in den meisten Ländern des Nordens verbreitet waren, und beide sind Wurfspieße. In Britannien und an den Küsten des Stillen Ozeans scheint zuerst, aus römischen Vorbildern erwachsen, der Ango in Aufnahme gekommen zu sein. Derselbe ist ein kleiner, schmaler Spieß mit fast meterlanger, dünner Dille, deren Schaft, rückwärts stärker werdend, in einer Reihe von Knöpfen endet. Das Spießblatt des Ango ist immer bärtig, d. h. es besitzt beiderseits Widerhaken. Der Ango hat sich, und fast in gleicher Gestalt, im nördlichen Europa als „Harpune“, wenn auch nur noch zum Jagdzweck dienend, erhalten. Unter den Germanen trugen die Freien die Framea, einen dem Ango ähnlichen, doch mit blattförmigem Spießeisen versehenen Wurfspieß, der jedoch später nicht selten auch für den Nahkampf diente, was beim Ango nie der Fall war. (Fig. 353, 354, 355.) Es ist bezeichnend, dass auch der Wurfspieß der Reiter und sein Gebrauch auf orientalischen Ursprung zurückweist. Wenn wir z. B. die Schilderung des Prokop von Caesarea über die Schlacht bei Busta Gallorum (6. Jahrhundert) lesen, bei welcher Totilas, der König der Goten, dem Feind seine Künste im Spießwerfen zeigte, so weist dies auf speziell orientalische Kriegsübungen, die sich bei den Arabern und Indern noch bis heute erhalten haben.

Fig. 353. Fränkisches Spießeisen (framea). Klingenlänge 49 cm. Grabfund vom Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. Nach C. Koenen, Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinland 1888.

Fig. 353. Fränkisches Spießeisen (framea). Klingenlänge 49 cm. Grabfund vom Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. Nach C. Koenen, Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinland 1888.

Fig. 354. Bärtiges Spießeisen von einem Ango. 9. Jahrhundert.

 

Berühmt als sichere Speerwerfer waren die langobardischen Reiter, ebenso war der Wurfspieß oder Wurfspeer eine gefürchtete Waffe der Franken im 5. und 6. Jahrhundert; nicht minder wird davon berichtet, dass die Goten und Vandalen in dieser Wurfwaffe sehr geübt waren1.

1Gregor von Tours III. 10, V. 26, VII. 29 etc.

Fig. 355. Wurfspießträger mit Handschild. Miniatur aus einer Bibel aus der Wende des 9. und 10. Jahrhunderts in der Bibliothek Mazarin. Nach Jacquemin, Ikonographie.

 Fig. 355. Wurfspießträger mit Handschild. Miniatur aus einer Bibel aus der Wende des 9. und 10. Jahrhunderts in der Bibliothek Mazarin. Nach Jacquemin, Ikonographie.

 Fig. 356. Wurfspießträger. Miniatur aus einer Bibel der Wende des 9. ins 10. Jahrhundert in der Bibliothek Mazarin. Nach Jacquemin, Ikonographie.

 

Nicht früher als im 8. Jahrhundert begegnen wir einer weiteren Wurfspießgattung, dem Dard (Darde, dart, algier). Es war dies eine leichte Spießsorte mit flacher, scharfer Spießklinge und mit rückwärts in der Art eines Pfeiles befiedertem Schaft. Es ist nun kein Zweifel, dass sich der Name von dem arabischen djerid ableitet, was ebenfalls Wurfspieß bedeutet, und wahrscheinlich, dass der Dard unter den Karolingern in den Kämpfen mit den Mauren in Spanien von diesen übernommen wurde, wie das auch aus der zuweilen vorkommenden Bezeichnung algier zu vermuten ist. Von den Dards (darz) geschieht auch erst im Rolandslied Erwähnung. Es spricht zwar der normannische Poet Wilhelm Guiart 1302 von „dars“; damals und überhaupt vom 12. Jahrhundert an war der Name indes auf den gemeinen Fußknechtspieß übertragen und hat sich in dieser Bedeutung bis ins 17. Jahrhundert erhalten. Man findet die Bezeichnung Tardaeisen in den Inventaren der Zeughäuser bis 16471. (Fig. 356.)

 

1Vergl. „Die Waffen des Landeszeughauses zu Graz“ von F. G. v. M. 1880.

Fig. 357. Die Lanze des heiligen Mauritius (getötet 286) in der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses zu Wien. Ohne die späteren Durchbrechungen der Klinge gezeichnet. Nach Leitner.

 Fig. 357. Die Lanze des heiligen Mauritius (getötet 286) in der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses zu Wien. Ohne die späteren Durchbrechungen der Klinge gezeichnet. Nach Leitner.

 Fig. 358. Spießeisenformen aus dem Psalterium aureum vom Ende des 8. Jahrhunderts. Nach Rahn, Psalt. aur.

 

In der Hand des Fußstreiters und für den Nahkampf musste naturgemäß der Spieß stärker in Schaft und Eisen werden; zuerst merken wir diese Zunahme bei den Germanen.

 

Vom 9. Jahrhundert an tritt uns zuerst eine Spießform entgegen, die wir der Gestalt des Spießeisens wegen den Knebelspieß in seiner ältesten Gestaltung nennen möchten.

Fig. 359. Die Lanze, genannt des Heiligen Mauritius, im Schatz der Kathedrale zu Krakau. 9. Jahrhundert.

Fig. 359. Die Lanze, genannt des Heiligen Mauritius, im Schatz der Kathedrale zu Krakau. 9. Jahrhundert.

Fig. 360. Spieß und Rundschild. Aus einer Miniatur der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre zu Paris. Nach Jacquemin.

 

Für die älteste Form dieser Spießeisen haben wir Vorbilder in mehreren erhaltenen Exemplaren, von solchen, welche teilweise als kirchliche Reliquien zu Rom, Bordeaux, Malmesbury u. a. Orten bewahrt werden; von besonderer Wichtigkeit erscheint ein erhaltenes Spießeisen, welches, wenn es auch vielleicht nicht jenes hohe Alter besitzt, das ihm die Tradition beigelegt hat, doch als entschieden ältestes Beispiel eines Spießeisens des Mittelalters zu erkennen ist: die sogenannte Lanze (lancea) des Heiligen Mauritius in der Schatzkammer des österreichischen Kaiserhauses zu Wien1. Entkleiden wir diese heilige Lanze des Beiwerkes, mit welchem sie frommer Sinn und die Sorge um ihre Erhaltung ausgestattet hatte und das für uns von nebensächlicher Bedeutung ist, so erscheint uns ein langes, blattförmiges Spießeisen mit schwachem Grat auf langem, zylindrischen Stiel, an dessen unterem Ende zwei flache, unten konkav geschnittene Knebelarme angeschweißt sind. Dicht an diesen sitzt eine kurze Dille (douille). (Fig. 357.) Sie besitzt nun allerdings nicht die Form der römischen Lanzen, wenigstens entdecken wir unter den antiken Funden kein ähnliches Exemplar, aber wir erkennen hier in den Details des Knebels das Vorbild für die mittelalterlichen Knebelspieße bis ins 15. Jahrhundert herab. Wir sehen in diesen Spießeisen die eigentliche Form desselben, die uns in den ältesten Miniaturen, wie im Psalterium aureum nur durch flüchtige Linien angedeutet wird. (Fig. 358.) Ein zweites, nur etwas jüngeres originales Exemplar dieser Spießeisenform aus der Kathedrale zu Krakau sehen wir in Fig. 359.

 

1Über deren Geschichte und gegenwärtigen Zustand vergl. Quirin Leitner, „Die vorzüglichsten Kunstwerke der Schatzkammer des österr. Kaiserhauses“. Wien.

Fig. 361. Spießeisen mit Gold und Silber eingelegt darauf das Zeichen des Kreuzes. Grabfund bei Ulm. Nach Beck, Geschichte des Eisens.

 Fig. 361. Spießeisen mit Gold und Silber eingelegt darauf das Zeichen des Kreuzes. Grabfund bei Ulm. Nach Beck, Geschichte des Eisens.

 Fig. 362. Spießeisenformen aus dem Teppich zu Bayeux vom Ende des 11. Jahrhunderts.

 Fig. 363. Fränkischer Spieß mit einem Stück des mit Silber beschlagenen Schaftes. Das Spießblatt besitzt einen stark vortretenden Grat. Länge des Spießeisens 22 cm. Grabfund vom Kirchberg bei Andernach. Rhein. Provinzialmuseum in Bonn. Nach C. Koenen.

 

Im 9. Jahrhundert beginnen die Formen des Spießeisens noch mannigfaltiger zu werden, wir treffen sie bereits rautenförmig, wie in der Bibel Karls des Kahlen (860—875) im Museum des Louvre, und bemerken das Bestreben, dasselbe mit bunten Bändern zu zieren. Ist der Knebel, der Knopf (nodus), dazu da, um ein zu tiefes Eindringen der Klinge in den Körper zu verhindern, wodurch das Zurückziehen der Waffe oft ganz verhindert wird, so war das bunte Bändchen, der Wimpel, bestimmt, den Träger des Spießes im Kampfgewirr die Richtung der Waffe leichter erkennen zu lassen (Fig. 360). Im 10. Jahrhunderte ändern sich die Spießformen wenig und vielleicht nur dadurch, dass sie nun um etwas stärker in Eisen und Schaft werden. (Fig. 361.) Im 11. Jahrhundert treten bei den Normannen wie bei den Sachsen neue Spießeisenformen auf. Es erscheint die lange, lanzettförmige Spießklinge mit Knopf und erheblich stärkerem Schaft, weiters die bärtige Spießklinge, letztere im Teppich von Bayeux in großer Anzahl, daneben aber auch die alten Formen. (Fig. 362.) Diese Klingenform ist auf orientalische Vorbilder zurückzuführen und verdankt ihre Einführung bei den Normannen wahrscheinlich Harald III. Die Verzierung der dünnen Spießschäfte ist schon an Funden wahrnehmbar, die dem 8. Jahrhundert angehören. Die Technik ist der orientalischen sehr verwandt und besteht meist in einem dünnen Belag aus Silber oder einer dichten Besetzung mit Silberstiften. Vom 11. Jahrhundert kommt diese Technik allgemach in Abnahme. (Fig. 363.) Vom Altertum an ist der Spieß gewissermaßen der eigentliche Träger der Fahnen und Fähnchen; in der Epoche des ausgebildeten Rittertums zeigt der Spieß durch die Beigabe des Fahnenblattes, dessen Größe und Auszierung den Rang und das Geschlecht des Trägers an. (Fig. 364.)

 

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts, in jener Epoche, in welcher die Erfahrungen aus den Kreuzzügen greifbare Gestalt angenommen hatten, verändert sich die Form der Stangenwaffe und damit auch die Art ihres Gebrauches.

 

Zunächst verschwindet der Wurfspieß allmählich aus den Heeren der Deutschen und Franzosen, nur die Italiener, von Natur aus anstellig und handgewandter, führten ihn noch häufig und nicht ohne Erfolg. Bei der eigentlichen Hauptwaffe, der Reiterei, die immer mehr als einzig maßgebend im Streit angesehen wurde, war man bemüht, die Wirkung des Spießes zu erhöhen. Das führte zur Verlängerung und Verstärkung der Schäfte. Hatten sie bis dahin am Stammende durchschnittlich nur eine Stärke von 3,3 cm und eine durchschnittliche Länge von höchstens 4 m., so führte man sie nun bei einem Durchmesser von ca. 4,5 cm in einer Länge bis zu 5 m. Die Spießeisen erhalten mannigfache Formen, die Spießklingen werden lang und spitzig und besitzen längere Dillen. Die mit dieser Umgestaltung verbundene ansehnliche Vermehrung des Gewichtes veranlasste zunächst eine Veränderung in der Handhabung. Führte der Reiter früher den Spieß in freier, erhobener Hand, wie noch heute der Beduine, so zwang ihn jetzt die Schwere der Stange, sie unter den Arm zu zwängen und, den Oberkörper anstemmend, den Stoß auszuführen.

Fig. 364. Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahrhunderts nach Van der Kellen.

Fig. 364. Reitergefecht aus einem Manuskript des 13. Jahrhunderts nach Van der Kellen.

 

Noch weit bedeutender war die Veränderung, welche die Stangenwaffe im Verlauf des 12. Jahrhunderts im Fußvolk erhielt. Der alte Spieß, für Reiter und Fußknecht gleich geformt, erwies sich für diesen als zu gebrechlich und wegen seiner Länge in der Handhabung unsicher. Man verstärkte darum den Schaft auf 4,75 bis selbst 5 cm und verkürzte ihn so bedeutend, dass er nur wenig eine Mannslänge überragte. (Fig. 365.) Damit bildete sich die Urform des sogenannten „gemeinen Spießes“, der mit unwesentlichen Varianten bis ins 17. Jahrhundert herein im Gebrauch geblieben ist. Das Bestreben, die Handsamkeit des Schaftes zu erhöhen, führte noch im 12. Jahrhundert zu neuen Kombinationen. Man suchte das Spießeisen derart zu gestalten, dass es nicht allein für den Stoß, sondern auch für Hieb und Schlag dienen konnte; man versah es mit Haken, um den feindlichen Mann aus der Front hervorzuziehen. Aus diesen Kombinationen entstanden allmählich die Glefen, die Helmbarten und alle übrigen Stangenwaffenformen.

Fig. 365. Spießträger mit Faustschild. Aus einem Manuskript von 1294 in der Nationalbibliothek in Paris. Nach Jacquemin, Ikonographie.

 Fig. 365. Spießträger mit Faustschild. Aus einem Manuskript von 1294 in der Nationalbibliothek in Paris. Nach Jacquemin, Ikonographie.

 

An diesen Stangenwaffen des Fußvolkes treten zuerst die sogenannten Schaftfedern auf, bandartige Fortsetzungen der Dille aus Eisen bis zum Drittel oder der Hälfte des Schaftes, in welchem sie eingelassen und mit Nägeln befestigt sind. Sie sind dazu bestimmt, das Abbrechen oder Abhauen des Schaftes zu verhindern. Die allgemeine Form des knechtischen Spießes blieb bis ins 15. Jahrhundert herein die gleiche; nur macht sich erneut, etwa von der Mitte des 14. Jahrhunderts an, ein von Italien ausgehendes allgemeines Streben bemerkbar, die Waffe zu verzieren. So sehen wir von dieser Zeit an mannigfach ausgestattete Spieße. Die Klingen von Prunkwaffen für Befehlshaber, Trabanten etc. erhalten feine Gravierungen und oft auch Vergoldungen, die auf chemischem Weg mit Quecksilberamalgam hergestellt wurden. Schäfte erhalten unterschiedliche Auszierungen; sie werden mit Stoffen überzogen und mit metallenen, oft vergoldeten Nägeln besetzt. Zuweilen wird die Oberfläche kreuzweise mit Lederstreifen oder Goldborten überlegt und diese mit Nägeln befestigt. Später, im 16. Jahrhundert, wird zunächst an der Dille eine Quaste befestigt und der Schaft in der Höhe der „Handlage“ mit Samt belegt, der an den Rändern mit Fransen besetzt ist. Am unteren Ende wird ein Beschlag, die sogenannte Spießhose, angebracht, der unterhalb zuweilen spitzig ausläuft.


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